Seiner Eminenz Alfred Kardinal Bengsch, Erzbischof von Berlin. Eminenz!

In der Zeit vom 22.—26. August 1975 war für alle Gläubigen Ihr Besuch in unserem Vaterland eine unverhoffte angenehme Überraschung. Wir schauten auf Ihr freundlich lächelndes Gesicht, hörten Ihre warmen herzlichen Worte über unseren Glauben, auch wurden in uns neue Hoffnungen geweckt, daß den Apostolischen Stuhl und die breite Weltöffentlichkeit mehr objektive Informationen über die Lage der Kirchen in Litauen erreichen könnten. 1974 hörten wir aufmerksam die Ansprachen von Ihnen und der Kardinäle Wyszynski und Slipyj auf der Bischofsynode in Rom, soweit es die Störer der Rundfunksender zuließen. Hieraus erkannten wir, daß Sie gütig und warmherzig sind und christlichen Mut haben, sich auch für die einzusetzen, die wegen ihres Glaubens an Gott und die Kirche verfolgt werden. Für unsere Sorgen und unsere schwere Lage haben Sie Verständnis gezeigt. Der Tag Ihrer Ankunft wurde für Priester und Gläubige geheimgehalten. Auch die in Verbannung lebenden Bischöfe J. Steponavičius und V. Sladkevičius wurden nicht vorher informiert. Erst am Vorabend Ihrer Ankunft gab man in der Basilika von Kaunas Ihren Besuch bekannt, aber die Priester in den Provinzen wußten nichts über Ihre Ankunft. Nur regimetreue Priester wur­den mit den Vorbereitungen für Ihren Besuch beauftragt und wie es scheint, lief alles nach Plan, ohne Enttäuschung. Alle diejenigen, die Ihnen über die wirkliche Lage der Kirche hätten berichten können, hatten keinen Zutritt. Ihnen wurden keine geschändeten Gotteshäuser gezeigt, wohl aber hat man Sie nach Pirčiupis geführt. (Um bei der Wahrheit zu bleiben, darf man nicht vergessen, daß es in Litauen nicht nur Gräber von Opfern des Nazis­mus gibt, sondern auch von sowjetischen, z. B. in Pravieniškiai und im Wäldchen von Rainiai und auch noch andere.) Kein Kirchenchor durfte in Panevėžys singen, sonst wäre man bei der Regierung in Ungnade gefallen, und der Eindruck zu groß gewesen.

An das Akademiemitglied A. D. Sacharov Sehr geehrter Herr Nobelpreisträger!

Am 9. Oktober hat uns die erfreuliche Nachricht erreicht, daß Ihnen der Nobelpreis verliehen wurde. Alle Menschen guten Gewissens in Litauen freuen sich herzlich mit Ihnen über diese große Auszeichnung, durch die Ihr Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte jetzt endlich an­erkannt wurde. Ebenso freuen wir uns, daß Sie unsere religiöse Verfolgung in Litauen nicht übersahen, es fand sich in Ihrer Großherzigkeit auch noch ein Plätzchen für unsere Nöte. Wenngleich Sie auch in den öffentlichen Kri­tiken beschmutzt, gedemütigt und erniedrigt wurden, so sollen Sie doch wissen, daß Tausende von Litauern sich mit Ihnen solidarisch erklären. Ihre große Opferbereitschaft bedeutet für viele Menschen einen Ansporn zum Kampf für Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, was in der freien Welt schon akzeptiert ist. Hochverehrter Herr Nobelpreisträger, wir glauben, daß Ihre und des Schriftstellers Solzenicyn Ansichten und Ihr Eintreten dafür allen Völkern einen Weg zu einer lichten Zukunft weisen wird.

20. Oktober 1975                                                                  Die Litauer

Briefe und Darlegungen

An das Zentralkomitee der Litauischen Kommunistischen Partei

Dieser Brief sollte keine Überraschung für Sie sein. Ich bin Schriftsteller, Übersetzer und Literaturforscher. Auf all diesen Gebieten habe ich mich voll eingesetzt und denke, daß ich meinem Volke und dem Vaterland auch einigen Nutzen gebracht und mir somit mein Brot redlich verdient habe. Meiner Ansicht nach ist es noch zu wenig gewesen. Ich hätte mehr erreichen können, aber es ist nicht meine Schuld. Mein Vater Antanas Venclova war ein überzeugter Kommunist. Ich habe ihn verehrt und verehre ihn auch heute als einen wertvollen Menschen. Die Treue zum Prinzip habe ich von ihm gelernt. Aber noch im jugendlichen Alter studierte ich den Verlauf die­ses Lebens und nahm auch daran zur Genüge teil. Dabei entwickelten sich meine Anschauungen entgegengesetzt zu denen meines Vaters. Die Richtig­keit meiner Entwicklung hat sich dann später bestätigt. Meinem Vater und anderen war dies kein Geheimnis. Ich bin weit entfernt von der kommuni­stischen Ideologie. Meiner Ansicht nach enthält diese in großen Teilen Feh­ler. Dieses absolute Herrschertum brachte unserem Vaterland nur Unglück. Die gesamte Gemeinschaft wird in die Stagnation geschoben und das Land selbst ist rückständig. Dieses System führt nicht nur zur Vernichtung der Kultur, langfristig kann es eine Gefahr für das Land selber sein, wenn sol­che Methoden angewandt werden. Leider kann ich hier nichts verändern, auch dann nicht, wenn ich diese Macht besäße, wie Sie sie haben. Jedoch bin ich verpflichtet, öffentlich meine Ansichten und Feststellungen kundzu­tun. Es ist wenigstens etwas. Lange habe ich mich mit diesen meinen An­schauungen zurückgehalten, sagte nichts, schrieb nichts und widersetzte mich auch nicht diesen Machenschaften. Die kommunistische Ideologie sehe ich sehr ernst und deshalb bin ich weder mechanisch, noch betrügerisch mit der Wiederholung dieser Formeln einverstanden, obwohl ich mir hiermit eine Diskriminierung erwirken kann, was ich in meinem Leben schon zur Ge­nüge verspürt habe.

V. Povilionis und Ė. Zukauskas wurden 1973 wegen antisowjetischer Hand­lungen zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Am 27. März 1975 aus dem Lager entlassen, verlangte Povilionis sein Eigentum zurück, das ihm bei seiner Verhaftung abgenommen wurde. Es stellte sich heraus, daß seine Uhr verschwunden war. Daraufhin schrieb er eine Anzeige an den Staats­anwalt der Mordavischen SSR und erklärte, er werde einen Hungerstreik beginnen. Man sperrte ihn in eine Kammer und hielt ihn noch fünf Stunden fest, obwohl er bereits entlassen werden sollte. V. Povilionis erhielt nirgend­wo bei den Einwohnermeldeämtern eine Zuzugsgenehmigung, da sein Sold­buch verlorenging als man bei ihm eine Hausdurchsuchung vornahm. Auf der Militärdienststelle erklärte man ihm, daß nicht sie dieses Soldbuch zu finden hätten, sondern er. Povilionis schrieb eine Anzeige an das Kom­missariat, wo dann plötzlich sein Soldbuch auftauchte. Als V. Povilionis auf dem Kommissariat litauisch sprach, sagte Major Lusninas, er sei wohl im Lager noch nicht geheilt worden.

V. Povilionis suchte nach einer Arbeit auf seinem früheren Arbeitsplatz, dem Institut der Forschung und Entwicklung für Butter und Käse. Er ar­beitete damals in einer Filiale. Direktor Veitkus erklärte ihm, daß es keine freie Arbeitsstelle gäbe und im übrigen sei auf Leute wie er kein Verlaß. Povilionis erfuhr von einigen früheren Kollegen, daß genügend Arbeits­plätze frei seien.

Am 24. August 1975 starb Pfarrer Vincentas Gelgota aus der Gemeinde Skardupai. In der Vergangenheit war dieser Pfarrer als „besonderer poli­tischer Verbrecher" verurteilt worden. Nach der Strafverbüßung wurde er rehabilitiert, aber die sowjetische Presse fand immer wieder einen Grund, ihn zu beschmutzen.

1967 gab die Druckerei „Mintis" in Vilnius eine Broschüre von Vytautas Denas heraus mit dem Titel Ir mirdami Kovoja (Und sterbend kämpften sie). In einer Broschüre mit dem Titel Juzelė atėjo (Juzele kommt) wird be­schrieben, wie Pfarrer V. Gelgota die sowjetische Mitarbeiterin Juzelė er­mordet habe. Diese lebte im Kreis Šakiai im Ort Žvirgždaičinai. Szene: Eine Maske mit einem schwarzen Bart bückt sich zu ihr und spricht, immer mehr zu ihr herannahend, Haß in den heißglühenden Augen — irgendwie bekannte Augen. Die Hand mit dem Revolver erhebt sich und zielt auf die Brust. „Sie sollen verdammt sein, diese Kriechtiere! Erdrük-ken sollte euch die Hand des Vaterlandes, wie Seifenblasen ..." „Ver­dammt sagst du", sprach sie ängstlich. „Ho, ho, ho, verdammen tu nur ich", flüstert die Stimme, und die linke Hand lüftet die Maske, „hast du ver­standen?" „Ich verstehe", flüstert sie mit leiser Stimme, „Pfarrer Gelgota." Ein Schuß peitscht, ein zweiter, dritter und treffen das Opfer schon im Umfallen auf der Mitte der Bühne. (So wurde diese Szene gespielt, ver­leumderisch, gemein, gegen Pfarrer Gelgota.)

Nachstehend einige Berichte aus dem Archiv von Pfarrer Gelgota.

Vilnius

Ein Bürger A. P. aus Vilnius wollte sich eine Bibel beschaffen, weil seine eigene ihm vor seiner Deportation nach Sibirien abgenommen worden war. Da er das gewünschte Buch in Litauen nicht bekommen konnte, wandte er sich diesbezüglich an seinen Freund in Amerika. Dieser Freund schickte von Amerika ein Neues Testament, welches in Litauen gedruckt worden war. Von der Zollbehörde bekam der Bürger A. P. eine Benachrichtigung, daß Drucke dieser Art nicht ausgehändigt werden können. Nun wandte sich A. P. an die Diözese Vilnius mit der Bitte, ihm ein Exemplar der Heiligen Schrift zu beschaffen. Von hier bekam er die Antwort, daß keine Bibel vor­handen sei. Woher können Gläubige die Heilige Schrift erhalten?

 Mažeikiai

Am 15. August 1975 wurden die Lehrkräfte Antanas Skiparis und seine Frau Maria Skiparis ihres Amtes enthoben, weil sich der Sohn entschlossen hatte, Theologie zu studieren. Er hatte sich beim Priesterseminar angemeldet. 27 Jahre lang unterrichtet Antanas Skiparis bereits, seine Frau 25 Jahre. Beide waren sehr gute Pädagogen, waren von der Sowjetregierung geachtet und hatten mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Eheleute wurden vom Schulamt gezwungen, ein Gesuch einzureichen, in dem sie um ihre Entlas­sung aus ihrem Amt baten. Die Anordnung kam vom Kultusministerium. Man erklärte ihnen, daß sie keine gleichwertige Tätigkeit mehr ausüben könnten, wenn man ihnen kündigen würde. Beide Lehrer reichten ein schriftliches Gesuch ein, mit dem sie um Entlassung aus ihrem Amt baten.

Vilnius

Im Hause der Kultur der Gewerkschaft in Vilnius gründete man einen Volkslieder-Gesangklub. Hier war jung und alt vertreten. Ingenieure, Künstler, Lehrer und Studenten, alle hatten das gleiche Interesse, die schöne alte litauische Tradition zu wahren und weiterzuführen. In der Zeit seines Bestehens hat der Klub nicht weniger als 100 Volks-Veranstaltungen durch­geführt, Konzerte gegeben, Volksabende gestaltet und Rundreisen organi­siert. Mehrmals brachten die Zeitschrift Literatura ir menas (Literatur und Kunst) und auch andere Zeitungen gute Kritiken und äußerten sich positiv. Am 11. September 1975 wollten die Klubmitglieder wie gewohnt zu ihrem ersten Liederabend nach dem Urlaub zusammentreffen. Hier erwartete sie eine unangenehme Überraschung. Auf Anordnung des Stellvertretenden Direktors des Kulturhauses waren die Türen verschlossen. Die Teilnehmer probten daraufhin im Vestibül. Die Administration verlangte, die Proben zu beenden, und erklärte den Mitgliedern, daß dieser Klub illegal gegründet sei, die Veranstaltungen ohne eine Bestätigung des Status gestaltet wären und ein Arbeitsplan ebenfalls nicht vorhanden sei. In Wahrheit war jedoch der Status geschrieben und der Administration des Kulturhauses vor einem Jahr eingereicht worden. Diese Papiere waren auf Order von irgend jeman­dem verlegt worden. Schon einige Male hatte man versucht, die Arbeit die­ses Vereins zu stören. Nachdem Savickas den Sicherheitsdienst aufgesucht hatte, mußte der Klub seine Arbeit einstellen. Dem Verein wurde zum Vor­wurf gemacht, daß hier Veranstaltungen geprobt würden, die sogar in Šiluva und im Vorort von Vilnius, in Jerusalė, durchgeführt würden. Es erwartet so auch diesen Klub dasselbe Schicksal wie den Klub „Heimat­forschung" und den „Diskussionsklub Litauens". Die Hand der Sowjetunion möchte die gesamte litauische Geschichte ausrotten.

Pelassa

Maria Stračinskienė bekam von der Kolchose Land zur eigenen Nutzung zugeteilt und zwar auf einem alten Friedhof, auf dem noch zehn Kreuze standen. Die Frau weigerte sich, dieses Land zu bestellen und wandte sich an die Regierungen von Varnova und Minsk mit dem Hinweis, daß auf dem Friedhof auch Kommunisten begraben seien. Von Varnova kam eine Kom­mission, sah sich alles an, schüttelte die Köpfe und fuhr wieder fort. Nach geraumer Zeit bekam die Bürgerin den Bescheid, daß sie dieses Stück Land, das ihr zugeteilt sei, zu bearbeiten habe. Dies ist nicht die erste Schändung von Friedhöfen in dieser Gegend. Zu Ausbesserungsarbeiten der Landstraße Radumie—Pelassa wurde Erde von einem Friedhof geholt, obwohl sich dort noch Grabdenkmäler befanden.

Voverka

Die Gläubigen der Gemeinde Voverka freuten sich, daß sie endlich nach vielen Gesuchen die Genehmigung von Moskau erhalten hatten, daß einmal im Monat ein Geistlicher aus Kamska einen Gottesdienst bei ihnen abhalten dürfte. Es war dem Geistlichen jedoch verboten, einen Organisten mitzu­bringen, der in Voverka einen Kirchenchor gründen könnte. Später unter­sagte man sogar einem Mädchen, das die Orgel spielen konnte, nach Vo­verka zu fahren.

Šiauliai

Die Lehrerin Griškonienė des zweiten Internats von Šiauliai riß einer Schülerin den Rosenkranz aus der Hand, zerriß ihn und warf ihn in den Mülleimer. Das Mädchen erklärte ihr hierzu energisch, sie habe anstelle des Rosenkranzes noch zehn Finger und könne immer beten, in den Pausen, im Bett und auf allen Wegen.

Salos

Im Mai 1975 wurde in der Grundschule ein Elternabend veranstaltet. Die Lehrerin Mickevičienė hielt einen atheistischen Vortrag, wobei sie die Gläu­bigen als dumme und ungebildete Leute bezeichnete. Direktor Augulis er­klärte, daß Religion Wahnsinn sei, deshalb sollten die Eltern ihre Kinder nicht in die Kirche lassen. Die Direktorin ermahnte die Eltern, nicht auf die Geistlichen zu hören und ihre Kinder nicht zur Erstkommunion gehen zu lassen. Ebenso meinte Direktor Augulis, daß der Pfarrer Petras Nykštus die sowjetischen Gesetze genau kenne, sie aber breche und er wäre auch schon zweimal hierfür bestraft worden. „So sollte man doch solchen Geist­lichen kein Gehör schenken."