HOCHVEREHRTE SEELENHIRTEN DER RÖMISCH­KATHOLISCHEN KIRCHE UND FREUNDE LITAUENS

An Seine Eminenz Kardinal A. Samore

An Seine Eminenz Kardinal J. Slipyj

Auf seinem Golgathaweg durch das Inselreich Gulag, die Breiten Sibiriens und die Weiten des Westens, sind unserem Volk viele außergewöhnliche Persönlichkeiten begegnet. Die einen standen uns bei, indem sie uns physisch und moralisch Hilfe leisteten, die anderen stärkten unser Volk durch ihr per­sönliches Beispiel heldenhafter Ausdauer im Leid, im Kampf für Gott und die elementarsten Menschenrechte. Solch hehren Gestalten und mutigen Her­zen gilt unser Dank und unser Flehen, daß Gott sie segnen möge. Zum Kreise dieser unserer guten Freunde gehören auch Sie, hochverehrte Seelenhirten, denen wir heute mit der Entschlossenheit, trotz allen Leides weiterzukämpfen, unser Herz ausschütten wollen, in der Hoffnung, angehört und verstanden zu werden.

Zu unserem Unglück werden alle, die nach Rom ausreisen, in Moskau ein­gehend instruiert und sind zu schriftlicher Berichterstattung nach der Rück­kehr verpflichtet. Objektive Informationen gibt es daher nur aus dem Unter­grund, und auch diese erreichen den Westen äußerst verspätet durch die „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" oder einzelne Touristen. Mit Unterstützung der sowjetischen Staatspropaganda und des Staatlichen Sicherheitskomitees verbreiten die Atheisten in aller Welt, in Litauen gebe es keinerlei religiöse Diskriminierung, in der Sowjetunion sei sogar der Be­griff eines politischen Gefangenen unbekannt.

Selbst einzelne Geistliche werden in diese Propagandamaschinerie hineinge­zogen.

Im vergangenen Jahr (1975) entsandte die Sowjetunion eine Delegation von Geistlichen verschiedener Religionsgemeinschaften in die USA, darunter auch Msgr. Č. Krivaitis, Administrator des Erzbistums Vilnius. Der beabsichtigte Zweck der Mission wurde dank der Demonstrationen der Ukrainer und Litauer nicht erreicht, vielmehr wurde die maskierte Kirchenverfolgung in der Ukraine und in Litauen vor aller Welt angeprangert. Doch blieb den Atheisten ein Teilsieg — die Kompromittierung eines hohen geistlichen Wür­denträgers in den Augen der Gläubigen. Die katholische Öffentlichkeit er­wartete, daß der Vorsitzende des Ordinarienkollegiums in Litauen, Bischof Labukas, seine Autorität nützen und den kompromittierten Geistlichen zum Rücktritt veranlassen werde. Doch leider wurde Msgr. Č. Krivaitis bei seiner Rückkehr in Vilnius von Priestern der Stadt, dem Bischof Dr. R. Krikšči­ūnas und dem Beauftragten für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, emp­fangen. Während des festlichen Mittagessens in seiner Villa außerhalb von Vilnius erklärte Msgr. Č. Krivaitis gegenüber Tumėnas: „Minister, Sie hatten mir eine sehr schwere Aufgabe gestellt." „Die Sie ehrenvoll gelöst haben", ermutigte ihn der Kultbeauftragte. Kaum war dieses Betrugsmanöver gescheitert, als die Atheisten auch schon mit einer neuen List bei der Hand waren. Vom Vatikansender erfuhren wir vom 41. Internationalen Eucharistischen Kongreß vom 1. bis 8. August. Als­bald verlautete gerüchtweise, eine Delegation aus Litauen, unter Führung mehrerer Bischöfe, werde aus diesem Anlaß in die Vereinigten Staaten rei­sen. Heute kennen wir auch die mutmaßliche Zusammensetzung der Dele­gation: die Bischöfe L. Povilonis, R. Krikščūnas und V. Sladkevičius, die Chorherren (Canonici) J. Meidus, Dr. V. Butkus, Česna sowie die Priester Pr. Račiūnas, J. Juodelis und Vyt. Sidaras.

Nach Ostern besuchte Bischof J. Labukas den in der Verbannung lebenden Bischof V. Sladkevičius und teilte diesem mit, der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, habe ihn (Bischof Sladkevičius) be­auftragt, eine Delegation zusammenzustellen. Hier sei daran erinnert, daß die Delegation nach Rom, zum Anlaß des Heiligen Jahres, von Tumėnas höchstpersönlich ausgesucht worden war. Ebenso bemerkenswert erschien die Tatsache, daß Bischof Labukas seinen Amtsbruder V. Sladkevičius in den 15 Jahren des unfreiwilligen Exils nicht ein einziges Mal besuchte. Bei der Anordnung von Tumėnas jedoch scheute er nicht vor der beschwerlichen Reise zurück, trotz seiner 88 Lebensjahre und verminderter Sehkraft. Unruhe bemächtigte sich der katholischen Öffentlichkeit nicht nur wegen der von Atheisten organisierten Delegation, sondern auch wegen der verehrungs­würdigen Person des verbannten Bischofs V. Sladkevičius. Ebenso deutlich wurde die Absicht erkannt, die langjährigen Häftlinge, Pr. Račiūnas und J. Juodelis, in den Augen der Gläubigen und der früheren Polithäftlinge zu kompromittieren. Natürlich war die passive Teilnahme der Delegation wie­der einmal eine Gelegenheit, dem Westen die angebliche Religionsfreiheit in der UdSSR und in Litauen zu beweisen.

Bischof Sladkevičius lehnte das Angebot ab und weigerte sich entschieden, nach Amerika zu reisen. Er verlangte die vorherige Wiedergutmachung des Unrechts — Rückkehr in sein Amt als Bischof von Kaišiadorys, nach 15jäh­riger Verbannung. Der Bischof lebt augenblicklich in menschenunwürdigen Umständen und wird von der geistlichen und zivilen Obrigkeit diskriminiert. Nach dem Tode des Gemeindepfarrers von Neu-Radviliškis, Br. Šukys, ord­nete die Kurie des Bistums Panevėžys auf Anregung der Regierungsstellen an, Bischof V. Sladkevičius habe das Amt des Gemeindepfarrers der kleinen Dorfgemeinde zu übernehmen und sich dort mit subalternen Routinefragen, wie etwa Kirchenreparaturen, zu beschäftigen.

Ende April wurde S. Sladkevičius eingeladen, Bischof Labukas in dessen Residenz in Kaunas zu besuchen. Er kam der Einladung nach und erklärte bei dieser Gelegenheit nochmals, unter den gegebenen Umständen nicht nach Amerika reisen zu können. Bischof Labukas erwiderte, in diesem Falle müsse Bischof V. Sladkevičius damit rechnen, „auf ewig" verbannt zu bleiben, und fügte hinzu: „Ich habe es denen ja gesagt, daß die Hun-Wei-Bin über dich herfallen werden!" (Mit diesem aus dem chinesischen Parteijargon Pekings entlehnten Spottnamen pflegten verantwortliche Beamte der bischöflichen Kurie und Professoren des Priesterseminars Kaunas eifrige und amtstreue Priester zu betiteln. Die „Verleiher" dieses „Titels" sind jedoch Mitarbeiter des Komitees für Staatssicherheit/KGB.)

Man versuchte, Bischof V. Sladkevičius gewaltsam in die von Tumėnas orga­nisierte Delegation einzubeziehen, und zwar aus mehreren Gründen: Man wollte den unbeugsamen Seelenhirten auf diese Weise vor den Gläubigen kompromittieren. Die Atheisten hassen Märtyrer und bevorzugen Deser­teure und Kompromißler. Bischof V. Sladkevičius selbst befürchtete wohl, man würde ihm die Rückkehr verbieten und ihn damit zwingen, in einem anderen Exil zu leben.

Anfang dieses Jahres hielt L. Tumėnas, als Beauftragter des Rates für reli­giöse Angelegenheiten, in allen Kurialverwaltungen Vorträge über die wirt­schaftliche Lage des Landes und die kirchlichen Angelegenheiten. Die Quin­tessenz seiner Ausführungen lautete in etwa: die Dekane sollten dafür sor­gen, daß die Pfarrer stillhielten und keine Proteste schrieben, dann werde man sich eventuell mit dem Vatikan über die Ernennung neuer Bischöfe eini­gen können. Er versprach den Druck einer begrenzten Anzahl von Gebet­büchern, lehnte die Herausgabe eines Katechismus jedoch kategorisch ab. Die Einstellung der zivilen Obrigkeit gegenüber der Kirche hat sich also nicht ge­ändert.

Kürzlich besuchte Kardinal Alfred Bengsch Litauen. Es heißt, daß Bischof Labukas zum Gegenbesuch nach Berlin eingeladen sei, unter Begleitung von Pfarrer Dr. Butkus, der sich des vollen Vertrauens der weltlichen Obrigkeit erfreut. Priester und Gläubige vermuten, daß die Sowjetmacht dem Aposto­lischen Stuhl einen Kompromiß vorschlagen wird: Wiedereinsetzung von Bischof Sladkevičius in sein Amt als Bischof von Kaišiadorys und Übergabe des Erzbistums Vilnius an Dr. Butkus — während Bischof J. Steponavičius für immer verbannt bleiben soll. Die Durchführung dieses Plans würde die leidvollste Tragödie im religiösen Leben unseres Landes heraufbeschwören. Dr. V. Butkus, Rektor des Priesterseminars Kaunas, ist ein aktives Mitglied der kommunistischen Bewegung der Friedensfreunde. Er reist unbehindert ins Ausland und verbringt wenigstens ein Drittel des Studienjahres außer­halb des Seminars, dessen geistiges und moralisches Niveau zu wünschen übrig läßt und alle mit Sorge erfüllt. Restriktionen der weltlichen Obrigkeit behindern die Quantität (Studentenzahl), während die Sorglosigkeit der gei­stigen Leitung die Qualität der Ausbildung beeinträchtigt. Auch gibt es viele Einwände wegen des Privatlebens des Rektors. Bereits vor einigen Jahren machte Pfarrer S. Tamkevičius Bischof Labukas schriftlich auf gewisse Hin­tergründe im Privatleben des Rektors aufmerksam. Doch bei uns gilt jetzt die Regel: wer der zivilen Obrigkeit genehm ist, unterliegt dem Kodex des kanonischen Rechts nicht mehr. Würde Pfarrer V. Butkus zum Bischof er­nannt, wäre das ein großes Unglück für die Katholische Kirche Litauens und ein großer Triumph der Gottlosen hinsichtlich der Zerstörung der Kirche von innen.

Hochverehrte Seelenhirten, treue Freunde unseres Volkes, bitte legt diese Beschwerde unseres Volkes dem Heiligen Vater zu Füßen.

am 9. Mai 1976, dem Sonntag des Guten Hirten

Die Redaktion der

„Chronik der Litauischen Katholischen Kirche"