Kybartai (Rayon Vilkaviškis). Die Bürgerin der Stadt Kybartai, Birutė Briliūtė, wurde am 17. November 1987 um 14 Uhr zum Amtssitz des KGB der Stadt Vilkaviškis bestellt. Das Verhör führte der Tschekist Stepučinskas, der aus Vilnius angereist war. Während des Verhörs wurden Fragen über die Sachen gestellt, die man bei der Durchsuchung am 8. September 1987 mitgenommen hatte. Da der Untersuchungsbeamte Stepučinskas sich ten­denziös bemühte, nur die religiöse Literatur so hinzustellen, als ob sie die sowjetische Ordnung verleumde, ignorierte B. Briliūtė das Verhör, und am nächsten Tag reichte sie dem Vorsteher des KGB in Vilnius durch den Un­tersuchungsbeamten Stepučinskas folgende Erklärung ein:

»Ich bin am 17. November 1987 in die Unterabteilung des Staatssicher­heitskomitees von Vilkaviškis zu einem Verhör vorgeladen worden. Der Mitarbeiter des Staatssicherheitskomitees Stepučinskas hat mich als Zeugin im Prozeß „wegen der Herstellung und Verbreitung von Literatur verleum­derischen Inhalts" befragt. Die meisten vom Untersuchungsbeamten Stepu­činskas gestellten Fragen betrafen eine Literatur, die mit einer Verleum­dung niemals etwas zu tun hatte, noch jemals haben wird (wie z. B. „Dievas, pasaulis, žmogus" - „Gott, der Mensch, die Welt" von Viksvas, „Jurgis Matulaitis" von St. Yla, Gedichtesammlung „Per pasaulį keliauja žmogus" - „Ein Mensch geht durch die Welt" von Bern. Brazdžionis). Schon allein die Tatsache, daß diese Literatur mitgenommen wurde, betrachte ich, im günstigsten Fall, als Unvorsichtigkeit der Mitarbeiter und Unkenntnis der eigenen Zuständigkeit. Und diese Literatur hinzustellen, als ob sie die sowjetische Ordnung verleumde, betrachte ich als tendenziöse Böswillig­keit der Mitarbeiter des Staatssicherheitskomitees, zumal nicht einmal der Untersuchungsbeamte Stepučinskas selbst in der Lage war zu erklären, wo in der Gedichtsammlung von B. Brazdžionis oder in dem Buch „Jurgis Matulaitis" die sowjetische Ordnung verleumdet wird. Er gab darauf zur Antwort, daß er selbst diese Bücher überhaupt nicht gelesen habe, und auf die Bitte hin, diese Bücher zur Beurteilung einem Experten vorzulegen, erklärte er, daß Bücher in der Beurteilung der Experten nicht einzeln besprochen werden, sondern nur die allgemeine Beurteilung „verleum­derisch" abgegeben würde.

Nach einer solchen Antwort liegt von selbst der Gedanke nahe, daß die Mitarbeiter des Staatssicherheitskomitees nicht bemüht sind, die die sowje­tische Ordnung verleumdenden Personen zu ermitteln, sondern um jeden Preis irgend jemanden der Verleumdung der sowjetischen Ordnung beschul­digen wollen. Bei einer solchen Ungerechtigkeit der Mitarbeiter des Staats­sicherheitskomitees, wie sie meiner Meinung nach hier vorliegt, will ich nicht mitwirken, und deswegen verlange ich, meine Aussagen, die ich am 17. November 1987 vor dem Untersuchungsbeamten Stepučinskas gemacht habe, als ungültig zu betrachten. Ich bitte Sie außerdem von neuem, mir die während der Durchsuchung am 8. September mitgenommenen Sachen zurückzugeben und in Zukunft besser vorbereitete Personen (die wenig­stens das für die Untersuchung vorgesehene Material kennen) für eine Un­tersuchung zu bestimmen.

Ich warte auf Ihre schriftliche Antwort innerhalb von 30 Tagen.«

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Kybartai. Am 18. November 1987 vernahm der Untersuchungsbeamte Stepučinskas, der aus Vilnius gekommen war, im Amtssitz des KGB von Vilkaviškis Ona Kavaliauskaitė, wohnhaft in Kybartai, Čepajevo 19. Seine Fragen bezogen sich auf die Sachen, die während der Wöhnungsdurch-suchung bei O. Kavaliauskaitė am 8. September 1987 mitgenommen wor­den waren. Den Tschekisten interessierte besonders, ob O. Kavaliauskaitė nicht wisse, wer der Verfasser des Buches „Katakombų gėlės" - „Katakom­benblumen" ist, und wo sie die anderen Bücher, die bei der Durchsuchung mitgenommen worden waren, her habe. Ona Kavaliauskaitė weigerte sich, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben.

Kybartai. Ona Šarakauskaitė, wohnhaft in Kybartei, Čepajevo 19, wurde am 18. November 1987 verhört. Der Untersuchungsbeamte Stepučinskas erkundigte sich, ob O. Šarakauskaitė nicht die Gelegenheit hatte, die bei der Durchsuchung bei B. Briliūtė mitgenommenen Bücher zu lesen, und was sie über die anderen bei der Durchsuchung beschlagnahmten Sachen wisse. O. Šarakauskaitė antwortete, daß sie nichts wisse. Das Vernehmungs­protokoll unterschrieb sie nicht.

 

Vilnius. Am 8. Januar 1988 wurde bei dem Bürger der Stadt Vilnius, Petras Cidzikas, wohnhaft in der Gvazdikų 2, eine Durchsuchung gemacht. Der Justizbeamte für besondere Prozesse der Staatsanwaltschaft der LSSR, Justizrat Brikauskas, leitete sie. Er las einen Beschluß vom 5. Januar für die Durchführung einer Durchsuchung vor, mit dem Zweck, Schriftsachen mit­zunehmen, die bei einem Prozeß bezüglich der Herausgabe und der Ver­breitung der „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" wie auch mit anderen antigesellschaftlichen Aktivitäten von Bedeutung sein könnten. Mitgeholfen bei der Durchsuchung haben J. Lauka und J. Topolow, Durch­suchungszeugen waren Vita Kirkilaitė und Irena Markauskaitė, beide wohnhaft in Vilnius. Die Durchsuchungsbeamten benahmen sich wie Woh­nungseigentümer in der eigenen Wohnung: Sie wußten ganz genau, wo was zu finden war. Als J. Topolow in den Keller gehen wollte, wurde ihm gesagt: „Du brauchst nicht hinunterzugehen, dort gibt es nichts!" Es ist klar, daß der KGB vor der Durchsuchung in Abwesenheit von Cidzikas bereits in der Wohnung gehaust hat. Es wurden mitgenommen: ein offener Brief an die Kongreßabgeordneten der USA, ein offener Brief an General­sekretär M. Gorbatschow wegen der Erlaubnis, den 16. Februar feiern zu dürfen (ihn haben 70 Personen unterschrieben), ein Aufruf an alle Men­schen guten Willens in allen Ländern der Welt, die Nr. 13 der Chronik d.L. K. K.", nicht wenige Veröffentlichungen der Untergrundliteratur. Die Durchsuchung dauerte über drei Stunden lang.

(P. Cidzikas war im Jahre 1972 wegen der Verbreitung der „Chronik d. L. K. K." Nr. 1 - er gab sie zum Lesen weiter - für 4 Jahre im psychia­trischen Spezial-Krankenhaus in Tscherniachowsk im Gebiet Kaliningrad eingesperrt worden.)

Kaunas. Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes R. Savickas besuchte am 23. Januar 1988 den Bürger der Stadt Kaunas Vytautas Vaičiūnas um ihn zu warnen, an dem Gedenken am 16. Februar teilzunehmen. Den Tsche-kisten interessierte, ob V. Vaičiūnas den Bürger der Stadt Vilnius P. Cidzikas kenne, ob er wisse, daß bei ihm eine Durchsuchung gemacht wurde und was mitgenommen wurde, ob er die Erklärung wegen der Feier des 16. Februar unterschrieben habe, ob er die „Chronik d.L.K.K." gelesen habe usw. Beim Weggehen sagte er: „Je weniger ihr jammert, desto weniger werden wir euch plagen."

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Man wollte die zurückgekehrten ehemaligen Gefangenen Povilas Pečeliūnas und Jadvyga Bieliauskienė zum Gespräch in das Staatssicherheitskomitee einladen.

Am 21. Januar 1988 erklärte P. Pečeliūnas dem Sicherheitsbeamten, der ihm die Vorladung brachte, kategorisch: „In diesen Palast bringen Sie mich nur in Ketten an meinen Händen, freiwillig werde ich niemals hingehen - ich habe dort nichts zu sagen". Dem Beamten, der P. Pečeliūnas aufgefordert hat, er solle sich baldigst eine Arbeit besorgen, erklärte P. Pečeliūnas, daß er eine Arbeitserfahrung von 30 Jahren habe, deswegen habe er es nach den Gesetzen nicht nötig, sich Arbeit zu besorgen, schon gar nicht „baldigst".

Am 21. Januar wurde J. Bieliauskienė telefonisch in den Sitz des Sicher­heitsdienstes eingeladen. Sie weigerte sich hinzugehen. Am nächsten Tag nahm sie die offizielle Vorladung nicht an, mit den Worten, daß sie zu sol­chen Menschen, die die Demokratisierung unterdrücken, indem sie Übel­taten begehen und nicht die Verantwortung für Millionen von Märtyrern auf sich nehmen wollen, auf Vorladung niemals hingehen werde, und wenn man sie verhafte, werde sie kein Wort sprechen.