Am 4. Oktober 1978 erhielt Frl. Marytė Vitkūnaitė, wohnhaft in Kaunas, die Aufforderung, sich bei dem Vernehmungsbeamten Urbonas der Geheimpolizei Vilnius zu melden. Frl. M. Vitkūnaitė meldete sich in Vilnius am 5. Oktober; das Verhör dauerte fünf Stunden.

Der Vernehmer Urbonas eröffnete der Vorgeladenen, er verfüge über eine Men­ge von Zeugenaussagen über sie. Zunächst fragte er nach Frl. Angela Sabaliaus­kaitė — seit wann sie mit ihr bekannt sei, welche Art Literatur sie ihr gegeben habe, wie oft sie zu Besuch gewesen sei u. a. Frl. M. Vitkūnaitė erklärte dazu, sie kenne überhaupt keine »Angela«. Die Befragung bezog sich alsdann auf Frl. Monika Didžiokaitė. Der Tschekist machte die Vorgeladene mit den Aussagen dieser Monika bekannt: Zeitpunkt des Kennenlernens, Besuche zusammen mit der erwähnten Angela, Überbringen einer Schreibmaschine, wie oft noch weitere Besuche stattgefunden hätten. Wiederum verneinte Frl. Vitkūnaitė alle Anga­ben, vor allem kenne sie keine Monika Didžiokaitė. Der Vernehmer Urbonas wollte jetzt wissen, wie die Vorgeladene die Bekanntschaft eines Romas Blažu­kas gemacht habe, von anderen auch Petras genannt; wie oft sie im Priesterse­minar gewesen sei, welche der dortigen Kleriker sie kenne, welche Vor- und Zu­namen sie angeben könne. Der Beamte rühmte sich sogar, zu wissen, wann sie aus dem Seminar eine Schreibmaschine samt Koffer abgeholt habe. Die Maschi­ne habe sie dann bei »Monika« gelassen und den Koffer nach Hause mitgenom­men. Frl. Marytė gab an, vor fünf oder sechs Jahren tatsächlich im Seminar ge­wesen zu sein, doch wisse sie nicht mehr warum, und sie habe das Seminar spä­ter nie wieder betreten. Urbonas erklärte, Frl. Marytė sei schuldig, und man könne sie wegen Abstreiten von Tatsachen verurteilen.

Anschließend wurden bei der Haussuchung konfiszierte Sachen vorgelegt und von der Vorgeladenen verlangt, sie möge erklären, wie diese Dinge in ihren Be­sitz gelangt seien. Darunter befanden sich Nr. 9 der Zeitschrift Aušra,das Buch Lietuviškojo charakterio problemos (Probleme des Litauischen Charakters), der Aufsatz Žmogus ir gamta (Mensch und Natur), ein besprochenes Magneto-fonband. Der Beamte des Geheimdienstes verlangte, die Vorgeladene solle alles bedauern und gestehen — so sei es besser für sie. Frl. Vitkūnaitė erklärte, daß sie nichts Böses getan habe und daher auch nicht wisse, was sie eigentlich zu be­reuen hätte.

Zu Ende der Vernehmung wurde ihr das Magnetofonband zurückgegeben, die Schreibmaschine, das Notizbuch und andere Sachen aber einbehalten. Der Be­amte zeigte ihr im Notizbuch, von eigener Hand eingetragen, die Namen und Adressen von Monika, Angela und Blazukas, deren Kenntnis sie bestritten hatte. Unzufrieden mit der Antwort, drohte der Vernehmungsbeamte Urbonas mit zu­künftigen Strafen. Schließlich wurden Handschriftproben von M. Vitkūnaitė gemacht, zwecks Einholung eines graphologischen Gutachtens.

Am Hauptmarkt von Vilnius wurde am 14. Juli 1978 gegen 12 Uhr Frl. Regina Teresiūtė, wohnhaft in der Kleinstadt Kelmė, von einem uniformierten Milizio­när angehalten. Der Beamte ergriff ihre Hand und versuchte sie in ein Auto zu zerren, doch ging das Mädchen wortlos in Richtung Markteingang weiter, der Milizionär nebenher und versuchte sie zu überreden, doch in das Auto einzustei­gen. Als sie weiter nicht reagierte, versuchte der Beamte sie gewaltsam in das Auto hineinzutun. Regina begann daraufhin laut zu schreien, sie sei völlig un­schuldig, es gab einen Aufruhr, und eine Menge Leute strömten zusammen. Um einen Skandal zu vermeiden, als habe er anscheinend »eine Falsche« erwischt, ließ der Milizionär von dem Mädchen ab und versuchte, die Menge zu zerstreu­en. Die Beaufsichtigung übernahm jetzt ein anderer Uniformierter, der einen je­den ihrer Schritte auf dem Markt genau verfolgte. Als Regina schließlich den Markt verließ, wurde sie von dem ersten Milizionär in Begleitung eines zivilen Beamten des Geheimdienstes mitgenommen. Der Milizbeamte hielt einen »Wol-ga«-Pkw an und versuchte, Regina gewaltsam in den Wagen zu zerren. Dies ge­lang den beiden schließlich mit vereinten Kräften, und sie plazierten sich zu bei­den Seiten der Festgenommenen. Zunächst verlangten sie nach Ausweispapie­ren. Da die Überfallene zum Marktbesuch keine Ausweispapiere mitgenommen hatte, verlangten die Polizisten, sie nach Hause zu fahren, um die Dokumente dort einzusehen. Die Jugendliche weigerte sich jedoch und wurde daraufhin zur Eisenbahnmiliz gebracht und ausgesetzt, der Fahrer mit einer Halbliterflasche (Wodka) »bezahlt«. Der dortige Vernehmungsbeamte gab seinen Namen nicht an, sprach russisch und verlangte auch von Regina russisch zu sprechen. Das Mädchen sprach nur litauisch. Auf die Frage, warum man sie hierher gebracht habe, erklärte der Vernehmungsbeamte, einer Frau sei die Tasche abhanden ge­kommen, und die Verhaftete habe den Diebstahl begangen. R. Teresiüte prote­stierte und erklärte: »Weil Sie lügen, werde ich überhaupt nicht mehr antwor­ten.«

Angesichts der Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen, verließ der Verneh­mungsbeamte den Raum und ließ das Mädchen allein mit dem Milizionär, der sie hierher gebracht hatte. Dieser begann mit Erschießen und anderen Strafen zu drohen, worauf Regina antwortete: »Ihr seid größere Verbrecher, erst sollte man euch erschießen.« — »Wir werden dich aufhängen!« brüllte der Milizio­när zurück. Die Verhaftete erklärte dazu in aller Ruhe: »Hängt mich nur auf, findet aber erst einen Grund.« Das Mädchen wurde jetzt auf einen elektrischen Stuhl gesetzt und von oben so zugedeckt, daß nur Kopf und Hände herausrag­ten; doch wurde sie nicht von Stromstößen geschüttelt — der Stuhl war also wohl nur zum Angstmachen bestimmt. Jetzt erschien auch wieder der Verneh­mungsbeamte und mokierte sich über das solchermaßen eingeschlossene Opfer, doch Regina meinte dazu nur gut aufgelegt: »Es schüttelt einen ja gar nicht. Ei­gentlich ist der Stuhl ganz bequem, bei einigem guten Willen könnte man sogar darin schlafen.« Angesichts solchen Wohlbefindens beschloß die Verhaftete, die Zeit nicht nutzlos verstreichen zu lassen, zog einen Rosenkranz hervor und verkündete als Intention: »Nun will ich für euch alle beten.« Und betete in sich gekehrt eine gute halbe Stunde. Der Vernehmer versuchte schließlich ihr Gebet in russischer Sprache zu unterbrechen. »Aha, also glaubst du an Gott! Oder hast du es dir anders überlegt?« Regina bat darum, sie nicht beim Beten zu stö­ren. Man brachte sie anschließend in ein Nebenzimmer, wo ein ebenfalls rus­sisch sprechender Vernehmer sie erwartete. »Wenn du nicht reden willst, so schreibe« — drängte der Tschekist. Die Gefangene ergriff Papier und Bleistift und erklärte: »Gut, sagen Sie mir Ihren Namen, damit ich ihn aufschreibe. Möglich, daß man ihn einmal braucht!« Der Geheimdienstbeamte brüllte zu­rück: »Erst wenn du deinen Namen nennst, werde ich auch meinen sagen«, nahm Papier und Bleistift wieder weg und verlangte erneut nach den Ausweis­papieren. Die Verhaftete antwortete: »Ich habe mich in keiner Weise schuldig gemacht, habe an der richtigen Stelle bei Grünlicht die Straße überquert, nie­mand belästigt, keinen gestoßen, noch jemand gebissen. Warum haben Sie mich überhaupt hierher gebracht?« Die Antwort lautete:

»Wir haben Spekulationsverdacht, den wir hier überprüfen wollen.« Diese Un­terstellung wies Frl. Teresiüte entschieden zurück, und nach diesem Gespräch ließ man sie allein. Nach einiger Zeit erschien wieder ein Beamter des Geheim­dienstes und schlug den Einsatz eines litauisch sprechenden Vernehmungsbeam­ten vor. »Ihre Bemühungen sind zwecklos. Ich werde Ihnen nichts sagen«, er­klärte die Festgenommene dem neuen Vernehmer, der ihr seinen Dienstausweis nur kurz vorwies, damit weder der Name noch die Fotografie genau zu erken­nen waren. Nach erneuter Aufforderung, Ausweispapiere vorzuweisen, begann dann die Umerziehung: »Du bist so jung, so hübsch und doch so widerspenstig.

Sprich dich nur aus, und du wirst frei sein!« — »Auch Lob wird nichts helfen«, lautete die Antwort, »es läßt mich kalt. Würde ich mich schuldig fühlen, hätte ich vielleicht auch Angst. Ich glaube aber nicht, daß die sowjetische Miliz einen völlig unschuldigen Menschen ins Gefängnis bringen, erschießen oder aufhän­gen darf, wie das einer der hier anwesenden Herren meinte. Bin ich schuldig — was ist mein Verschulden?« Um eine plausible Antwort verlegen, erklärten die Geheimdienstler, das Mädchen habe eigentlich recht. Auf die Frage, was denn nun ihr Verschulden sei, erklärten sie schließlich: »Wir müssen alle Menschen ohne Papiere überprüfen.« — »Woher wußten Sie denn, daß ich keine Papiere bei mir hatte?« — »Du schienst uns verdächtig.« Wessen sie verdächtigt, blieb ein Geheimnis bis zum heutigen Tage. Man drohte ihr, sie ins Hauptgebäude des Geheimdienstes zu bringen, doch das Mädchen zeigte sich furchtlos. Dann wollte man wissen, wo sie arbeite: »Geben Sie vielleicht Konzerte, sind Sie etwa Dirigentin?« Diese Fragen beantwortete Frl. Teresiüte mit einem Scherz: »Die Miliz braucht doch keine Musiker; wie können Sie da annehmen, ich würde in Eure Dienste treten.« Die Tschekisten drohten dann, es gebe drei oder vier Mu­sikschulen in Vilnius, sie würden schon zeitig genug alles über sie erfahren und weitermelden. Auch dies ließ das Mädchen unbeeindruckt, worauf der Verneh­mungsbeamte den Milizionär im Nebenzimmer fragte: »Ist der Wagen fertig, wir bringen sie nach Leninstr. 10« (Geheimdienstzentrale). Der Wagen stehe be­reit, wurde zurückgemeldet. Frl. Teresiüte erkundigte sich, wohin sie nun gehen solle. Der Vernehmungsbeamte brummte bösartig zurück: »Geh raus!« Selbst kaum begreifend, daß sie nun frei sei, fragte Regina verwundert zurück: »Also wollen Sie weder meinen Namen wissen noch meinen Ausweis sehen?« — »Dei­nen Namen wissen wir ohnehin« — lautete die Antwort und Ende der Unterhal­tung. Es war gegen 15 Uhr.