DAS KATHOLISCHE KOMITEE FÜR DIE VERTEIDIGUNG DER RECHTE DER GLÄUBIGEN
Die Sowjetregierung tolerierte acht Monate lang stillschweigend die Tätigkeiten des Katholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen. Als jedoch 522 litauische Priester und zwei Bischöfe dem Katholischen Komitee ihre Unterstützung zusagten, verlor die Regierung die Geduld. Zwei Mitglieder des Katholischen Komitees. Pater Alfonsas Svarinskas und Pater Sigitas Tamkevičius wurden in die Kanzlei der Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR vorgeladen und erhielten eine Verwarnung, daß ihre Tätigkeiten gegen das Gesetz Artikel 68 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR verstoßen und sie gegebenenfalls dessen angeklagt werden könnten. Pater Alfonsas Svarinskas wurde durch einen Mitarbeiter des republikanischen Staatsanwaltes, A. Novikov, verwarnt, während Pater Sigitas Tamkevičius direkt durch den republikanischen Staatsanwalt Keirelis verwarnt wurde. Beide Priester weigerten sich, die Verwarnung zu unterschreiben, und schickten Antworten auf die genannten Anschuldigungen an die Kanzleien der Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR.
Pater Alfonsas Svarinskas
An den Staatsanwalt der Litauischen SSR,
An Bischof Liudvikas Povilonis, Apostolischer Administrator der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis,
An das Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen Erklärung
von Pater Alfonsas Svarinskas, Pfarrer der römisch-katholischen Kirchengemeinde Vidukle.
Am 2. September um 10.00 Uhr (es war ein Sonntag) erhielt ich von der Staatsanwaltschaft des Rayons Raseiniai die Aufforderung, am 3. September in der Kanzlei der Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR in Vilnius, Gogolio, g. 4, Zimmer Nr 55, zu erscheinen.
Um 16.00 Uhr des nächsten Tages fand ich mich bei der angegebenen Adresse ein. Staatsanwalt Bakucionis von der Sicherheitspolizei hatte mich schon 1961 aus Vilnius vertrieben (ich kam damals in ein Arbeitslager in Mordovian), stempelte mich als »einen besonders gefährlichen Rezidivisten« ab und ließ mich gestreifte Konzentrationslagerkleidung tragen mit all den Folgen jenes schrecklichen Regimes. Dieser führte mich nun zu A. Novikov, dem Vertreter des Staatsanwaltes der Litauischen SSR. Letzterer warf mir zwei Dinge vor:
1. Durch alle meine Predigten liefe der rote Faden des Antisowjetismus. Er erklärte auch, daß ich jedes Mal bei dem Gebrauch des Wortes »gottlos« die Sowjetregierung meinte.
Pater Sigitas Tamkevičius
Am 29. August 1979 wurde ich in das Büro des Staatsanwaltes der Litauischen SSR vorgeladen und sollte eine Verwarnung mit Beschuldigungen gegen mich unterzeichnen, für welche ich mit dem Artikel 68, § 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR, bestraft werden könnte. Folgendes warf man mir vor: Es wird behauptet, ich hätte in meinen Predigten erfundene falsche Behauptungen aufgestellt, die die sowjetische Lebensweise beschmutzten. Ich hätte aktiv bei der Gründung des Katholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen mitgewirkt und deren Schriften mit herausgegeben, welche sogar schon den Westen erreicht hätten, auch hätte ich Gläubige angehalten, sowjetische Gesetze zu mißachten.
Staatsanwalt Bakučionis, mit dem Verhör durch die Sicherheitsorgane beauftragt, erklärte mir, welches der Vergehen von der Staatsanwaltschaft als Verbrechen betrachtet wird. In meinen Predigten soll ich gesagt haben, daß die Sowjetregierung die Trunksucht nicht ernsthaft genug bekämpfe. Daß gläubige Kinder in den Schulen verfolgt würden. Daß die atheistische Erziehung der Menschen verantwortlich sei für die meisten Übel. Spräche ich in meinen Predigten gegen den Atheismus, meinte ich in Wirklichkeit die sowjetische Regierung. Das Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen ist nicht registriert und demzufolge illegal. Deshalb antworten die sowjetischen Behörden nicht auf die Erklärungen des Komitees.
Ferner soll ich die Gläubigen angestiftet haben, die sowjetischen Gesetze während meiner zwei Prozesse in Vilkaviškis und Varėna nicht beachten zu wollen. Ich habe den Verweis des Staatsanwaltes nicht unterzeichnet, weil ich ganz entschieden gegen die Vorwürfe protestiere, die gegen mich erhoben wurden, und versprach, dazu Stellung zu nehmen.
Juozas Tarulis aus Mikalajūnai, Vorsitzender des Kirchenkomitees in Daugailiai, starb am 20. April 1979 im Alter von nahezu 80 Jahren. Am 30. April 1979 fragte die Rayonsvorsitzende, A. Stankevičienė, telefonisch bei Pfarrer Pater Petras Baltuška an, ob ein neuer Vorstand des Kirchengemein-dekomitees schon gewählt worden sei. Sie sagte, sie hätte erfahren, daß es noch nicht geschehen sei, die Frage aber schon bald geklärt sein würde. Sie wollte ebenfalls wissen, wer dafür kandidiert hätte. Der Pfarrer antwortete: »Ich.« »Sie können nicht Vorsitzender sein«, rief überrascht die Vorsitzende. »Warum nicht?« fragte Pater Baltuška. »Sie sind Diener eines Kultes.«
»Nein, ich bin nicht Diener eines Kultes, sondern ein Priester. Das ist beträchtlich mehr. Verwechseln Sie bitte nicht die Begriffe. Wurden Sie als Rayonsvorsitzender jemals Rayonsdienerin genannt? Sagen die Leute: >Ich ging zur Bezirksverwaltung, fand jedoch nicht die Dienerin vor?< Wird ein Arzt Diener der Patienten genannt, wird ein Arbeiter, der Schweine füttert, Schweinediener genannt? Nennen wir den Rayonsvorsitzenden Rayonsdiener? Nein.«
»Ich weiß das. Konsultieren Sie den Rayonsvizevorsitzenden Labanauskas. Wenn er Ihnen bestätigt . . .«
Am Abend des 25. August erschienen in Tytuvėnai Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren. Leise, ohne das sonst übliche Aufsehen, »besetzen« die jungen Leute alle verfügbaren Plätze unter den Dächern der Stadt. Es war zum Schluß eine etwa eintausend Mann starke Gruppe, die sich in der Stadt aufhielt. Interessant ist, daß die Einwohner sich über ihr Kommen freuten, indem sie sie unauffällig beherbergten und also stillschweigend Solidarität für die Jugendlichen bekundeten. Sie vertrauten darauf, daß weder etwas zerstört noch gestohlen würde und weder Ställe noch Scheunen in Flammen aufgingen (man sah niemanden rauchen). Im Bewußtsein, daß etwas in der Luft lag, saß ein uniformierter Beamter zusammen mit einigen Gemeindepolizisten auf dem Marktplatz und hielt besonders nach Autos Ausschau.
Die schöne, eben erst renovierte Barockkirche begrüßte mit ihren hellen Farben Orange und Gold jeden Ankommenden.
Ein lettischer Chor sang die lateinische Abendmesse. Alle jungen Leute antworteten gemeinsam darauf. Sie erhoben sich und knieten am Altar Gottes zur heiligen Kommunion nieder.
Am nächsten Morgen war die Kirche noch vor der Frühmesse wieder voll. Vereinzelt wurde ein Kirchenlied angestimmt, bei dem dann alle mitsangen. Nach der Kirche ordneten sich alle in 4 Reihen auf. Man besprach sich, nicht untereinander zu reden, auf keine Fragen zu antworten, nur zu singen und zu beten.
Blumen waren in vielen Händen, und Rosenkränze glitten durch die Finger. Es war ein Gang für die eigenen Sünden wie die der anderen, für die nationale Temperenzbewegung und die Wiedergeburt der Jugend.
Durchschriftlich:
An das Präsidium des Obersten Sowjet der Litauischen SSR
Bis heute haben wir noch keine Antwort auf unser Schreiben erhalten. Es wundert uns, daß die höchsten Organe der Litauischen SSR die Gesetze nicht beachten. Artikel 47 der Verfassung besagt, daß auf Vorschläge und Erklärungen geantwortet werden muß.
Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten sandte uns nur einen kurzen Brief. In seiner oberflächlichen Antwort spielte der Bevollmächtigte weder auf unsere Vorschläge noch Bitten an, die wir in einem Fünf-Punkte-Programm aufgestellt hatten. Nur eins hob der Bevollmächtigte hervor, daß im Augenblick Regelungen für religiöse Vereinigungen nicht geändert werden würden. Verschiedentlich haben Beamte des Rates für religiöse Fragen die Bischöfe und Administratoren vorgeladen. Am 20. Juli war es der Bevollmächtigte persönlich, der ihnen mitteilte, unsere Erklärung enthielte nur abstrakte Behauptungen ohne konkrete Tatsachen. Die Beamten waren darüber erbost, daß wir in unserer Erklärung die schreckliche Terrorisierung und Degradierung gläubiger Kinder nannten, die an religiösen Veranstaltungen teilnehmen.
Wir hatten keine näheren Angaben gemacht. Unsere Erklärung sollte so kurz wie möglich sein. Kinder werden in Litauen in solchem Umfang terrorisiert, daß man Bücher darüber schreiben könnte. Wir nennen nur einige Vorfälle, in denen im Frühjahr dieses Jahres Kinder in den Schulen in drei verschiedenen Rayons terrorisiert worden sind.
Kaunas
1. Am 8. August 1979 leiteten die Sicherheitsbeamten, Oberstleutnant Rainys, Major Raudys und Kapitän Stankevičius, eine Hausdurchsuchung bei Fräulein Liucija Kulvietytė, wohnhaft in Kaunas, Kulvos g. Nr. 28—8. Es sollten dort antisowjetische Publikationen, Unterlagen und technische Apparate zur Vervielfältigung versteckt sein. Die Durchsuchung dauerte fünf Stunden und folgendes wurde beschlagnahmt:
- -Die Geschichte der Litauischen Sprache (Buchmaterial)
- Aušrelė (Kleine Dämmerung)
- Zahlreiche andere Artikel, die mit Korrekturzeichen versehen waren.
2. Am 8. August 1979 durchsuchten die Beamten Matulevičius, Aloyzas Kazlaus-
kas und Romas Sujeta fünf Stunden lang die Wohnung von Vitalija Žvikaitė,
wohnhaft in Kulvos g. Nr. 28—2. Folgende Dinge wurden beschlagnahmt:
- Eine »Optima«-Schreibmaschine
- Band IV von Lietuviu archyvas (Litauisches Archiv)
Mordovia
Vladas Lapienis wird am 19. Oktober 1979 seine Strafzeit im Arbeitslager beenden. Dann wird er ins Exil gehen.
Kaunas
Die Sowjetregierung erlaubte 1979 20 Kandidaten den Eintritt in das Priesterseminar in Kaunas. Die Bewerber wurden so ausgewählt, daß sie ganz im Sinne des KGB arbeiten können. Mitte August erschien eine Anzeige, in der es hieß, daß die Regierung jungen Männern das theologische Studium gestatten würde. Zulassungen erhielten: Josifas Aškelovičius, Jonas Baltrušaitis, Henrikas Berno-tavičius, Modestas Čalkūnas, Medardas Čeponis, Antanas Garmus, Gintautas Jankauskas, Sigitas Jurčys, Petras Linkevičius, Juozas Marčiulionis, Lukian Ra-domskij, Jonas Sabaliauskas, Aurelijus Simonaitis, Jonas Skirelis, Stasys Stani-kūnas, Remigijus Šulinskas, Bronius Tamelis, Juozas Vertas, Vytautas Žvirdinas, Kazimieras Danyla.
Die Zulassung wurde folgenden durch den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Fragen und den KGB verwehrt:
1. Kazys Gražulis, Pfarrei Miroslavas, 2. Vytas Kaknevičius, Pfarrei Sangrūda, 3. Julius Sasnauskas, Pfarrei St. Michael, Vilnius, 4. Vladas Baliūnas, Pfarrei Pasvalys, 5. Gintas Gurskis, Pfarrei Vilkaviškis, 6. Algis Šaltis, Kaunas, 7. Saulius Kelpša, Pfarrei Garliava, 8. Aleksandras Hofmanas, Vilnius.
PS: Die Chronik hatte nur eine unvollständige Liste der abgelehnten Bewerber.
Vilnius
Am 25. Juni 1979 schrieb die Lehrerin Žemaitienė der Mittelschule in Prienai der Schülerin Marytė Kazlauskaitė ein Zeugnis, in dem stand »tief religiös«. Das junge Mädchen ging mit dem Schreiben am 2. Juli zur Handelsschule von Vilnius (Žirmūnų, g. 143). Am 10. Juli trat eine Prüfungskommission aus sechs Personen zusammen. Dem Mädchen wurde dann mitgeteilt, daß sie ruhig die nächsten drei Jahre weiter zur Kirche gehen solle. Wenn sie bis dahin vernünftig geworden sei, könne sie in die Schule aufgenommen werden.
Utena
Am 1. März 1979 wurde der 19jährige Mindaugas Jauniškas, der bei einem tragischen Unfall ums Leben kam, auf dem Friedhof in Billiakiemis begraben. Mitschüler des Verstorbenen vom Ingenieur-Institut in Vilnius sowie eine Gruppe von Freunden seines Bruders kamen dort um 11.00 Uhr an. Es waren insgesamt 50 Personen. Ein Lehrer war auch anwesend. Der Prodekan des Institutes (früherer Dekan Kazlauskienė), Vida Montvilienė, kam mit dem Auto vorbei und verbot den Studenten, dem Gottesdienst in der Kirche beizuwohnen. Sein Kommentar war: »Wollt ihr das Gegacker alter Weiber hören?« Die Studenten durften nur noch den Sarg in die Kirche tragen und wurden dann nach Vilnius zurückgebracht. Sie durften nicht einmal zum Essen bei dem Hause der Eltern des Verstorbenen anhalten. Die Fotografin wurde gewarnt, keine Fotos vor der Kirche zu machen, als der Pfarrer den Toten in die Kirche geleitete. Sie mußte auch nach Vilnius zurückfahren.
Weißrußland
Lida
Am 25. August 1979 betrat der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten in der Weißrussischen SSR die Kirche in Lida, wo Pfarrer Šešniauskas gerade 15 Kinder unterrichtete. Er erhielt dafür eine Geldstrafe von 50 Rubel.
1. Aušra (Die Dämmerung). Nr. 16 und 17. Nr. 17 widmet sich dem 40. Jahrestag des Abschlusses des Molotow-Ribbentrop-Paktes.
2. Perspektyvos (Perspektiven). Nr. 11 und 12.
3. Alma Mater. Nr. 2 und 3.
4. Rūpintojėlis (Der leidende Christ). Nr. 10. Die Ausgabe ist der Jugend gewidmet.
5. Vytis. Nr. 1, 2 und 3. Eine neue nationale richtungweisende Publikation, die im Sommer 1979 erschien.
6. Ateitis (Die Zukunft). Nr. 1. Auf dem Deckblatt steht: »Jaunuoli! (Junge Leute!) In Eurer Hand haltet Ihr Ateitis, eine lebendige Zeitschrift für die Jugend von Litauen ... Sie hofft, die Jugend Litauens zu dem Tag zu begleiten, an dem Litauen wieder frei sein wird.«
7. Tiesos kelias (Weg der Wahrheit). Nr. 13.
LITAUER, VERGESST SIE NICHT!
Vergeßt nicht Petras Plumpa, Nijolė Sadūnaitė, Sergej Kovalev, Vladas Lapienis, Balys Gaujauskas, Viktoras Petkus, Petras Paulaitis und andere, die die Fesseln der Gefängnisse ertragen, damit Ihr frei leben und Eurem Glauben nachgehen könnt.
Die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR droht, folgende Mitglieder des Katholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen zu eliminieren:
Priester Sigitas Tamkevičius, in der Pfarrei Kybartai, und Priester Alfonsas Svarinskas, Priester in der Pfarrei Viduklė.