Am 19. März 1978 erging die Verfügung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Litauischen SSR über die Erörterung der neuen Verfassung. Schon früher, anläßlich der Diskussion des Verfassungsprojekts der UdSSR, hatten Geistliche und Laien Litauens ihre Ansuchen in Moskau vorgetragen. Nachstehend bringen wir Dokumente zur Willensäußerung der gläubigen Volksmassen Litauens, die jedoch bei der Sowjetregierung leider keinerlei Berücksichtigung fanden.
An das Präsidium
des Obersten Sowjets der Litauischen SSR Erklärung
von Priestern des Erzbistums Kaunas zum Projekt einer neuen Verfassung.
Da der Erörterung des Projekts einer neuen Verfassung nur ein sehr kurzer Zeitraum eingeräumt wird, sind wir gezwungen, in aller Eile einige Bemerkungen zu dem neuen Dokument vorzubringen, dem beschieden ist, viele Jahre hindurch als Grundgesetz zu dienen.
Zum Unionsprojekt haben viele Geistliche ihre Meinung bereits kundgetan, doch fanden ihre Vorschläge kein Gehör. Anscheinend hat die Stimme der Gläubigen Litauens in Moskau nur wenig Gewicht, man hält es nicht für nötig, sie überhaupt anzuhören. In Litauen müßte dies anders sein, denn die Mehrzahl der Landeseinwohner besteht hier aus gläubigen Katholiken. Unsere Äußerungen können daher, so glauben wir, nicht als einsame Stimme des Rufers in der Wüste betrachtet werden. Daher schreiben wir Ihnen. Die Gläubigen Litauens empfinden das vorliegende Projekt der Verfassung als unbefriedigend. Die Mehrzahl der uns betreffenden Artikel ist verschwommen und undeutlich abgefaßt und unterscheidet sich kaum von den früheren, es sei denn in der Numerierung. Falls nicht abgeändert, wird die vorliegende Variante der Verfassung nur einen kleinen Teil der Bewohner Litauens befriedigen — die Atheisten. Deshalb verweisen wir auf gewisse Artikel, die, unserer Meinung nach, einer präziseren Redaktion bedürfen, um schmerzliche Mißverständnisse in Zukunft zu vermeiden. Artikel 32 besagt: »Die Bürger der Litauischen SSR sind gleich vor dem Gesetz, unabhängig von ihrer Herkunft, sozialer oder materieller Stellung, rassischer oder nationaler Zugehörigkeit, in bezug auf Geschlecht, Bildungsstand, Sprache, Verhältnis zur Religion, Art und Weise des Berufs, Wohnortes und in sonstiger Hinsicht.«
Bisher waren, nach der noch gültigen Verfassung der Litauischen SSR, Katholiken und Gläubige Bürger zweiter Klasse:
1. Sie durften keinerlei verantwortliche Posten in staatlichen oder wissenschaftlichen Ämtern innehaben;
2. Sie wurden in der Öffentlichkeit und in der Presse lächerlich gemacht, erniedrigt, als »Dunkelmänner«, »Rückständige«, »Verbreiter von Aberglauben« und auf ähnliche Art und Weise verächtlich bezeichnet.
3. Auf dem Gebiet der Künste und der Kultur können sie keineswegs die gleichen Rechte geltend machen wie die Atheisten.
Wir schlagen daher vor, den nichtssagenden Passus »Verhältnis zur Religion« zu ersetzen durch »Ohne religiöse oder weltanschauliche Unterschiede«. Artikel 39 besagt: »Die Bürger der Litauischen SSR haben ein Recht auf Erholung. Dieses Recht wird gewährleistet durch eine nicht über 41 Stunden in der Woche hinausgehende Arbeitszeit für Arbeiter und Angestellte, verkürzte Arbeitstage in gewissen Berufen und Produktionszweigen, verkürzte Nachtarbeit, bezahlter Jahresurlaub, Zuteilung von Ruhetagen in jeder Woche.« Fast die Hälfte der Bevölkerung Litauens wohnt heute in ländlichen Gebieten. Mehrheitlich handelt es sich um Kolchosbauern, die uns Brot und Nahrung liefern, Grundlage und Stimulus allen, auch geistigen Schaffens. Es ist kein Geheimnis, daß die Kolchosbauern im Sommer sieben Wochentage hindurch arbeiten müssen und dabei völlig vom Gutdünken der Kolchosoberen abhängen. Die Zahl gut situierter Kollektivwirtschaften ist in Litauen nicht besonders groß, und die
Kolchosbauern sind nicht in der Lage, elementare Ansprüche als Menschen und Gläubige zu verwirklichen. Daher wird ersucht, Artikel 39 wie folgt zu erweitern:
»Die Bürger der Litauischen SSR haben ein Recht auf Erholung. Dieses Recht wird gewährleistet durch eine nicht über 41 Stunden in der Woche hinausgehende Arbeitszeit für Arbeiter, Angestellte und Kolchosbauern . . .« Der Passus »Arbeitszeit und Erholungszeiten der Kolchosbauern werden durch die Kolchosleitung festgesetzt« wäre ganz zu streichen. Widrigenfalls würden die Kolchosbauern weiter rechtlos bleiben. Sie hier im Grundgesetz auszuklammern, wäre sinnlos und schädlich!
Artikel 50 behauptet: »Den Bürgern der Litauischen SSR wird Gewissensfreiheit garantiert, das heißt das Recht, sich zu jeder Religion bzw. zu keiner zu bekennen, religiöse Kulte auszuüben oder antireligiöse Propaganda zu betreiben. Das Schüren von Zwietracht und Haß im Zusammenhang mit religiösem Glauben ist verboten. Die Kirche in der Litauischen SSR ist vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt.«
Der Unterschied zu entsprechenden Artikeln der alten Verfassung besteht in der Numerierung! Hier gleicht die Lage der Gläubigen derjenigen der Kolchosbauern — Pflichten wohl, doch keinerlei Rechte. Alles bleibt der Willkür der Exekutivkomitees verschiedenster Verwaltungsebenen vorbehalten:
1. Religiöse Literatur bleibt uns verboten. In Sowjetlitauen durfte nicht ein einziger Katechismus erscheinen. Keinerlei Zukunftsperspektiven. Mehrmals wurde ein Gebetbuch verlegt, aber die geringe Auflage steht in keinem Verhältnis zur Zahl der Gläubigen. Wir haben keine einzige katholische Zeitung, keine Zeitschrift, keinen Kalender, kein religiöses Buch. Die Schrift über das II. Vatikanische Konzil wurde nur an Geistliche ausgeliefert, vom Neuen Testament erhielt jede Gemeinde nur ein paar Exemplare; verfügbare Exemplare der auf Zeitungspapier gedruckten Rituale sind kaum noch verwendbar. Literatur der Atheisten erscheint dagegen in Tausenden von Exemplaren, Rundfunk und Fernsehen stehen ihnen zur Verfügung — auf Staatskosten, d. h. auf Kosten der Gläubigen, denn auch sie sind Steuerzahler.
2. Viele künstlerisch wertvolle Kirchen, besonders in Vilnius, sind geschlossen, dienen als Konzerthaus (etwa der Prachtbau von Stuoka-Gucevičius, die Kathedrale von Vilnius), als Atheistisches Museum (der Dom St. Kazimir in Vilnius), als Philharmonischer Saal (die Kirche St. Marien Friedenskönigin in Klaipėda), andere sind einfach zu Lagerhäusern degradiert. Die Hauptstadt des katholischen Litauen hat weder eine Kathedrale noch einen Bischof! Es ist eine Verhöhnung der Religion, der Gefühle der Gläubigen und letztlich auch der Kunst selbst. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, neue Kirchen in Städten wie Elektrėnai, Naujoji, Akmenė oder in Neubaurayons größerer Städte zu errichten. Denn auch dort wohnen und arbeiten ja viele gläubige Menschen.
3. Zwei Bischöfe — Julijonas Steponavičius und Vincentas Sladkevičius — sind bereits seit 17 Jahren aus ihren Bistümern verbannt. Irgendwelche von Unbekannten erlassene Befehle verbieten ihnen die Amtsausübung, ohne daß Gründe oder zeitliche Begrenzung bekannt wären. Das einzige Priesterseminar in Kaunas (die anderen wurden bereits 1946 geschlossen) wird limitiert, den Bischöfen verwehrt, Priesterschaftskandidaten nach eigenem Ermessen auszuwählen. Wegen dieser Willkür der Atheisten ist die Anzahl der Priester stark vermindert, der Rest infolge Überalterung kaum noch in der Lage, die Gläubigen zu versorgen (ein Priester betreut mitunter zwei bis drei Gemeinden).
4. Uns Katholiken wird nicht erlaubt, Verbindung zu unseren Glaubensbrüdern und Gleichgesinnten im Ausland zu halten, wir haben keinerlei Gelegenheit zum Austausch religiöser Informationen und geistiger Güter. Gleichzeitig dürfen Atheisten in Broschüren und Propagandaschriften frei aus Vatikandokumenten, dem Schrifttum der Katholiken und der Auslandslitauer zitieren — oftmals in tendenziöser und aus dem Zusammenhang gerissener Form.
5. Religionsunterricht der Kinder ist auch privat untersagt. Priester werden deshalb mit Gefängnis- und Geldstrafen belegt. Überall werden Lenins Prinzipien betont. Warum nur hält man sich nicht an das leninistische Religionsdekret in den ersten Verfassungen, das Lehren und Lernen der Religion privat sehr wohl gestattet? Bisher werden Kinder gläubiger Eltern in den Schulen zwangsweise dem Atheismus unterworfen, Kirchenbesuch mit Verminderung der Betragensnote auf »genügend« geahndet, Kirchenbesucher dauernd vor versammelter Klasse ausgelacht und beleidigt. »Akiratis« (Horizont) und andere Atheistenpublikationen machen Gläubige laufend lächerlich und verächtlich und mißachten selbst geschichtliche und wissenschaftliche Fakten.
6. Gläubige werden sogar auf dem Gebiet kommunaler Dienstleistungen benachteiligt. So müssen Kirchengemeinden für je Kilowattstunde Strom 25 Kopeken bezahlen, der städtische Verbraucher nur vier Kopeken und Kolchosbauern noch weniger. Oftmals sind die Gemeinden deshalb nicht in der Lage, ihre Kirche ausreichend zu beleuchten. Dabei sind auch diese Gläubigen Arbeiter und Kolchosbauern, die tagtäglich und rechtschaffen für das Staatswesen arbeiten.
Dorfkirchen müssen nach der Verordnung »N III« des Rats der Volkskommissare der UdSSR vom 3. Februar 1938 nach besonders hohen Tarifen versichert werden. Motiv: auf den Dörfern gäbe es kein Feuerlöschwesen. Das Leben hat sich aber in 40 Jahren verändert. Heute gibt es in jedem Dorf und in jeder Kollektivwirtschaft eine Feuerwehr. Es wäre an der Zeit, veralterte Gesetze zu revidieren und die schwere Last dieser kirchlichen Gebäudesteuern von den Schultern der Arbeiter und Bauern zu nehmen.
Bisher ist alles Gerede über Gleichstellung von Gläubigen und Atheisten nichts als böser Hohn.
Daher wird ersucht, die neue Verfassung allseits akzeptabel zu machen. Statt der Passage »Religiöse Kulte auszuüben oder antireligiöse Propaganda zu betreiben« einfach zu sagen — »religiöse oder antireligiöse Propaganda zu betreiben«. Statt der Bestimmung »Das Schüren von Zwietracht und Haß im Zusammenhang mit religiösem Glauben ist verboten« — bisher als Peitsche der Atheisten gegen die Gläubigen mißbraucht —, sage man doch deutlich: »Jegliche religiöse oder weltanschauliche Diskriminierung ist gesetzlich verboten.«
Artikel 51 lautet: »Der Staat schützt die Familie . . .« Auf der Basis der Gottlosigkeit begründet, ist die Existenz der Familie in Frage gestellt. Es scheitern fast ein Drittel aller im Laufe eines Jahres geschlossener Ehen. Nach inoffiziellen Angaben (eine offizielle Statistik wird aus unbekannten Gründen nicht veröffentlicht) werden mehr Kinder abgetrieben als geboren. In den letzten Jahren werden in Dorfschulen nicht nur einzelne Klassen, nicht nur Mittel-, sondern bereits ganze Achtjahrschulen geschlossen — es fehlt einfach an Kindern! Daher ersuchen wir, mit allen Mitteln die Familie zu retten. Nach unserer Überzeugung wird dies ohne religiöse Erziehung nicht möglich sein. Das atheistische Experiment hat sich, milde ausgedrückt, nicht gerechtfertigt. Wir ersuchen ferner, Abtreibungen in der Verfassung zu verbieten. Westdeutschland, Rumänien und Israel kennen Abtreibungsverbote. Sollten wir das nicht auch können? Schande über den Staat, über die Gesellschaft, die es nicht schafft, ihre ungeborenen Bürger zu schützen! Solange ungeborene Kinder getötet werden, ist alles Gerede von Kultur unwirklich wie eine Seifenblase.
Artikel 56: »Die Bürger der Litauischen SSR haben ein Recht, sich über Vollzugstaten der Beamten der staatlichen und gesellschaftlichen Organe zu beschweren. Beschwerden müssen innerhalb einer gesetzlich vorgesehenen Ordnung und Frist überprüft werden.«
Leider wurde auf Beschwerden der Gläubigen fast nie geantwortet, es sei denn, der Beauftragte des Rats für religiöse Angelegenheiten reagierte mit einem einzigen Wort: »Verleumdung.« In Konfliktfällen stehen alle Regierungsorgane auf Seiten der Atheisten. Nach einem zur Gewohnheit gewordenen, ungeschriebenen Gesetz darf ein Priester oder ein Gläubiger gegenüber einem Regierungsbeamten oder Atheisten niemals recht behalten. Daher muß dieser Verfassungsartikel präzise gefaßt werden, um derartige Gepflogenheiten abzuschaffen.
Artikel 108 ist ebenfalls undeutlich ausgedrückt. Absatz vier bestimmt, das Präsidium des Obersten Sowjets halte sich selbst an die Verfassung der Litauischen SSR und kontrolliere auch deren Anwendung. Es bedarf eines besonderen Organs zur authentischen Auslegung der Verfassung. Das Präsidium des Obersten Sowjets kann dies nicht tun, denn es erläßt Gesetze, die Geist und Buchstaben der Verfassung widersprechen (man vergleiche hierzu die Anordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 28. Juli 1976).
Wir ersuchen darum unsere Vorschläge zu erwägen und bei Ergänzung des vorliegenden Entwurfs der neuen Verfassung zu berücksichtigen.
Kaunas, Kurie, 10. April 1978
Unterzeichnet von den Priestern (aus technischen Gründen konnten einige mit dem Entwurf nicht voll bekannt gemacht werden):
A. Svarinskas, L. Kalinauskas, K. Daknevičius, L. Jagminas, A. Jokubauskas,
S. Dobrovolskis, A. Imbras, V. Brusokas, J. Birbilas, S. Pilka, J. Užusienis, V.
Pesialkas, E. Semaška, J. Vaičeliūnas, P. Liubonas, A. Perminas, J. Voveris,
K. Valančius, P. Meilus, G. Dunda, A. Danyla, P. Matulaitis, J. Vaicekauskas,
J. Babonas, J. Dobilaitis, G. Gudanavičius, Bischof J. Steponavičius, P. La-
žinskas, L. Vaičiulionis, Z. Grinevičius, V. Ramanauskas, J. Povilaitis, P. Šče-
pavičius, V. Polikaitis, J. Survila, R. Mizaras, J. Augustauskas, P. Bubnys, A.
Kazlauskas, M. Buožius, V. Šauklys, A. Močius, P. Bastys, P. Tuminas, J. Fa-
bijanskas, V. Grinevičius, J. Indriūnas, A. Graužinis, I. Butkus, Kanonikus J.
Želvys, A. Zaikauskas, R. Liukas, A. Lapė, K. Statkevičius, J. Račaitis, I. Če-
chavičius.
Nach Kenntnisnahme der obigen Erklärung von Priestern des Erzbistums Kaunas betr. Ergänzungen zum Projekt einer neuen Verfassung erklären wir, Priester des Bistums Telšiai, unser volles Einverständnis
(folgt Text — unterschrieben von Priestern des Erzbistums Telšiai) wie folgt:
V. Stirbys, J. Budrikas, J. Miškinis, J. Alšauskas, P. Stukas, P. Jasa, L. Serapinas, F. Žilys, A. Baškys, J. Maželis, J. Petrauskas, J. Bačinskas, A. Alminas,
B. Racevičius, K. Viršila, J. Širvaitis, D. Bivainis, V. Šlėvas, V. Požėla, V. Vė-
lavičius.
Wegen Zeitmangel konnten nicht alle Priester von dem Text Kenntnis nehmen.
EINGABE
von Gläubigen Litauens
Nach Einsichtnahme des der Öffentlichkeit zur Erörterung unterbreiteten Projekts einer Verfassung der Litauischen SSR unterbreiten die unterzeichneten gläubigen Bürger Litauens folgende Vorschläge:
1. Gleiche Rechte für Gläubige und Nichtgläubige sind ausdrücklich zu garantieren. Eine Gleichstellung ist in Litauen bisher nicht verwirklicht — Gläubige dürfen weder als Lehrer oder Leiter von Behörden arbeiten noch irgendwelche anderen verantwortlichen Ämter innehaben. Die neue Verfassung sollte daher absolute Gleichstellung gewährleisten — Arbeitsentlassung wegen religiöser Überzeugung ist gesetzlich zu verbieten.
2. Freiheit für ein religiöses Pressewesen ist unentbehrlicher Bestandteil der Gleichstellung gläubiger mit nichtgläubigen Bürgern. Bei Freiheit nur für atheistische Propaganda werden die Rechte der Gläubigen vielfach verletzt, sie selbst in der Presse persönlich beschimpft, auch anders beleidigt und als »Dunkelmänner« diffamiert. Ohne eine religiöse Presse ist es unmöglich, solche ungerechtfertigten Verleumdungen und Verunglimpfungen abzuwehren. Noch nie hat die Sowjetpresse Gesetzesverstöße gegen die Rechte der Gläubigen kritisiert. Daher sind gläubige Sowjetbürger gezwungen, sich an internationale Verbände, Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte zu wenden.
3. Die Deklaration der Menschenrechte betont das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß der eigenen Weltanschauung zu erziehen, sie in Schulen ihrer eigenen religiösen Überzeugung gemäß unterrichten zu lassen. Die neue Verfassung muß daher das Recht auf Freiheit der religiösen Erziehung aussprechen.
4. Das Recht auf Leben, auch der noch nicht geborenen Kinder, ist zu garantieren, Abtreibungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verbieten. Der Zusammenhalt der Familien ist zu stärken. Scheidungen sind nur in Sonderfällen auf Beschluß des Obersten Gerichtshofs zuzulassen. Die Familien litauischer Katholiken sind dauerhaft, weil die Kirche Scheidungen verbietet. Entsprechende Maßnahmen würden, unserer Meinung nach, das internationale Ansehen der UdSSR heben. Es wären sichtbare Anzeichen dafür, daß sich die Sowjetregierung wirklich um gleiche Rechte für alle Volksteile bemüht. Allseitige Gleichheit ist Grundlage der Demokratie. Die Verleihung der Presse-, Arbeits- und Bildungsfreiheit an die gläubigen Bürger kann das demokratische Ansehen des Sowjetstaates ganz besonders erhöhen. Da entsprechende gesetzliche Bestimmungen in die bereits angenommene Unionsverfassung der UdSSR nicht aufgenommen wurden, wäre ihre Verankerung in der Verfassung der Litauischen SSR ein schöner Beweis für die gesetzgeberische Souveränität dieses Staatswesens.
Bistum Telšiai, im April 1978
PS: Unterfertigt mit 780 Unterschriften, davon ein Drittel entzifferbar. Postversandort an Empfänger — Plunge, 11. April 1978. Per Einschreiben, Quittung Nr. 456.
An den Sekretär des ZK der KP der Litauischen SSR und Vorsitzenden der Verfassungskommission p. Griškevičius
Erklärung
von Gläubigen der Kirchengemeinde Kybartai
Die Mehrheit des Volkes in Litauen besteht aus gläubigen Menschen: in der neuen Verfassung der Litauischen SSR dürfen deren Rechte daher nicht geringer sein als diejenigen der Atheisten. Artikel 50 des Verfassungsprojekts beeinträchtigt die Gleichstellung der Gläubigen im Vergleich mit den Atheisten und muß daher umredigiert werden. Folgende Fassung des Artikels 50 wäre den Katholiken Litauens akzeptabel:
»Den Bürgern Litauens wird Gewissensfreiheit garantiert, das heißt, das Recht, sich zu jeder Religion bzw. zu keiner zu bekennen, religiöse Kulte auszuüben oder nicht, religiöse oder atheistische Propaganda zu betreiben. Das Schüren von Zwietracht oder Haß im Zusammenhang mit religiösem Glauben ist verboten.
Kirche und atheistische Propaganda sind in der Litauischen SSR vom Staat — und die Schule von Kirche und atheistischer Propaganda getrennt. Schulerziehung der Kinder im Widerspruch zur Überzeugung der Eltern ist verboten.«
März/April 1978
Unterschrieben von 975 Gläubigen aus Kybartai. Die Erklärung wurde am 17. April dem ZK der KP der Litauischen SSR übergeben. Eine ähnliche Eingabe von Mitgliedern der Gemeinde Vištytis wurde ebenfalls dem ZK übermittelt.
An das Präsidium des Obersten Sowjets
Im Zuge der volksweiten Erörterung des Verfassungsprojekts erreichen auch uns, die Bischöfe und Bistumsverwalter der Litauischen SSR, Stellungnahmen einzelner Gläubiger und Pfarrer zu dem Konstitutionsentwurf. Es wird angeregt, daß auch die Bischöfe und Administratoren ihre Bemerkungen und Wünsche äußern. Nachstehend unterbreiten die Unterzeichneten einige Überlegungen:
Voller Interesse und Optimismus nehmen wir zur Kenntnis, daß das Verfassungsprojekt der UdSSR die freie Entfaltung und Förderung der Persönlichkeit garantiert, Gleichheit vor dem Gesetz, Erweiterung der Rechte und Freiheiten, Gewissensfreiheit, das Recht, Staatsorganen Vorschläge zu machen, gewährleistet usw.
Hochachtung erweisen wir auch der Tatsache, daß der Entwurf einer volksweiten Erörterung unterbreitet wurde und jedermann seine Meinung, Vorschläge und erwünschte Änderungen der Verfassungskommission unterbreiten kann. Wir lenken die Aufmerksamkeit der Verfassungskommission auf die Artikel 36, 50 und 52 des Projekts, die, unserer Ansicht nach, konkreterer Abfassung bedürfen, um den Gläubigen größere Freiheit und bürgerliche Rechte zu sichern.
Zu Artikel 36
Religiöse und weltanschauliche Unterschiede sind nicht weniger tief und gravierend als diejenigen rassischer und nationaler Art. Daher sollte die Textfassung dieses Artikels über die Garantie bürgerlicher Rechte und Gewährleistung allseitiger Entfaltungs- und Gleichheitschancen außer den Worten »Nationalität und Rasse« auch die Begriffe »Religion und Weltanschauung« enthalten. Lehrt doch das tägliche Leben selbst, daß sich Gläubige bisher nicht überall als voll gleichberechtigt fühlen konnten — obwohl die bisher gültige Verfassung ebenfalls Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung der Bürger garantiert. Ein entsprechend abgeänderter Artikel 36 könnte etwa lauten: »Sowjetische Bürger verschiedener Nationalität, Rasse, Religion oder Weltanschauung haben gleiche Rechte.
Die Verwirklichung dieser Rechte ist gewährleistet durch eine Politik der Freiheit der Nationen und Völker, Religionen und Weltanschauungen in der UdSSR, durch allseitige Entfaltung und Annäherung, Erziehung im Geiste des sowjetischen Patriotismus und sozialistischen Internationalismus, durch die Möglichkeit des Gebrauchs der eigenen Muttersprache und Sprachen anderer Völker der UdSSR, durch Kontakte mit Mitbürgern, Glaubensbrüdern und Gleichgesinnten in aller Welt und Gelegenheit zum Austausch von Informationen und geistigen Gütern.
Jegliche direkte oder indirekte Einschränkung der bürgerlichen Rechte, direkte oder indirekte Bevorzugung nach rassischen, nationalen oder weltanschaulichen Gesichtspunkten, die Propagierung von Ausschließlichkeit, Haß oder Verächtlichmachung aus nationalen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen wird gesetzlich bestraft.«
Zu Artikel 52
Dieser Artikel gewährleistet unserer Meinung nach die rechtliche Gleichstellung der Gläubigen mit Nichtgläubigen nur in unzureichender Weise. Es wird hier anscheinend religiöses Bekenntnis mit bloßer Ausübung religiöser Riten gleichgesetzt. Der Artikel spricht vom Recht Nichtgläubiger auf atheistische Propaganda, besagt aber nichts über ein Recht Gläubiger, Religion zu lehren und zu erlernen. Dabei sind das Recht Nichtgläubiger auf atheistische Propaganda wie auch das Recht der Gläubigen auf Lehren und Erlernen von Religion im Grunde genommen Bestandteile eines gemeinsamen Informationsrechts bezüglich der eigenen Überzeugung. Diese wiederum ist für Gläubige und Nichtgläubige gleichermaßen von prinzipieller Bedeutung und sollte daher in der Verfassung deutlich proklamiert werden. Jedes bewußte Mitglied einer religiösen Gemeinschaft strebt allein durch sein Bekenntnis nach religiöser Erudition und ist, weniger anspruchsvoll ausgedrückt, daran interessiert, sich wenigstens elementarstes religiöses Wissen anzueignen. Wie und woher aber dieses Wissen beziehen, wenn es keinem Bürger erlaubt sein soll, religiöse Informationen zu erhalten, Religion zu lehren? In dem, auf die Initiative Lenins zurückgehenden Dekret über die Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche wird dieses Recht der Gläubigen klar deklariert: »Den Gläubigen ist gestattet, auf privater Ebene Religion zu erlernen und zu lehren.« Auch in der Leninverfassung des Jahres 1918 wurde die Gleichstellung der Gläubigen und Nichtgläubigen bezüglich ihrer Gesinnungsinformation ausdrücklich festgelegt: »Allen Bürgern wird das Recht auf religiöse oder antireligiöse Propaganda zugestanden.« Eine solche Gleichberechtigung der Gläubigen und Nichtgläubigen sollte eine neue Verfassung ebenso klar proklamieren.
Die Verfassung des Jahres 1936 verkündete die Freiheit zur Ausübung von Kulthandlungen für Gläubige und die Freiheit atheistischer Propaganda für Nichtgläubige. Seitdem dominiert im öffentlichen Leben unseres Landes die Freiheit atheistischer Propaganda, unter Verwendung staatlicher Mittel (Schule, Presse, Rundfunk usw.). Religiöse Informationsfreiheit ist dagegen eingeengt und auf die Kultbauten beschränkt. So kam es dazu, daß Glauben und religiöses Bekenntnis zu einer Sache wurden, derer sich ein Bürger in der Öffentlichkeit zu schämen hatte. Dieses resultiert in einer tiefen Demütigung der moralischen Gefühle und stellt eine flagrante Diskriminierung der Gläubigen im Vergleich zu den Nichtgläubigen dar. Wird das Recht auf Lehre und Erlernen von Religionen in der Verfassung nicht ausdrücklich deklariert, so kann es, wie die Praxis zeigt, verschieden interpretiert werden: manche Beamte halten sich an das Dekret Lenins und behindern privaten Religionsunterricht nicht — andere halten privaten Religionsunterricht für einen Verstoß gegen das Grundgesetz und bringen Sanktionen in Anwendung. Hierüber erregen sich gewissenhafte Gläubige, denen verwehrt wird, »Unwissende zu belehren«. Die Geistlichen, einerseits an Christi Gebot »Gehet hin und lehret« gebunden, stehen andererseits unter einem Unterrichtsverbot. Es kommt zu anhaltendem Gewissenskonflikt seelisch empfindsamer Menschen, die nicht mehr wissen, was zu tun ist; den Gesetzen Gottes wie denen des Staates zu entsprechen. Wir glauben nicht, daß die Männer am Steuer unseres Staatswesens nicht wünschen, einen Ausgleich und eine Möglichkeit zu finden, die den Gläubigen Gewissenskonflikte und den Beamten Fehlgriffe erspart. Hier einen Ausweg zu finden, liegt im Interesse beider Seiten.
Artikel 52 könnte unserer Meinung nach wie folgt redigiert werden: »Den Bürgern der UdSSR wird Gewissensfreiheit zuerkannt, d. h., gleiches Recht für alle Bürger, sich zu jedweder Religion zu bekennen, sich deren Regeln gemäß zu verhalten, Religion zu lehren und zu erlernen, sich über eigene Anschauungen und diejenigen anderer näher zu informieren — ebenso gleiches Recht für alle, sich zu keiner Religion zu bekennen, sich selbst und andere über atheistische Auffassungen zu informieren.« Das Recht auf Information in Sachen innerer Überzeugung muß in der Verfassung deklariert werden — in einem eindeutigen Artikel, ohne nebulöse, unpräzise Vorbehalte, wie z. B. »In Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen und zwecks Stärkung der sozialistischen Ordnung.« Solche allgemeingehaltenen Vorbedingungen dienen nur zu leicht als Vorwand der Diskriminierung, rechtlicher Exklusivität und Privilegierung einzelner Bevölkerungsgruppen.
Zu Artikel 50
Dieser Artikel betrifft die Rede- und Pressefreiheit sowie das Recht auf Versammlungsfreiheit, Straßenmärsche und Demonstrationen zu veranstalten und könnte, wie wir meinen, wie folgt abgefaßt werden:
»Zur Information der eigenen Überzeugung, zwecks Befriedigung persönlicher und kollektiver Aspirationen wird allen Sowjetbürgern Freiheit des Wortes und der Presse, das Recht zur Veranstaltung von Versammlungen und Zusammenkünften, Straßenmärschen und Demonstrationen gewährleistet. Wegen Mißbrauchs dieser Freiheiten und deren Ausrichtung gegen die staatlichen Interessen der gesamten Bevölkerung können einzelne Bürger gegebenenfalls gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Wegen Behinderung dieser Freiheiten können staatliche Funktionäre vor Gericht verklagt werden. Die Wahrnehmung dieser Freiheitsrechte wird durch die allen Bürgern und ihren Organisationen zuerkannte Nutzungsgarantie von öffentlichen Gebäuden, Straßen und Plätzen garantiert sowie die Möglichkeit, von Presse, Fernsehen und Rundfunk Gebrauch zu machen, unter Wahrung des Prinzips der Gleichwertigkeit und Proportionalität nach Mitgliederzahl der betreffenden Organisationen.«
Bischof J. Matulaitis-Labukas
Apostolischer Aministrator des Erzbistums Kaunas und des Bistums Vilkaviškis
Bischof R. Krikščiūnas
Apostolischer Administrator des Bistums Panevėžys
Bischof L. Povilonis
Koadjutor des Apostolischen Administrators des Erzbistums Kaunas und des Bistums Vilkaviškis
Monsignore Č. Krivaitis Verwalter des Erzbistums Vilnius
Kanonikus J. Andrikonis Verwalter des Bistums Kaišiadorys
Pfarrer A. Vaičius
Verwalter des Bistums Telšiai und der Prälatur Kaipėda
Die Sowjetregierung hat auf die Vorschläge der Gläubigen überhaupt nicht reagiert und eine neue Verfassung der Litauischen SSR eingeführt, die die Gläubigen Litauens eindeutig diskriminiert.
In diesem Zusammenhang erinnert die Chronik der Litauischen Katholischen Kirche an den Vorschlag eines Katholiken, der bereits vor sechs Jahren geraten hat, der Sowjetregierung folgende Empfehlung zu unterbreiten: »Da die Sowjetregierung es offensichtlich nicht schafft, den Gläubigen Litauens volle Glaubensfreiheit zu gewähren, wird ersucht, dem Lande Litauen die Freiheit zu geben. Litauen wird als freies Staatswesen die Rechte aller seiner Bürger garantieren.
Ist religiöse Propaganda erlaubt?
Die religiöse Propaganda wird in unserem Lande praktiziert. Das können nur die Menschen nicht sehen, die von vornherein unserer Gesellschaftsordnung feindlich oder ablehnend gegenüberstehen. Wie sollten ohne religiöse Propaganda die religiösen Bedürfnisse der Gläubigen befriedigt, religiöse Kulthandlungen ausgeübt werden? Zu diesen Zwecken stellt der sowjetische Staat den religiösen Gemeinschaften Kirchen und Kultgegenstände zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung, die doch Eigentum des ganzen Volkes sind. Woraus besteht denn ein Gottesdienst, wenn nicht aus religiöser Propaganda? Was sind Predigten? Warum wird religiösen Zentren in unserem Lande das Recht verliehen, religiöse Literatur zu verlegen, von heiligen Büchern über periodische Schriften bis hin zu theologischen Abhandlungen?
Es ist durchaus natürlich und folgerichtig, daß religiöse Propaganda im Rahmen religiöser Kulthandlungen betrieben wird . . . denn die überwiegende Mehrheit der Bewohner unseres Landes besteht aus Nichtgläubigen, die nach derartiger Propaganda keinerlei Verlangen verspüren.« (Aus der sowjetischen Zeitschrift Nauka i Religija Nr. 4, 1978, S. 13.)
Die überwiegende Mehrheit der Einwohner Litauens besteht aus Katholiken, die keinerlei Verlangen nach atheistischer Propaganda verspüren. Warum wird diese trotzdem betrieben, dazu noch mit gewaltsamen Mitteln? Wo bleibt die Gleichstellung der Gläubigen mit den Atheisten vor dem sowjetischen Gesetz?
Wo ist da religiöse Propaganda, wenn die Gläubigen Litauens nicht einmal über einen bescheidenen Katechismus verfügen, um die Kinder mit den Glaubenswahrheiten bekannt zu machen.