Kaunas

Auf der Milizwache Panemunė der Stadt Kaunas wurde dem Bürger Liūdas Si-mutis am 29. Mai 1979 mitgeteilt, daß er Litauen innerhalb von 24 Stunden zu verlassen habe.

Nach 22jähriger Gulaghaft wegen Teilnahme am aktiven Widerstand gegen die Okkupanten, war Liūdas Simutis nach Litauen zurückgekehrt und hatte eine Fa­milie gegründet. Leider — ein Litauer hat kein Recht in seiner Heimat zu leben. Seine Stelle soll ein fremdstämmiger Okkupant einnehmen. Simutis weigerte sich, Litauen zu verlassen. Die Miliz schweigt bisher.

Vilkaviškis

In seiner Rede vom 12. Juli 1979 in der Nähfabrik Vilkaviškis erklärte der Partei­sekretär des Rayons, Tėvelis, im Rayon würden da und dort Kreuze errichtet. Das sei zwar gesetzlich nicht verboten, doch müsse man sie entfernen, wenn sie an »unzulässigen Stellen« errichtet würden. So geschah es auch in unserem Rayon — ein Kreuz war auf dem Grab eines »Banditen« errichtet worden (reine Erfindung — Red.) und mußte als Denkmal eines Feindes weggeschafft werden. Ein weiteres Kreuz war auf einer früher einmal errichteten Anhöhe zwischen den Städten Vil­kaviškis und Kapsukas errichtet. Diese Anhöhe bezeichnete Parteisekretär Tėvelis als »Geschichtsdenkmal«, an dem jede Art von Grabungen verboten ist, das Kreuz habe man daher niederreißen müssen.

Beide Kreuze wurden auf Anordnung des stellvertretenden Rayonvorsitzenden von Vilkaviškis, Urbonas, entfernt. Es handelt sich um Weiterführung des alten Plans der Partei zur Zerstörung des christlichen Antlitzes der Nation.

Prienai

Am 7. Juni 1979 errichteten Gläubige auf dem sogenannten Brautberge ein fünf Meter hohes Kreuz mit der Inschrift: »Allmächtiger, schütze die Jugend unseres Volkes vor Gottlosigkeit.« Am nächstfolgenden Tag wurde das Kreuz durch den Parteisekretär Šlepetys der Kollektivwirtschaft »Janonis« und den Arbeiter Šyvo-kas entfernt. Das Kreuz wurde umgestürzt, zersägt, die Einzelteile zum Sägewerk des Kolchos gebracht und dort gelagert. Es handelt sich um die zweite Kreuz­schändung auf dem Brautberge.

Saločiai

Der hiesige Gemeindepfarrer Antanas Balaišis wandte sich mit Schreiben vom 8. Dezember 1978 an die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR. Nachfolgend eine verkürzte Wiedergabe des Schreibens:

Am 13. Juli 1978 wurde ich vom stellvertretenden Vorsitzenden Dėmenis zum Rayon-Exekutivkomitee Pasvalys vorgeladen, grundlos beschuldigt und gezwun­gen, ein tendenziöses Protokoll zu unterschreiben. Danach hätte ich am 12. Juli 1978 in der Kirche von Saločiai eine — ich zitiere — »Sonderversammlung für Kinder, zwecks Religionsunterricht« veranstaltet.

Ich wurde darüber belehrt, daß Menschen bei einer Predigt nur zuhören, nicht aber antworten dürfen, daß eine Predigt ferner nur im Rahmen der hl. Messe zu­lässig sei und daß während derselben Altarkerzen zu brennen haben. Der stellver­tretende Vorsitzende behauptete ferner, Kinder unter 18 Jahren dürften keinen kirchlichen Gottesdienst besuchen. Am 20. Juli 1979 wurde ich auf Beschluß der administrativen Strafkommission des Rayons Pasvalys mit einer Geldstrafe von 50 Rubel belegt.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Staatsanwalts auf das Verhalten der mich unberechtigt anschuldigenden Personen hinweisen, die ohne Zweifel gegen sowje­tische Gesetze verstoßen haben.

Sie drangen in den Kirchenraum ein und störten den Gottesdienst. Es handelt sich dabei um den Milizionär V. Morkus, den stellvertretenden Vorsitzenden des Rayon-Exekutivkomitees, V. Dėmenis, die Kreisvorsitzende von Saločiai, Frau D. Poškevičienė, und das Mitglied der Aufsichtsbehörde für religiöse Kulte, Frau V. Moteikienė. Während des Gottesdienstes durchwanderten diese den Kirchen­raum, fotografierten den Pfarrer, die Kinder und reizten die Gläubigen. Sie verlie­ßen die Kirche erst, als es zu einem Aufruhr der Empörung kam. Ihr Benehmen erinnerte lebhaft an das von Hitleristen in der Kirche.

Ich ersuche Sie, verehrter Staatsanwalt, um Aufhebung des Beschlusses der ad­ministrativen Strafkommission des Rayons Pasvalys vom 20. Juli 1978 und Maß­regelung der Personen, die am 12. Juli 1978 unter Mißbrauch ihrer Amtsvoll­macht Gläubige diskriminiert haben und bitte um Schutz der verfassungsmäßig garantierten Rechte der Gläubigen.

gez. Pfarrer Antanas Balaišis

 

Višakio Ruda

Im Walde bei Višakio Rūda steht ein alter Kapellenbau mit holzgeschnitzten Sta­tuen volkstümlicher Herrgottschnitzer. An der Kapelle vorbei schlängelt sich ein Quellflüßchen. Im Kapellenraum selbst stand unter einer künstlerisch wertvollen Bedachung eine Statue der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf ihren Händen. Dieser Ort wurde von den Menschen der weiteren Umgebung verehrt und auch von Fremden aufgesucht, die irgendein Anliegen an die Gottesmutter hatten. Am 5. Mai 1979 wurde die Kapelle geschändet — die Marienstatue zerschlagen, die Bänke umgestürzt, die Blumenbeete zertrampelt.

Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Anilionis, hat ver­langt, daß die Gemeinde Nemirai nicht von dem Gemeindepfarrer von Višakio Rūda, Gvidonas Dovydaitis, mitbedient werde. Er befürchtet, daß dieser energi­sche Priester eine Wiedergeburt geistlichen Lebens in diesem einsamen Winkel der Suvalkija (südl. des Nemunas) hervorrufen könnte.

Telšiai

Am 3. Juni 1979 verkündete der Kathedralvikar Jonas Kauneckas der Gemeinde von der Kanzel, daß der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Anilionis, verlange, ihn aus dem Dienst der Kathedrale zu entfernen. Ein weiterer Beweis für Einmischung der Sowjetmacht in innerkirchliche Angelegenheiten. Am 12. Juni überbrachten die Gläubigen aus Telsiai dem Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, Anilionis, ein von 1580 Personen unter­zeichnetes Gesuch, daß von jeglicher Zwangsanwendung bei einer evtl. Verset­zung des Pfarrers J. Kauneckas abgesehen werde. Der Bevollmächtigte antworte­te schriftlich, er habe sich bei der Kurie in Telsiai erkundigt und von einem dorti­gen Beschluß erfahren, Pfarrer Kauneckas zu befördern und ihm eine eigene Pfarrei zuzuweisen. Am 22. Juni sprach eine große Gruppe von Gläubigen des­halb beim Verwalter des Bistums Telšiai in dieser Sache vor. Man erfuhr, daß sei­tens des Amtes des Bevollmächtigten in dieser Sache keinerlei Erkundungen ein­gezogen wurden und daß nicht geplant sei, Pfarrer J. Kauneckas zu versetzen. So­mit existieren Pläne wegen einer »Beförderung« des Geistlichen wohl nur in Phantasie und Planung des Bevollmächtigten. Daraufhin versandten die Gläubi­gen von Tešiai an die Adresse des Bevollmächtigten Anilionis ein Schreiben fol­genden Inhalts:

»Wir haben mit Interesse Ihr Antwortschreiben zur Kenntnis genommen und er­klären bei dieser Gelegenheit:

Ihre Antwort ist weder ehrlich noch zutreffend. Sie haben sich über die Gläubigen der Gemeinde Telšiai nur lustig machen wollen. Hier die Begründung: Sie nötigen den Verwalter des Bistums, den Pfarrvikar J. Kauneckas zu versetzen, uns aber schreiben Sie von dessen Beförderung. Es fehlt in Litauen z. Zt. sehr an Vikaren und es wäre ein bisher ungewöhnliches Ereignis, wenn ein junger Geistlicher be­reits nach einem Jahr zum Gemeindepfarrer ernannt wird. So bleiben wir bei unserer ursprünglichen Forderung: Mischen Sie sich bitte nicht in Fragen des Amtseinsatzes der Geistlichen ein und lassen Sie unseren Vikar, Pfarrer Jonas Kauneckas, bitte in Frieden.

Telšiai, 7. Juli 1979        Gläubige aus Telšiai

(37 Unterschriften)

Zwei Geheimdienstbeamte erschienen am 5. Juni 1979 bei Frl. Terese Sudavičiūté, einer Angestellten der Sanitär-Epidemiologischen Station Telšiai. Sie bedauerten ihre unzulängliche Unterkunft und meinten, es sei doch wohl möglich, eine besse­re Wohnung zu bekommen. Anschließend folgte eine Vernehmung darüber, ob sie etwa den Vatikansender höre, ob sie nicht wisse, wer eigentlich die »Chronik« druckt u. a. Die Vernehmung dauerte zwei Stunden.

Kaunas

Der Leiter des Patentamtes beim Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Radio-Meßtechnik Arčiulis suchte am 11. März 1979 das zu seinem Amt gehören­de Büro für Vervielfältigungen (mit ERA-Kopiermaschinen) auf und sichtete die zum Fotokopieren gebrachten Bände. Als er eines der Bücher aufhob, begann er sofort zu schreien: »Was wird hier fotokopiert? Das ist eine antisowjetische Pu­blikation — ein Gebetbuch!« Sofort wurde der Leiter der ersten Abteilung, Pro-nicevas, herbeizitiert, den er dahingehend informierte, das zum Fotokopieren an­gelieferte Gebetbuch sei im Ausland gedruckt und gelte als antisowjetisch. Proni-cevas leitete sofort Vernehmungen ein, um festzustellen, wer dies Büchlein zum Fotokopieren abgegeben habe, doch wurde nichts verraten.

Salos (Rayon Rokiškis)

Die Gläubigen der Gemeinde Salos wollten einen für das Amt besonders gut ge­eigneten Mann zum Vorsitzenden des Gemeindekomitees wählen. Doch durften sie dies nach Intervention des Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegen­heiten nicht tun. Die Vertreter der Staatsmacht wünschen, daß möglichst schlech­te Katholiken in den Kirchenkomitees tätig werden. Hauptsache, daß sie alle Wünsche der Sowjetmacht erfüllen.

Kybartai

Vertreter der Gemeinde Kybartai wendeten sich am 14. März 1979 an den Bevoll­mächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, Anilionis, und ersuchten um Genehmigung des Besuchs von Bischof Povilionis, anläßlich einer Ablaßfeier in Kybartai am 22. Juli und damit verbunden, Spendung des Firmungssakraments an die Jugend der Gemeinde. Der Bevollmächtigte verweigerte die Genehmigung. Am 22. Juli wurde in Kybartai des Kirchenbaus vor 50 Jahren gedacht. Ohne Ge­nehmigung staatlicher Stellen war der verbannte Bischof Julijonas Steponavičius zu der Feier erschienen. Von der Gemeinde Kybartai enthusiastisch begrüßt, er­mahnte der von der Staatsmacht verfolgte Oberhirte in seiner Predigt alle Gläubi­gen, Gott die Treue zu halten und den Glauben mutig zu verteidigen.

Kapsukas

Der Gemeindepfarrer von Sasnava, Albinas Deltuva, wurde am 5. April 1979 ver­warnt, er habe ohne Genehmigung auswärtige Pfarrer zu Einkehrtagen eingela­den und damit gegen Artikel 19 des Statuts für Religionsgemeinschaften versto­ßen. In seiner Erwiderung an die Adresse der Rayonbehörden verwies Pfarrer Deltuva darauf, daß dieser Artikel 19 der Sowjetverfassung internationalen Ver­pflichtungen der UdSSR widerspricht und daher juristisch ungültig ist.

Varputėnai (Rayon Šiauliai)

Im Zuge der Verwirklichung seines Versprechens, den Gemeindepfarrer Antanas Jokubauskas fertigzumachen, verdreifachte der Leiter der Finanzabteilung der

Rayonverwaltung Radviliškis, Vaišutis, die Steuerlast des Geistlichen. Der Pfarrer leistete auf Grund des unrechtmäßigen Steuerbescheids eine Überbezahlung von 400 Rubel. Das Volksgericht des Rayons Radviliškis entschied zugunsten der Fi­nanzabteilung und wies die Klage des Geistlichen auf Wiedererstattung der über­gezahlten Summe ab.

Anfang 1979 erhielt Pfarrer Jokubauskas erneut einen überhöhten Steuerbe­scheid. Die Rayonverwaltung erpreßt hier einen amtsbeflissenen Geistlichen mit Hilfe der Finanzabteilung.

Vilnius

Vilnius verfügt über ein gutes Bestattungsamt, wo man Kränze kaufen kann und Künstler an Ort und Stelle die Kranzschleifen beschriften. Doch dürfen die Künst­ler unter keinen Umständen das traditionelle Zeichen »A + A« verwenden. (Die beiden Buchstaben mit dem Kreuz in der Mitte stehen für »Amzina Atilsi« — ewi­ge Ruhe, bzw. seliges Angedenken — und sind im katholischen Litauen von al-tersher üblich.) Wahrhaft unendlich ist das Bemühen der KP nicht nur um die le­benden, sondern auch um die toten Menschen . . .