An den

Apostolischen Administrator des Erzbistums Kaunas und des Bistums Vilkaviškis, Bischof L. Povilonis

Exzellenz!

Am 10. März d. J. wurde der Gemeindepfarrer von Šlavantai, J. Zdebskis, in Vilnius von Milizorganen angehalten und nach Einschaltung einer medi­zinischen Kommission der Trunkenheit am Steuer beschuldigt. Pfarrer J. Zdebskis ist überall als Abstinenzler und Vorkämpfer gegen Al­koholmißbrauch bekannt. Bei diesem Vorfall handelt es sich, unserer Ansicht nach, daher um einen geplanten Angriff auf die Autorität eines Priesters. Bei reibungslosem Gelingen dieser Provokation wäre keiner von uns sicher, ob nicht er als nächster des Diebstahls oder sonstiger Delikte bezichtigt würde. Wir, die Pfarrer der Nachbargemeinden, ersuchen Eure Exzellenz daher, auf dieses Ereignis entsprechend zu reagieren, damit die verletzte priesterliche Autorität wiederhergestellt wird.

Unterzeichnet

von fünf Geistlichen des Dekanats Lazdijai.

An den

Vorsitzenden des Komitees für Staatssicherheit der Litauischen SSR Erklärung

von Gläubigen der Gemeinde Šlavantai, Rayon Lazdijai

Am 10. März 1975 wurde unser Gemeindepfarrer, Jouzas Zdebskis, in Vil­nius von dem Mitarbeiter der Verkehrspolizei (VAI), Jurevič, angehalten und beschuldigt, in trunkenem Zustand sein Auto gefahren zu haben. Auf Verlangen mußte er sich in die Nervenheilanstalt begeben, wo ein Proto­koll über erwiesene Trunkenheit aufgesetzt wurde, ohne eine Blutprobe vor­zunehmen, die Pfarrer Zdebskis ausdrücklich verlangt hatte. Die Fahrerlaub­nis wurde eingezogen, und in der Rayonszeitung erschien eine Meldung über den in Vilnius angehaltenen Pfarrer, der in trunkenem Zustand ein Auto gelenkt habe.

Wir, die Gläubigen der Gemeinde Šlavantai, wissen genau, daß unser Pfarrer niemals alkoholische Getränke zu sich nimmt. Das bestätigen auch die drei Mitfahrer, deren Aussagen bei dem Vorfall absichtlich unberücksichtigt blie­ben.

Eine so infame Verleumdung unseres Geistlichen trifft auch uns Religions­gläubige. Will man etwa auch auf diese Weise atheistische Propaganda be­treiben? Daher verlangen wir eine Untersuchung des gewissenlosen Verhal­tens der VAI und der Krankenhausmitarbeiter sowie die Rückgabe des Füh­rerscheins an Pfarrer Zdebskis. Wir bitten ferner, festzustellen und unsere Frage zu beantworten, wer daran interessiert war, daß die Mitarbeiter der VAI und des Hospitals ihre dienstliche Stellung so gewissenlos mißbrauchten. Die Antwort bitten wir direkt an Pfarrer J. Zdebskis in Šlavantai, Rayon Lazdijai, zu übermitteln.

308 (dreihundertacht) Unterschriften

Šlavantai, 19. Mai 1976

Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR Vilnius, Gogoliostraße 4 1976. 04. 05. Nr. 2/1541

An Jouozas Zdebskis

im Dorfe Šlavantai, Rayon Lazdijai

Nach Überprüfung der in Ihrer Eingabe vorgebrachten Umstände steht fest, daß Sie am 10. März d. J. in trunkenem Zustand ein Auto gesteuert haben. Das bezeugt das Protokoll über medizinische Begutachtung des Zustandes der Trunkenheit. Darin heißt es, die Untersuchung habe „leichte Trunken­heit" ergeben.

Angesichts dieser Umstände sind Sie durchaus zu Recht mit einer Geldstrafe von 30 Rubeln und Einziehung der Fahrerlaubnis für 18 Monate bestraft worden.

Die Staatsanwaltschaft sieht keine Veranlassung, gegen den Beschluß der In­neren Abteilung des Rayons Lazdijai über eine Bestrafung auf administra­tivem Wege wegen Trunkenheit am Steuer Protest einzulegen.

Staatsanwalt für Allgemeine Aufsicht gez. V. Markevičius

An den

Generalstaatsanwalt der UdSSR in Moskau Erklärung

des Priesters Juozas Zdebskis, Sohn des Vincas, wohnhaft in Šlavantai, Rayon Lazdijai, Litauische SSR

Zu Ihrer Information teile ich nachstehend Einzelheiten über eine durch Or­gane des KGB mit Hilfe von Mitarbeitern der Verkehrspolizei und der Psy­chiatrischen Klinik Vilnius inszenierte infame Provokation mit. Am 10. März d. J. beförderte ich in meinem Personenkraftwagen Marke „Ziguli", poliz. Kennzeichen LLG 77-21, die erkrankte Zabelė Medonaitė und den sie begleitenden Vater Medonas (beide sind meine Pfarrkinder, ich selbst bin katholischer

Geistlicher). Als dritter Mitfahrer befand sich in dem Fahrzeug der Bürger Jonas Stašaitis, wohnhaft in Vilnius-Stalininkai, Vil­niusstraße 7.

Gegen zehn Uhr morgens wurden wir in Vilnius von den Beamten Jurevič der VAI (öffentliche Verkehrspolizei) angehalten, der erklärte, ich sei be­trunken. Nun wissen alle Pfarrer meiner Diözese und auch alle meine Ge­meindemitglieder, daß ich ein kompromißloser Abstinenzler bin. Eine Ärz­tin der Psychiatrischen Klinik, Vasarosstraße, setzte dortselbst, ohne, wie von mir ausdrücklich verlangt, eine Blutprobe zu entnehmen, ein Protokoll auf, in dem sie leichte Trunkenheit bestätigte. Die Folgen dieser nicht gewis­senhaft durchgeführten Überprüfung sind eine Geldstrafe von 30 Rubeln und Entzug des Führerscheins sür 18 Monate. Außerdem brachte die Rayons­zeitung einen Artikel mit der Behauptung, ich könne „der Anziehungskraft des Gläschens nicht widerstehen". Die Verfasser offenbarten damit sicher nicht nur ihre eigenen Absichten, sondern erniedrigten gleichzeitig die So­wjetmacht und ihre sowjetische Zeitung.

Ich ersuche um Ihre Intervention in dieser inzwischen zu trauriger Berühmt­heit gelangten Angelegenheit und bitte um Rückgabe meiner Fahrerlaubnis, die für die Wahrnehmung meiner Tätigkeit als Geistlicher von lebenswich­tiger Bedeutung ist.

gez. Pfarrer J. Zdebskis

23. April 1976

An den

Ministerrat der Litauischen SSR Durchschrift an

Seine Exzellenz Bischof L. Povilonis

Am 10. März wurde in der Stadt Vilnius das von Pfarrer J. Zdebskis ge­steuerte Auto der Marke „Ziguli" angehalten. Ein Verkehrspolizist beschul­digte den Fahrer der Trunkenheit, setzte sich selbst ans Steuer und brachte das Gefährt in die Psychiatrische Klinik.

Im Krankenhaus lief dann eine vorher sorgfältig einstudierte Komödie ab. Erster Akt — Feststellung von Trunkenheit durch Pulsfühlen. Der zweite Akt des Spektakulums bestand darin, daß man Pfarrer J. Zdebskis den Führerschein abnahm. Der Vorhang zum dritten Akt wird in 18 Monaten aufgehen, wenn Pfarrer J. Zdebskis versuchen wird, seinen Führerschein zu­rückzuerhalten.

Ich darf hier einige Worte über Pfarrer Zdebskis einfügen, dessen Name nicht nur unter Christen, sondern auch unter Atheisten gut bekannt ist. Ich habe ihn in Šlavantai aufgesucht und mich mit den Mitgliedern der dortigen Kirchengemeinde unterhalten. Alle sprechen mit Hochachtung von ihrem Pfarrer. Wie ein wahrer Vater hat er noch nie jemanden zurückgewiesen, der sich hilfesuchend an ihn wandte. Auch am Morgen jenes unglücklichen 10. März kam er deshalb zu Schaden, weil er im Dienst christlicher Nächsten­liebe ein Mitglied seiner Gemeinde, eine Invalidin, nach Vilnius brachte. Sein ganzes bisheriges Leben glich einer Kette guter Taten im Kampf für die Verwirklichung christlicher Ideale. Um weitere Einzelheiten zu ersparen, lassen Sie mich feststellen, daß er von den Gläubigen geliebt, von den Athe­isten dagegen verdammt und angeschwärzt wird.

Der Veranstaltungsregie des obigen Spektakulums mangelte es allerdings an Logik. Die Fahrt von Šlavantai nach Vilnius dauerte gut drei Stunden. Dem­nach mußte es zugegangen sein wie im Märchen — er fiel aus dem Bett und ersoff. Doch wie soll das einen Menschen treffen, den niemand jemals auch nur angetrunken gesehen hat. Bei dem Vorfall anwesende Zeugen konnten aussagen, daß Pfarrer J. Zdebskis weder am Vorabend noch am Morgen des Reisetages noch während der Fahrt selbst Alkohol zu sich genommen, ja noch nicht einmal von weitem gesehen hat.

Diese Version der gestellten Komödie ist daher unglaubwürdig. Die Veran­stalter glaubten wohl auch selbst nicht daran. Warum sonst hätten sie sich geweigert, eine Blutprobe zu nehmen und analysieren zu lassen?! Ihnen ist nur nichts Schlaueres eingefallen, um einen Geistlichen zu verleum­den. Doch gibt es bei uns viele solcher Schaustellungen, die schwer verständ­lich sind.

Zum heiligen Weihnachtsfest ist es Brauch, Tannenbäumchen zu schmücken. Unter dem geschmückten Baum brechen die Litauer am Heiligen Abend das

Brot der Oblate, vergeben und vergessen einander angetanes Unrecht. Ist doch die Heilige Nacht ein Fest der Familienversöhnung. Man gehe am Hei­ligen Abend durch die Stadt, und man wird fast in jeder Wohnung einen geschmückten Baum finden. Alles erscheint klar und schön. Nur kann ich nicht begreifen, warum die Litauer gezwungen werden, sich ihre Weihnachts­bäume auf verschiedene illegale Art und Weise zu besorgen. In den Ver­kaufsstellen gibt es — als wolle man die Religionsgläubigen verhöhnen — Weihnachtsbäume grundsätzlich erst zu kaufen, wenn man sie nicht mehr braucht — nach dem Fest.

Es bleibt unerklärlich, warum sich diese Komödie Jahr für Jahr wiederholt, zumal doch das Fernsehen der benachbarten Volksrepublik Polen, gut sicht­bar, schön geschmückte Weihnachtsbäume zeigt. Kurz, unsere „wissenschaft­liche Weltanschauung" befürchtet anscheinend, daß manchem an den Weih­nachtsbäumen vorzeitig ein Licht aufgeht...

Oder? Wieviel Ehre bringt es eigentlich dem Atheismus ein, wenn der Kreuzberg wiederholt verwüstet wird? Soll damit gar der atheistische Mis­sionsgedanke verdeutlicht werden? Denn noch nie hat man vernommen, daß Atheisten auch Teufelsbildnisse schänden! Im Gegenteil, diesem Zweig folkloristischer Kunstproduktion fühlen sich unsere Atheisten in besonderer Pietät verbunden.

Betrügt Euch doch nicht selbst.. . Die Ballons und Rabenflaggen, die bei einer Eurer Schaustellungen über der Kuppel der Garnisonskirche in Kaunas schwebten, symbolisierten doch weder den Erdball noch die ihn umkreisen­den Erdsatelliten, sondern einzig und allein den Haß der Atheisten auf die Religionsgläubigen...

„Die Kirche bekennt ehrlich und offen, daß alle Menschen, ob Gläubige oder nicht, dazu aufgerufen sind, am Aufbau dieser Welt mitzuwirken, in der alle zusammenleben müssen — doch ist dies nicht möglich ohne einen offenher­zigen und vernünftigen Dialog .. (Aus den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils.)

Ich wünschte nur, alle würden diese Aufforderung vernehmen, denn in dem jahrelang „wissenschaftlich" kultivierten Ackerland nimmt das Unkraut des Bösen leider nicht ab, sondern zu. Seine Früchte heißen: Trunksucht, Un­zucht, Ehescheidungen, Geschlechtskrankheiten, Strafkolonien für Minder­jährige und Gefängnisse. Sie zersetzen wie Pilzschaden die Fundamente un­seres Volkes. Selbst Mord an ungeborenen Kindern ist zum Bestandteil der sogenannten Familienplanung geworden.

Wer das Leben mit offenen Augen betrachtet, wird nicht verkennen, daß dort, wo es keine unvergänglichen Werte mehr gibt, nur noch Straßenlärm, Maschinengestampf und Viehgebrüll übrigbleibt — der Mensch aber wird ausgehöhlt und unfähig zu jeglicher schöpferischer Arbeit. Pfarrer J. Zdebskis hat im Kampf für das Gute und die Verwirklichung christlicher Ideale schon viel erleiden müssen. Die gegen ihn gerichteten neuen

Schikanen sind frische Wunden in den Herzen der Gläubigen. Ich ersuche den Ministerrat der Litauischen SSR, die zuständigen Stellen anzuweisen, daß die Veranstalter solcher Komödien in ihre Schranken verwiesen werden.

gez. Vytautas Vaičiūnas

Kaunas, im April 1976

(Der Brief ist gekürzt; — die Redaktion.)