ERZBISTUM VILNIUS

Adutiškis

13. März 1972. Der Gemeindepfarrer von Adutiškis, B. Laurinavičius, wurde zu J. Rugienis, demBevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beordert, der ihm auf die Eingabe der Priesterdes Erzbistums Vilnius vom 24. November 1971, gerichtet an den Generalsekretär des ZK der KP der UdSSR L. Brežnev, „antwortete". (Siehe Chronik der LKK Nr. 1). Der Bevollmächtigte des Ratesbeschuldigte Pfarrer B. Laurinavičius, ei sei unverschämt und antisowjetisch eingestellt und erteiltezugleich den Rat, „mehr Mühe auf die Seelsorge zu verwenden". Während des Gesprächs ergab sichkeine Möglichkeit, die Anschuldigungen des Regierungsbeauftragten zu entkräften, so reichte derPriester am 20. Juli 1972 einen ausführlichen schrift­lichen Widerspruch ein. Weiter unten werden einigeGedanken und Fakten aus dem erwähnten Brief wiedergegeben, der die Manier der Verfolgung der litaui­schen katholischen Kirche unmißverständlich aufdeckt.

Rugienis beschuldigt Laurinavičius

„Du schreibst an Bischöfe und Priester, die ,ihre Arbeit innerhalb der sowjeti­schen Gesetzgebungverrichten' ".

Laurinavičius leugnet dies nicht, denn seiner Meinung nach mußte dies getan werden. Am 11. April 1972z.B. verurteilte die offiziellen Bischöfe und Amts­herren in Litauen in einem Hirtenbrief dieKollektiveingaben der Gläubigen an die Regierungsvertreter. „Im Wirchenleben herrscht derBrauch,brüderlich zu ermahnen. Dies ist bezeichnend für die kirchliche Demokratie. Jeder Priester darfsich den bischöflichen Verordnungen äußern," schreibt Pfarrer B. Laurinavičius.

Weiter vermerkt der Priester, daß besonders die Atheisten sich durch ihre große Zahl vonBeschwerdeeingaben gegen die Priester auszeichnen.

Fiktive A ussagen gegen Priester

„Am 16. Januar 1968 zeigte mir der Bevollmächtigte des Rates ungefähr 30 schriftliche Eingaben, diesämtlich meine Person betrafen. Wie kommt es zu solchen Beschwerden und woher stammen sie? Eszeigt sich, daß der Direktor der I. Mittelschule in Švenčionėliai, Z. Baranauskas, die Schüler so lange einbehielt, bis sie die diktierten Erklärungen fertig geschrieben hatten. Einige Schüler erlitten darobeinen nachhaltigen Schock."

,, 1971 sprach ich anläßlich der Bestattungsfeier des K. Valadzka im Dorf Jakeliai über Gott, das Sterbenund das Ewige Leben. Dies ist nun wirklich ein argloses Thema, doch der Direktor der Kolchose nahmAnstoß daran: „Hier ist nicht der Ort, um Propaganda zu treiben." Gerüchte besagen, daß der Direktorsogar Beschwerde gegen mich einreichte. Als meine Verwandten und Bekannten die Kläger fragten,wessen sie den Pfarrer beschuldigt hätten, ant­wortete einer: „ Ich weiß nicht, denn ich habe ein leeresBlatt unterschrieben!" Andere erklärten, sie hätten unterschrieben, weil sie fürchteten,ihre Arbeit zu verlieren. So wird oft unterschrieben, weil man sonst „kein Pferd, Heu oder andere zum Lebennotwendige Dinge bekommt".

Die Priester halten sich an die Gesetze, die Regierung hingegen nicht

Pfarrer B. Laurinavičius schreibt, daß die litauischen Priester gewillt seien, ihre Tätigkeit innerhalb dersowjetischen Gesetze auszuüben, allein die Sowjetregierung halte sich nicht an ihre Gesetze. „Am 16.Januar 1968 erklärte mir der Bevollmächtigte J. Rugienis ganz deutlich: „Wenn du in Švenčionėliaibleibst, mußt du dir einen anderen Beruf suchen." " „Am 3. Januar 1971 beteuerte der VertretendeVorsitzende des Vollzugs­komitees des sowjetischen Arbeiterdeputiertenrates, V. Sauliūnas, stolz, er habe mich 1968 meines Amtes in Švenčionėliai enthoben." „Das Kirchenrecht verlangt, daß jederPriester den Kindern und Jugendlichen die Glaubenswahrheiten beibringt. Die Eltern haben ja oft nichteinmal die Möglichkeit, dies zu tun, da sie werktags arbeiten und sonntags aus Angst nicht einmal in dieKirche gehen. Denn diejenigen Gläubigen von Jakeliai, die man beim Kirchgang ertappt, werdenkarrikiert und an der Schandtafel aus­gehängt. Sucht der Pfarrer nun jemanden notgedrungen zu Hauseauf, so wird er der Agitation bezichtigt. Letzteres mußte ich mir vom Stellvertretenden Vorsitzenden desVollzugskomitees in Švenčioniai, V. Saulius vorwerfen lassen.

Wird aber die Kirche in der Sowjetunion toleriert, so ist es doch selbstver­ständlich, daß die Gläubigennach ihrem Recht leben dürfen. So darf der Bürger bis zu seinem 18. Lebensjahr nicht an gemeinsamenFeierlichkeiten,wie z.B. Prozessionenfund im Kirchenchor teilnehmen; warum werden dann aber völligunbestrafte Kinder den verschiedenen Organisationen als Pioniere oder dem Komsomol angeschlossen?

Ich habe niemanden gezwungen,in die Kirche zu gehen. Würde ich dies tun, dann würde ich gegen diesowjetische Konstitution verstossen, in der ja die Gewissensfreiheit garantiert ist. Kraft welchen Gesetzeshat nun die Litauisch­lehrerin Turlienė der Mittelschule in Adutiškis am 14. April 1972 alle Kinder ausder Kirche entfernt?

Die Verfassung der Sowjetunion erklärt im Absatz 124: „Die Kirche ist von der Schule getrennt" und„Der Staat ist von der Kirche getrennt". Hat man je gehört, daß ein Priester die sowjetische Schuleaufgesucht hätte oder auf einer Parteiversammlung aufgetaucht wäre? Doch die Atheisten erscheinensehr oft in der Kirche, leider nur um Spitzeldienste zu leisten. Der bereits erwähnte V. Sauliūnaseröffnete mir am 5. Januar 1971: „Wir kennen den Inhalt ihrer Predigten ganz genau und könnenjederzeit darauf zurückgreifen." In der Kirche gilt das Gebot der Fastenzeit, in der sich die Gläubigenleerer Vergnügungen und Trinkgelagen enthalten sollen. Als ich dies den Gläubigen auseinandersetzte,verwarnte mich der Gemeindevorsitzende von Adutiškis, ich solle mich nicht in die Angelegenheiten derLiebhaberzirkel einmischen. Es geht also bereits so weit, daß der Priester kein Recht hat,überKirchengebote wie Fasten und Selbstbeherrschung zu sprechen.

In Wirklichkeit ist der Staat sehr eng mit der Kirche verknüpft. Er versucht sogar gewaltsam in dieinneren Angelegenheiten der Kirche einzugreifen: die Priester werden gezwungen, die Kinder denAltären und dem Kirchenchor fernzuhalten, sie müssen die Kirchenbanner von den Gläubigeneinsammeln, verbieten, daß die Toten katholisch, d.h. nach dem Kirchenritual,beerdigt werden unddürfen die Kinder nicht in der Religionslehre unterweisen."

Eine weitere Beschuldigung von Seiten Rugienis

Sie beschuldigen micli,antisowjetische Texte verfaßt zu haben." Am 13. März 1972 erklärte ich demBevollmächtigten des Rates, daß ich keinerlei antisowjetische Schriften verfaßt habe. In der Eingabevom 24.Dez. 1972 an den Generalsekretär des ZK der KPdSU, L. Brežnev, waren keinerlei antisowjetische Ausfälle enthalten. Es wurden allein Tatbestände aufgeführt:

1.    Der freie Eintritt in das Priesterseminar in Kaunas ist nicht gegeben.

2.    Kein einziger Katechismus, kein Gesangbuch,noch die Hl. Schrift wurden, während der Sowjetära.publiziert. Gebetbücher wurden nur aus propagandi­stischen Erwägungen herausgegeben. Wären sie inentsprechend benötigter Anzahl erschienen, würden dann die Gläubigen bereit sein, 30 Rubel dafür zu zahlen? Nur wenige Personen, wie Choristen und Zufallsauserwählte,erhielten ein Gebetbuch.

3. Nicht gewaltsam versuchten wir, S.E. Bischof Julijonos Steponavičius und S.E. Bischof V.Sladkevičius wieder in ihre Ämter einzusetzen. Wir sind nicht die ersten und einzigen, die Fürspracheerbitten und sich sorgen um unsere rechtmäßigen Vorgesetzten, denen soviel Unrecht geschehen ist.Denn teuer sind uns unsere Geistesbrüder — die ukrainischen Brüder — und ebenso Zdebskis undBubnys, die aufgrund ihres Glaubens verurteilt wurden. Auch die Kommunisten sorgten sich vor demKrieg um ihre Freunde. Sie schrieben, baten und sammelten Unterschriften. All dies können Sie demBuch von A. Venclova Jaunystės atradimas (Entdeckung der Jugend,) Vilnius, 1970, entnehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Bevollmächtigte des Rates für Reli­gionsangelegenheiten einenabscheulichen Brief an Seine Heiligkeit Papst Pius XII. auf und verlangte von den Priestern, diesen zuunterschreiben.

Die Zeitschrift Lietuvos Pionierius (Der litauische Pionier) Nr. 34, 22. April 1972, schreibt: „Die Pioniereder II. Mittelschule in Kėdainiai sammelten 1600 Protestunterschriften und bereicherten denFriedensfonds um 150 Rubel." In der Sowjetunion ist es Kindern gestattet Protestunterschriften zu sammeln, doch wendet sich ein Priester mit einer Bittschrift an die Sowjetorgane, wird ihm dies alsBosheit und antisowjetische Handlung angelastet.

Wir baten um die Wiedereinsetzung der ukrainischen Priester, denn immer wieder bedrängen uns dieukrainischen Gläubigen und bitten uns, bei ihnen zu arbeiten. Wir setzen uns für diese Priester ein, weilsie verurteilt und bestraft wurden.

Am 17. März 1964 tagte das Volksgericht des Rayons Švenčioniai. Dort ver­weigerte man mir das Recht,mich zu den vorgebrachten Verleumdungen der Opponenten zu äußern. Owohl ich darum bat undverlangte, wurde mir auch das Recht des „Letzten Worte" genommen. Weiter verbot man mir, das Urteilvor einer höheren Instanz anzufechten. Im Absatz 2 der Strafprozess­ordnung der Litauischen SSR jedochheißt es: „Die Aufgabe des sowjet. Strafprozesses ist es, schnell und umfassend das Verbrechenaufzuklären, den Schuldigen zu überführen und das Gesetz entsprechend anzuwenden, so daß der Täterseine gerechte Strafe erhält und kein Unschuldiger verurteilt werde." S.E. Bischof J. Steponavičius büßtbereits 10 Jahre, ohne daß sein Vergehen geklärt worden wäre.

Das Strafgestzbuch der Ltauischen SSR schreibt im Absatz 4: „Niemand darf anders als aufgrund dervom Gesetz festgelegten Ordnung verurteilt werden."

S.E. Bischof Steponavičius wurde ohne jedes Gesetz verurteilt.

Absatz 11 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR besagt: „Allein das Gericht entscheidet in einemStrafprozeß über die Gerechtigkeit. Niemand darf eines Vergehens für schuldig erklärt und verurteiltwerden als durch Gerichtsbeschluß."

S.E. Bischof J.Steponavičius wurde nicht aufgrund eines Gerichtsbeschlusses verurteilt. Deshalb batenwir, ihm, der vor Gericht nicht schuldig gesprochen wurde, wieder sein Amt zu übergeben, da dasErzbistum Vilnius im wahrsten Sinne des Wortes eines Ordinarius bedarf.

Weiter werden Tatsachen aufgeführt, welcher Willkür der staatlichen Rayons­und Ortsfunktionäre diePriester ausgesetzt sind:

a)    Der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons Šenčioniai, Telyčėnas, wies allePriester des Dekanats Švenčioniai an, an ein und demselben Sonntag die Exerzitien abzuhalten. Als manzu bedenken gab, daß dies ohne Hilfe von auswärtigen Priestern unmöglich sei, anwortete er ironisch:„Wird denn dein Nachbar nicht zu dir kommen, wenn du ihn darum bittest?"

b)    Für gewöhnlich ist es Aufgabe der Miliz den Verkehr zu regeln. Am 15. Januar 1971 jedoch,verlangte der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees in Švenčioniai, V. Sauliūnas, von mir,daß ich den Gläubigen, die einem Toten die letzte Ehre erwiesen, verbieten sollte, auf der Straßegeistliche Lieder zu singen und die Kirchenfahnen zu tragen, was für ein Hohn! Der Priester soll denGläubigen verbieten zu beten und die Kirchenbanner zu tragen!

c)    Am Hl. Abend 1971 schenkte ich meinen Gästen einige Süßigkeiten. Der Hl. Abend bedeutet für unsGläubige sehr viel. Überall pflegt man an diesem Abend besondere Gastfreundschaft. Doch ich erhieltdafür von der Regierung eine Rüge. V. Sauliūnas scheute nicht davor zurück, deshalb 29 km Fahrt auf sich zu nehmen. Was für eine unverschämte Einmischung in das Privat­leben des Priesters.

d) Am 11. Januar 1972 verlangte V. Sauliünas, daß ich aus den Dörfern die Trauerfahnen, die währendeines Begräbnisses mitgetragen werden, einsammeln solle. Was man sich selbst nicht zu tun getraut, seies aus Gottes­furcht oder Scham vor den Menschen, fordert man von den Priestern.

e)    Am 10. März 1971 verlangte die Leiterin der Finanzabteilung des Rayons Švečioniai J. Valadkinė, indas Taufregister Einsicht zu nehmen; sie brauche es für die Versteuerung. Später stellte sich heraus, daßsie auf diese Weise erfahren wollte, welche Personen ihre Kinder taufen oder sich kirchlich trauen ließen. Zum Glück waren nicht alle Namen eingetragen.

f)    Am 5. April 1971 erklärte die Gemeindesekretärin von Adutiškis, Frau Kluonienė: „Hochwürden,wenn Sie mir vertrauen, so händigen Sie mir die Tauf- und Traubücher aus; tun Sie es nicht, so bringt sieselbst in die Gemeindeverwaltung." — „Wozu werden diese gebraucht?" fragte ich. „Irgendwelche zweiAnkömmlinge verlangen danach." Ich riet ihr, sich an das entsprechende Standesamt zu wenden. DieBücher gab ich nicht heraus, denn man hätte die Gläubigen zur Verantwortung gezogen und ich wäre zum Verräter geworden.

g)   1966 bekam ich vom Vorsitzenden des Exekutivkomitees in Švenčionėliai, Bukielskis, folgendes zuhören: „Willst du auch weiterhin an den Begräbnis­feierlichkeiten teilnehmen und auf den Friedhofgehen, so krieche getrost in den Hintern des Volkes."

All' dies läßt erkennen, in wessen Händen wir geraten sind.

4.    Man bat um Widerruf des unrechtmäßig angewandten Absatzes 143 des Strafgesetzbuches derLitauischen SSR, da er der sowjetischen Staatsverfas­sung widerspreche.

5.    Wir baten um die Annullierung von uns unbekannten geheimen Instruk­tionen, die das religiöse Lebenbetreffen. Vorschriften, die das Leben der Bürger regeln, müssen allen öffentlich bekannt sein. Überallgilt die Devise: „Aufgrund von unveröffentlichten Gesetzen, können keine Strafen verhängt werden."

6.    Manbat um Revision der Strafurteile der aufgrund ihres Glaubens ver­urteilten Personen, um letzterendas Recht zukommen zu lassen, da sie nicht wider den Absatz 124 und 125 der Staatsverfassung derUdSSR gehandelt hätten, als sie ihren unmittelbaren Pflichten nachkamen.

Die dritte Anschuldigung des Rugienis

„Du bist von Geburt an antisowjetisch eingestellt."

Hier irrt sich der Bevollmächtigte. Wäre ich antisowjetisch eingestellt, hätte ich mich 1944 in denWesten abgesetzt. Damals wohnte ich noch bei meinen Eltern und war noch nicht im Amt. Als viele nachdem Westen eilten, ging ich nach Osten, nach Švenčionėliai.

„Laurinavičius ist überzeugt, er könne nach seinem Gutdünken leben." Diesmal, am 13. März 1972,brüllte der Bevollmächtigte des Rates nicht so wie am 16. Januar 1968. Er sprach fast leise mit den vielenGedankenpünktchen, Ihr habt die Gesetze und Gerichte, Verordnungen und geheime Instruktionen, Gewalt und Gefängnis; auf meiner Seite hingegen befindet sich allein die ewig währende Wahrheit, umdie ihr euch nicht kümmert. (Rugienis):

„Du bist unverschämt!"

Wäre ich unverschämt, so hätte ich Sie an folgendes erinnert: als Sie mich am 16. Januar 1968 mit einemKater verglichen; einen Fanatiker nannten; unrechtmäßig aus Švenčionėliai vertrieben; mich wegen desübriggebliebenen Baumaterials vom Kirchenbau in Švenčionėliai schikanierten — habe ich geschwiegen.

Damit es klarer wird, wer hier weit unverschämter war, erinnern wir uns einiger Tatsachen aus derVergangenheit.

An den Stand der Kirche in Švenčionėliai können Sie sich, Herr Bevoll­mächtigter, wohl gut erinnern,denn im Frühjahr 1957 haben Sie sie ja besichtigt. Neun Monate lang mußten wir umherlaufen, bitten undverlangen. Wieviel Plage bereitete uns die Genehmigung! Sie können es sich gar nicht vorstellen, denndamals waren Sie noch nicht im Amt. Das Exekutivkomitee in Švenčionėliai erklärte: „Schlagt euch dieGenehmigung aus dem Kopf! Niemand wird sie euch geben." der Vorsitzende desArbeiterdeputiertenrates, K. Dudlauskas, drohte mir: „Willst du in Švenčionėliai bleiben, so verhalte dich ruhig!" Der Vorsitzende des Obersten Rates der Litauischen SSR J. Paleckis, der mich das erste Malsehr freundlich empfangen hatte, wurde beim zweiten Mal äußerst grob.

Nachdem die Genehmigung erlangt war, mußte man sich um das Baumaterial kümmern. Im ersten Jahrwurde nur das Holzmaterial genehmigt. Dafür benötigten wir wiederum Geld. 1957 erstellte die vonIhnen geschickte Kom­mission den Kostenvoranschlag — eine Million Rubel! Es mußten Spezialisten gefunden, ein Transport organisiert werden. Als dies nicht gelang, schleppte ich, nach und nach, eineTonne Zement auf dem Fahrrad aus dem Geschäft zum Bauplatz. Vier Jahre lang arbeitete ich schwer amKirchenbau. Mit Gottes Segen und der Hilfe guter Menschen wurde die Arbeit beendet. Gut — so lautetedas Urteil der Staatskommission.

Für die Bauarbeiten erhielt ich keine Bezahlung, denn das Kirchenkomitee in

Švenčionėliai war oft in Geldschwierigkeiten. Nach fertigstellung des Kirchenbaus entlohnte mich das Komitee mit dem übriggebliebenen Bau­material, woraus ich mir dann, nachdem ich 10 t Zement hinzugekauft hatte, ein Wohnhaus erstellte. Ich baute es unmittelbar neben der Kirche. Zu Beginn setzte ich beim Rayonnotar von Švenčionėliai ein Testament auf: nach mir sollten dies Haus jene Priester bewohnen, die in der Pfarrei tätig sind. In den Hausbau investierte ich meine eigenen und die Ersparnisse meiner Eltern, da sie eine geräumigere Wohnung wünschten und auch der Gemeinde Švenčionėliai eine Wohltat erweisen wollten. Normalerweise gedenkt man gerne der Wohltäler. Auch von Freunden mußte ich mir Geld ausleihen. 2 Jahre lebten wir in Flieden. 1962 kam aus Vilnius ein gewisser Sprindys, der, wie sich später herausstellte, ein Sicherheitsbeamter war. Nach der Unterredung machte er mir den Vorschlag, S.E. Bischof J. Steponavičius und einige freunde aufzusuchen. Er erbot sich sogar, mir eine Fahrgelegenheit zu besorgen. Der Zweck meiner Reise sollte, wie er sich ausdrückte „zur Klärung einiger Fragen beitragen". Ich verweigerte jegliches Feilschen und antwortete, ich wäre nicht Antanavičius. (In der Sowjetpresse wurde Priester Antanavičius als Spion der Zarenregicrung bezeichnet.)

Als erstes wurde ich in der satirischen Zeitschrift „Šluota" (Der Besen/ ver­spottet . Danach riefen Sic mich am 24. Juni 1962 zu sich und „erklärten" mir, daß das übriggebliebene Baumaterial Eigentum des Staates gewesen sei. Als ich Ihnen darlegte, daß das Kirchenkomitee mir das Material als Lohn für die 4-jährige schwere Arbeit am Kirchenbau übereignet hatte, meinten Sie, das Komitee hätte da/u kein Recht gehabt. Es ist doch höchst seltsam: das Komitee hat /war kein Recht., die Arbeiter auszubezahlen, sondern allein das Recht Steuern zu entrichten. Am 24. Juni 1962 sagten Sie zu mir: „Sie hätten nicht /u arbeiten brauchen." Ich war aber berechtigt /u arbeiten. Das Kirchen­komitee halte mich zu seinem Vorsitzenden gewählt und Sie haben dies am 19. März 1957 (Akle Nr. 2429) schriftlich bestätigt. Als Sie mich also damals verhöhnten, war ich weder unverschämt noch zeigte ich irgendwelche Ressen­timents. Sie hingegen haben mich zuliefst beleidigt. Ich hörte mir ruhig Ihre Anzüglichkeilen an, ging nach Hause und schrieb dort an das Kirchenkomitee und an Sie eine Erklärung, daß ich das vom Komitee erhaltene Baumaterial, das man mir für die 4-jährige schwere Arbeil zugesprochen hatte, dem Kirchenkomitee zurückgegeben hatte. Die Summe aber, die ich in den Haus­bau invcsticri halle, halle ich zurückbehalten.

Ich schrieb viele Instan/en an. Auf alle Eingaben erhielt ich die Antwort: „Der Gerichtsbeschluß gilt, es besteht kein Grund für einen Einspruch." Doch wie konnte das Gericht sein Urteil fällen, ohne beide Seiten gehört zu haben! Drei meiner Eingaben, adressiert an den Generalstaatsanwalt

der UdSSR, Rudenko, wurden an die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR weiteergeleitet. Dieseerteilte mir stets die Antwort: ,,Es besteht kein Grund, den Beschluß des Volksgerichtes in Švenčionėliaianzufechten." Mein vierter Einspruch an den Generalstaatsanwalt der UdSSR gelangte schließlich in die Hände eines Menschen. Er wies den Stellvertretenden Oberstaatsanwalt der Litauischen SSR, A.Kirijenko, an, gegen den Gerichtsbeschluß des Volks­gerichtes des Rayon Švenčionėliai vom 17.März1964 Einspruch zu erheben.

Die Strafprozeßakte in den Händen eines Menschen

Pfarrer Laurinavičius legt nun den Beschluß des Obersten Gerichtshofes der Litauischen SSR vom 3. Juni1965 vor, in dem es heißt: „Da das Baumaterial vom Kirchenkomitee erworben wurde, ist es dessenEigentum und steht ihm frei dickes jedem beliebigen zu schenken. Ein Geschenk gilt nicht als Einkommen. Außerdem ist den Ausführungen des Bürgers Laurinavičius zu entnehmen, daß für denHausbau auch eigene persönliche Einkünfte ver­wendet wurden, die er sich bei der Ausübung vonreligiösen Riten erworben hatte. Die erwähnten Umstände können nicht widerlegt werden, genauso wenig ist es erwiesen, daß Bürger Laurinavičius durch böswillige Ausnützung in den Besitz des Hausesgelangt wäre.

Das Gerichtskollegium kam überein:... der Beschluß des Volksgerichtes des Rayons Švenčionėliai vom17. Mär/ 1964 wird annulliert."

Doch das andere Gericht ist wieder in den Händen der Partei

Die Prozeßakte wurde dem Volksgericht des Rayons Ignalina übergeben und dessen Richterin war sounverfroren, sogar in den Beschluß willkürliche Behauptungen hineinzuschreiben. S. Janulis erklärtewährend der Ver­handlung, daß er an keiner Kommission teilgenommen habe, doch die Richterinvermerkte genau das Gegenteil. Das Haus selbst ist kleiner, als erlaubt wurde, doch die Richterinbezichtigte mich, im Widerspruch zu meiner Dokumentation, ich hätte das Haus erweitert. Um dieVerleumdungen der Richterin zu vertuschen, wurde nach meinem Herauswurf 1966, im Dach­geschoß einZimmer eingerichtet.

Die Richterin des Volksgerichtes des Rayons Ignalina ließ den Beschluß vom 7. Juli 1965 vor demObersten Gerichtshof in Litauen anfechten. Es wurde ein Beratungstag anberaumt, doch es kam zu keinerVerhandlung. Es stellte sich heraus, daß die Richterin widerrechtlich gehandelt hatte, als sie ihren Beschluß anfechten ließ.

Wenn aber die Richterin nicht wußten ob ihr Urteil anfechtbar sei oder nicht,

war sie dann überhaupt fähig, eine Verhandlung zu leiten?

Diese Komödie fand im XX. Jahrhundert statt, indem die Meinung vertreten

wird: der Mensch solle dem Menschen Freund, Kamerad und Bruder sein.

Jetzt aber zwingt sich der Schluß auf, daß die atheistische Moral allein auf dem Papier lebt, aber nicht realiter....

Wessen bin ich schuldig? Weshalb wurde ich bestraft?

Mit welcher Begründung wurde mir der Lohn der vierjährigen schweren Arbeit genommen? Warumwurde ich des Erbes meiner Eltern beraubt?

Fragen und ,,Ratschläge" des Rugienis

„Wie steht es mit dem Kinderchor? Ministranten? Blumenstreuen während der Prozession?"

Am 13. März 1972 erklärte ich, daß in der Kirche in Adutiškis alle Leute sängen. Meßdiener gäbe eskeine. Hier wären nur Adoranten und die Blumen würden von Kindern gestreut, weil die Prozession einunabtrennbarer Teil des Gottesdienstes sei. Die Gläubigen bezeugten jeder auf seine Weise Gott die Ehre, die einen sängen, die andren trügen die Kirchenbanner, die dritten streuten Blumen.

Auf den Rat von Rugienis, sich mehr um die Seelsorge zu kümmern, antwortete Priester Laurinavičiusfolgendermaßen:

„Wie angenehm war es aus Ihrem Munde solche Worte zu hören."

In meiner Studienzeit, in der theologischen Fakultät der Universität Vilnius, erklärte man uns, daß derBegriff „Pastoration" sehr umfassend sei. Hier werde ich nur einige Bedeutung aufzählen:

a)    Der Priester hat die Pflicht die Pfarrmitglieder aufzusuchen.

b)   Ermuß die Kranken besuchen.

c)    Er muß die Kinder, Jugendlichen und alle Gläubigen in den Glaubens­wahrheiten und inGlaubensmoral unterweisen.

d)   Er muß die Kinder den Katechismus und die geistliehen Lieder lehren.

e)    Er hat die Pflicht, die Toten nach dem Kirchenritual zu bestatten.

In Wahrheit hat der Priester heutzutage überhaupt kein Seelsorgerecht.

1. Ihm ist es nicht nur verboten, die Gläubigen zu Hause aufzusuchen und zu segnen, sondern er darf sienicht einmal in der Kirche segnen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als Sie mir am 24. Juni1946 allein deswegen Vorwürfe machten, weil ich die Kinder nach der Fronleichnamsfeier gesegnet hatte.

2.    Nicht immer erhält der Priester die Erlaubnis, einen Kranken zu besuchen. Am 17. November 1971schrieb ich bereits, daß sogar die Bitte des sterbenden V. Stakauskas abgelehnt wurde — er starb, ohnedie Hl. Sakramente empfangen zu haben, weil man der Schwester nicht erlaubt hatte, einen Priester zuholen. Ich bin sicher, Sie haben diesen Brief erhalten, denn er war eingeschrieben. Eine Antwort jedocherhielt ich nicht. Seltsam! Sobald die Regierungsorgane rufen, muß der Priester sofort zur angegebenenjEeit er­scheinen, doch eine Antwort auf seinen Brief wird er nie erhalten.

3.    Nicht nur in der Schule, sondern auch in der Kirche hat der Priester kein Recht, die Kinder zuunterrichten. Folgende Priester: A. Šeškevičius, J. Zdebskis und P. Bubnys wurden deswegen schwerbestraft. An Unterricht bei anderen Gelegenheiten — ist nicht einmal zu denken.

4.    Am 23. Dezember 1971 sangen die Kinder zusammen mit den Er­wachsenen einige geistliche Lieder .Zwei Wochen später mußte ich mir des­wegen von V.Sauliūnas böse Worte anhören.

5. Es ist verboten, die Toten kirchlich zu beerdigen. Wie kann man also von priesterlicherPflichterfüllung, von Seelsorge sprechen? Wenn es folglich unmöglich ist, die priesterliche Arbeiternsthaft zu verrichten, warum dann dieser Hohn?

Am 16. Januar 1968 nannten Sie mich einen Fanatiker. Dies Wort ist mir wohl geläufig, dennoch schauteich zu Hause im Lexikon nach: „Fanatiker — ein Mensch von sturer Überzeugung, der sich durch starkenHaß gegenüber den Menschen mit anderen Überzeugungen auszeichnet." Ich bin im Leben vielen Menschen begegnet, die anderer Meinung waren als ich, doch empfand ich ihnen gegenüber keinen Haß.Allein der Fanatismus meiner Opponenten vertrieb mich aus Švenčionėliai und aus meinem Hause. Alldies geschah nicht aus Liebe gegenüber dem Andersdenkenden, sondern aus reinem Haß.

Die atheistische ,.Moral" kennt keine Toleranz

„Pfarrer Laurinavičius sollte in der polnischen Armee dazu angeworben werden, die Einigkeit seinerLandsleute zu spalten. Man versprach ihm dafür,

„ihn zum Herren zu machen". Nachdem der polnische Oberst dies erfahren hatte, sagte er: „Laurinavičiusist Litauer. Es ist unverantwortlich, ihn über­reden zu wollen, seinem Volke zu schaden!" Die polnischenHerren ließen den Priester in Ruhe.

Wenn die Atheisten, Verfechter und Propagandisten der modernen atheisti­schen Moral, ihre Moral als diehöchste verkünden, dann ist es ihre Pflicht, auch ein bischen Toleranz gegenüber den anderen zu üben!Darum erstatten Sie mir das unrechtmäßig beschlagnahmte Haus, in dem nicht mehr ich leben werde,sondern gemäß Testament, jene, die in der Kirche von Švenčionėliai tätig sind. Zeigt auch denAndersdenkenden gegenüber nicht diesen unbegreif­lichen Haß, gesteht uns wenigstens eine kleineMöglichkeit von Existenz zu, dann wird auch niemand mehr Eingaben verschicken.

Der Bevollmächtigte hielt mich dazu an, mich mehr mit der Seelsorge „zu beschäftigen", doch die Kreis-und die Rayonsverwaltung gaben ihre Interventionen nicht auf. Am 14. Juli 1972 zwang derKreisvorsitzende von Adutiškis den Priester Laurinavičius angesichts von Zeugen eine Anklage­schriftbetreffend seine Seelsorgearbeit zu unterschreiben: „Beeil dich," forderte der Vorsitzende. ..ich muß esder Rayonsverwaltung zustellen."

Wer hat je gehört, der Priester wiegele durch seine Seelsorge das Volk auf, doch dies wird ihm dauerndzur Last gelegt! Sogar vor dem Sicherheitsdienst muß er sich deswegen verantworten. Die eigentlichenAufwiegler hingegen werden nicht bestraft.

1969 z.B. zerstörte irgendein Rohling auf dem Friedhof von Davaisiai alle Grabsteine und Kreuze. DasVolk verfluchte den Täter, die Regierung und die Zeiten. Gerechterweise hätten hier die Ordnungs- undSicherheitshüter ein­greifen müssen. Doch weit gefehlt — noch heute bereitet diese Geschichte keinemvon ihnen Kopfzerbrechen.

Im Dezember 1971 erschienen auf dem Dorffriedhof von Jakeliai zwei Miliz­beamte, derKreisvorsitzende und mehrere Arbeiter und rissen einen jahr­hundertalten Bildstock ab. Die Gläubigenwaren empört und wütend, besonders, weil man die Ziegelsteine auflud und zum Ställebauabtransportierte. So etwas stört die Ruhe der Bürger, führt zu Unzufriedenheit und wiegelt das Volk auf.

Adutiškis, 20. Juli 1972                         Pfarrer B. Laurinavičius