Apostolischer Administrator des Erzbistums Vilnius

Durchschriften an:

Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens Priesterseminar Kaunas

Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen

Ende 1977 wurde der Kleriker des IV. Kurses, Ričardas Jakutis, aus dem Prie­sterseminar Kaunas ausgeschlossen. Zur Untersuchung des Falles wurde eine Seminarkommission unter Leitung des Rektors eingesetzt. Am 20. Dezember 1977 gab der Rektor das Untersuchungsergebnis, anders ausgedrückt, Fakten zum amoralischen Lebenswandel des relegierten Klerikers R. Jakutis bekannt. Die Tatsachen wurden von Frau Šorienė in einem Brief an den Rektor bestätigt und in einer Erklärung von Frl. Činskytė an die Bischöfe und Bistumsverwalter Litauens bekräftigt. Der Kleriker Jakutis hat den vorgebrachten Anschuldigun­gen nicht widersprochen und sich schuldig bekannt.

Doch da vernimmt man plötzlich die unerwartete Nachricht — R. Jakutis sei im geheimen zum Diakon geweiht worden und in der Kirche von Nemenčinė als Hilfsgeistlicher tätig.

Von den Gläubigen dazu aufgefordert, besuchte Pfarrer A. Svarinskas am 6. Februar 1979 Bischof Labukas, um von ihm zu erfahren, wer R. Jakutis eigent­lieh zum Diakon geweiht habe. Der Bischof bestätigte die Tatsache der Weihe, erklärte aber, nicht zu wissen, wer sie vollzogen habe, möglicherweise ein Bi­schof aus Weißrußland oder der Ukraine. Einer Gruppe von Priestern des Erz­bistums Vilnius, die in Sachen R. Jakutis und A. Kazlauskas und aus Anlaß der plötzlichen Ernennung zum Verwalter des Erzbistums Vilnius Pfarrer A. Gu­tauskas am 7. Februar 1979 aufsuchte, erklärte letzterer: »Jakutis wurde von Bischof Labukas geweiht.«

Wie ist die Haltung des Verwalters der Erzdiözese Vilnius, Pfarrer C. Krivaitis, zu erklären, was hat ihn dazu bewogen, einen relegierten Seminaristen weiter als vollwertigen Kleriker zu behandeln? Bereits bei der Seminarsitzung am 11. Ja­nuar 1978 hatte er die Wiederaufnahme des R. Jakutis als eines unschuldig ver­leumdeten Mannes verlangt. Nach der Relegation betreute er ihn und brachte ihn bei Pfarrer K. Pukėnas in Nemenčinė unter, ließ ihm materielle Hilfe zu­kommen und schlug ihn schließlich als geeigneten und ernstzunehmenden Kan­didaten für eine bischöfliche Weihe vor. Überrascht hat ferner die Haltung des R. Jakutis selbst. Er betrachtete sich keineswegs als relegiert, sondern als or­dentlicher Kleriker, den der Verwalter des Erzbistums Vilnius, Č. Krivaitis, per­sönlich dem Gemeindepfarrer von Nemenčinė, K. Pukėnas, zwecks Ableistung eines »Liturgischen Praktikums« überstellt habe.

Alle diese Unklarheiten reimen sich jedoch zu einer zweifellos richtigen Ant­wort, wenn wir ein merkwürdiges Ereignis berücksichtigen. Die zivilen Behör­den zeigen sich äußerst besorgt um das Schicksal des R. Jakutis. Er selbst suchte Zeugen seiner Verfehlungen (z. B. Frau Šorienė) auf und bat um Widerruf der kompromittierenden Aussagen. Die zivile Obrigkeit betrachtet ihn als einen der ihren, so daß man unwillkürlich zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die Geistli­chen Č. Krivaitis und K. Pukėnas, ein Bischof und Vertreter der zivilen Gewalt gemeinsam an der Weihe eines des Priesteramtes unwürdigen Mannes zum Dia­kon beteiligt waren.

Der zweite, nicht weniger spektakuläre Fall betrifft die plötzliche Wiederauf­nahme des Klerikers Algis Kazlauskas (IV. Kurs) in das Priesterseminar Kau­nas. Er wurde 1977 von der Leitung des Priesterseminars scharf verwarnt, sei­nen Lebenswandel zu bessern, und im Herbst 1978 beschloß die Lehrerver­sammlung des Seminars, ihn als für das Priesteramt ungeeignet aus dem Semi­nar zu entfernen. Diesem Beschluß widersprach Pfarrer Č. Krivaitis, Verwalter des Erzbistums Vilnius. Der Relegationsbeschluß wurde daraufhin durch einen anderen ersetzt — Zeit zur Besserung wurde eingeräumt — und ein »akademi­scher Urlaub« für die Dauer eines Jahres gewährt. Dabei wurde das Dekret des Zweiten Vatikanums über die Ausbildung des Priesternachwuchses mißachtet, welches bestimmt, »Auswahl und Eignung des Kandidaten sind stets sorgfältig zu prüfen, auch wenn großer Priestermangel herrscht«. Doch bereits wenige Monate später, Mitte Januar 1979, wird A. Kazlauskas wieder ins Seminar aufgenommen.

Unter der Sowjetmacht wurde eine ganze Reihe tauglicher Kleriker auf Verlan­gen der zivilen Behörden aus dem Seminar ausgeschlossen. Manche mußten bis zu zehn Jahren auf eine Wiederaufnahme warten, z. B. J. Čepėnas oder die jet­zigen Pfarrer J. Giedraitis, A. Graužinis, J. Zubrus, V. Rūkas u. a. Bei A. Kaz­lauskas dauerte die Wartezeit nicht einmal ein Jahr. Er soll seinen Charakter, Kultur, Temperament und Eitelkeit innerhalb weniger Monate »verändert« ha­ben. Jedermann begreift, daß ein Mensch keine leblose Sache ist, die man schnell verändern kann. Die kanonischen Bestimmungen der katholischen Kir­che kennen den Begriff einer Besserung des Menschen, sehen dazu aber längere Zeiträume vor (Canon 2295).

Das Priesterseminar verweist rechtfertigend darauf, daß nicht seine Leitung, sondern die Bistumsverwalter das Wort haben. So sei A. Kazlauskas auf Ver­langen des Bischofs L. Povilionis wieder aufgenommen worden. Dessen nicht genug, dieser setzte sich dafür ein, daß auch andere, relegierte, weil zum Prie­steramt ungeeignete Kleriker, wie A. Paškevičius und K. Mangevičius, wieder ins Seminar aufgenommen wurden.

Am 8. Januar 1979 hatten sich einige Geistliche der Erzdiözese Vilnius tatsäch­lich an Bischof L. Povilionis gewandt und gebeten, man möge den Kleriker A. Kazlauskas angesichts außergewöhnlicher intellektueller Gaben wieder ins Se­minar aufnehmen. Doch seit wann ist Intellektualität das einzige Kriterium für die Eignung eines Priesteramtskandidaten?

Andererseits, wer kennt R. Jakutis und A. Kazlauskas besser: wir, die mit ihm zusammen im Seminar waren, oder jene, die in Paradeuniform gelegentlich mit ihm zusammengetroffen sind? Wir meinen, daß sich alle Kleriker, soweit sie dem Geheimdienst noch nicht die Hand gereicht haben, sich gegen die beiden aussprechen würden, wenn sie nicht Ausschluß aus dem Seminar zu befürchten hätten. Die Wiederaufnahme des A. Kazlauskas bezeugt ferner eine Prinzipien­losigkeit der Leiter des Seminars, die heilige Dinge mit großer Nonchalance be­handeln. Handeln sie doch gegen ihre eigene Überzeugung, wenn sie einerseits einen Kandidaten als untauglich ausschließen und ihn dann doch wieder auf­nehmen.

Im März 1978 hat die Leitung des Seminars auf Verlangen ziviler Regierungsbe­amter die beiden guten Kleriker Vytautas Pukas und Petras Blazukas relegiert, die weder gegen das Reglement des Seminars noch gegen das kanonische Recht verstoßen haben. Vergleichen wir deren Schicksale mit denen von R. Jakutis und A. Kazlauskas, so ist unschwer zu erraten, wer die Leitung des Seminars zu plötzlichen Meinungsänderungen veranlaßt.

Was bedeutet dies alles? R. Jakutis und A. Kazlauskas wurden als ungeeignet für das Priesteramt aus dem Seminar entfernt, doch behandelt sie der Verwalter des Erzbistums Vilnius, C. Krivaitis, weiterhin als einwandfreie Kleriker, die von einigen Geistlichen, wie K. Pukėnas und K. Vaičionis, betreut, von der Ku­rie in Vilnius materiell unterstützt werden, Soutanen tragen und den Altardienst verrichten. R. Jakutis wurde gar zum Diakon geweiht und A. Kazlauskas noch vor Ablauf seines »akademischen Urlaubs« wieder ins Seminar aufgenommen, dazu noch der Gruppe seiner früheren Mitkursanten zugeteilt. Kleriker, die auf Verlangen des Staatssicherheitsdienstes ausscheiden mußten, werden weder vom Seminar noch den Ordinären oder den Kurien betreut. P. Blažukas darf nicht einmal darauf hoffen, daß der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten ihm jemals gestattet, ins Seminar zurückzukeh­ren. Eine wahrhaft paradoxe Situation! Jenen machen weder das Seminar noch die zivile Regierung irgendwelche Schwierigkeiten, während P. Blažukas überall Hindernisse in den Weg gestellt werden.

Bedarf es noch deutlicherer Beweise, daß das Seminar, einige Bischöfe, Bis­tumsverwalter und Priester den Interessen der zivilen Gewalt willfahren? Mit ih­rer Hilfe erreichen die Atheisten, daß neben guten Klerikern auch ihnen gefügi­ge Kandidaten ausgebildet werden, sogenannte »loyale Priester«, die die Kirche kompromittieren sollen. Diese Tatsachen vor den Augen aller Welt zu verschlei­ern, wird weder Rektor Dr. V. Butkus noch hohen Hierarchen der katholischen Kirche Litauens gelingen. Mögen die ausländischen Zeitungen und Rundfunk­anstalten noch so viele irreführende Interviews geben — daß nicht etwa Staats­beamte, sondern wir selbst Hausherren des Seminars seien. Beim Eintritt und während des Studiums im Seminar haben wir die Tatzen der staatlichen Ge­heimpolizei oft genug persönlich zu spüren bekommen. Jetzt sind wir Zeugen der geheimpolizeilichen Beeinflussung des Priesterseminars Kaunas als Institu­tion!

Jedermann begreiflich ist der Wunsch der Atheisten, die Kirche mit Hilfe und den Händen ihrer Kinder selbst zu zerstören, zu kompromittieren, ihre innere Ordnung zu verwirren, die Einheit der Geistlichkeit zu sprengen. Wie aber soll und kann man das Verhalten einzelner Priester und Bischöfe deuten und verste­hen, deren Verhalten sich weder mit dem kanonischen Recht noch mit den Be­schlüssen des Zweiten Vatikanums vereinbaren läßt. Die Weihe des R. Jakutis und die Wiederaufnahme des A. Kazlauskas ins Priesterseminar können wir nur als direkten Zerstörungsakt an der Kirche ansehen.

Unwillkürlich wird man sich hier eines historischen Faktums, der Nürnberger Prozesse, erinnern, in denen sich Menschen für ganze Ströme an vergossenem Blut und Tränen zu verantworten hatten. Obwohl alle sich mit »Wir hatten zu gehorchen« und »Befehl von oben« verteidigten, hat das Gericht sie verurteilt und damit anerkannt, daß es neben einer positiven Gesetzgebung von außen auch noch eine innere persönliche Entscheidung und Verantwortung des einzel­nen gibt.

Die Nürnberger Prozesse sind Vergangenheit, doch der Gerichtsprozeß der Ge­schichte hält an. Es ist kaum anzunehmen, daß er die einer zivilen Gewalt »loya­len« Söhne der Kirche vor dem Schandpfahl bewahren wird. Nichts wird sie da­vor bewahren, weder hohe Posten noch klangvolle Titel, mit denen man sie heu­te ehrt. Und schließlich wird es vor dem Gerichtsstuhl Gottes kaum ausreichen, sich mit einem Befehlsnotstand zu rechtfertigen.

Hochverehrter Sohn des litauischen Landes, hochwürdiger Apostolischer Ad­ministrator des Erzbistums Vilnius. Unser aller Augen sind heute nur auf Sie und Bischof V. Sladkevičius gerichtet. Sie sind Stolz und Hoffnung unserer Na­tion. Wir stehen zu Ihnen, voller Verständnis und Anteilnahme an ihrem schwe­ren Los als Verbannter. Zur Zeit verbietet man Ihnen, Ihres Amtes als Ober­haupt der Diözese zu walten, doch sind Sie, und nicht der Verwalter, Pfarrer A. Gutauskas, der wirkliche Oberhirte des Erzbistums Vilnius. Im Bereiche des geistlichen Wirkens der Kirche haben Sie dieselben Rechte und Vollmachten wie die amtierenden Bischöfe. Mit diesen zusammen tragen Sie daher große Verant­wortung, nicht nur für das Ihnen vom Vatikan anvertraute Erzbistum Vilnius, sondern auch für das Schicksal der gesamten katholischen Kirche in Litauen. Da R. Jakutis und A. Kazlauskas zum Erzbistum Vilnius gehören, wenden wir uns an Sie und bitten im Namen aller die Kirche liebenden Geistlichen und Lai­en — untersagen Sie R. Jakutis die Amtsausübung als Diakon, nicht nur in der Kirche von Nemenčinė, sondern im gesamten Erzbistum Vilnius, denn aus Tel­siai erreichen uns laufend neue Details über seine Eskapaden. Lassen Sie eine Priesterweihe des A. Kazlauskas nicht zu, ehe Sie sich nicht selbst moralisch von dessen ehrlicher Besserung überzeugt haben.

gez. von Priestern, die R. Jakutis und A. Kazlauskas kennen:

A. Beniušis         R. Černiauskas       M. Savickas       A. Gražulis

J. Alesius            P. Merliūnas        S. Linda             A. Čeponis

J. Kauneckas       A. Tamulionis        P. Šliauteris

Priester, die R. Jakutis kennen:

F. Balionas         E. Bartulis          K. Daknevičius       V. Stakevičius

V. Beržinis         J. Maleckis         A. Bulota           J. Pečiukonis

V. Kapočius        S. Puidokas

(Der offene Brief ist in einer von der Redaktion gekürzten Form wieder­gegeben.)