Alvydas Šeduikis ist der Organist der Kathedrale von Telšiai. Vor seinem Hause in der Pionierstraße stellte er einen Bildstock mit einem Rūpintojėlis (Fürsprecher, geschnitzte sitzende Jesusfigur) auf. Bereits einen Monat später, am 17. November 1977, verlangte die Vorsitzende des Exekutivkomitees von Teisiai, E. Janušauskienė, die Entfernung des Bildstocks, weil für seine Errichtung keine Genehmigung des Architekten vorliege. Šeduikis kam der Anweisung des Exekutivkomitees nicht nach, was zu Protokoll genommen wurde. Weiterhin wurde zu Protokoll genommen, daß auch Danutė Dargužaitė einen Bildstock auf dem Telscher Friedhof aufgestellt hatte. In diesem Falle fehlte die Genehmigung des Architekten allerdings nicht. Dargužaitė wurde jedoch vorgeworfen, den Architekten irregeführt zu haben, da in der vorgelegten Skizze des Bildstocks die Christusfigur nicht eingezeichnet gewesen sei. Gegen Bildstöcke ohne christliche Symbole hat man anscheinend nichts einzuwenden. Nachstehend bringen wir den vollen Wortlaut der beiden an den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegen­heiten gerichteten Schreiben, in denen A. Šeduikis für sein Recht zur Auf­stellung eines Bildstocks streitet:

Erklärung

Dem Betrachter von Photobänden, deren Sujet das litauische Dorf ist, sowie von Bildmappen mit Reproduktionen litauischer Landschaftsgemälde aus älterer Zeit, läßt ein stets wiederkehrendes Motiv der Kleinarchitektur in diesen Bildern keinen Zweifel aufkommen, daß es sich hierbei um Ansichten aus Litauen handelt und keinesfalls um die aus einem anderen Lande. Gemeint sind die kunstvoll verzierten Kreuze sowie die koplytėlės Bildstöcke in Form einer kleinen Kapelle) und Stogastulpiai (übedachte Bild­stöcke), stetige Begleiter des litauischen Menschen seit Jahrhunderten. In diesen wunderbaren Kunstwerken offenbart sich die schöpferische Kraft des litauischen Volkes. Diese Kunstwerke haben weltweite Anerkennung gefunden und Litauen in der Welt berühmt gemacht. Die Meinung einiger Kunstexperten soll nachstehend wiedergegeben werden. So schrieb B. Ginet-Pilsudsky im Jahre 1916: „In der 1. Hälfte des 19. Jhs. standen in Schemaiten die Kreuze so dicht beieinander, daß die Zwischen­räume kaum mehr als einige zehn Meter betrugen" (Archives suisses des traditions populaires, Band 20). Dies veranlaßte den polnischen Geographen V. Pol, Schemaiten als „heiliges Land Gottes" zu bezeichnen. Ein franzö­sischer Schriftstreller, der im Jahre 1926 Litauen bereiste, fand „die Vielzahl der Kreuze und Bildstöcke ganz erstaunlich. Sie stehen in jedem Vorgärtchen, an jedem Feldrain und an jedem Wege, ihre Mannigfaltigkeit ist unendlich, das verleiht ihnen einen großen Zauber" (J.Maudėre, Sous le ciel pale des Lithuanie). In der einschlägigen Literatur des 20. Jhs. wurde dieser ethno­graphischen Besonderheit Litauens stets die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, denn Litauen ist ohne seine Kreuze und Bildstöcke unvorstellbar.

So schrieb V. Czukievicz in der polnischen Zeitschrift Vysla: „Das in dieser Gegend entstandene Kreuz ist, daran besteht kein Zweifel, Ausdruck litauischer schöpferischer Eigenständigkeit, in seiner Gestaltung spiegelt sich das in vielen Generationen geprägte Schönheitsempfinden des litauischen Volkes wieder, Spuren einer alten Kultur sind in ihm lebendig geblieben." In unserer Heimat blieben keine so beeindruckenden Baudenkmäler erhalten, wie in den Hochkulturen der Sumerer, Ägypter und Inder, da jener Teil der aus Holz gefertigten Kulturdenkmäler, der in der Erde befestigt wurde, in unseren Breiten bereits nach vier bis fünf Jahrzehnten zersetzt war und die Kulturdenmäler selbst ebenfalls der langsamen doch steten Verwitterung ausgesetzt waren. Die Maler Čiurlionis und Žmuidzinavičius haben solche windschiefe Kreuze und Bildstöcke in ihren Gemälden dargestellt; vereinzelt begegnet man solchen vermorschten Holzkreuzen auch heute noch an alten Bauerhäusern oder an verlassenen Wegen. G. Salvatori L' Ahrt rustique populäre en Lithuanie hat das so ausgedrückt: „Diese Kreuze neigen sich und fallen um, sie werden wieder errichtet und zerfallen wieder, um nach hundert Jahren von einem einfachen litauischen Zimmermann aufs neue geschaffen zu werden." Bis in die heutige Zeit hat sich in den Mustern, der Ausschmückung, in der Symbolik sowie in den Standorten dieser holzge­schnitzten Kunstwerke die uralte Kunde einer vergangenen Mythologie erhalten; für Kunst und Wissenschaft sind sie als lebendige Relikte uner­setzlich. „In ihnen verköpert sich der Beweis für den zähen Überlebens­willen dieses kleinen und gleichermaßen großen Volkes, das sich gegen den scheinbar im Verein gegen des geschmiedeten Komplottes von Menschen und Natur auflehnt." Diese eigenständige Art des Schmuckstils, der ohne sich zu wiederholen und ohne starre Regeln, einer bis in heidnische Zeit zurück­reichenden Tradition folgt, ist das geistige, schöpferische Erbe, das unsere jetzige Generation mit den Urahnen verbindet.

In dieser Einleitung zum Bildband von A. Jaroševičius, 1912, erwähnte Dr. J.Basanavičius, daß in Litauen sich die Kreuze an den Wegen in verwahrlostem Zustande befänden. Doch damals wurden die Kreuze noch stets restauriert. Der Litauer hegte für sein Werk, den Rūpintojėlis (Den Fürsprecher) eine tiefe Zuneigung, er konnte ihm, der doch dem einfachen Manne aus dem Volke nachgebildet war, sein Herz ausschütten. Im Jahre 1925 schrieb A. Varnas in seinem Fotoband Lietuvos kryžiai (Litauische Kreuze), daß die mit reicher Ornamentik verzierten Kreuze immer mehr massiven Kreuzen aus Zement und Eisen weichen müßten. Und dennoch konnte J.Končius, der in den Jahren 1930-1934 weite Teile der Žemaitija (Schemaiten) bereist hatte, um die vorhandenen Kreuze und Bildstöcke zu inventarisieren, noch 1,3 dieser Kunstdenkmäler pro Kilometer feststellen. Zu der Zeit „glühten", wie es Frau M. Alseikaitė-Gimbutiene poetisch ausdrückte, ,,an Wegrändern und Gehöften noch viele Sonnen" (gemeint sind die Strahlenkreuze). „Welch ein gesegnetes unaufhörliches Drehen vollziehen all diese Kreuze, Räder, all diese kleinen und großen segmen­tierten Sterne, das ist ein stetes Sicherneuern, das ist Leben, das ist Symbol für alles, was dem Tode entgegensteht (M. Gimbutienė, Senoji lietuvių religija (Der alte Glaube der Litauer).

(S. 449)

Ein Bildstock am Hause Pionierstraße 9, errichtet Oktober 1977 von A. Šeduikis, Organist in Telšiai.

In den Stürmen des letzten Krieges sind viele Kunstschätze, darunter vor allem solche aus Holz, vernichtet worden. Und auch nach dem Krieg wurden, wie jedermann weiß, von Ortsansässigen aus Ignoranz und Mutwillen Kreuze und Bildstöcke beschädigt und vernichtet. Man trifft noch mancherorts auf solche verwahrlosten, zerfallenen Kreuze mit herausgebrochenen Ornamentik­teilen. Des öfteren ist an ihnen ein Metalltäfelchen angebracht mit der Auf­schrift, daß es sich um ein staatlich geschütztes Denkmal der Volkskunst handele. Doch was nützt so ein Täfelchen, wenn die Gläubigen nicht befugt sind, diese wertvollen Denkmäler der Volkskunst zu ersetzen und auch die angebrachte Metallplakette, Bildstock oder Kreuz, vor Räubern nicht zu schützen vermag. Wie kaum zu leugnen ist, bedeutet das Kreuz bzw. das mit Heiligenfiguren bestückte „Kapellchen" vor allem ein religiöses Symbol. Sie wurden ausnahmslos zu Memorialzwecken errichtet und sind deshalb Eigentum der Gläubigen. Erhalten bleiben können sie nur durch ihre Weitergabe von Generation zu Generation. Sie sind zum Bestandteil unseres katholischen Lebens geworden, mit diesem untrennbar verbunden, was Außenstehende nicht immer begreifen. Von manchen wurden sie seinerzeits als Rückkehr ins Heidentum interpretiert, und während der Zeit des Verbotes des litauischen Schrifttums und Gedankengutes wurden diese Kreuze verdächtigt, Erwecker völkischen Bewußtseins zu sein. Es nimmt daher nicht wunder, wenn der Generalgouverneur von Vilnius, Muravjov, am 8. Juni 1864 durch einen Erlaß „die Errichtung neuer und die Instandsetzung alter Kreuze an allen nicht eingesegneten Stellen" verbot. Ein solcher Erlaß war notwendig, da nach dem Aufstand von 1863 von den Angehörigen der gefallenen Aufstän­dischen nach altem Brauch entweder am Ort des Todes oder des Begräbnisses ein Kreuz bzw. Bildstock errichtet wurde; nicht aus politischen Beweggründen, sondern aus Ehrfurcht vor der ewigen Ruhestätte des Verstorbenen, des

Bruders oder Sohnes, taten sie dies. Lange konnte das Zarenregime besagtes Verbot nicht aufrechthalten: immer heftiger wandte sich auch in Litauen die von Westeuropa beeinflußte neuentstandene Intelligenz mit ihren Ideen gegen die Despotie, und gleichzeitig erwachte bei den Gelehrten und den Künstlern ein immer größeres Interesse für die alte litauische Kultur. Am 1. Dezember 1878 und dann nochmals am 14. März 1896 wurden neue Gesetze verabschiedet, die das Aufstellen von religiösen Symbolen aus Holz an Wegen, Feldern und anderswo wieder gestatteten.

Im Jahre 1910 brachten M.K. Čiurlionis und seiner Frau eine kritische Aufsatz­sammlung Lietuvoje (In Litauen) heraus, in der u.a. steht: „...bereits seit Urzeiten besitzt der Mensch ein Gefühl für die Kunst. ...Die Kunst nahm ihren Anfang in der Seele des Menschen, gleichzeitig mit seiner Entwicklung entwickelte und erstarkte auch sie... In den alten Bild­stöcken ist im Ansatz unsere zukünftige Architektur verborgen. Diese Holz­schnitzwerke werden befruchtend auf einen eigenen litauischen Stil von Gebäuden und Gegenständen einwirken... Man wird einst gewahr werden, und wenn es noch hundert oder zweihundert Jahre dauern sollte, daß die gestaltende Kunst der Litauer in der Seele dieses Volkes verwurzelt ist. Der besondere, außerordentliche Beitrag der Litauer zur europäischen Zivilisation wird, wenn nicht in anderem, so doch bestimmt in ihrer künstlerischen Leistung bestehen." (V. Landsbergis, Čiurlionio dailė (Die Kunst von Čiur­lionis, Vilnius 1976). Die Volksseele des Litauers, die im Christentum durch ihre Strahlenkreuze neu erblühte, kann im Generationenwechsel nur in christlicher Geisteshaltung weiter bestehen. Die Kreuze, welche zur Segnung der Fluren, Gewässer und Häuser errichtet wurden, sind die ungewöhnlichsten, poetischsten, die am meisten verzierten, die am reichsten mit Skulpturgruppen bestückten, sie pflegen am tiefsten die aus den ältesten Zeiten unserer Kultur überkommene Überlieferung. „Eine der wunderbarsten Volksschöpfungen, der Rūpintojėlis (V. Rimkus, in Laudis Kūryba»Volkskunst«, B.I.S.54, Vilnius 1969) ist nach dem Urteil vieler Ethnographen, Kunsthistoriker und Soziologen ein Meisterwerk der Volkskunst und wurde in den ethnographischen Weltatlas aufgenommen. Unter Berufung auf die in der Wissenschaft haupt­sächlich vertretene Meinung schreibt V. Glaunė (Volkskunst, B.I), daß die Volks­künstler den gefangenen Christus aus der Leidensgeschichte als Motiv für ihre Schnitzwerke gewählt haben. Die sitzende Christusfigur, das Haupt meist mit einer Dornenkrone in die Hand gestützt, ist voller Ruhe und Einsamkeit, ihr fühlt sich jeder Gläubige nahe. Dem Rūpintojėlis sind viele schöne Verse gewidmet worden, die besten Gefühle des Dichters gelten ihm:

Oh, Herrgott, sind unsere Gebete,

Weswegen Du vom Himmel an den Feldrain kamst,

Oder haben Dich die klaren Herbstnächte

Aus unserer Erde erträumt...

(V. Mykolaitis-Putinas: Rūpintojėlis in Gedichtband von 1973)

Da die Gläubigen einen großen Teil der litauischen Sowjetgesellschaft aus­machen, ist es nicht verwunderlich, wenn auch heute noch nach alter und bedeutungsvoller Volkstradition an den Häusern, auf Friedhöfen und anderswo schöne Bilstöcke und verzierte Kreuze aufgestellt werden. Das bedeutet, daß die Volkstradition noch lebendig ist, man muß sie nur unterstützen und pflegen. Deshalb ist es schmerzlich, wenn in dieser Sache die örtlichen Befugnisorgane bürokratisch vorgehen.

Im Oktober 1977 stellte ich bei dem Hause, in dem ich mit meiner Familie wohne, einen überdachten Bildstock auf. Kurz darauf erschien bei uns die Vorsitzende des Exekutivkomitees des Sowjets der Werktätigendeputierten von Telšiai, E. Janušauskienė, in Begleitung des Rayons-Architekten. Inspektor L. Uniokas; sie nahmen das eigenmächtige Bauvorgehen zu Proto­koll; den Bildstock sollte ich wieder entfernen. Dieser Beschluß wurde vom Exekutivkomitee in einer Sitzung vom 12. Dezember rechtskräftig. Im Zivil­gesetzbuch, Art. 114, steht über die Aufstellung von Kreuzen und Bildstöcken an Wohnhäusern sowie über die Verschönerung der Wohnumgebung nichts. Darüber hinaus gab die Kurie von Telšiai in einem an die Gläubigen gerich­teten Rundschreiben, Nr. 557, vom 11. Oktober 1954 bekannt: „Das Aufstellen von Kreuzen ist sowohl in Kirchenvorhöfen und Friedhöfen als auch in den Höfen der Gläubigen erlaubt." Dies wurde in einem weiteren Schreiben der Kurie, Nr. 227, vom 7. Dezember 1972 nochmals bestätigt, und diese von den Gläubigen zur Kenntnis genommenen Schreiben sind auch nicht wider­rufen worden. Die Aufstellung von Bildstöcken hat in Litauen eine alte Tradition, schon aus diesem Grunde halte ich die gegen mich gerichtete Anklage für ungerechtfertigt. Ebenfalls ungerechtfertigt erscheint mir die Anschuldigung, den Bildstock ohne Genehmigung des Rayonarchitekten aufgestellt zu haben, weil zur Verschönerung der Wohnumgebung eine besondere Architekturgenehmigung gar nicht notwendig ist. Am 17 November wurde der ähnliche Fall von Danutė Dargužaitė, wohnhaft in Telšiai, zu Protokoll genommen. Ihr wird zur Last gelegt, am Grabe ihrer Angehörigen ein „Kapellchen" mit holzgeschnitzten Maria- und Christus-Figürchen aufgestellt zu haben. Obwohl sie hierfür die Genehmigung des

Rayonarchitekten eingeholt hatte, will die Stadtverwaltung diesen Friedhof­bildstock abreißen lassen. Derartige Willkür ist in Telšiai bisher noch nicht vorgekommen, und ich werde mich mit einem solchen Vorgehen nicht abfinden. Wieso können sich die Vertreter der Sowjetregierung solche Gesetzesüberschreitungen erlauben, wo doch die sowjetische Verfassung, Art. 52, die volle Freiheit der Religionsausübung und der Gewissensfreiheit garantiert. Hinzuweisen ist ebenfalls auf den Verfassungsartikel 68, der geschichtliche und kulturelle Werte schützt, darunter fallen auch die uns Gläubigen so teuren, nach sowjetischem und internationalem Recht unter Schutz gestellten Kreuze mit Ornamentik, die „Kapellchen" und überdachten Bildstöcke.

Ich bitte, diese Erklärung als Hinweis auf den geschichtlichen, ethnogra­phischen, religiösen und architektonisch-künstlerischen Wert des Bildstocks aufzufassen und weiteres eigenmächtiges Vorgehen der örtlichen Exekutiv­organe zu unterbinden.

Alvydas Šeduikis

Am 12. Dezember 1977 faßte das Rayon-Exekutivkomitee von Telšiai den Beschluß, A. Šeduikis und D. Dargužaitė „zur Demontage der unrechtmäßigen Aufstellungen zu verpflichten, und zwar innerhalb eines Monats vom Tage des Beschlußerhalts an. Falls die Aufsteller innerhalb der gesetzten Frist die Demontage nicht vollzögen, werde der öffentliche Ausführer von Bauvorhaben mit der Demontage beauftragt werden." Der Beschluß ist vom Stellvertretenden Vorsitzenden des Rayon-Exekutivkomitees, V. Tamašauskas, und der Sekretärin, O. Liubavičienė, abgezeichnet.

Zweite Erklärung

Vor einem Monat, am 14. Dezember 1977, habe ich Ihnen eine Erklärung zugesandt. In der Annahme, daß Sie besagte Erklärung nicht erhalten haben, sende ich Ihnen den Text noch einmal. In der hier vorliegenden Erklärung möchte ich hervorheben, daß die Aufstellung eines Bildstocks zu einer ungesetzlichen Reaktion seitens der Verwaltung von Telšiai geführt hat. In dem Beschluß Nr. 323 des Exekutivkomitees des Volksdeputiertensowjets wurde der Bildstock, wie aus beiliegender Kopie des Beschlusses hervorgeht, mit einer Feldküche, einer Garage verglichen, deren eigenmächtige Errichtung der Bestrafung nach Art. 114 des Zivilstrafgesetzbuches der Litauischen SSR unterliegt. Dabei steht doch in erwähntem Artikel auch nicht die leiseste Andeutung von einem Verbot der Aufstellung von Kreuzen bzw. „Kapellchen" an Wohnhäusern.

Die Anhaltspunkte für eine solche Vergleichung sind mir schleierhaft. Den Sitzungsteilnehmern wurden weder die Fotos des überdachten Bildstocks noch die technischen Grundrisse vorgeführt. Ohne eine diesbezügliche sach­dienliche Erläuterung anzuhören oder mir zu erlauben, die an Sie gerichtete Erklärung vorzulesen, wurde die Entfernung des Bildstocks aus dem Hof einstimmig beschlossen.

Nicht genug damit, in der zweiten Dezemberhälfte 1977 haben sich die Referenten von atheistischen Vorträgen auf öffentlichen Versammlungen über meine Person ausgelassen. Hierbei wurden Äußerungen laut, daß der Orgeldienst in der Kathedrale von einem „gefährlichen Verbrecher", einem Kirchenspeichellecker versehen würde, dessen Umgang man meiden solle, als Chorleiter würde er die Kinder vom rechten Wege lenken, u.v.m. Auf diese Art informierte man über mich die Lehrerschaft, die städtischen Gewerk­schaftsleiter, ja selbst Ärzte nebst übrigem medizinischen Personal sowie Schüler und Eltern. Dabei kennen mich die sich über mich in Andeutungen ergehenden Referenten überhaupt nicht, nicht einer von ihnen ist jemals mit mir in Berührung, geschweige denn ins Gespräch gekommen. Auch wurde ich zu keiner einzigen der im geschlossenen Kreis bzw. öffentlich abgehaltenen Vorträge, in denen ich dann angeschwärzt wurde, eingeladen. Folglich tragen die dortselbst gegen meine Person gerichteten Verlautbarungen den Charakter von Verleumdungen, deren Ziel es ist, den „Aufsteller von Bildstöcken" fertigzumachen.

Mit einer derartigen Stimmungsmache bei den Bürgern der Stadt, insb. bei den Intellektuellen, verfolgen die Atheisten noch ein besonderes Ziel, und zwar in Hinblick auf meine Frau, die als diplomierte Absolventin des Konser­vatoriums keine ihrer Ausbildung gemäße Anstellung erhält. Durch meine Verunglimpfung versucht man eine Rechtfertigung vor der Stadt öffentlichkeit, und, wenn es sein muß, auch höheren Orts, weswegen das Ehepaar Šeduikis nicht zu vergesellschafteter Arbeit herangezogen werden kann.

Übrigens besteht in der Kathedrale von Telšiai gar kein Kinderchor, obwohl die Atheisten den Bürgern der Stadt die Existenz eines solchen weismachen möchten. Doch vielleicht könnte dies tatsächlich als Anregung zur Gründung eines solchen dienen. Nur bedürfte die Verwirklichung des von den Atheisten gemachten Vorschlags nicht nur der Unterstützung durch die Kirchenleitung, sondern auch Ihres, des stellvertretenden Ministers, Zutuns. Doch vorläufig, wenn sich die Kinder mit ihren Eltern oder mit anderen Begleitpersonen bei der Orgel aufstellen, so steht es mir nicht zu, den Gläubigen vorzuschreiben, wo und in welcher Form sie sich einen Platz zum Beten aussuchen sollen.

Das ungewöhnliche Benehmen einiger Lehrer den Kindern gegenüber geht auch mich an. Kinder, die zur Kirche gehen, werden ständig verhört, man befragt sie, ob sie bei der Messe dienten, im Chor sängen, man macht Rundfragen über die Häufigkeit der Kirchenbesuche und über den Bekannten­kreis der Kinder. Das schafft eine Atmosphäre der scheinbaren Gesetzüber­tretung durch die Kinder, sie werden gezwungen, ihre Kirchgänge als schuld­haftes Vergehen zu betrachten.

Eine derartige Art der Kampfführung gegen die Gläubigen ist schon längst von verantwortlichen Vertretern der Sowjetunion, der Europäischen Länder und von den USA in der Helsinki-Konferenz verurteilt worden. Artikel 52 der neuen sowjetischen Verfassung verbietet das Aufstacheln zum Haß im Zusammenhang mit religiöser Überzeugung. Laut Gesetz sind atheistische Propaganda einerseits und Hetze zu Unduldsamkeit und Unfrieden gegenüber den Gläubigen andererseits, zwei diametral entgegengesetzte Grundhaltungen.

Wir leben im ausgehenden 20. Jahrhundert. Zum ersten Mal versteht sich die Welt, dank der durch die Massenmedien geleisteten Information, als Gottes Volk. Zum ersten Male ist der Mensch auf dieser Erde wirklich erhöht, ihm ist die Gewissensfreiheit, die Freiheit Gott zu erkennen und zu bekennen, zugesichert. Die Menschheit sehnt sich danach, endlich Liebe und Brüderlichkeit ohne Ansicht von Bekenntnis und Hautfarbe zu verwirklichen. Doch die atheistischen Referenten von Telšiai leben noch immer in veralteten Haßvorstellungen und bedienen sich gesetzeswidriger Mittel zur Verun­glimpfung der Gläubigen; weshalb erlaubt man ihnen eine solche Mißachtung der Gesetze?

Im Zusammenhang mit dem Dargelegten, bitte ich die Verantwortlichen zur Ordnung zu rufen, die mich und andere Gläubige kränkenden Aussprüche zu widerrufen und das Benehmen der Atheisten einer richtigen Einschätzung zu unterziehen. Ich bitte, den bei meinem Hause aufgestellten Bildstock nicht der Vernichtung preiszugeben, sondern in Zukunft ein Gremium von Sachverständigen mit der Beurteilung des künstlerischen Wertes von dekora­tiven Standmälern, die religiösen Zwecken dienen, zu beauftragen, damit sie nicht, wie hier geschehen, mit der Errichtung einer Feldküche oder Garage verwechselt werden können.

15. Januar 1978 Der Organist der Kathedrale von Telšiai, A. Šeduikis