RAYON MOLĖTAI,

Kirchengemeinde Stirniai

Über die Freilassung von verhafteten Priestern und den ungehinderten Eintritt in das Priesterseminar

An den Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR Erklärung

der Gläubigen des Rayons Molėtai und der Kirchengemeinde Stirniai in der Litauischen SSR

Mängel, die den kulturellen oder den Dienstleistungsbereich betreffen, können von Bürgern in der Presse angeprangert werden, wobei die sowjetische Re­gierung solche Signale niemals unbeantwortet läßt. Bei der Praktizierung unseres religiösen Lebens stellen wir Gläubigen nicht nur gewisse Mängel fest, sondern sind einer erheblichen Behinderung ausgesetzt. Da wir jedoch keine Möglichkeit haben, das uns widerfahrene Unrecht über die Presse kundzutun, und somit zum Schweigen verurteilt sind, könnte der Eindruck entstehen, daß wir uns dieser Be­hinderungen gar nicht bewußt wären. Dies ist der Grund dafür, daß wir uns an Sie, den Vorsitzenden des Ministerrates, wenden.

Für einen Ungläubigen scheint die Religion unnütz oder sogar schädlich zu sein, für uns Gläubige ist die dagegen ungemein wichtig. Eine Einengung der Reli­gionsausübung trifft uns schmerzlicher als materielle Not.

Zur Praktizierung der Religion sind Priester nötig. Da die Regierung die Auf­nahme neuer Priesteranwärter in das Seminar begrenzt, werden jährlich weit we­niger Priester geweiht als Priester sterben. Bereits jetzt haben einige Kirchen­sprengel keine Priester, worunter das kirchliche Leben der betroffenen Gemein­den zu leiden hat. Ungeachtet dieses Priestermangels werden immer mehr Priester mit Gefängnisstrafen belegt, weil sie Kinder auf Bitten von deren Eltern in der Kirche Glaubenswahrheiten gelehrt haben. Im September vorigen Jahres (1970) wurde der Pfarrer von Dubingiai im Rayon Molėtai, Antanas Šeškevičius, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und im November d.J. noch zwei weitere Priester anderer Pfarreien; Priester A. Šeškevičius durfte nach Verbüßung seiner Strafe nicht einmal mehr in seine Pfarrstelle zurückkehren.

Unter Berufung auf die durch die sowjetische Verfassung garantierte Gewissens­freiheit verlangen wir die Wiedergutmachung erwähnter Verstöße gegen die Religionsfreiheit und hoffen, daß sich dergleichen nicht wiederholen möge. Wir bitten hierbei um folgendes:

1.         Priester A.Šeškevicius wieder in seiner Pfarrei einzusetzen,

2.         die im Gefängnis einsitzenden Priester freizulassen,

3.         die Priester nicht daran zu hindern, den Kindern Religionsunterricht in der Kirche zu erteilen,

4.         der Leitung des Priesterseminares nicht vorzuschreiben, wieviel Priesteran­wärter aufzunehmen seien.

Wir vertrauen darauf, daß die Sowjetergierung unsere Anliegen gemäß der Ver­fassung wohlwollend beurteilen wird.

Dieses Gesuch wurde von 190 Gläubigern unterzeichnet und im April 1972 an den Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR gesandt. Für ein Antwortschreiben wurde folgende Absenderadresse beigefügt: Jonas Lipeika

Litauische SSR, Rayon Molėtai Poststation Stirniai, Dorf Mindūnai.