An den Vorsitzenden des Ministerrates der Litauischen SSR, J. Maniušis Kopien: An die litauischen Bischöfe: J. Labukas in Kaunas, J. Pletkus in Telšiai, L. Povilionis in Kaunas, R. Krikščiūnas in Panevėžys und V. Slad­kevičius in Nemunėlio Radviliškis, den Kanoikus J. Andrikonis in Vievis und an die Erzbischöfliche Kurie von Vilnius (Wilna).

Erklärung

des Bischofs Julijonas Steponavičius, wohnhaft: in Žagarė, Rayon Joniškis

Das fünfzehnte Jahr geht ins Land, seit ich von meinen Amtspflichten ent­hoben und mir von der administrativen Verwaltung die Stadt Žagarė im Rayon Joniškis als Zwangsaufenthalt zugewiesen wurde. Die Amtsenthe­bung ist durch keinerlei Anklage begründet worden. Bis heute weiß ich nicht, was ich mir habe zuschulden kommen lassen, weshalb und für wie lange Zeit ich aus meinem Bistum verbannt worden bin. Zwar hatte mir der damalige Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, J. Rugienis, erklärt, daß dies auf Beschluß des Ministerrates der Litauischen SSR geschehen sei, doch meiner Bitte, mich mit dem Wortlaut dieses Beschlusses bekannt zu machen bzw. mir eine Abschrift zukommen zu lassen oder ihn mir wenigstens vorzu­lesen, ist der Beauftragte nicht nachgekommen. Um mich rascher loszuwer­den, griff er zu Zwangsmaßnahmen, indem er sich der administrativen Voll­zugsorgane bediente. Unter dem Druck letzterer mußte ich Vilnius und die Grenzen des Vilnaer Bistums verlassen. Noch immer bin ich darüber im Un­klaren gelassen, ob meine Amtsenthebung auf Grund des Beschlusses des Ministerrates der Litauischen SSR erfolgte oder auf der Eigeninitiative des Beauftragten für Religionskulte beruht.

Während meiner Amtszeit habe ich mich stets bemüht, die Pflichten eines Bischofs — des Oberhirten seiner Gemeinde — gewissenhaft wahrzunehmen, indem ich mich um die geistlichen Belange der Priester und Gläubigen küm­merte. Ich bin mir nicht bewußt, die sowjetischen Gesetze übertreten zu haben. Ich habe zu keiner Zeit und an keinem Ort jemals etwas gegen die Sowjetunion und gegen die sowjetische Verfassung Gerichtetes gesagt oder getan.

 

Auf Wunsch der sowjetischen Regierung reiste ich nach Ungarn und hielt nach meiner Rückkehr im Radio einen Vortrag. Stets war ich der Einladung, an Friedenskonferenzen teilzunehmen, gefolgt. Ich bemühte mich, Priester und Gläubige zu beschwichtigen, wenn sie durch administrative Einmischung in das Kirchenleben verärgert wurden. Ich mußte auch meine Befugnisse der Jurisdiktion verteidigen, als der Beauftragte für Religionskulte mir diese durch administrative Maßnahmen einschränken wollte. Nachstehend folgen die Beweise für diese Einmischungen auf administrativer Ebene:

1. Als ich im Januar 1958 das Amt eines Apostolischen Administrators des Erzbistums Vilnius mit den Rechten eines residierenden Bischofs übernahm, wurde mir von dem Beauftragten für Religionskulte aufgegeben, die Priester dahingehend zu instruieren, daß ihnen der Unterricht der Kinder, welche sich auf die Erstbeichte und auf die heilige Kommunion vorbereiteten, untersagt sei; desgleichen sei die Prüfung der Kinder in Gruppen untersagt, sie dürften nur einzeln geprüft werden. Auf meinen Einwand, daß Bischof K. Paltarokas bei seinem Besuch in Moskau diesbezüglich bei dem Ministerrat für religiöse Angelegenheit vorstellig geworden wäre und dort vereinbart worden sei, daß die Priester die Kinder in kleinen Gruppen auf die Erst-beichte und für die heilige Kommunion vorbereiten dürften, und dieser Be­schluß von ihm in einem Rundschreiben bekanntgegeben worden sei, er­widerte mir der Beauftragte, daß diese Vereinbarung ein Hirngespinst des Bischofs Paltarokas wäre. Daraufhin erklärte ich, daß ich an die Priester eine derartige Anordnung, die ihnen verbiete die Kinder für die Erstbeichte und die heilige Kommunion vorzubereiten und ihnen lediglich das Recht ein­räume, sie einzeln zu prüfen, nicht weiterleiten könne, da dies nicht mit meinem Gewissen als Bischof zu vereinbaren sei und dem Kanon des Kir­chenrechtes sowie den Anordnungen der erzbischöflichen Synode zuwider­laufe. Dies veranlaßte den Beauftragten mich zu warnen, daß eine Nichtbe­achtung seiner Anordnung gegen die Priester und den Bischof gerichtete Sanktionen nach sich ziehen werde. Tatsächlich wurden Priester, die sich nicht an die Anordnung des Beauftragten, was die Katechese für Kinder betraf, hielten, gerichtlich belangt und der Bischof erhielt ständig diesbe­zügliche Verweise.

2. Die Amtseinweisung und Versetzung der Priester gehört zu den Obliegen­heiten des Verwalters des Bistums. Der Beauftragte für Religionskulte stellt den in eine neue Pfarrstelle eingewiesenen Priestern einen Registrierungs­schein aus, damit sich die Priester an dem Ort ihrer neuen Pfarrstelle anmel­den können. Unter Ausnützung seines Rechtes, den Registrierungsschein aus­zustellen, begann der Beauftragte, sich in die Einweisung der Priester einzu­mischen. So darf die Einweisung eines Priesters nur in Absprache mit dem Beauftragten erfolgen. Außerdem wandte der Beauftragte Repressalien ge­gen einzelne Pfarrer an, indem er ihnen den Registrierungsschein wieder abnahm und verlangte, an ihrer Stelle andere Pfarrer einzusetzen, wobei den Drangsalierten keine andere Pfarrei zugeteilt werden sollte und sie somit ihrer seelsorgerischen Tätigkeit nicht nachgehen konnten. In der Regel wur­den die Pfarrer wegen rein kirchlicher Tätigkeiten gemaßregelt, so z. B. wegen Druchführung von Rekollektionen für Priester und Gläubige. Ich ver­teidigte die bedrängten Pfarrer. So war ich nicht mit ihrer Aussperrung von der seelsorgerischen Tätigkeit einverstanden, sondern versetzte sie an andere Pfarrstellen und berief an die freien Stellen solange keine anderen Pfarrer, bis die verfolgten Pfarrer von dem Beauftragten einen Registrierungsschein zur Anmeldung an dem neuen Ort erhielten. Die Verteidigung der zu Un­recht verfolgten Priester brachte mir des öfteren die Verwarnung ein, daß das Bistum bei Zuwiderhandlung gegen die Anweisungen ohne Bischof be­lassen würde.

Daß ich mich zu Recht der Verteidigung beschuldigter Priester angenommen habe, beweist der Umstand, daß heute von dem für Religionskulte zuständi­gem Amt den Priestern die Registrierungsscheine nicht mehr entzogen wer­den und von den Bistumsverwaltern nicht mehr verlangt wird, Pfarrer ohne Pfarrstellen zu lassen.

3.     Laut dem Kanon des Kirchenrechtes und den Dekreten des Apostolischen Stuhls sind die Priesterseminare dem Befugnisbereich der Bistumsordinarien unterstellt. Zu den Rechten der Ordinarien der in Litauen liegenden Bistümer gehört auch die freie ungehinderte Einsetzung der Leitung und der Lehrer­schaft an dem interdiözesanischen Priesterseminar zu Kaunas sowie die Auf­nahme und die Entlassung der Zöglinge. Ohne eine gesetzliche Legitimation hierfür zu haben, maßte sich jedoch der Beauftragte für Religionskulte diese Rechte an. Die endgültige Auslese der Priesterkandidaten wird somit nicht von der geistlichen Obrigkeit, sondern von dem Beauftragten und anderen Amtsträgern vorgenommen, die sowohl über die Tauglichkeit der in das Seminar einzutreten gewillten als auch der in dem Seminar lernenden jungen Leute befinden und die „Aussiebung" nach eigenen Kriterien vornehmen. Eine dieser schmerzlichen „Aussiebungen" mußte das interdiözesanische Prie­sterseminar zu Kaunas im Jahre 1958 über sich ergehen lassen. Damals wurde auf Befehl des Beauftragten der Rektor entlassen und einige Lehrer sowie eine nicht geringe Anzahl von Schülern entfernt, unter ihnen auch der Kleri­ker des Erzbistums Vilnius, Vytautas Merkys, dem von dem Beauftragten eine antisowjetische Haltung vorgeworfen wurde. Priester Vytautas Merkys trat nach seiner Entfernung aus dem Seminar in die Landwirtschaftsschule ein. Nach einem vorbildlichen Studium erwarb er sich einen guten Ruf als fleißiger und gewissenhafter Arbeiter in der Vilnaer Baumschule und ist nun seit einigen Jahren als Pfarrer in der Ukraine, in der Stadt Cmelnicki, tätig, wo er sich als pflichtbewußter Priester und loyaler guter Sowjetbürger be­währt. Als ich damals den zu Unrecht verfolgten Priester Vytautas Merkys zu verteidigen versuchte, wurde mir von dem Beauftragten mit Verbannung gedroht, wenn ich mich zum Anwalt eines antisowjetisch eingestellten Kleri­kers mache.

4.     Nicht außer acht gelassen wurde auch die Sphäre des rein religiösen Le­bens. 1960 teilte mir der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten mit, daß Kindern die Teilnahme an religiösen Zeremonien, wie das Dienen der Knaben als Ministranten und die Teilnahme der Mädchen an Prozessio­nen, untersagt sei; verboten seien außerdem: die Veranstaltung von Rekol-lektionen für die Gläubigen, ohne Regierungsgenehmigung Priester zum Bei­stand an Ablaßfesten einzuladen, der Besuch von Pfarrern bei den Gemeinde­mitgliedern ihrer Pfarrei, die weihnachtlichen Haussegnungen, den Priestern in größeren Grüppchen gemeinschaftlich die Rekollektionen vorzunehmen. Der Beauftragte befahl mir, alle diese Verbote schriftlich an die Priester weiterzuleiten, unter Hinweis auf die strafrechtliche Verfolgung bei ihrer Nichteinhaltung. Mir selbst indes wurden diese Verbote nur mündlich mit­geteilt.

Nach Anhörung dieser unrechtmäßigen und inkonsequenten Forderungen erkläre ich mich als Bischof der katholischen Kirche außerstande, diese an die Priester weiterzuleiten, und zwar aus folgenden Gründen:

a.     es ist meine Pflicht, die Gläubigen und die Priester in ihrer Religiosität und in ihrem geistigen Leben zu bestärken und nicht dem entgegenzuwirken. So verpflichten die Kanons des Kirchenrechtes und die Beschlüsse der Erz­bischöflichen Synode die Priester zur Teilnahme an Rekollektionen und ihrer Durchführung für die Gläubigen;

b.     es ist meine Aufgabe, die Gemeindemitglieder jeglichen Alters anzuhalten, an Gottesdiensten teilzunehmen und geflissentlich von den Mitteln des Seelen­heils — dem Gebet und den Sakramenten — Gebrauch zu machen;

c.     ich kenne kein sowjetisches Gesetz, welches Kindern den Kirchgang und die Teilnahme an liturgischen Gottesdiensten verbietet. Wenn die Staats­gesetze Kindern den Empfang der Taufe, der Firmung, der Altar- und Buß­sakramente nicht verbieten, dann fragt sich, auf welcher Grundlage ihnen die Teilnahme an liturgischen Gottesdiensten verboten werden kann, die viel weniger bedeutsam sind als der Empfang der Sakramente.

Schließlich garantiert das in der Verfassung der UdSSR verankerte und von der sowjetischen Regierung anerkannte Recht allen Bürgern ohne Alters­unterschied Gewissensfreiheit und die Freiheit der Ausübung von religiösen Kulten.

 

Meine Weigerung den Befehlen nachzukommen, führte alsbald zu meiner Entfernung von meinem Posten.

Die in dieser Erklärung unterbreiteten Fakten zeigen, daß während meiner ganzen Amtszeit nach Anlässen für meine Entfernung gesucht worden ist. Es wurde mir ständig meine Entfernung angedroht, falls ich mich weigern würde, die unrechtmäßigen Forderungen des Beauftragten für Religionskulte auszuführen und weiterhin auf meinen Rechten und denen meiner Gemeinde bestehen würde. Der Beauftragte beschimpfte mich als verstockt, uneinsich­tig und unloyal. Jedoch, wie kann denn die Verteidigung der Rechte, die den Gläubigen, den Priestern und mir zustehen, als Vergehen und Illoyalität ge­genüber der sowjetischen Ordnung angesehen werden? Auf meine letzte Eingabe aus dem Jahre 1972 an den Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR wurde mir von dem mit der Beantwortung meines Schreibens betrauten Beauftragten für Religionskulte, J. Rugienis, ausgerich­tet, daß ich fürs erste meine direkten Amtspflichten nicht ausüben dürfe. Ich hätte gerne erfahren, wie lange dieses „fürs erste" noch andauern wird? Nach Abs. 29 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR dürfen Verbannungen für ein bis fünf Jahre verhängt werden. Mir indes ist eine bislang über fünf­zehnjährige Verbannung beschieden, ohne daß mir ein Verschulden nachge­wiesen wurde, allein auf Grund von Fehlentscheidungen und Eigenmächtig­keiten des Beauftragten für Religionskulte sowie einiger Sicherheitsorgane. Ich bitte den Vorsitzenden des Ministerrates um Aufmerksamkeit für das mir zugefügte Unrecht und für die anormale Lage des Erzbistums Vilnius. Die Hauptstadt der Litauischen SSR, Vilnius, hat keinen Bischof. Das Erz­bistum Vilnius wird seit 15 Jahren von einem zeitweiligen Priester-Verwalter betreut, wohingegen die Russisch-orthodoxe Kirche, eine in unserer Republik in der Minderheit befindliche Konfession, ihren ständig in Vilnius amtieren­den Bischof hat. Durch diese anormale Lage im Erzbistum Vilnius werden Priester und Gläubige verärgert und die Unzufriedenheit geschürt. Die im Lande und außerhalb desselben deswegen gegenüber der Regierung erhobe­nen Vorwürfe bereiten der Regierung nur unnötigen Ärger. Unter Hinweis darauf, daß die Kirche zur Feier des Kirchenjahres an alle die Aufforderung gerichtet hat, Frieden miteinander zu schließen, und die Euro­päische Konferenz für Sicherheit und friedliche Koexistenz die Grundlagen für gegenseitiges Vertrauen und Religionsfreiheit geschaffen hat, wäre es zu begrüßen, wenn auch bei uns die Streitigkeiten beigelegt würden, damit Frieden und Vertrauen einkehren.

 

Ich hoffe, daß mir nach nochmaliger Uberprüfung meiner Verbannungsakte die Erlaubnis erteilt wird, das Amt eines Bischofs — Oberhirten seiner Ge­meinde — in dem Erzbistum Vilnius zu versehen.

Žagarė, 15. September 1975        Bischof Julijonas Steponavičius

Apostolischer Administrator der Erzbistums Vilnius