Am 1. November 1978 zelebrierte Pfarrer Virgilijus Jaugelis in der Pfarrkirche zu Kybartai öffentlich eine Messe. Viele Jahre hindurch hatte er sich um Auf­nahme in das Priesterseminar Kaunas beworben, doch wurde sein Name Jahr für Jahr durch das KGB von der Kandidatenliste gestrichen. Im Jahr 1974 wur­de er wegen Vervielfältigung der »Chronik der Litauischen Katholischen Kir­che« verurteilt und ein Jahr später vorzeitig und halb lebend aus der Lagerhaft entlassen, um zu Hause zu sterben. Nun, er starb nicht, sondern bereitete sich entschlossen auf die Priesterschaft vor.

Das erste öffentliche Meßopfer des Priesters V. Jaugelis bereitete dem KGB an­gesichts dieser Vorgeschichte einige Sorgen. Bedeutete der Vorgang doch wohl, daß die Zeiten vorüber sind, daß man einen jungen Menschen, der dem KGB die Mitarbeit verweigert, um ein guter Priester zu werden, nach Belieben terrorisie­ren kann; das Ereignis weist ferner darauf hin, daß man künftig auch keine gu­ten Seminaristen mehr so ohne weiteres wird einschüchtern können — denn, siehe da, man kann auch ohne den Segen des KGB Priester werden! »Was tun?«, so fragten sich alle, deren Ziel darin besteht, die katholische Kir­che in Litauen zu beerdigen. Irgendwer ersann daraufhin einen Plan zur Kom­promittierung der Untergrundtätigkeit der katholischen Kirche Litauens und derjenigen Bischöfe, die ohne Wissen und Genehmigung des KGB Priesterwei­hen vornahmen.

Ende 1978 verbreitete sich in Litauen mit Windeseile die Nachricht, der 1977 wegen amoralischen Lebenswandels aus dem Priesteramt Kaunas entfernte Kle­riker Ričardas Jakutis sei in der Pfarrkirche von Nemenčinė als Diakon tätig! Welcher Bischof konnte einem solchen Kleriker die Weihen erteilen? Sowjetkol­laborateure unter den Geistlichen verbreiteten Gerüchte, das könnte nur einer der beiden exilierten Seelenhirten — also Bischof J. Steponavičius oder Bischof V. Sladkevičius — oder irgendein geheimer ukrainischer Bischof getan haben. Zehn Geistliche des Erzbistums Vilnius suchten am 7. Februar 1979 den neuge­wählten Administrator, Pfarrer A. Gutauskas, auf, um herauszubekommen, wer eigentlich den R. Jakutis zum Diakon geweiht habe. Pfarrer A. Gutauskas erklärte, dies habe Bischof J. Labukas-Matulaitis in der Villa des Msgr. Č. Kri­vaitis getan. Letzterer habe den Kleriker R. Jakutis materiell gefördert und dem Bischof Labukas empfohlen.

Die Diakonenweihe des Klerikers R. Jakutis ist denn auch als erster Akt einer KGB-Kampagne zur Kompromittierung der Katakombenkirche anzusehen: »Seht nur, welche Leute diese Untergrundkirche zu Priestern weiht!« Somit wa­ren Msgr. Č. Krivaitis, der Gemeindepfarrer von Nemenčinė, Kazimieras Pukė-nas, Bischof J. Labukas und die anderen Teilnehmer an der Diakonenweihe des R. Jakutis bewußt oder unbewußt an einer KGB-Affäre beteiligt, die sich gegen die Tätigkeit der Katakombenkirche richtet und somit Helfershelfer bei einem vom KGB längst herbeigesehnten Versuch, die Einigkeit der Priesterschaft Li­tauens zu spalten.

Der Vorfall zielt zweifellos darauf ab, den Heiligen Stuhl zu irritieren, daß der Kirche Litauens ja nicht gestattet werde, eine Katakombentätigkeit auszuüben, sondern daß sich alles weiter unter strikter KGB-Kontrolle vollziehe. Die »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« ersucht die litauischen Priester im Westen, den Heiligen Stuhl über diesen Vorfall zu unterrichten und zu ersuchen, daß der katholischen Kirche Litauens alle nur möglichen Erleichte­rungen für eine Tätigkeit im Untergrund geschaffen werden. Denn ohne Tätig­keit im Untergrund wird die katholische Kirche Litauens demselben Schicksal entgegengehen wie die pravoslavnische Kirche der Sowjetunion.

Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen

Am 25. Januar 1979 hat das Katholische Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen eine Eingabe (Dokument Nr. 6) an den Generalsekretär der

KPdSU, L. Breznev, gerichtet, in dem berichtet wird, auf welche barbarische Art und Weise in Litauen religiös-künstlerische Werte vernichtet werden. In der Eingabe vom 25. Januar 1979 an den Staatsanwalt (Prokurator) der Li­tauischen SSR (Dokument Nr. 7) protestiert das Katholische Komitee zur Ver­teidigung der Rechte der Gläubigen gegen die Diskriminierung der Priester­schaft und der Gläubigen im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren gegen die Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius. In der Eingabe bei L. Brežnev, Generalsekretär der KPdSU, vom 26. Januar 1979 (Dokument Nr. 8), berichtet das Komitee über die grobe Diskriminierung von Gläubigen in der Moldavischen Republik und ersucht um persönliche Inter­vention, zwecks Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen. Die Eingabe erfolgte auf Ersuchen des Moldavischen Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen.

In der Eingabe vom 31. Januar 1979 ersucht das Komitee die Staatsanwaltschaft Litauens um Rückgabe des Pfarrer Virgilijus Jaugelis durch die Miliz in Rasei­niai abgenommenen Buchs »Christ in der Welt« (Dokument Nr. 9). In Dokument Nr. 10 vom 7. Februar 1979 berichtet das Komitee über die Miliz­aktion gegen Julius Sasnauskas, dem ein an das Präsidium des Obersten So­wjets Litauens gerichtetes Schreiben abgenommen wurde, das Viktoras Petkus, Mitglied der Helsinkigruppe, verteidigt.

»Mit welchem Recht konfiszieren Milizbeamte Schreiben, die an die Regierung der Litauischen SSR gerichtet sind« — heißt es in dem Bericht. In der Eingabe an die Staatsanwaltschaft Litauens vom 10. Februar 1979 wird der Schüler Mindaugas Judeiiis in Schutz genommen, der von dem Geheim­dienstagenten des Rayons Lazdijai, Aigis Gylys, ständig verfolgt wird. Postscriptum: Keine der angesprochenen Instanzen hat auf die Dokumente des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen reagiert.