Am 12. Juli 1988 wurde Priester Alfonsas Svarinskas aus dem Lager mit strengem Regime zu Perm entlassen. Am 26. Januar 1983 war er festge­nommen, der antisowjetischen Agitation und Propaganda beschuldigt und gemäß §68 Teil 1 des StGB der LSSR zu 7 Jahren Lager mit strengem Regime und 3 Jahren Verbannung verurteilt worden. Nach fünfeinhalb Jah­ren, die er in verschiedenen Lagern mit strengem Regime in der Sowjet­union verbracht hatte, wurde Priester Alfonsas Svarinskas unter der Bedin­gung entlassen, daß er die Heimat verläßt und auf Einladung des Bischofs von Augsburg, J. Stimpfle, nach Westdeutschland emigriert.

Am Abend des 15. Juli 1988 traf Priester A. Svarinskas in Vilnius ein. Prie­ster A. Svarinskas, der schon dreimal verurteilt worden war, einundzwan-zigeinhalb Jahre seines Lebens in den verschiedensten Lagern des GULAGs verbracht und körperlich wie auch seelisch viel gelitten hatte, kehrte ungebrochen und voller Energie in die Heimat zurück, fest ent­schlossen, auch weiter zur Ehre Gottes und zum Wöhle seiner Heimat zu arbeiten. Litauen, das die ersten Versuche auf dem Weg der Erneuerung seines religiösen und nationalen Bewußtseins macht, empfing diesen Gei­stesriesen mit Verehrung und Begeisterung und nahm sein belehrendes Wort als geistiges Testament auf.

In der Zeit von etwas über einem Monat, die er in Litauen verbringen durfte, besuchte Priester A. Svarinskas die Pfarreien Vidiškės, Viduklė, Tel­šiai, Tauragė, Šiluva, Igliauka, Kybartai, Marijampolė, Vilnius, Paberžė usw., und wurde überall von Hunderten, ja sogar Tausenden von Gläubigen empfangen, die ihn lieben und sich nach seinem Wort sehnen. Am deut­lichsten aber hat das gläubige und ungläubige Litauen seine Solidarität mit ihm beim Abschied des Priesters A. Svarinskas von Litauen gezeigt, als er am 22. August 1988 im Tor der Morgenröte in Vilnius seine hl. Abschieds­messe feierte.

Schon am frühen Morgen strömten die Menschen zu diesem Heiligtum von Vilnius. Die St. Theresien-Kirche war bis zum letzten Platz voll mit Menschen. Über ihnen wehten majestätisch unzählige gelb-grün-rote Nationalflaggen und Blumensträuße. Eine ungezählte Schar von Jugend­lichen und mit Nationaltrachten gekleidete Mädchen erfreuten das Auge. Fünf Priester, darunter das Mitglied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, Priester Vincentas Vėlavičius, die ehemaligen Gefangenen Priester Jonas-Kąstytis Matulionis und Priester Juozapas Razmantas feierten gemeinsam mit Priester A. Svarinskas, der gestern noch Gewissensgefangener war, die hl. Messe, die für die Wieder­geburt der Kirche und der Heimat geopfert wurde. Während seiner Predigt dankte Priester A. Svarinskas seinen Landsleuten für ihre Gebete und die Fortsetzung seines begonnenen Kampfes, begrüßte die wiedererwachende Intelligenz Litauens, erinnerte die Leute an den einzigen möglichen Weg zur Freiheit und lud alle ein, sich auf diesen einzigen Weg durch Stärkung der Sittlichkeit, Überwindung des Alkoholismus, der Sittenlosigkeit und der Drogensucht zu begeben. Die feurige, aber auch liebevolle Rede des Priesters begleitete langanhaltender herzlicher Applaus. Nach der hl. Messe sprach Priester Algimantas Keina das Abschiedswort. Er unterstrich in seiner Rede, wie Priester Alfonsas unser religiöses Bewußtsein und die menschliche Solidarität geprägt hatte, er gedachte auch seiner heldenhaft getragenen Unfreiheit und brachte seine feste Überzeugung darüber zum Ausdruck, daß das Band der Liebe und der gemeinsamen Arbeit nicht abreißen wird. Im Namen der jungen Christen Litauens sprach Priester Robertas Grigas. Er betonte besonders, daß die Namen des Priesters Alfon­sas Svarinskas und der anderen Gewissensgefangenen zum Symbol der Freiheit und der Gerechtigkeit, wie der Vytis (litauisches Staatswappen -Anm. d. Übers.), wie die dreifarbene Flagge, wie der Sorgenvolle für das Volk geworden sind. Die christliche Jugend wird niemals aufhören, nach den von Christus gebrachten Idealen zu streben, denn das Leben der Unschuldigen bewegt sie und stärkt sie dazu.

In seiner Antwortsrede brachte Priester A. Svarinskas seine Verwirrung wegen der ihm erwiesenen Ehrung zum Ausdruck; er habe sich selbst als einen einfachen Menschen betrachtet, der allein seine Pflichten richtig zu erfüllen bestrebt gewesen war. Er wies darauf hin, daß es manche gebe, die wesentlich mehr gelitten haben, wie Balys Gajauskas, der schon seit 37 Jahren die Ketten des GULAGs trägt, oder Viktoras Petkus, bei dem es 27 Jahre seien. Priester A. Svarinskas erklärte, daß er der festen Überzeu­gung sei, daß er aus dieser aufgezwungenen Verbannung wieder nach Litauen zurückkommen werde.

Von Orgelmusik begleitet, sang die ganze Menschenmenge kräftig die Nationalhymne Litauens „Lietuva, tėvyne mūsų" - „Litauen, unsre Hei­mat". Die Menschen, Erwachsene wie Jugendliche und Kinder, zogen alle zum Altar, gratulierten dem Priester A. Svarinskas, dankten ihm und über­reichten ihm Blumen. Als er auf der Didžioji-Straße erschien, schlug der Applaus der die Straße überflutenden Menschen Priester A. Svarinskas entgegen. Es bewahrheiteten sich die in der Predigt Priesters A. Svarinskas gesagten Worte: „Die Urheber des Films über mich haben die Frage gestellt: Wer sind Sie, Priester Svarinskas?' Ihr hier seid die Antwort darauf..."

Nach der hl. Messe besuchte Priester Alfonsas Svarinskas den im Kran­kenhaus liegenden, durch einen Unfall schwer verletzten Pfarrer von Kavarskas, Priester Babonas.

Gegen 12 Uhr bewegte sich eine lange Eskorte von Personenautos, die den Verbannten in Richtung Flughafen von Vilnius begleiteten. Auf dem Flug­hafen angekommen, erschien ein sonderbares Bild: Das Gebäude war von einer großen Menschenmenge belagert, über der eine weiß-gelbe Flagge des Papstes und die gelb-grün-rote und eine Unzahl von kleinen National­flaggen wehen. Etwas seitlich sah man eine Kette von Milizmännern und Beamten in Zivilkleidung, die jedoch die Versammelten nicht belästigten. Als Priester A. Svarinskas das Auto verließ, brach ein Sturm von Applaus aus, wie ihn Vilnius schon lange nicht erlebt hat. Vor den Füßen des Prie­sters wurden frische Blumen gestreut, über die er wie über einen Teppich zum Flughafengebäude ging. Die Leute brachten ununterbrochen ihrem geliebten Hirten Blumen, küßten seine Hände, dankten ihm, wünschten ihm alles Gute und weinten. Die Menschenmenge, die Priester A. Svarins­kas auf der Treppe zum Flughafengebäude umgab, skandierte einige Minu­ten lang im Einklang: „Li-tau-en wird wie-der frei!", und als der Priester sich im Flughafengebäude entfernte, begleiteten sie ihn mit dem donnern­den Ruf „Wir wer-den auf Sie war-ten! Wir wer-den auf Sie war-ten!"

Im Inneren des Gebäudes erklärte ihm der verantwortliche, höflich lächelnde Beamte des Flughafens die Anmeldungs- und Abflugsordnung und half ihm, alle Formalitäten zu erledigen. Als der Priester auf der Treppe erschien, wurde er vom Volke mit Blumen überschüttet, durch die Hände wurden Gebetbücher, Heiligenbilder, Ansichtskarten ihm zuge­reicht, bis seine ermüdeten Hände nicht mehr fähig waren, Autogramme zu geben. Es erklang wieder majestätisch die Nationalhymne, die Jugend sang Verbannten- und Volkslieder oder zu solchen gewordene patriotische Gedichte. Das alles filmten offizielle und private Filmemacher. Es wurde bekanntgegeben, daß der Abflug sich verzögere. Der schon erwähnte Mit­arbeiter des Flughafens lud Priester A. Svarinskas und die anderen Priester wie auch seine Angehörigen in einen separaten Raum des Flughafens ein. Das Flughafenpersonal verhielt sich sehr ehrfürchtig. Sogar solche Perso­nen brachten ihre Ehrerbietung zum Ausdruck und beschenkten Priester A. Svarinskas, von denen die Kirche das nicht erwartet hatte. Der Abflug wurde einige Male verschoben, bis Priester A. Svarinskas, sich verabschie­dend, die Kontrolle passierte. Die Leute standen hinter dem Netzdraht­zaun, der die Startbahnen von dem Hof des Flughafens trennt, sangen patriotische Lieder, winkten mit Blumen und kleinen Flaggen. So warteten die Leute fast eine volle Stunde lang, bis sich das Düsenflugzeug zum blauen Himmel Litauens emporhob und den physisch von uns wegriß, mit dem wir in unseren Herzen und gemeinsamen Zielen zusammengewachsen sind; aus den ihn liebenden Herzen, aus dem Leben der wiedergeborenen Heimat wird ihn aber niemand herausreißen können.

Eine kleine Schar fuhr nach Moskau, um dort Priester A. Svarinskas zu verabschieden; zu ihr gesellten sich die schon früher in die Freiheit gekommenen russischen Gefangenen und Gleichgesinnte.

Beim Abschied des Priesters A. Svarinskas erlebte die offizielle Propaganda der Lüge einen niederschmetternden Schlag. Das Volk hat deutlich gezeigt, was der Verleumdete, der Gepeinigte, der durch die Macht Gottes den Zwang und das Böse besiegt hatte, was dieser Priester Alfonsas Svarinskas für Litauen bedeutet. Litauen zeigte noch einmal seine Solidarität mit ihm, seine Dankbarkeit für seine Opferbereitschaft und seinen Entschluß, auf dem Weg der Selbstaufopferung für Gott und die Heimat ihm zu folgen.

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