Die Untersuchungen gegen Balys Gajauskas, die von Major Pilelis geleitet werden, sind abgeschlossen, und die Sache wurde dem Gericht übergeben. Es hat den Anschein, daß die Gerichtsverhandlung Ende Februar oder Anfang März stattfinden wird.

B. Gajauskas wird beschuldigt, mit dem Fonds Solženicyns und dem Archiv der Partisanen Litauens Verbindung gehabt zu haben. Nach Neujahr sind der Untersuchungsrichter Pilelis und der Oberst Kezys zum Sicherheits­dienst in Kaunas gekommen, um die Mutter und die Verlobte von Balys zu verhören. Wegen Erkrankung der Mutter ist der Untersuchungsrichter in die Wohnung gekommen. Laut Untersuchungsrichter Kezys wartet auf Balys eine Lagerstrafe von 10 Jahren.

Balys Gajauskas hat 25 Jahre in Lagern zugebracht und ist am Leben ge­blieben. Jetzt will der KGB ihn vernichten. Deshalb ist es eine heilige Pflicht aller Menschen guten Willens, sich für diesen guten, sauberen und ganz dem Vaterlande hingegebenen Litauer und Katholiken mit allen möglichen Mitteln einzusetzen. Balys Gajauskas kann mit Recht als ein Vorkämpfer des leidenden und Widerstand leistenden Vaterlandes bezeichnet werden. Wir hoffen und erwarten, daß unsere Brüder in der Emigration, insbesondere Simas Kudrika, der den Balys gut kennt, alles unternehmen werden, damit Balys Gajauskas befreit oder in das Ausland entlassen wird. Eine erneute Lagerstrafe würde für ihn dem Todesurteil gleichkommen.

Am 19. November 1977 wurde Povilas Petronis aus dem Lager entlassen. Er war 1974 verurteilt (s. „Chronik der LKK", Nr. 13) wegen Herstellung von Gebetbüchern und Vervielfältigung illegaler Literatur. Vor seiner Entlassung wurde er einen Monat lang psychologisch im Sitz des KGB in Vilnius bearbeitet.

Ona Pranskūnaitė verbüßt ihre Strafe in Koslovka. Ihre Adresse: Čuvačškaja ASSR, Koslovka, p/ja Jul 34/5a. Ona Pranskūnaitė näht in der Schneiderei Regenmäntel. Die Normen sind sehr hoch. Nach 8 Stunden Arbeitstag geht sie in eine andere Fabrik und näht Handschuhe. In einem Brief schreibt sie: „Meine Gesundheit ist schlecht. Möglich, daß hier das zarte Kerzlein meines Lebens erlöschen wird, aber niemals wird in meinem Herzen die Liebe zu Gott, meinem Vaterland und meinen Landsleuten vergehen. Ich bin zu allem entschlossen: zum Opfer, zum Leid, zum Tod.".

Aus den Briefen von Nijole' Sadunaite

„...meine .Verwöhnungen' in Bogucany sind zu Ende! Anderthalb Monate in der Schule, anderthalb Monate im Krankenhaus — genau drei Monate in Bogucany und die gute Nachricht: ich muß zum Dorf Irba hinfahren..." 20. Dezember 1977

„Das Dorf Irba ist von Bogucany 100 Kilometer entfernt. Bei gutem Wetter fliegt um 12,20 nach unserer Uhrzeit jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ein Flugzeug hin. Die Kühe werden mit den Händen gemolken, die Arbeit beginnt 4 Uhr morgens und dauert bis 22 Uhr ohne freie Tage. Es wird viel getrunken, zum Arbeiten ist niemand da..." 23. Dezember 1977

Nijolė Sadūnaitė berichtet, daß sie ins Krankenhaus gekommen sei, da sie. andauernd hohes Fieber habe: „Es werden Untersuchungen gemacht. Auf TBC und andere Krankheiten... Unerklärlich, daß der Leib weh tut. Das Fieber ist auf 380 angestiegen..."

„Von den dortigen Einwohnern habe ich genau erfahren, daß es einen rück­ständigeren und stärker verlotterten Sowchos als Irba nicht gibt. Das Getreide hat man verfaulen lassen, Viehfutter gibt es nicht, die Kälbchen sind bis zum 7. November ohne Aufsicht herumgeirrt, und jetzt, da sie nur mit Stroh gefüttert werden, verenden sie und auch die Kühe. Deshalb will man vom Gehalt der Aufseher entsprechende Abzüge machen. Für mich würde man ganz gewiß einen Prozeß für vorsätzliche Vernichtung des Vieh­bestandes veranstalten und das mit einer großen einklagbaren Summe. Löhne werden keine ausgezahlt. Einigen hat man seit Mai schon keinen Lohn mehr gezahlt. Es gibt keinen Buchhalter, es gibt keine Ordnung, statt­dessen Dreck, Ratten, Durcheinander. Die Menschen flüchten aus Irba. Wie die Einheimischen sagen: ,Bardak ne zizn tarn' (das ist ein Bordell und kein Leben)". 6. Januar 1978

„Aus dem Krankenhaus hat man mich entlassen. Die chronische Cholezy­stitis werde ich zu Hause mit Diät und Medizien kurieren. Meine Vorgesetzten haben mich vorläufig zum Wohnen und Arbeiten in Bogucany gelassen..." 11. Januar 1978

Die Briefe von Sadūnaitė sind voll von Gelassenheit, Freude und Liebe zu den Menschen. Sie schreibt, daß sie viele Briefe aus Litauen und aus dem Ausland bekommt — aus USA, England, Norwegen, Bundesrepublik Deutschland, Polen u.a. Aus dem Ausland kämen sogar kleine Päckchen. In ihrer Gefangenschaft hat Nijolė am 16. Mai 1977 den ersten Brief aus dem Ausland bekommen. Einen schönen Brief aus Italien haben die Mädchen des Lyzeums in Verona geschickt. Sie schreibenwenn Sie, was Gott verhüten möge, bis zum Ende leiden müßten, dann seien Sie versichert, daß es sehr viele Menschen gibt, die mit Ihnen und für Sie leiden... unsere Gedanken werden immer bei Ihnen sein, besonders wenn wir beten..."

Petras Plumpa schreibt:

„Sich wegen Vorenthaltung von Briefen bei dem Vorsitzenen der Tschekisten zu beklagen, ist überflüssig, denn alles wird mit seinem Wissen getan. Wir wurden schon öfters daran erinnert, daß man Briefe auf russisch schreiben und, daß man beim Besuch ebenfalls russisch sprechen müsse. Mit einem Wort, es wird nicht nur eine verstärkte antireligiöse, sondern auch eine antinationale Kampagne betrieben. In diesem Jahr hat man mir schon vier­mal meine religiöse Aufzeichnungen geraubt; Anfang Juni hat man mir beim Lesen das Gebetbuch aus der Hand gerissen (dasselbe, das ich noch von zu Hause hatte — mit der Farnblüte).

...Ab Mai habe ich begonnen, meine Briefe von neuem zu numerieren, aber ich schreibe immer nur litauisch und werde es in Zukunft so machen, auch wenn die Tschekisten alle Briefe festhalten sollten. Aus Protest gegen die nationale Diskriminierung und die Provokationen der Tschekisten habe ich seit 6. Juni dieses Jahres angefangen, mit der Ortsregierung nur noch litauisch zu sprechen. Möglich, daß sie wiederum, wie im vergangenen Jahr, gegen mich rohe Gewalt anwenden werden — meine Hände brechen, mich auf den Kopf schlagen und mit Handschellen zum Karzer schleppen werden. Aber deshalb sitzen wir ja auch in den Lagern, deshalb werden wir Märtyrer genannt und oft sogar als Beispiel hingestellt. Ich meine, daß man mit Gottes Hilfe alles ertragen und jede Art des Todes hinnehmen kann. Wichtig ist es, mit seinem ganzen Leben und zu jeder Zeit dafür bereit zu sein. Wir leben in einer schicksalsschweren Zeit, in der kein Christ ein Recht hat, sein Gewissen zu verkaufen, sondern eher auf Annehmlichkeiten des Lebens verzichten muß. Wir sind berufen zum Opfer und zum Fanal in der Nacht, und so müssen wir bleiben, solange die Nacht andauert, sonst könnte die vergängliche Nacht für uns nach dem Tode zur ewigen Nacht werden.

Allen, allen wünsche ich dieses Licht, die sich für Nachfolger Christi halten!"