UKRAINE

Nach dem Weihnachtsfest des Jahres 1978 wußten übereilige westliche Presse­korrespondenten zu berichten, erstmalig nach dem Kriege habe es in der UdSSR ein so geruhsames Christfest gegeben: keine Komsomolzen an Kirchentüren, keine Störung der Gottesdienste, keine Lehrer, die ihre Schüler aus der Kirche treiben usw. Und so sei es überall gewesen: in Moskau wie in Kiew und Vilnius. Manche gingen noch weiter und behaupteten, in der UdSSR normalisiere sich das Verhältnis des Staates zur Religion und den Kirchen. Anscheinend wußten die Berichterstatter nicht, was sich in weiter abgelegenen Gebieten tat, die keiner dieser Korrespondenten aufgesucht hat und zu deren Bewohnern sie auch sonst keinerlei Kontakt unterhalten.

Nehmen wir etwa die westliche Ukraine, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus ukrainischen Katholiken besteht. Hier ist die Lage gänzlich anders. Es sei daran erinnert, daß die Sowjetbeamten, genau wie ihre zaristischen Vorgänger, einen Ukrainer niemals als Katholiken gelten lassen — bestenfalls als »Uniierten«, mit dem Unterton der Mißachtung für einen Abtrünnigen von der russisch-ortho­doxen Kirche und Anbiederer bei den Katholiken. Das ukrainische Volk aber war besonders in der Westukraine von alters her katholisch nach byzantini­schem Ritus. Das aber ist dem zaristischen wie dem heutigen Rußland ein uner­träglicher Gedanke. Bezeichnet sich ein Ukrainer als Katholik, so wird er als­bald verbessert — er sei »nicht Katholik, sondern Uniierter« — mit anderen Worten, ein von Mütterchen Rußland Abgefallener, der Unfrieden stiftet zwi­schen dem russischen und dem ukrainischen Volk.

In der Westukraine tauchte kurz vor Weihnachten des Vorjahres eine aus Kiew und Moskau angereiste Kommission auf, die überlebende, meist alte und kran­ke katholische Priester zu Unterredungen vorlud. Wer nicht kommen konnte, wurde in seiner Wohnung aufgesucht und in lange, ermüdende Gespräche ver­wickelt. Ziel dieser Bemühungen war, die Priester zu terrorisieren und zu ent­mutigen, im Lande Gottesdienste zu halten oder Gläubige an Hausandachten in der priesterlichen Wohnung teilnehmen zu lassen. Für die Priester, deren Mehr­zahl bereits mehrfach vorbestraft war (wegen Weigerung, zur orthodoxen Kir­che überzutreten), war dies nicht der erste Schädigungsversuch. Beim »ersten Schlag« (Tschekistenausdruck) im Jahre 1948 wurden alle ukrainischen katholi­schen Bischöfe und Priester zusammengeholt und in Konzentrationslager ge­bracht, wobei ihnen alles kirchliche Gerät und religiöse Literatur weggenommen wurde. Später, beim »zweiten Schlag« (1957), wurden die überlebenden Prie­ster, die nach der Amnestie 1953 in die Heimat zurückgekehrt waren, erneut und endgültig ausgeraubt, indem man ihnen sogar Teller und sonstige Haus­haltsgeräte wegnahm. Sie könnten bei der Meßfeier Verwendung finden, lautete der Vorwand. Nach dem »zweiten Schlag« blieben nicht mehr viel ukrainische katholische Priester übrig; meist alte, kranke und von den Strapazen der Lager­haft gezeichnete Menschen. Doch man läßt sie immer noch nicht in Frieden, und die Tschekisten belieben zu witzeln: »Auch im Tode werdet ihr keine Ruhe finden!«

Man merkt sich, wer an der Beisetzung eines Priesters teilnimmt, was auf dem Grabstein steht usw. Wird ein solcher Priester von seinen Freunden beerdigt, so werden diese anschließend bestimmt polizeilich vernommen, bedroht und auf jede erdenkliche Art und Weise schikaniert. Teilnehmer an Hausgottesdiensten der Priester werden auf der Straße angehalten, verlieren ihren Arbeitsplatz usw. Man muß wissen, daß ein ukrainischer Priester von einer ganzen Meute Ge­heimdienstagenten beschattet wird. Jederzeit kann er aus einem Bus oder Eisen­bahnwagen herausgeholt und einer Durchsuchung unterzogen werden. Die Kommission ließ die Priester nochmals wissen — »Eure uniierte Kirche ist illegal, geht in orthodoxe Kirchen beten!« — Auf die Frage, warum man denn die Ukrainer nicht als Katholiken gelten lasse und sie offiziell als solche regi­striere, hieß es: »Ihr seid keine Katholiken, sondern Uniierte.« Vatikanvertreter haben Moskau besucht. Haben sie der Moskauer Regierung auch etwas über die ukrainischen Katholiken unterbreitet? Davon wissen die fünf Millionen ukrainische Katholiken bis zum heuten Tage nichts — so be­schweren sich ukrainische Priester.

Die Kommission ließ selbst alte Frauchen nicht in Frieden, die früher einmal Nonnen gewesen waren. Besonders interessierte sie, ob sie etwa junge Mädchen betreuten, die ins Kloster gehen wollten.

Nicht nur die Geheimpolizei macht grausame Jagd auf die katholischen Ukrai­ner; beteiligt sind staatliche Stellen ebenso wie verschiedene Organisationen, Schüler, sogar Kollektivwirtschaften. Kolchosfunktionäre beobachten scharf, wer von den Mitgliedern nicht in die orthodoxe Kirche geht, wessen Kinder nicht orthodox getauft, wessen Angehörige nicht orthodox beerdigt werden. Solche Leute werden absichtlich gedemütigt, zugeteilte private Hoflandparzel­len verkleinert, und man schädigt sie, wo nur möglich.

So sieht bei uns die Wirklichkeit der »wahren« Glaubens- und Gewissensfreiheit aus, die von Verfassungen, Helsinkidokumenten und Menschenrechtsdeklara­tionen garantiert wird. Man mag fragen, ob die gläubigen Ukrainer überhaupt Antrag auf Registrierung als katholische Gemeinden gestellt hätten? Sehr wohl, und zwar wiederholt. Jedes Mal, wenn Delegationen mit solchen Anträgen nach Moskau unterwegs waren, wurden die Unterzeichner in der Heimat noch vor der Rückkehr ihrer Delegation aus Moskau vom KGB überfallen, bestraft, ar-beitsentlassen, die Priester verhaftet. Das war die Reaktion auf alle Beschwer­den und Antragstellungen.

So steht es um die Gewissensfreiheit in der Sowjetunion! So sieht die Wirklich­keit in bezug auf Gewissensfreiheit in der Sowjetunion aus. Doch Genozide — nun, die gibt es irgendwo anders — in Chile, Südafrika etc. — Nur bei uns natürlich nicht.

Weißrußland

Die weißrussische SSR steht mit der Litauischen SSR in einem permanenten Wettbewerb. Die Presse ist stets voller Meldungen über den letzten Stand der Wettbewerbsresultate. Doch gibt es zweifellos ein Gebiet, auf dem Weißrußland Litauen ganz fraglos überlegen ist — die Vernichtung und Bekämpfung der Kir­chen. In Gardinas (Grodno — Übs.) z. B. wurde die zur Zeit des Großfürsten Vytautas errichtete gotische Kirche abgerissen; vernichtet ist auch das pracht­volle Gotteshaus in Vydžiai. Gänzlich vom Erdboden verschwunden ist das Kirchlein in Varanavas, das die Einwohner vor der Vernichtung retten wollten — Frauen warfen sich vor die anrollenden Traktoren —, doch Militär wurde eingesetzt, und am nächsten Morgen war von dem Gotteshaus nur noch ein Schutthaufen übriggeblieben. Nun, physische Gewalt war ja stets die sicherste Waffe im ideologischen Überzeugungskampf. Anstelle der Kirche steht heute das Kulturhaus. Welche Art »Kultur« von ihm ausgeht, kann der Besucher an Tanzabenden feststellen, wenn sich dort betrunkene Halbstarke mit aufgedon­nerten Dämchen herumbalgen.

Die Atheisten Weißrußlands sind fest davon überzeugt, daß die Zerstörung von Kirchenbauten die beste Art darstellt, Religion zu bekämpfen. Im Vernich­tungsmodus gibt es jedoch Nuancen, wie z. B. in Bernakonys, wo die Kirche ratenweise vernichtet wurde. Erst erfolgte die Schließung, dann wurden Statuen und Skulpturen im Inneren zerschlagen, schließlich kamen Altäre und Bilder an die Reihe. Der Kirchenvorplatz wurde öffentlicher Müllplatz. Jeder darf hier an- und abstellen, was ihm beliebt, und jede noch so rowdymäßige Unflätigkeit wird geduldet. Man schämte sich auch nicht, das Grabmal der großen Liebe ei­nes Adam Mickiewicz umzustürzen, nur weil ein Kreuz in den Stein gemeißelt war. Heimatkundler aus Litauen brachten das Denkmal wieder an seinen alten Platz. Doch für wie lange? Tagtäglich kann hier passieren, was zahllosen reli­giösen und kulturellen Denkmälern in Weißrußland zugestoßen ist — Vernich­tung. Der staatlich geförderte Fanatismus der Atheisten reicht überallhin. Werfen wir noch einen Blick nach Naugardukas (br.: Navahradak — pln.: No-wogrödek), der Heimatgemeinde des Adam Mickiewicz. Hier wurde der große Dichter geboren und getauft, hier ging er zur Schule. Suchen wir doch die frühe­re Dominikanerkirche auf, wo er gebetet hat . . . Der Anblick ist nicht zu be­schreiben. Man muß diese Kirche, besser gesagt, dies grausam geschändete Hei-ligtum,schon mit eigenen Augen gesehen haben, um zu begreifen, zu welch men­schenunwürdigen Taten vom Atheismus besessene Menschen fähig sind. Dabei ist das Gotteshaus erst in letzter Zeit so verwüstet worden. Noch vor wenigen Jahren erklang hier Orgelmusik und frommer Gesang. Doch dann starb der Gemeindepfarrer, und das wurde zum Signal zur Vernichtung eines nicht nur religiösen Heiligtums, sondern auch kunsthistorisch bedeutsamen Ar­chitekturdenkmals. In Weißrußland gilt die folgende Regel: Kann man einen Pfarrer nicht loswerden, so warte man auf seinen Tod; eine Neubesetzung der Pfarrstelle kommt nicht in Frage, und die Kirche kann geschlossen werden. Ge­nauso ging man hier vor. Die Kirche wurde geschlossen und in ein Lagerhaus verwandelt. Dann wurde die Orgel zerstört, anschließend Altäre und Heiligen­statuen zerschlagen. Dann wurde das Dach undicht. Irgendwer schlug vor, es zu reparieren, stieß aber auf unüberwindlichen Widerstand. Bekanntlich sind Witterungsschäden bei undichten Dächern das sicherste Mit­tel, jedes Gebäude in eine Ruine zu verwandeln. Nach zwei Jahren war es soweit

 - der Kirchenbau war nun auch als Lagerhaus nicht mehr zu gebrauchen. Das Kirchenschiff ist heute nur noch durch klaffende Risse und Spalten im Fun­dament zugänglich. Dem Eintretenden bietet sich ein unbeschreibliches Bild der Verwüstung. Nicht nur, daß alle Inneneinrichtungen zerschlagen, zerstückelt und zerstampft sind. Das wäre in Weißrußland keine Neuigkeit. Hier aber ma­nifestieren sich Spuren haßerfüllter Raserei, die jeden anständigen Menschen in tiefster Seele erschauern läßt. Wo einst fromme Menschen knieten und beteten

 - und darunter befanden sich zweifellos die Eltern, Verwandten und Freunde hiesiger Einwohner —,hat man eine Abort-Kloake angelegt. Wo einst Heiligen­bilder an der Wand hingen, prangen jetzt Sprüche in russischer Schrift, deren Obszönität selbst abgebrühte Gemüter abstoßen muß.

Doch stört dies anscheinend weder die Rayongewaltigen noch ortsansässige Atheisten. Nichts ist ja mehr von Bedeutung, wo alles erlaubt ist — und Verbre­chen sind keine, wenn sie dazu beitragen, auszurotten, was an eine frühere Kir­che erinnert. Scham kennt man nicht — auch nicht vor Touristen, die zu Erin­nerungsstätten des großen Dichters Mickiewicz wallfahren. Angesichts der barbarisch vernichteten Dominikanerkirche fragt sich der Besu­cher, was wohl aus der zweiten Kirche, der Kapelle neben der Burgruine, gewor­den ist. Nun, sie ist noch »in Betrieb«. Doch der Pfarrer, ein früherer sowjeti­scher Lagerhäftling, ist bereits bejahrt. Die Gläubigen fürchten um die Zukunft ihres Gotteshauses, das nach Ableben des Geistlichen vielleicht ähnlich verwü­stet wird. Warum auch sollte staatliche Vernichtungswut vor der außen ange­brachten Gedenktafel haltmachen, die vom ehrenvollen Alter dieses geschicht­lich bedeutsamen Bauwerks zeugt, oder erwartet man Ehrfurcht vor der Ge­denktafel im Kirchenschiff, die davon kündet, daß Adam Mickiewicz hier ge­tauft wurde.