Kaunas

Mitte August informierte der Rat für religiöse Angelegenheiten die Seminar­leiter, welchen Kanditaten die Regierung die Erlaubnis erteilt habe, im Priesterseminar zu studieren. Zum I. Philosophiekurs wurden 20 Kandidaten zugelassen, bei über 40 eingereichten Anträgen. Dies also nennt die „demo­kratischste" Regierung der Welt eine „Nichteinmischung" in die inneren Angelegenheiten der Kirche. 34

Sehr oft werden die Seminaranfänger umworben als KGB-Agenten zu arbeiten. Am eifrigsten bearbeitet werden die ängstlichen, prinzipienlosen und verschlossenen Kleriker. Die Sicherheitsbeamten vermeiden es, mutige und aufgeschlossene Jugendliche anzuwerben, damit die strafbaren Taten der KGB nicht aufgedeckt werden.

Leider wurden auch in diesem Jahr einige ungeeignete Kandidaten im Seminar aufgenommen und etliche passende Kandidaten abgewiesen.

Kaunas

An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der Litauischen SSR, K. Tumėnas.

Abschriften:

S.E. Bischof J. Matulaitis-Labukas

S.E. Bischof L. Povilonis

S.E. Bischof R. Krikščiūnas

Hochwürden Administrator Msgr. Č. Krivaitis

Hochwürden Administrator Pfarrer J. Andrikonis

Hochwürden Administrator Priester A. Vaičius

Eingaben

von Prof. Dr. Viktoras Butkus, Rektor des Priesterseminars von Kaunas.

Am 12. Juni 1976 veröffentlichte die Moskauer englische Wochenzeitung Moscov Nevs und am 21. Juli 1976 die französische Ausgabe Les Nouvelles de Moscou ein Interview des Rektors des Kaunaer Priesterseminars, Pfarrer Viktoras Butkus über die Situation der römisch katholischen Kirche in der Sowjetunion.

Später wurde dieses Interview von einer ganzen Reihe westeuropäischer sowie amerikanischer Zeitungen übernommen, Vakarinės Naujienos (Westliche Nachrichten) Nr. 124 vom 30. Mai 1977. Auch Radio Vatikan brachte dieses Interview mit ziemlich erbitterten Kommentaren. Diese Sendung hörte ich zufällig persönlich.

Zu dem, in meinem Namen veröffentlichten Interview nehme ich folgender­maßen Stellung:

Ich habe weder der englischen noch der französischen Ausgabe der „Moskauer Nachrichten" je ein Interview gewährt noch hatte ich je Kontakt zu dieser Wochenzeitung. Es ist mir bislang nicht gelungen zu klären, wer dieses angeblich von mir stammende Interview geschrieben hat. Bedauerlicherweise konnte ich auch weder die englische noch die französische Ausgabe der „Moskauer Nachrichten " einsehen und konnte so den Originaltext dieses Interviews nicht überprüfen. In dem von Radio Vatikan durchgegebenen Interview jedoch war eine ganze Reihe von Fehlern, die keinem Priester, umso weniger einem Seminarrektor unterlaufen würden.

In Bezugnahme auf all dies, bitte ich zu klären, wer dieses Interwiev in meinem Namen, ohne mein Einverständnis geschrieben hat, es dement­sprechend zu dementieren und alles zu unternehmen, daß sich in Zukunft solche Fälle nicht wiederholen.

Kaunas, 18. Juni 1977 Hochachtungsvoll

(Unterschrift) Prof. Dr. Viktoras Butkus

Kommentare

Es ist unwahrscheinlich, daß Dr. V. Butkus diese Eingabe ohne das Wissen und das Einverständnis des Sowjetbevollmächtigten für religiöse Angelegen­heiten geschrieben hat. Dies ist die landläufige Meinung fast aller litauischen Priester. So zu schreiben und für die Regierung unangenehme Eingaben zu verbreiten, wagten bislang nur die mutigsten Priester und nicht die gehorsam den Willen der gottlosen Regierung Ausübenden.

Dr. V. Butkus hat mit seiner Eingabe die „Moskauer Wochenzeitung" äußerst stark kompromittiert. Sogar für viel kleinere „Sünden" an der Sowjetregierung wurden schon Priester ihrer hohen Kirchenposten enthoben. Die Zukunft wird die Wahrheit an den Tag bringen: wenn Dr. V. Butkus auch weiterhin Rektor des Seminars bleiben darf und zu Friedenskonferrenzen reist, bedeutet dies, daß seine Eingabe nur ein politisches Manöver der gottlosen Regierung darstellt z.B. die „Chronik der LKK" und Radio Vatikan zu kompromittieren, die ja das Interview des Seminarrektors kommentiert haben.

Wenn die Eingabe von Dr. V. Butkus wirklich aufrichtig ist, so wäre es angebracht, daß auch andere seine oder vielleicht nur unter seinem Namen 36 veröffentlichten lügnerischen und die wahre Situation der litauischen katho­lischen Kirche verhüllenden Interviews widerrufen würden, z.B. das am 31. Dezember 1975 in der kommunistischen Zeitung Laisvéje (Freiheit) abgedrukte Interview.

Vilnius

Anfang 1977 druckte die Vaizdas-Druckerei das vor zwei Jahren vorbereitete Gebetbuch Visada su Dievu (Immer mit Gott). Die wahre Auflage ist nicht bekannt — es sollten ca. 60000 Exemplare sein. Die Buchbindereien ver­zögerten das Einbinden dieser Gebetbücher bis zum August, außerdem" machten sie ihre Arbeit sehr schlecht. Es unterliefen Gebetbücher, die schon nach dem ersten Aufschlagen auseinanderfielen. Die Schwarzhändler ver­kauften die Gebetbücher schon einige Monate vorher und verlangten 7-10 Rubel pro Exemplar.

Das lang erwartete Gebetbuch wird viele enttäuschen. Viele Gläubige werden es gar nicht zu sehen bekommen. Für unsere Jugendlichen ist es wegen seines großen unhandlichen Formates ungeeignet. Den eifrigen Katholiken ist es sicher zu wenig gehaltvoll. Manche werden die Gesänge zur Totenfeier, die Rosenkranzgesänge u.s.w. vermissen.

Vilnius

Am 18. - 23. August besuchten die Bischöfe aus Mainz, Erfurt und Berlin in Begleitung dreier Priester, Litauen. Die Gäste besuchten das Tor der Morgenröte und die Kathedralen von Panevėžys und Kaunas. Die litauischen Katholiken empfingen die Bischöfe sehr herzlich und bewiesen echt ihren Glauben — die Kathedrale zu Kaunas konnte am 21. August nicht alle Gläubigen fassen.

Die Sowjetregierung bezweckt mit diesem Besuch der Bischöfe vor der Belgrader Konferenz das Sklavendasein der litauischen katholischen Kirche zu vertuschen. Den deutschen Bischöfen wurde sogar erlaubt, in der Kathe­drale von Kaunas das Firmsakrament zu spenden. Wann werden dies die litauischen Bischöfe J. Steponavičius und V. Sladkevičius tun dürfen?!

 

Kaunas

An das Komitee zum Schutze der Menschenrechte der Vereinten Nationen

Abschriften: an den Generalstaatsanwalt der UdSSR und an den Staatsanwalt der Litauischen SSR

Klage

des Bürgers Jaugelis Virgilijus, Sohn von Vincas, wohnhaft in Litauen, Kaunas, Marx-Str. Nr. 40, Wohnung 1.

Am 23. Juni 1976 wurde ich gewaltsam und grundlos von einem Miliz-und einem Sicherheitsdienstbeamten auf der Straße in Raseiniai verhaftet. Sie zerrten mich in's Auto und wollten ohne Durchsuchungsbefehl an mir und meinem Koffer eine Durchsuchung vollziehen. Als ich mich weigerte, brachten sie mich aus der Stadt in einen Wald. Unterwegs versuchten sie, mir gewaltsam den Koffer zu entreissen, indem sie russische Flüche und Drohungen aus­stießen. Danach brachten sie mich in die Milizabteilung und nahmen mir den Koffer ab. Sie durchsuchten ihn und konfiszierten das Buch von A.Maceina Krikščionis pasaulyje (Christ in der Welt).

Als ich mich am 24. Juni 1976 an den Staatsanwalt wandte und wegen des erwähnten Vergehens klagte, erhielt ich erst am 2. September eine Antwort, daß die Angelegenheit zur Überprüfung an die Miliz sowie die Sicherheits­beamten von Raseiniai weitergegeben worden wäre, d.h. an diejenigen, die das Vergehen begangen hatten.

Daraufhin machte ich am 22. Dezember eine Eingabe beim Generalstaats­anwalt der UdSSR. Am 18. Februar 1977 erhielt ich den Bescheid, daß alles an den Staatsanwalt der Republik übergeben sei. Einige Zeit darauf wurde ich ins Sicherheitskomitee von Kaunas vorgeladen und ein Sicherheitsbeamter erklärte mir, daß das Buch einbehalten werde, da es „ideologisch schädlich" sei, außerdem hätte ich ja sonst die Gelegenheit es zu vervielfältigen.

Ich will hier nicht die internationalen Abkommen erwähnen, die die Achtung sowie Einhaltung der Grundrechte der Menschen garantieren und die auch von der Sowjetregierung unterzeichnet wurden, womit sie sich verpflichtet, diese Grundrechte einzuhalten und all' ihre Gesetze daraufhin abzustimmen. Ich bitte Sie nur inständig, mir zu helfen, das Buch wiederzubekommen und die zuständigen Personen (bzgl. der Verpflichtungen hinsichtlich der Menschen­rechte) darauf hinzuweisen, daß diese und ähnliche Dinge weder in meiner Heimat noch in der ganzen Sowjetunion weiterhin vorkommen dürfen.

Kaunas, 23. Juni 1977 V. Jaugelis

Kirdeikiai

Der Friedhof von Kirdeikiai befindet sich in einer sehr schönen Gegend, doch störte dieses Bild aufgeschichtete Haufen von Kränzen und Dreck, für die sich niemand verantwortlich fühlte. Der Gemeindepfarrer von Kirdeikiai P. Kražauskas bat die Gemeindemitglieder die Gräber in Erwartung des Muttertages herzurichten, und rief zum gemeinsamen Aufräumen des Friedhofs auf. Am 30. April räumten die Leute die Abfallhaufen weg. Sie freuten sich an ihrem sauberen Friedhof, jedoch erregte dies das Mißfallen der Direk­torin der Mittelschule Frau V. Rastenis und der Lehrer D. Baškytė, V. Blažiūnienė, Z. Misiūnas u.a. Und siehe da, am 11. Mai verkündete die Direktorin in der Schule, daß der Pfarrer die Gräber der Aktivisten zerstört habe. Die Leute waren sehr erstaunt, denn niemand hatte während der Arbeit noch später bemerkt, daß Gräber zerstört worden wären. Auf Bitten der Direktorin fuhr der Parteisekretär des Kolchos, Pranas Privariūnas, zwei Tage lang durch die Dörfer und versuchte die Leute zu überreden, daß sie bezeugen sollten, der Pfarrer habe ihnen befohlen die Gräber der Aktivisten zu zerstören. Jedoch war niemand bereit zu lügen, im Gegenteil, alle bezeugten, daß der Pfarrer nicht nur angeregt habe die Gräber der Verwandten herzu­richten, sondern auch die vergessenen und vernachlässigten Gräber zu ordnen. Die Leute amüsierten sich über die Anstrengungen der Direktorin und des Parteisekretärs, fiktive Zeugen zu finden. Da kein Zeuge aufzutreiben war, befahl P. Privariūnas einer psychisch kranken Frau auszusagen, sie habe gesehen, wie die Gräber zerstört worden wären. Auch Genė Maniušienė bezeugte dies, die Leute wunderten sich jedoch, wieso die Frauen dies bezeugen konnten, da sie während der Aufräumungsaktion ja nicht auf dem Friedhof gewesen waren.

Am 20. Mai wurde der Priester in die Staatsanwaltschaft des Rayons Utena beordert, wo er eine Erklärung dieses Vorkommnisses schriftlich niederlegen mußte. Der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees Labanauskas beschimpfte den Priester vulgär, daß er es gewagt habe, die Aufräumaktion auf dem Friedhof vorzunehmen, da ja der Friedhof dem Gemeinderat gehöre und der Priester deshalb kein Recht habe, sich um die Ordnung der Gräber zu kümmern. Schließlich drohte er, daß er im Rayon Utena Priester Kražauskas nicht dulden werde.

 

Gruzdžiai / Rayon Šiauliai

Oft beklagt sich der Gemeindepfarrer von Gruzdžiai, Juozas Vosylius, in seinen Predigten über die Gemeindemitglieder, daß sie die Kirche nicht besuchen und gottlos geworden seien. Es erhebt sich die Frage, wieso gerade in Gruzdžiai die Atheisten einen ihnen günstigen Ackerboden vorfanden?

Schmerzlich erinnern sich die Gläubigen daran, daß gerade Pfarrer Vosylius selbst es war, der die Kinder und Jugendlichen aus den Prozessionen ver­scheuchte. Auch dies bleibt unvergessen, wie 1973 Vikar A. Jokūbauskas die Kinder im Katechismus unterrichten wollte und vom Gemeindepfarrer auf alle erdenkliche Weise behindert wurde: die Kinder durften nicht zum Vikar kommen, das Kirchhoftor wurde versperrt, der Gemeindepfarrer verklagte sogar den Vikar vor dem Gemeinderat, weil er die Kinder unterrichtet habe.

Die Einwohner von Gruzdžiai beklagten sich beim Bischof, die Kurie jedoch reagierte nicht darauf.

Pociūnėliai / Rayon Radviliškis

Am 9. Juni 1977 suchten den Gemeindepfarrer A. Jokūbauskas das Mitglied des Litauischen ZK der KP Kraujelis, der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Raslanas und der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees A. Krikštanas, auf. Die Besucher versuchten den Pfarrer zu überzeugen, daß er kein Recht habe, die Kinder im Katechismus zu unter­richten. Der Pfarrer erklärte jedoch, daß die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion seine direkte Pflicht sei und er versuchen werde diese Pflicht eifrig zu erfüllen, auch wenn er dafür büßen müsse.

Der Vertreter des ZK der KP Kraujelis beschuldigte den Pfarrer, daß er die Leute zum sonntäglichen Kirchgang anhalte, denn hierdurch werde die Arbeit in der Kolchose gestört.

Der Pfarrer meinte, daß der Sonntag ein Ruhetag ist und es die Pflicht eines jeden Gläubigen sei, am Gottesdienst teilzunehmen. Wenn man außerdem den Menschen zwingen würde, monatelang ohne Pause durchzuarbeiten, dann würde er aufgerieben und ohne Begeisterung seiner Arbeit nachgehen, so daß diese dann nicht mehr effektiv sein könne.

Der Vertreter des ZK der KP Kraujelis drohte: „Wenn ich entscheiden dürfte, dann wären Sie, Hochwürden, ab heute abend nicht mehr im Amt — Ihnen würde die Arbeitserlaubnis entzogen."

 

Pavilnys / Rayon Vilnius

In der Nacht vom 18. - 19. Februar 1977 wurde die Kirche in Pavilnys beraubt, das hl. Sakrament entweiht, die Monstranz, Reliquienbehälter und einige Kerzenhalter gestohlen.

Kėdainiai

Am 16. Mai 1977 wurde Frau Janonis beerdigt. Die Schulkameradinnen wollten ihren Klassenfreundinnen mit der Teilnahme am Trauerzug ihre Anteilnahme am Tod der Mutter bekunden (sie wollten die Kränze tragen). Die Familie der Verstorbenen ist gläubig, deshalb wurde sie kirchlich beerdigt. Als die Direktorin der I. Mittelschule in Kėdainiai erfuhr, daß die Tote im Beisein eines Priesters zu Grabe getragen werde, verbot sie den Schülerinnen am Begräbnis teilzunehmen. Andernfalls würden sie das Examen nicht bestehen. Die eingeschüchterten Schülerinnen, einige wenige mutige ausge­nommen, verzichteten darauf am Trauerzug teilzunehmen.

Salos

Am 13. Juni 1977 wurde im Dorf Urliai Bronius Zuikis zu Grabe getragen. Seine Schwester bat den Pfarrer Lionginas Neniškis zum Begräbnis. Auch ein Orchester aus Rokiškis war bestellt. Als die Musikanten den Priester erblickten, sagten sie: „Wir werden nicht musizieren, wenn ein Priester zugegen ist. Dies verbietet uns der Rayonsekretär von Rokiškis Lukoševičius".

Trotzdem sie schon bezahlt worden waren, weigerten sich die Orchestranten den Priester zum Friedhof zu begleiten.

Svėdasai

1977 stellte Teodora Juodienė auf den Friedhof in Svėdasai auf das Grab ihrer Mutter, eine Statue der hl. Jungfrau Maria auf.

Der Gemeindevorsitzende Giedraitis vefaßte eine Anklageschrift, daß die Statue eigenmächtig aufgestellt worden sei, und zwang das Ehepaar, diese Akte zu unterschreiben. Im Juni 1977 wurde Frau Juodienė zum Exekutiv­komitee des Rayon Anykščiai vorgeladen. Die Rayonsverwaltung verlangte von ihr, die Statue bis zum 15. Juli d.J. zu entfernen (obwohl die Genehmigung zum Aufstellen der Statue vorlag), andernfalls würden dem Ehepaar die Abbruchkosten zu eigenen Lasten angerechnet.

Ceikiniai

Der Gemeindepfarrer von Ceikiniai, T. Karolis Garuckas, Mitglied der litauischen Helsinkigruppe, erhielt im Juni einen anonymen Brief der „Litauer", in dem ihm vorgeworfen wird, daß die litauische Helsinkigruppe Verbindungen zu den Moskauer Dissidenten haben, deren viele jüdischer Abstammung seien. Außerdem nimmt man Anstoß daran, daß der erwähnten Gruppe Dr. Finkelštein angehört. Höchstwahrscheinlich stammt dieser Brief von der KGB und stellt einen Versuch dar, die Helsinkigruppe zu sprengen.

Meškuičiai / Rayon Šiauliai

Der berühmte litauische Kreuzberg, der schon vielen Schicksalschlägen ausgesetzt war, blieb dieses Jahr, dank Gottes Vorsehung, verschont. Die Wunden, die ihm die Ungläubigen zufügten, verheilen langsam, doch die Narben bleiben. Am 2. Mai 1977 waren auf dem Berg bereits wieder 360 größere und kleine Kreuze aufgestellt. Welch' verschiedene Inschriften sind dort aufzufinden! Hier dankt jemand für seine Gesundheit und erbittet Hilfe für das Volk, dort fleht jemand um Bekehrung der Verirrten. Ein Kreuz stammt sogar aus Sibirien.

Noch sind die Wunden der letzten Zerstörung (November 1975) deutlich zu erkennen: herausragende eiserne Gerüste erinnern den Besucher an den Haß der Ungläubigen. Am Bergende sieht man drei verbogene Eisenstangen — dies waren ehemals auch Kreuze.

Im Zentrum steht inmitten von Kreuzen ein verkohlter Baumstumpf, das Überbleibsel eines Ahorns, der zu Unabhängigkeitszeit gepflanzt worden war und während der letzten Zerstörungskampagne abgesägt wurde. Der Baum wurde vernichtet, das Wurzelwerk jedoch blieb....

Bis heute gelang es den Atheisten nicht, den Glauben samt der Wurzel aus den Herzen der Menschen zu reissen und wird wohl auch nie gelingen. Neben dem Stumpf „erwuchs" ein neues schönes Kreuz mit einem alten metal­lenen Kruzifix. Das Kreuz wurde aus dem Stamm des abgesägten Ahorns geschnitzt, der (anscheinend) am Fuß des Berges gefunden wurde. Die Inschrift lautet: „2. Mai 1977. So ist es von Gott geordnet: sind die Wurzeln unbeschädigt, so wird der Baum wieder nachwachsen. Hier sind die Ungläubigen machtlos!"

Die Kreuze „sprießen" weiter. Auf dem Stein, der zum Gedenken des Auf­standes im Jahre 1963 errichtet wurde, meißelte jemand ein Kreuz. Liebe macht erfinderisch!

Žvirgždaičiai / Rayon Šakiai

Am 4. Juni 1977 begab sich eine Abordnung der Gemeinde Žvirgždaičiai nach Vilnius und übermittelte dem Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas ein Gesuch, das über 100 Gläubige unter­schrieben hatten. Dieses Gesuch befaßte sich mit der unrechtmäßigen Schlie­ßung des Gebetshauses und der Auflösung der Religionsgemeinschaft in Žvirgždaičiai. Die Gläubigen verlangten darin die Rehabilitierung ihrer verletzten Rechte, da die Gemeinde gegen kein Gesetz Verstössen hätte. Die Auflösung ihrer Gemeinde, sei ein Vergehen der örtlichen Behörde gegen die Grundrechte der Menschen.

Der Bevollmächtigte des Rates erklärte den Delegierten, daß die Schließung der Kirche und Auflösung der Gemeinde aufgrund des eigenmächtigen Errichtens einer Kirche auf dem Friedhof stattgefunden hätte. Die Gläubigen verteidigten sich, daß die örtliche Regierung sie überall verjagt habe — sogar aus dem Gemeindesaal, in dem der Gottesdienst abgehalten worden wäre. Sie waren ohne Obdach, da alles verbrannt wurde. Daraufhin hätten sie in einem Friedhofswinkel aus Brettern einen Schuppen aufgestellt und hätten sich dort zum Beten versammelt. Über die baubeschränkenden Gesetze hätten sie nichts gewußt, da diese derzeit nirgends veröffentlicht waren. Schon von alters her, herrschte in Litauen der Brauch, Kapellen und sogar Kirchen in der Mitte des Friedhofes auszustellen. Die Gemeindemitglieder hätten diese Tradition nur fortgeführt. K. Tumėnas wies die Delegation an sich in dieser Angelegenheit an die Rayonsverwaltung zu wenden. Am 11. Mai 1977 fuhren sechs Abgesandte mit einer Bittschrift nach Šakiai und trugen der Stellvertretenden Vorsitzenden des Rayons, Donata Noreikienė, ihr Anliegen vor. Auch diese Bittschrift hatten über 100 Leute unterzeichnet. Die Stellvertreterin nahm die Eingabe in Empfang und versprach zusammen mit dem Bevollmächtigten des Rates, K. Tumėnas, die Gemeinde aufzu­suchen, sich alles anzuschauen und die Sache zu überdenken. Nun warten die Gläubigen in Žvirgždaičiai ungeduldig auf ihr Erscheinen.

Slabadai / Rayon Vilkaviškis

Am 30. Juni 1977 kamen der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Ange­legenheiten Tumėnas und der Stellvertretende Vorsitzende des Rayons Vilkaviškis, J. Urbonas, nach Slabadai um die Kapelle zu begutachten. Sie wurden von den Gläubigen empfangen. Nach der Besichtigung der reno­vierten Kapelle verlangte K. Tumėnas die Kirchenbanner zu sehen — vielleicht wären dort antisowjetische oder Nationalmotive anzutreffen. Die Versammelten verlangten das Kirchenkomitee zu legalisieren und die Frage der Steuerabgaben zu klären, da der Stellvertreter des Rayons durch das Einbehalten der Steuergelder ihnen die Kapelle wegnehmen wolle. Der Bevollmächtigte des Rates, K. Tumėnas, versprach den Gläubigen, ihre Bitte innerhalb von sechs Monaten zu erfüllen.

Vištytis / Rayon Vilkaviškis

Bevor ein Priester die Nachbargemeinde, die in der Grenzzone liegt, besuchen darf, muß er bei verschiedenen Regierungsbehörden vorstellig werden: der Gemeindepfarrer, der einen anderen Priester zur Aushilfe anfordern will, ist verpflichtet, zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees zu fahren, um dort die Erlaubnis einzuholen. Nach der mündlichen Zusage (eine schriftliche wird nie gegeben), muß der Gemeindepfarrer zurückkehren und den Gemeindevorsteher aufsuchen, damit dieser das Einladungsformular unterschreibt. Danach muß das Formular jenem Priester zugestellt werden, der zum Ablaßfest kommen will. Daraufhin bringt dieser das erwähnte Dokument zur Rayonmiliz. Die Miliz wiederum nimmt Verbindung mit dem Sicherheitsdienst auf, der Sicherheitsdienst bespricht sich mit dem Stellver­treter des Rayons und erteilt dann nach 10 Tagen Bescheid.

Solche Kreuzwege waren dem Gemeindepfarrer von Kybartai, S. Tamkevičius, beschieden, als er am 7. August 1977 zum Ablaßfest nach Vištytis kommen wollte.

Als der Gemeindepfarrer von Vištytis, Hw. Montvila, die Rayonsverwaltung bat, Pfarrer Tamkevičius die Genehmigung zur Teilnahme am Ablaßfest zu erteilen, war der Rayonsvorsitzende Juškevičius einverstanden (der Stell­vertreter von Urbonas war im Urlaub). Die Dokumente wurden rechtzeitig der Milizabteilung zugestellt.

Nach 10 Tagen erfuhr der Gemeindepfarrer von Kybartai, S. Tamkevičius, daß ihm die Genehmigung verweigert werde.

· Warum? — fragte der Priester.

· Wir wissen es nicht, — antworteten die Beamten.

Daraufhin wurde der Leiter des Sicherheitsdienstes eingeschaltet. Dieser versuchte sich auf alle erdenkliche Weise herauszureden und gab vor, daß ein Aushilfspriester beim Ablaßfest ausreichen würde, daß es in Kybartai selbst viel Arbeit gäbe, u.s.w.

Nach dem Ablaßfest rief der Gemeindepfarrer von Vištytis, Montvila, den Stellvertreter Urbonas an und erkundigte sich, warum dem Gemeindepfarrer von Kybartai die Ausreisegenehmigung verweigert worden sei. Der Stell­vertreter gab zur Antwort, daß zum Ablaßfest in Vištytis nur ein Priester zugelassen sei und zwar der Gemeindepfarrer von Gražiškiai.

· Für einen Ablaß solchen Ausmaßes ist ein Priester nicht genug, wir brauchten mehrere, — bemerkte der Priester.

· Das fällt nicht in meine Kompetenz. Die Genehmigung wird vom Sicher­heitsdienst erteilt, — anwortete der Stellvertreter.

Žalioji / Rayon Vilkaviškis

Am 30. Juni 1977 fuhr bei der ehemaligen Kirche (jetzt zur Mühle umfunk­tioniert) in einer „Wolga", der Bevollmächtigte des Ra.es für religiöse Angelegenheiten, Tumėnas und der Stellvertretende Vorsitzende von Vilka­viškis, Urbonas vor. Viele Gläubige erwarteten sie und verlangten die Rück­gabe der Kirche und die Beglaubigung ihres Gemeindekomitees. Die Regie-rungsdelegaten versuchten die Gläubigen zu überzeugen, daß es doch viel bequemer sei mit dem örtlichen Transport in die Kirchen der anderen Ge­meinden zu fahren. Die Gläubigen jedoch bestanden auf ihrer Forderung, da ja der Direktor des Kollektivs sogar für die Begräbnisse kein Transport­mittel zur Verfügung stellen würde.

Energisch verteidigten die Leute ihre Rechte, besonders engagiert traten die Frauen für die Kirchenangelegenheiten ein (T. Kaminskienė, A. Burauskienė, J. Matulavičienė u.a.). Die Gäste bemerkten die Unruhe der Leute und da', sich die Gruppe ständig vergrößerte und die Forderungen zunahmen, ver­sprachen das Kirchenkomitee zu beglaubigen, bestiegen ihr Auto und fuhren davon.

Nach dem Besuch von K. Tumėnas und J. Urbonas begann der Terror. Ende Juni 1977 rief der Direktor des landwirtschaftlichen Experimentar-Kollektivs von Rumokai, Edvardas Adomavičius, den Brigadier der Traktor­brigade, Zenius Matulevičius, zu sich und überschüttete diesen mit Vorwürfen, wie er denn gläubig sein könne, wie er es habe wagen dürfen, das Gesuch zwecks Rückgabe der Kirche zu unterschreiben u.s.w. Aufgrund der prinzi­piellen Verteidigung seiner Ansichten wurde Zenius Matulevičius die Prämie von 200 Rubel gestrichen und die Vorbereitungen zu seiner Entlassung getroffen, da ja Gläubige keine Führungspositionen einnehmen dürften.

Nach dem Besuch von K. Tumėnas in der ehemaligen Kirche begann eine große Aktion. Auf Anordnung der Rayonregierung von Vilkaviškis, bereiteten die Leiter des landwirtschaftlichen Kollektivs von Rumokai die Mühle auf. Aus allen umliegenden Lagerhäusern wurden die Getreidereste angeschafft, damit die Mühle ihre Arbeit aufnehmen konnte.

Die Parteisekretärin stellte eine Liste jener Leute auf, die darum baten, daß die Mühle im Kirchengebäude untergebracht sei.

Die erbosten Gemeindemitglieder starteten eine Unterschriftenaktion und protestierten gegen die Willkür der Rayonregierung und der ortsansässigen Atheisten.

LETZTE NACHRICHTEN

Šiauliai

Am 23. August 1977 wurde die in Šiauliai wohnhafte Petkevičienė in das Vilnaer Sicherheitskomitee beordert. Dort wurde sie zwei Tage lang bzgl. des Strafprozesses von Balys Gajauskas vernommen. Das erste Verhör bestrittder Untersuchungsrichter Kazys. Seine Grobheiten und unverschämten Worte erinnerten an die grausamen Zeiten von Berija.

Auch ihr Gatte Petkevičius wurde verhört. Die Untersuchungsrichter schlugen dem Ehepaar vor auszuwandern.

Vilnius

Am 23. August 1977 um ungefähr 13 Uhr, verhaftete der Sicherheitsdienst auf dem Hauptbahnhof von Vilnius, Viktoras Petkus, Mitglied der Litauischen 46

Helsinkigruppe und einen jungen Mann (Name unbekannt). Nach dem Verhör wurde der junge Mann am nächsten Tag freigelassen. Nachmittags fand in der Wohnung von V. Petkus eine Hausdurchsuchung statt. Es wurden zwei Schreibmaschinen und viel Dokumentenmaterial mitgenommen.

Zur Zeit befindet sich Viktoras Petkus im Staatssicherheitsgefängnis: Vilnius, Leninstr. 40.

Vilnius

Zur gleichen Zeit wurde auch Wirtschaftsingenieur Antanas Terleckas verhaftet. Die Hausdurchsuchung dauerte vom Abend des 23. bis 17 Uhr des nächsten Tages. Sogar der Vorgarten wurde umgegraben. Es wurde viel verstecktes Material gefunden. A. Terleckas wurde nach einigen Tagen Haft entlassen und mußte ein Versprechen unterschreiben, daß er in Zukunft nichts gegen die Sowjetunion unternehmen werde.

Vilnius

Anfang Mai 1977 durfte der langjährige politische Häftling, Kęstutis Jokūbynas (zwei mal im Gefängnis, insgesamt 17 Jahre) nach Kanada ausreisen.

Nach seiner Ausreise begann der Sicherheitsdienst seine Verleumdungs­kampagne. Die besten Freunde und Kameraden von Kęstutis befürworteten seine Ausreise, denn in der Heimat drohte ihm der moralische Tod.

Kęstutis Jokūbynas ist ein Mensch von hoher Moral und ein echter Litauer, der sein ganzes Leben dem Wohle der Heimat geopfert hat.

Da K. Jokūbynas sehr viele russische Dissidenten persönlich kennt, wird er ein guter Vermittler zwischen den litauischen Aktivisten und den russischen Dissidenten sein. Die russischen Dissidenten sind nicht nur zahlreich sondern haben auch großen Einfluß in der Sowjetunion und im Ausland. Deshalb können sie uns Litauern, die wir einem kleinen Volk angehören, in vielem beistehen.

Die „Chronik der LKK" wünscht Kęstutis Jokūbynas Gottes Segen!