Im März 1985 fand in Vilnius die Gerichtsverhandlung gegen Vladas Lapienis statt. Der Frau des Angeklagten, Elena Lapienienė, wurde von dem Prozeß gegen ihren Mann offiziell nichts mitgeteilt. Durch eigenes Bemühen hatte sie von dem Gerichtsprozeß erfahren. Sie kam in den Gerichtssaal und fand ihn vollbesetzt; es gab keine freien Plätze mehr. Für E. Lapienienė wurde extra ein Stuhl hereingebracht, den man so hinstellte, daß sie nichts sehen und hören konnte.

Der Staatsanwalt bei der Verhandlung war Murauskas. Auf einen Verteidiger hat der Angeklagte verzichtet. Die Gerichtsverhandlung dauerte einen Tag. Zu Beginn wurde die Anklage verlesen. Das Anklagematerial umfaßte sieben Bände. Es wurde so schnell und so leise vorgelesen, daß im Saal nichts zu verstehen war. V. Lapienis wurde der antisowjetischen Propaganda und Ver­leumdung beschuldigt.

Als Zeugen waren zu der Gerichtsverhandlung vorgeladen: Ona Dranginytė, wohnhaft in Kaunas, bei der V. Lapienis verhaftet worden war, und der Lehrer Juozas Puodžiukas. Ona Dranginytė erklärte, sie habe nicht gewußt, daß Vladas Lapienis von der Miliz gesucht wurde, und sie habe auch nicht mehr erfahren können, warum er zu ihr gekommen war. J. Puodžiukas sagte gegen den Angeklagten aus, indem er behauptete, V. Lapienis habe in seinem Gartenhäuschen Bücher untergebracht und sie ihm zum Lesen angeboten. Dem Gericht genügte dieser einzige Zeuge, um den Angeklagten der anti­sowjetischen Propaganda zu beschuldigen.

Als V. Lapienis das letzte Wort sprach, verhinderten die Sicherheitsbeamten auf alle mögliche Weise, daß seine Frau von der Rede ihres Mannes etwas mitbekommen konnte. Der Angeklagte, der dauernd vom Richter unterbro­chen wurde, sprach etwa 10 Minuten lang. Er sagte: »Der deutlichste Be­weis, daß in der Sowjetunion die Menschenrechte verletzt werden, ist die Tatsache, daß ich vor Gericht stehe. Gemäß der internationalen Vereinba­rungen dürfte ich nicht vor Gericht gestellt werden, weil ich nichts verbro­chen habe. Ich gehe aber mit Freuden für Christus und mein Volk ins Ge­fängnis.« Vladas Lapienis verhielt sich während der Gerichtsverhandlung sehr ruhig.

Das Gericht verurteilte V. Lapienis (einen alten Mann von 79 Jahren) gemäß § 68, Teil 1 des StGB der LSSR zu 4 Jahren Lager und 2 Jahren Verbannung Der Verurteilte sagte lächelnd, das Gericht verlängere durch dieses Urteil sein irdisches Leben; für ihn jedenfalls wäre es peinlich, mit Schulden dem Staat gegenüber, d. h. ohne die Strafe verbüßt zu haben, den Weg in die Ewigkeit anzutreten.

Während des Wiedersehens mit seiner Frau war V. Lapienis innerlich ruhig. Als seine Frau klagte, daß sie vor lauter Weinen in der Nacht nicht schlafen könne, tröstete er sie liebevoll: »Und warum weinst du? Wenn du schon wirklich nicht anders kannst und unbedingt weinen mußt, dann weine am Tag; aber in der Nacht sollst du ruhiger schlafen.« Der Sicherheitsbeamte, der die ganze Zeit neben ihnen saß, störte dauernd ihr Gespräch. Als die Besuchszeit zu Ende war, wollte Frau Lapienienė ihren Mann küssen, der Tschekist stellte sich jedoch dazwischen. Beim Abschied segnete E. Lapienienė ihren Mann. Bevor sie das Besuchszimmer verließen, wiederholte V. Lapienis seiner Frau die Worte des geistlichen Liedes: »Auch ich nehme mit Jesus mein Kreuz, das mir die Hand des Herrn gegeben; mit Geduld will ich es tragen Tag für Tag und täglich selbst mich darauf zum Opfer bringen.«