Vilnius

An den Generalsekretär des ZK der KP der UdSSR

An das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR

An den Generalstaatsanwalt der UdSSR

An das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR

An den Staatsanwalt der Litauischen SSR

An die Ordinariate der Diözesen Vilnius, Kaunas, Panevėžys, Telšiai und Kaišiadorys

Erklärung

der Priester der Erzdiözese Vilnius der Litauischen SSR

Die Katholiken Litauens leiden schwer darunter, daß sie religiöse Literatur entbehren müssen. Gewiß, in den Jahren der Sowjetregierung sind folgende Bücher erschienen: Maldaknygė (Gebetbuch) von Kan. J. Stankevičius,Liturginis maldynas (Liturgisches Gebetbuch), Vatikano II susirinkimo nutarimai (Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils), Apeigynas (Zeremo­nienbuch), Naujasis Testamentas (Neues Testament) und Psalmynas(Psal­menbuch). Diese Schriften haben jedoch den Bedarf der Gläubigen nicht ge­deckt, denn sie sind in einer so kleinen Auflage erschienen, daß sie lediglich den Atheisten für Auslandspropaganda nützlich sind, um die „Religionsfrei­heit auch bei uns" vorzutäuschen. So erhielt z. B. die Pfarrgemeinde von Cei-kiniai, die etwa 3000 Seelen zählt, nur zehn Exemplare des „Neuen Testa­ments".

Wegen dieser Unterdrückung der religiösen Literatur entschlossen sich Men­schen zur Herstellung und Verbreitung von Gebetsbüchern im Untergrund, in Kenntnis des Art. 135 der Verfassung der Sowjetunion und des Art. 97 der Verfassung der Litauischen SSR, durch die Religions- und Pressefreiheit garantiert werden, und im Bewußtsein dessen, daß die Zivilregierung der Litauischen SSR gegen diese Gesetze den Katholiken Litauens das Drucken von religiösen Büchern verbietet. Einige der hieran Beteiligten wurden bereits 1973 verhaftet. Im Dezember 1974 verurteilte das Oberste Gericht der Litauischen SSR P. Petronis zu Freiheitsentzug von vier Jahren im Besse­rungsarbeitslager strengen Regimes, ferner P. Plumpa zu Freiheitsentzug von acht Jahren im Besserungsarbeitslager strengen Regimes, J. Stasaitis zu Freiheitsentzug von einem Jahr und V. Jaugelis zu Freiheitsentzug von zwei Jahren im gewöhnlichen Besserungsarbeitslager.

Tiesa (Die Wahrheit) berichtete über diese Menschen (am 23. Dezember 1973 und am 29. Dezember 1974), teilte aber der breiten Öffentlichkeit nicht konkret mit, welche Schriften vervielfältigt und verbreitet worden waren. Dort heißt es: „Sie haben illegal Schriften vervielfältigt und verbreitet, in denen erfundene und provokatorische Gerüchte verbreitet werden, die die sowjetische Staats- und Gesellschaftsordnung diffamieren." Die Namen dieser Schrift verschweigt „Die Wahrheit". Lediglich der Ver­walter der Erzdiözese Vilnius, Msgr. C. Krivaitis, erklärte auf einer Presse­konferenz in Amerika am 25. Februar 1975, daß diese Menschen nach langem Verhör für die Mitarbeit an der „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" bestraft worden seien. Die Herstellung von Gebetbüchern ver­schweigt auch Msgr. C. Krivaitis, denn er meint, daß „die katholische Kirche in Sowjetlitauen normal funktioniert" (Gimtasis kraštas [Das Heimatland], 8. November 1973).

Die sowjetische Presse hebt öfters verschiedene Mängel und Vergehen gegen das Wohl des Volkes hervor, kritisiert und verurteilt sie. Niemand äußert sich jedoch zu den gegenüber den Gläubigen begangenen Vergehen, obwohl diese manchmal so schwerwiegend sind, daß sie sogar gegen die sowjetische Verfassung und gegen die Konvention der Menschenrechte verstoßen. Dar­über sollte die gesamte sowjetische Presse schreiben, da sie aber schweigt, wird diese Aufgabe von der „Chronik der LKK" erfüllt. Die „Chronik der LKK" richtet sieb nicht gegen die sowjetische Ordnung, sie hebt lediglich die Vergehen gegen die Gläubigen hervor, deren Wahrheitsge­halt niemand abstreiten kann. Sind die Eingaben der Gläubigen von Cei-kiniai, Adutiškis, Mielagėnai, Ignalina und anderer Pfarreien an die Ver­treter der Zivilregierung verleumderischen Charakters? Nein! Das kann nie­mand behaupten. Wenn die Verfolgung der Gläubigen aufhört, dann werden auch die Eingaben und Beschwerden der Gläubigen aufhören und die „Chro­nik der LKK" von selbst verschwinden. Unter den heutigen Verhältnissen aber ist die „Chronik der LKK" ein Hilferuf der leidenden Katholiken, der Kinder der Mutter Kirche in Litauen.

Das Urteil des Obersten Gerichtes der Litauischen SSR halten wir aus folgen­den Gründen für ungerecht und bitten um Annulierung:

1. Wenn unser grundlegendes Gesetz — Verfassung der Litauischen SSR — die Gewissens-, Religions-, Kultus- und Pressefreiheit garantiert, wenn am 10. Dezember 1948 die Generalversammlung der Organisation der Vereinten Nationen die Konvention der Menschenrechte angenommen hat, die auch von der Sowjetunion unterzeichnet wurde, dann müssen die Gläubigen auch die Voraussetzungen und Möglichkeiten haben, ihren Glauben kennenzulernen und ihn öffentlich zu bekennen. Denn was nützt ein Recht, wenn keine Möglichkeit besteht, davon Gebrauch zu machen? Zum Kennenlernen des Glaubens müssen Katechismen, Gebet­bücher und religiöse Literatur vorhanden sein, deren Herstellung die Zivilregierung Sowjetlitauens nicht genehmigt. Damit widerspricht sie der Verfassung der Litauischen SSR und der Konvention der Menschen­rechte.

Das Oberste Gericht der Litauischen SSR hat P. Petronis und J. Stasaitis wegen der Herstellung und Verbreitung von Gebetbüchern angeklagt: während der Gerichtsverhandlung haben die meisten Zeugen nur über deren Druck, Einbinden und Verbreitung solcher Literatur ausgesagt. Das Oberste Gericht der Litauischen SSR erwähnte in seiner Klageerhebung aber nur die Vervielfältigung und Verbreitung der „Chronik der LKK" und anderer antisowjetischer Schriften. Deshalb hat das Oberste Gericht der Litauischen SSR mit der Verurteilung von P. Petronis und J. Stasaitis unrecht gehandelt. Religiöse Literatur ist für die Gläubigen eine Exi­stenzfrage. Auch wenn die Gerichte die allerschwersten Strafen verhän­gen, werden die Gläubigen jede Möglichkeit zur illegalen Herstellung religiöser Literatur wahrnehmen, und zwar so lange, bis die Regierung deren Druck offiziell gestattet.

2. Das Oberste Gericht der Litauischen SSR hat P. Plumpa und V. Jaugelis wegen der Vervielfältigung und Verbreitung der „Chronik der LKK" angeklagt und im März 1975 auch J. Gražys für das Einbinden der „Chronik der LKK" zu Freiheitsentzug von drei Jahren verurteilt. N. Sa­dūnaite, 1974 festgenommen, wird noch verhört und wartet auf ihren Pro­zeß. (Am 17. Juni 1975 endete der Prozeß gegen N. Sadünaite mit drei Jahren Freiheitsentzug und weiteren drei Jahren Verbannung. — Anm. d. Übers.)

Sowohl die Verurteilung der einen wie die Inhaftierung der anderen hal­ten wir für ungerecht, denn die Tätigkeit der oben erwähnten Personen war kein Verbrechen. Die Konvention der Menschenrechte erklärt im Art. 19, daß „jeder Mensch ... das Recht hat, mit allen möglichen Mit­teln Informationen zu suchen, zu erhalten und zu verbreiten". Deshalb haben sie mit der Vervielfältigkeit und Verbreitung der „Chronik der LKK" keine Straftat begangen. Das Strafgesetzbuch der Litauischen SSR darf der Verfassung und der Konvention der Menschenrechte nicht wider­sprechen.

Außerdem ist die „Chronik der LKK" keine verleumderische Schrift, sondern eine Sammlung wahrer Tatsachen. Daß die Gläubigen Litauens in Zeiten religiöser Unterdrückung leben, das können auch die von eini­gen Bischöfen, Bistumsverwaltern oder sonstigen Priestern Litauens an ausländische Presse und ausländischen Rundfunk gegebenen Interwiews nicht aus der Welt schaffen. Wie Tiesa (Die Wahrheit) am 20. Februar 1975 berichtete, hat Msgr. C. Krivaitis, Verwalter der Erzdiözese Vilnius,

1975 auf einer Pressekonferenz in New York erklärt: „In Sowjetlitauen bestehen für die Gläubigen alle Voraussetzungen, ihre Religion zu prakti­zieren. Weder sie noch ihre Kinder werden wegen ihrer Weltanschauung verfolgt. Auch wir Geistlichen besitzen alle für unsere Arbeit erforder­lichen Bedingungen."

Wenn es der Wahrheit entspräche, daß alle Voraussetzungen für unsere Arbeit gegeben sind, warum müssen dann acht Priester in der Erzdiözese Vilnius je zwei Pfarreien versorgen, und der Priester Alfonsas Merkys sogar drei — Turmantas, Tilže und Smalvos? Warum werden verschie­dene Pfarreien im Erzbistum Vilnius von Priestern in sehr hohem Alter versorgt: P. Bekiš (77 J.) — Pfarrer von Heilig Geist in Vilnius, L. Chomski (90 J.) — Pfarrer der Gemeinde Baltoji Vokė, L. Ivančik (79 J.) — Pfarrer von Korvis, L. Laucevic (80 J.) — Pfarrer von Rudi-ninkai, A. Liachovič (80 J.) — Pfarrer von Mickünai, S. Malachovski (77 J.) — Pfarrer von Eitmeniskiai, V. Novicki (78 J.) — Pfarrer von Parudaminis, N. Pakalka (82 J.) — Pfarrer von Marcinkonys. Diese Priester, außer H. Herrn P. Bekiš, haben keine Vikare. Die angeführten Beispiele zeigen, wie groß der Priestermangel in Litauen ist. Dabei können viele Priesteramtskandidaten nicht in das Priester­seminar von Kaunas eintreten, weil sie von Sicherheitsorganen daran ge­hindert werden.

1974 starben 22 Priester in Litauen und nur acht wurden geweiht. Neu aufgenommen wurden zehn Seminaristen. Man kann die Lage der Gläubi­gen nicht als normal bezeichnen. Die Kirche wird unterdrückt.

3. Die Prozesse und Gerichtsverfahren gegen die obengenannten „Rechts­brecher" sind ein offensiditlicher Beweis der Rechtlosigkeit der Gläubi­gen. Für die Sicherheitsorgane Litauens gelten im Kampf gegen die Gläu­bigen überhaupt keine Gesetzesbestimmungen. Der Art. 106 des Straf­gesetzbuches der Litauischen SSR besagt, daß nur bei außergewöhnlicher Kompliziertheit eines Prozesses die Inhaftierungszeit während der Pro­zeßuntersuchung vom Generalstaatsanwalt bis zu neun Monaten, vom Tag der Verhaftung an, verlängert werden darf. Die Inhaftierung von P. Petronis und P. Plumpa, dauerte während ihrer Prozeßuntersuchung aber sogar zwölfeinhalb Monate an (vom 19. 11. 1973 bis 2. 12. 1974), die von Stasaitis ein Jahr (vom 4. 12. 1973 bis 2. 12. 1974), die von J. Gražys elf Monate (vom 24. 4. 1974 bis März 1975).

 

In Anbetracht dieser Tatsachen bitten wir das Urteil des Obersten Gerichtes der Litauischen SSR gegen die obengenannten Personen aufzuheben und die Verurteilten wie auch die Untersuchungsgefangenen freizulassen, den Gläu­bigen Litauens aber die Inanspruchnahme der von der sowjetischen Verfas­sung und von der Konvention der Menschenrechte garantierten Freiheiten zu gewährleisten.

28. April 1975

Litauische SSR, Rayon Ignalina, Ceikiniai Priester Karolis Garuckas

Rayon Zarasai, Smalvos Priester Alfonsas Merkys

Rayon Švenčionys, Adutiškis Priester Bronislavas Laurinavičius

Rayon Vilnius, Nemenčinė Priester Kazimieras Pukėnas

Vilnius, Kretingosstr. 7-3 Priester Stasys Baliukėnas

Vilnius, Nugalėtojustr. 20 Priester Pranas Sviontek