Am 1. August 1975 haben in Helsinki die Konferenzteilnehmer aller Länder ihre Arbeit beendet. Die Konferenz war auf die Initiativn der Sowjetunion hin einberufen worden. Dieses gewaltige Spiel mächtiger Länder hat in Mil­lionen Menschenherzen Verzweiflung und Verbitterung ausgelöst. Die menschlichen Nöte der Völker wurden in den Hintergrund gestellt. An erster Stelle ging es den Teilnehmern um das Geschäft mit Erdöl, um Weizen und um private Kontakte.

Was bringt uns Katholiken Litauens diese so vielversprechende Konferenz von Helsinki, wenn wir nicht einmal den Text vom Endergebnis in litauischer Sprache lesen können; ja bis zum heutigen Tage war es nicht möglich, Einsicht in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu nehmen. Wir danken der göttlichen Vorsehung, daß sie uns zu richtiger Zeit Menschen sandte, wie den Schriftsteller Sacharov und den Nobelpreisträger Solzenizyn, Mitglied der Wissenschaftlichen Akademie der Sowjetunion, und andere, die der Welt­öffentlichkeit über unsere Qualen, unser Leid und unsere Geduld in unseren Erwartungen berichten konnten, die auch rechtzeitig die mächtigsten Füh­rungskräfte aus dem Dämmern erweckten. 

Im Mai 1975 waren 30 Jahre seit dem letzten Weltkrieg vergangen, der viele Menschenopfer gefordert und viele Qualen gebracht hatte. Das Jubiläum des Kriegsendes ist für die Sowjetunion das Fest des Triumphes. Dies wurde auch in Litauen gefeiert. Jedoch ist für die Katholiken in Litauen dieses Jubiläum mit einem Gedenkjahr der Trauer und der Schmerzen zusammen­gefallen. Vor rund 30 Jahren begann die atheistische Regierung mit dem offenen und erbarmungslosen Kampf gegen die Gläubigen, besonders gegen die litauische katholische Kirche. Dieser furchtbare Krieg wird auch heute noch gegen ehrbare Menschen weitergeführt. Um den unangenehmen Ver­folgungen aus dem Wege zu gehen, waren viele Litauer gezwungen, ihre Glaubensüberzeugung wegen der Verfolgungen wie in den ersten Jahrhun­derten zu verbergen und zu verheimlichen. 1945/1946 herrschten in meh­reren katholischen Kirchen Litauens fast normale Zustände: Es gab noch kirchliche Kinderchöre, Schülergottesdienste mit den Lehrern, Einkehrtage und Exerzitien; in den Kirchen wurde Religions- und Katechismusunterricht für die einzelnen Schülerklassen gegeben. Aber auch damals ahnten die Wei-terschauenden in dieser „Toleranz" eine Stille vor dem Sturm, und so ließ dieser Sturm auch nicht lange auf sich warten. Bald wurden fast alle Bischöfe Litauens verhaftet. Einer von ihnen, Bischof Borisevičius, wurde im Schnell­gerichtsverfahren zum Tode durch Erschießen verurteilt. Massive Verhaftun­gen der Priester wurden vorgenommen. Es fanden lange und qualvolle Ver­höre statt, Folterungen, Gerichtsverhandlungen mit Verurteilungen bis zu 25 Jahren Haft. Zur gleichen Zeit wurden auch viele Kirchen geschlossen, die den Gläubigen teuersten und heiligsten Stätten vernichtet und verwüstet. Im Jahre 1950 wurde die zehnjährige Eingliederung Litauens in die Sowjet­union gefeiert. In dieser kurzen Zeit waren annähernd 50 katholische Kir­chen und halböffentliche Kapellen — allein in Vilnius und Kaunas — ge­schlossen worden. Die Kapellen auf den Friedhöfen durften nicht mehr be­nutzt werden. (Bei der späteren Zerstörung der Friedhöfe wurden manche völlig vernichtet.) In Vilnius wurde das Denkmal der Drei Kreuze gesprengt. Auch Straßenkreuze sowie Kreuze und Bildstöcke auf öffentlichen Plätzen wurden zerstört. Am Vorabend des 25jährigen Jubiläums der Eingliederung Litauens in die UdSSR hat man die 35 Kreuzweg-Kapellen (Kalvarija) in der Nähe von Vilnius gesprengt. Die Ruinen wurden dem Erdboden gleich­gemacht, so daß man nicht mehr erkennen konnte, welche Bauwerke einst dort gestanden hatten. Nachstehend eine Liste mit kurzen Vermerken der in Vilnius und Kaunas geschlossenen Kirchen und Kapellen. Diese Liste ist nicht vollständig. Die Anmerkungen beziehen sich auf den Verwendungszweck nach ihrer Schließung:

In der Hauptstadt Vilnius

1.   Die Kathedrale in Vilnius (Katedra) — Gemäldegalerie.

2.   Augustiner-Kirche (Augustijonu) — umgewandelt in ein Lager für Elek-troteile.

In den letzten Jahren bemüht man sich noch stärker als früher, den Einfluß der litauischen Kultur immer mehr in Vergessenheit geraten zu lassen; sie soll möglichst keinen Einfluß mehr auf irgend jemanden ausüben. Die ruhm­reichen Gründer dieser Kultur werden in die Vergessenheit gestoßen, Ehre gilt nur denen, die in der Zeit des Kommunismus etwas leisteten. Litauens Geschichte wird in einen immer engeren Zeitraum hineingepreßt. Sie beginnt mit der bolschewistischen Oktoberrevolution. In diesem Sommer fand eine Konferenz Baltischer Geschichtsforscher statt. In Vilnius wurde den For­schern vorgeschrieben, ihre ganze Aufmerksamkeit dem Abschnitt der so­wjetischen Geschichte seit 1917 zu widmen. Ohne Zweifel wurde schon früher angestrebt und geplant, die Vergangenheit litauischer Geschichte zu ignorie­ren. Man feierte im letzten Jahr ganz groß die „30jährige Befreiung". Ein­geladen und bewirtet wurden viele „Befreier", welche zum größten Teil nichts mit der „Befreiung" zu tun hatten. Neue Denkmäler wurden denen gesetzt, die sich um Litauen nicht verdient gemacht haben. In jedem Kreis Litauens wurden Gedenksteine aufgestellt zur Erinnerung an die „Be­freiung". Große Ausgaben wurden nicht gescheut, um die Kriegsgräber so­wjetischer Gefallener zu schmücken.

Noch aufwendiger und lautstärker wurde in diesem Jahr die Feier zum 35-jährigen Bestehen der sowjetischen Herrschaft in Litauen gestaltet. Die rus­sischen Gäste wurden reichlich bewirtet, und es wurden keine Kosten ge­scheut, ihnen den Aufenthalt in litauischen Kurorten so angenehm wie mög­lich zu machen. Es wurden auch neue Gedenksteine erstellt, neue Denkmäler für Personen, die in Litauen nicht einmal bekannt sind.

Die „Chronik der LKK" berichtete schon von den Verurteilungen der litau­ischen Gläubigen: P. Plumpa, P. Petronis, J. Stasaitis, V. Jaugelis, J. Gražys und N. Sadūnaitė. Diese Menschen wurden wegen der Vervielfältigung reli­giöser Literatur, der Chronik und ähnlicher Veröffentlichungen verurteilt. Mitte Juli 1975 bekam nun die „Chronik der LKK" genaue Informationen über P. Plumpa-Plurys Schicksal im Arbeitslager im Gebiet Perm. Fast das gleiche Schicksal ereilte Povilas Petronis, Juozas Gražys und Nijolė Sadū­naitė.

Vor der Deportation nach Rußland wurde P. Plumpa eine Woche in strenger Keller-Einzelhaft gehalten (Karzer). Auf dem Transport von Vilnius kam er mit kriminellen Häftlingen zusammen, obwohl die politischen Häftlinge nicht mit diesen Verbrechern zusammengelegt werden dürfen. Zwei Monate lang hat man Plumpa unter den Mördern und Räubern eingesperrt, die ihm mit allen Mitteln ihre tierische Art zu spüren gaben. Die einen rissen ihm die guten, warmen importierten Schuhe von den Füßen, andere zogen ihm den gesteppten Mantel aus, wieder andere zogen ihm die Mütze vom Kopf und die Handschuhe von den Händen. Es gab auch Häftlinge, die ihn in eine Ecke drückten und ihn bedrängten, die Einzelheiten seiner Haftgründe zu erklären. Da er schwieg, zogen sie ihn bis auf die Unterwäsche aus und droh­ten, „ihm die Därme herauszulassen". Die von Plumpa mitgebrachten Le­bensmittel nahmen sie ihm schon im Waggon ab, und er bekam hierfür auch noch Fußtritte. All dies geschah mit Wissen der hierfür zuständigen Auf­sichtsbeamten, obwohl Plumpa sie auch auf sein Recht aufmerksam gemacht hatte, daß er als politischer Häftling das Recht habe, im gesonderten Waggon abtransportiert zu werden. In Minsk zeigten die Aufsichtsbeamten ihm noch mehr ihren Haß als die Verbrecher im Waggon. Sie erfuhren, daß Plumpa wegen seines Glaubens verurteilt war, und schrien ihn an, daß religiöse Schriften und Dinge eine verbotene Sache seien. Sie entrissen ihm die Bild­chen von Jesus, Maria und Josef. Sie stießen ihn voller Wut hin und her, so daß sogar die Kriminellen ihr Erstaunen über soviel Brutalität zeigten, denn mit ihnen verfuhren sie viel rücksichtsvoller.

Kaunas

Am 14. September 1974 haben Sicherheitsbeamte in der Stadt Babtei einen Pkw, Marke Ziguli, verfolgt, der von Marytė Vitkūnaitė gelenkt wurde. Es fuhren noch vier Personen mit. Sie wurden angehalten, und die Beamten führten eine Durchsuchung durch. Ein Beamter in der Uniform eines Miliz­funktionärs setzte sich ans Steuer und fuhr das Auto zum Gebäude des Sicherheitsdienstes in Kaunas. Die Insassen wurden zum Verhör geführt. Im Auto wurde eine gründliche Durchsuchung vorgenommen, die der Funk­tionär des Sicherheitsdienstes, Hauptmann Marcinkevičius aus Vilnius, durch­führte. Zu dieser Durchsuchung berief man folgende Personen: Charževskis Raimondas, Sohn von Jurgis, Kaunas, Suomiustr. 32-2; Bertašius Algirdas, Sohn von Juozas, Kaunas, Lampėdžių str. 10-405. Das Auto wurde von Fach­arbeitern regelrecht zerlegt. Carion Ivan aus Kaunas, Leninostr. 57-30, und Adomavičius Kestutis aus Kaunas, Gediminostr. 39-1, suchten zwei Stunden lang in den Reifen nach antisowjetischer Literatur. Der Kühler und der Ben­zintank wurden auseinandergenommen und die kleinste Ecke im Auto ab­gesucht. Im Wagen beschlagnahmten sie ein Buch von Solzenizyn „Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch".

Danach wurde die Besitzerin des Wagens, Marytė Vitkünaitė, einer Leibes­visitation beim Sicherheitsdienst unterzogen. Dieses besorgte die Funktio­närin Paliušienė mit folgenden Zeugen:
Audronė Petružytė, wohnhaft in Kaunas, LTSR-Str. 25-cio 130-4,
und Kazimiera Juškytė, Alyvustr. 1-9.

Die Kirche von St. Kazimir, dem Patron Litauens, in Vilnius. Heute  ist in dieser Kirche ein atheistisches Museum eingerichtet. Die Kirche stammt aus dem 17. Jahrhundert.

 

Innenansicht der St.-Kazimir-Kirche in Vilnius, jetzt atheistisches Museum.

Meteliai

An die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR.

Durchschriften an: S. E. Bischof der Erzdiözese Kaunas und Diözese Vilkaviškis.

An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten

— von Ignas Klimavičius, Sohn des Kazys, wohnhaft im Rayon Lazdijai,

Dorf Buckūnai.

Mitteilung

Im vergangenen Jahr hatte ich auf dem Platz vor dem Treppeneingang zu meinem Haus ein hölzernes Kreuz aufgestellt. In Litauen ist es schon eine Tradition: die Katholiken verehren das Kreuz; sie stellen es auf den

Feldern und neben den Häusern auf; sie hängen es an die Wände in der Wohnung oder sie tragen es als Schmuck um den Hals. Ich war fest davon überzeugt, daß man vom Staat keine Genehmigung einholen muß, wenn man ein kleines Kreuz als Schmuck um den Hals trägt oder an der Wand im Hause hängen hat oder es auf eigenem Boden aufstellt. Doch das Exekutivkomitee des Rayons Lazdijai einigte sich, daß dieses Kreuz von dem Treppeneingang zu meinem Wohnhaus entfernt werden müsse. Als Katholik kann ich ein Kreuz nur verehren und nicht verhöhnen, deshalb ließ ich dieses Kreuz an seinem Platz. Eine Verordnung, das Kreuz zu entfernen, halte ich als Katholik für ein Verbrechen. Das wäre etwa so, als wenn ein Kommunist eine Büste oder ein Porträt Lenins zerstören müßte.

Kučiūnai

An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten.

Durchschrift: An den Apostolischen Administrator des Erzbistums Kaunas, Bischof Labukas.

Priester Juozas Krisčunas, wohnhaft in Kučiūnai

Gesuch

Nach dem Morgengottesdienst in der Kirche von Kuciünai am 7. Juli 1975 kamen der Gemeinderatsvorsitzende Kučiūnas, der Parteisekretär Sakavi-čius, die Sekretärin der Kommunistischen Jugend, Dirnšinė, in die Kirche.

Ich selbst war im Beichtstuhl und hörte einzelne Kinder bei ihren Gebeten ab. Andere Kinder saßen in der Kirche und warteten, bis sie an die Reihe kamen.

Am 9. Juli saß ich wieder im Beichtstuhl, und Kinder standen auf beiden Sei­ten des Beichtstuhls, die dann einzeln zu mir herankamen und laut antwor­teten auf das, was ich sie fragte. Dies war ein Versuchsbeichten. Die örtlichen Vorsitzenden der Behörden schrieben eine Anklageschrift, und die Admini­strationskommission des Rayons Lazdijai bestrafte mich wegen der Lehre des Katechismus an Kindern mit 50 Rubeln. Akten Nr. 154 vom 17. Juli 1975. Obwohl ich erklärte, daß ich keinen Katechismus unterrichtete, denn dies bringen die Eltern zu Hause den Kindern bei.