Anfang Advent sollte die erste Ausgabe der neuen Übersetztung des Neuen Testamentes erscheinen und etwas später der Katechismus. Die Sicherheitsorgane zeigten mehr Zurückhaltung bei ihrer Agentenanwerbung in den Klerikerkreisen.

Worte über die Toleranz

Die Propaganda scheute keine Mühe, um die Humanität der Sowjetregierung gegenüber den Gläubigen und der Religion zu beweisen. „Die Sowjetunion und ihre Regierungsorgane mischen sich nicht ein in die inneren Angelegen­heiten der Kirche, d.h. in ihre kanonische und dogmatische Funktion... wichtig ist die Einhaltung der Sowjetgesetze, die den Religionsgemeinschaften und den Gläubigen ihre Rechte sichern." (Interview von J. Rugienis mit der Redaktion von Tarybų darbas (Sowjetarbeit), 1972, Nr. 9, S. 17-18;. „Die Rechte der Gläubigen zu verteidigen — dies fordert die sozialistische Gerechtigkeit... Personen, die eine Diskriminierung der Gläubigen betreiben, sind zweifellos streng zu bestrafen," schrieb etwas früher der Vorsitzende des Rates für Religionsangelegenheiten V.Kurojedov. Religija ir įstatymai (Religion und Gesetze) 1971. S. 24 — 25.

Es ist bedauerlich, daß die Regierungsorgane es vergessen haben oder nicht hören wollen, daß das Kirchenrecht ausdrücklich die Katechese gebietet. Die Prozesse der Priester A. Šeškevičius, J. Zdebskis und P. Bubnys zeigen die grobe Intervention der Regierung in den kirchlich-kanonischen Bereich und strafen somit die gegebenen Interviews und Erklärungen Lügen. Die Regierungsspitzen der Kommunistischen Parteien gedachten plötzlich der Worte Lenin's, die er anläßlich der I. russischen Arbeiterversammlung gesagt hatte: „Der Kampf gegen den religiösen Aberglauben muß mit ungewöhnlicher Vorsicht betrieben werden: viel Schaden richten jene an, die in diesen Kampf die Verletzung der religiösen Gefühle hineinmengen. Der Kampf soll propa­gandistisch und aufklärerisch wirken. Gewinnt er an Schärfe, so werden wir die Massen erzürnen." (Lenin 's Schriften, Band 28, S. 158). Lenin verurteilte die grobe Verfolgung der Gläubigen und der Religion und nannte sie „Kavallerieattacken,,. Nach dem Memorandum der 17000 litauischen Gläubigen und den Mai-Ereignissen in Kaunas, erkannte die Regierungsspitze, daß die „Kavallerieattacken" bereits gehörig „die Massen erzürnt" hatten.

Worte gegen das Nationalbewußtsein

Das 50-jährige Staatsjubiläum der UdSSR am 21. Dezember 1972, machte ein neues Problem deutlich — die Nationalitätenfrage. Goßen Kummer bereitete nicht nur die baltischen Völker und die Ukraine, sondern auch die muselmani­schen Republiken Asiens, die über die stärkste Nachwuchsrate verfügen und bis heute ihre Gebräuche und ihre Religionen aufrechterhalten konnten. A. Balsys, Mitglied der gut informierten Žinija (Vereinigung), schreibt folgendes:

Die kommunistische Partei ist sorgfältig darum bemüht, die Ursachen aufzudecken und zu beseitigen, die ein Wideraufleben der veralteten nationalen Anschauungen bewirken könnten, denn die nationalen Beziehungen dürfen durch keine Belanglosigkeit gestört werden" (A. Balsys, Kur susikerta ietys — Wo die Lanzen sich treffen, 1972, S. 34). Der erwähnte Propagandist behauptet, daß „Fehler und Übertreibungen im Kampf gegen die religiösen Überreste in der entsprechenden Republik" das Nationalbewußtsein aufrecht erhalten können (ebenda, S. 33).

Die Zeitung Tiesa versuchte am 8. Juni in ihrem Leitartikel Brangiausias jausmas (Das teuerste Gefühl) den Litauern den Beweis zu liefern, daß die Sowjetunion ihre Heimat sei, die sie niemals stiefmütterlich behandelt habe und dies nie tun werde, deshalb müsse sie auch wie eine Mutter geliebt werden.

Die Sowjetpropaganda behauptet weiterhin, daß Litauen nicht russifiziert werde, daß allein der Zarismus die unterdrückten Völker unterjocht und zum großrussischen Nationalismus aufgerufen hätte (A. Balsys, Wo die Lanzen sich treffen, S. 35).

 

Aktion gegen die Emigration — warum?

 

Unsere Emigration, die aktiv und treu zu den Idealen ihrer Heimat steht, brachte die schmerzliche Verfolgung der litauischen katholischen Kirche an die Weltöffentlichkeit. Die großen Tageszeitungen der Welt, Funk und Fernsehen kommentierten oft die Ereignisse in Litauen. Dies alles schadete dem Ansehen der Sowjetunion. Um so mehr, da sie sich für die Rechte der irischen Katholiken „einsetzt"...

Wie noch nie stürzte sich die Sowjetpropaganda auf die litauische Emigration und beschimpfte sie unflätig. Vielleicht aus Zweifel an ihrer Autorität, bemühte sie sich sogar die Geistlichen „zu Hilfe zu bitten". Daraufhin er­schienen in den Zeitungen des Auslandes mehrere Artikel von einigen Priestern, die die Emigration und die Vergangenheit Litauens verunglimpften und die Gcuonwarl verherrlichten. Laisvė (Freiheil), 1972, Nr. 67, 68, 69.

 

Die vorläufige,,Ruhe"

 

Die gegenwärtige „Ruhe" in der litauischen katholischen Kirche ist eine vorübergehende und irreführende Erscheinung. Sie verfolgt folgende Ziele:

1.      Die ständig wachsende Unzufriedenheit des Volkes wegen der religiösen und nationalen Benachteiligung zu beschwichtigen.

2.      Die Bemühungen und Leistungen der Emigration, die für die Kirche und die Heimat lebensnotwendig sind, zu kompromittieren.

3.      Das durch die Kirchenverfolgung gesunkene Prestige der Sowjetunion in der Welt wieder zu heben. Dies ist besonders aktuell wegen der bevor­stehenden Helsinkikonferrenz.

4.  Auch der schlechte ökonomische Stand der US, die Notwendigkeit, im

Ausland riesige Getreidemengen einkaufen zu müssen, trug gleichermaßen zu dieser Ruhe bei. Hier sollte man auf bestimmte Tendenzen in amerikanischen Kongress hinweisen. Senator Jackson — er wird bereits von 75 weiteren Senatoren in diesem Vorhaben unterstützt — bereitet einen Gesetzentwurf vor, in dem vorgesehen ist, daß die USA an die SU solange kein Getreide verkauft, bis dort die Menschenrechte verwirklicht seien. Im Sinne Jacksons gesprochen, hat die UdSSR als erste die Deklaration der Menschenrechte unterzeichnet, blieb aber bis heute der einzige Staat auf der Welt, der sich keine Mühe gibt, diese zu verwirklichen.

5. Nach der Verringerung der administrativen Ausfälle, hoffen nun die Atheisten, daß die litauischen Katholiken ihre elementaren Rechte vergessen und aufhören werden, Forderungen zu stellen. In der Sowjetunion befinden sich so manche Sektierer in einer weit besseren Situation als die litauischen Katholiken. Der Vorsitzende des Rates für Religionsangelegenheiten Kuro-jedov schreibt: „Viele Kirchen und Glaubensgemeinschaften (Sektierer — Red.) wurden neu registriert und der Öffentlichkeit übergeben; Bibeln und Kirchengesangbücher wurden in Tausenderauflagen herausgegeben; das Journal Bratskij Vestnik erscheint regelmäßig; es bestehen 2-jährige Kurse zum Bibelstudium beim VEKBS. (Religija ir istatymai — Religion und Gesetze, S. 51.)

Die litauischen Katholiken haben keinen Kalender, keine Zeitung, keinen Katechismus und keine religiöse Literatur sowie keine anderen allernot-wendigsten Utensilien.

 

Fakten des maskierten Kampfes

 

Die äußere Ruhe hinderte die Atheisten nicht daran, auch dieses Jahr ins­geheim und planvoll gegen die litauische Kirche vorzugehen. Dies bezeugt eine ganze Reihe von Fakten:

Die Gottlosen Propaganda wurde stark aktiviert. Erbarmungslos attackierte sie die aktiven Geistlichen und Gläubigen. „Bis zum äußersten fanatische Kultdiener und Gläubige wollen den Religionseinfluß aufrechterhalten und kämpfen darum für die Vernichtung der Kultgesetze, um sich somit eine völlig uneingeschränkte Religionspropaganda zu sichern. Solche extrem eingestellten Elemente verletzen mit ihrem Tun auf gröbste Weise die Religions- und Kirchengesetze, die die Fanatiker sehr ungerecht traktieren." Diese Gedanken des Vorsitzenden des Religionsrates Kurojedow wurden von den litauischen Atheisten stark propagiert.

Die Lehrer wurden im besonderen Maße genötigt, die Schüler im Geiste der Gottlosigkeit zu erziehen. „Die edle Pflicht der Schulen ist es, die Kinder vor dem religiösen Einfluß zu bewahren und die Schüler zu kämpferischen Atheisten zu erziehen." (Tarybinis Mokytojas — Sowjetlehrer, 13. Februar 1972).

Während des ersten Schulhalbjahres 1972/73 wurden die Schüler sogar gewaltsam gezwungen den Pionier- und Komsomolorganisationen beizutreten. Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten beklagte sich über die Inaktivität jener Öffentlichkeitskommissionen bei den Exekutiv­komitees des Rayons und der Stadt, weil diese keine Kontrollen über die Ein­haltung der Religionskultgesetze ausüben. Er schlug vor, diese Kommissionen um eine größere Aktivistenanzahl zu erweitern. „Deshalb wäre es ratsam, die Zusammensetzung dieser Ausschüsse zu überprüfen und eine größere Anzahl von Leuten einzusetzen." (Tarybų Darbas — Sowjetarbeit, 1972, Nr. 9, S. 18).

 

Die Rundfunksendungen aus Rom um 7.45 Uhr wurden besonders stark gestört. Da sie zu einer unpraktischen Zeit, früh morgens, gesendet und oben­drein stark sabotiert wurden, hatten die Katholiken wenig Nutzen davon. Radio Vatikan war besser zu hören und viele Gläubige hörten abends die Sendungen um 21.20 Uhr.

Im April 1972 wandte sich S.E. Bischof J. Steponavičius mit einem Gesuch an die Regierung in Moskau, ihm zu erlauben, sein Bischofsamt ausüben zu dürfen. Rugienis erklärte ihm, daß eine Genehmigung zur Zeit unmöglich sei. Im Sommer 1972 bat S.E. Bischof V. Sladkevičius um seine Versetzung in eine Gemeinde, in der er leichter medizinische Hilfe bekommen könne. Seine Bitte wurde jedoch nicht erfüllt.

Die Veröffentlichung des Katechismus scheint ebenfalls vergessen zu sein. Abgesehen davon, wären die litauischen Katholiken jetzt auch nicht mehr mit der „Religionsfibel" von Bischoff K. Paltarokas zufriedenzustellen. Wenn sogar die Exillitauer 1960 in Rom in der Lage gewesen waren, einen 265 Seiten umfassenden Katechismus von Pfarrer P. Manelis herausgeben können, so ist es nur gerecht, einen gleich umfangreichen Katechismus in der Heimat, in der ja die „vollkommene Religionsfreiheit" herrscht, erscheinen lassen. In Kürze wird das Neue Testament veröffentlicht. Doch die litauischen Katholiken bedauern es zutiefst, daß noch vor seiner Herausgabe der Über­setzer, Priester C. Kavaliauskas, kompromittiert wurde. Auf Geheiß der Sowjetregierung mußte er für die litauische kommunistische Zeitung in den USA eine Reihe von Artikeln verfassen, in denen die litauische Emigration, die aktiven Priester, die litauischen Gläubigen, das Programm von Radio Vatikan diskreditiert und das „schöne und blühende" Leben in Litauen gepriesen wurden.

Der aus dem Lager zurückgekehrte Pfarrer J. Zdebskis sollte von Rugienis in aller Stille aus dem Bistum Vilkaviškis ins Bistum Telšiai ausgewiesen werden. Als dieser Plan vereitelt wurde, befahl die Miliz in Prienai Pf. J. Zdebskis, innerhalb von 15 Tagen eine Arbeitsstelle anzunehmen.

 

Der Erfolg der atheistischen Aktion

 

Welchen Erfolg konnten die Atheisten, die Verfolgung der Gläubigen ausge­nommen, aufgrund ihrer direkten Anstrengungen verbuchen? 1972 existierten in Litauen 33 atheistische Lektoreninstitute, in denen 750 Lektoren geschult wurden. Für die atheistischen Propagandisten wurde speziell eine periodische Ausgabe von Religija ir dabartis (Religion und Gegenwart) herausgegeben, später kam noch Atsakymai tikintiesiems (Anworten für die Gläubigen) hinzu.

„Die Arbeitspraxis der staatlichen atheistischen Lektoreninstitute des ver­gangenen Jahres zeigt, daß nicht alle Organisationen der Žinija (Vereinigung), dieser Form von Lektorenausbildung die gebührende Aufmerksamkeit zukommen ließen. Einige der Organisationen schickten anscheinend nicht gerade die geeignetsten Leute zu diesen Schulungen. Ein nicht geringer Zu­hörerprozentsatz hörte deshalb nach dem 1. bzw. 2. Unterricht auf, die Schule zu besuchen. (Laikas ir ivykiai — Zeit und Ereignisse, 1972, Nr. 23, S. 11). „Personen, die man aus Druskininkai, Joniškis, Telšiai und anderen Orts­organisationen gesandt hatte, wurden nach ihren eigenen Aussagen in den Rayons gar nicht eingesetzt (ebenda S. 12).

Pr. Beniušis, Lektor des ZK der Litauischen Kommunistischen Partei, beklagte sich, daß die Atheisten des Rayons Šilalė sehr schlechte Arbeit ge­leistet und die Zeitschrift Tėvynė (Heimat) in Panevėžys nur mäßiges Interesse an den atheistischen Thematik gezeigt hätte, u.s.w. (Laikas ir ivykiai — Zeit und Ereignisse, 1972, Nr. 21. S. 19).

Auch auf dem Gebiet der Verbreitung der atheistischen Riten hatten die Atheisten wenig Erfolg. „Man muß jedoch offen bekennen, daß vielerorts die anerkennenswerte Initiative bereits im Absinken ist. Die stolz einherschreiten-den Störche, die die Namensgebung des Neugeborenen verkünden, ver­schwinden nicht deshalb von der Bildfläche, weil sich die Jahreszeit ändert, sondern weil anscheinend der gute Wille fehlt, weil die Bereitwilligkeit immer weniger konkrete Unterstützung findet in Form von Initiative und Findigkeit, auch weil man die Phantasie vermißt und den einfachsten Weg der Schablone wählt" (Tiesa, 14. Januar 1973).

Gläubige Schüler in der atheistischen Schule

Die Mehrzahl der litauischen Kinder wird religiös erzogen. Dies bezeugen folgende Tatsachen:

Jahr für Jahr bereitet sich eine große Kinderzahl auf die Erstkommunion vor. Z.B. in Anykščiai sind es jährlich 150 Kinder, in Šenčioniai — ungefähr 200 Kinder, in Prieniai — 300 Kinder, in Mariampolė — ungefähr 500 Kinder. In den größeren nichtrayonalen Pfarreien sind es jährlich circa 100 - 120 Kinder. In den allerkleinsten Gemeinden empfangen jeweils 15 - 30 Kinder die Erst­kommunion.

Die Atheisten selber gestehen es ein, daß noch viele Kinder und Jugendliche dem Religionseinfluß unterliegen. In der Zeitung Lietuvos pionierius (Litau­ischer Pionier) von 1971 heißt es: in diesem Sommer ging ein Teil der Schüler in Valkininkai regelmäßig zur Kirche und nahm an den Religionsriten teil. Einige ministrierten sogar bei der Messe. Darunter befanden sich sogar Pioniere und Komsomolmitglieder... Selbst die aktivsten Pioniere und Komsomolzen waren so besänftigt, daß sie „darin nichts Schlechtes erblickten"... Andere äußerten bereits, daß sie „an Gott glauben" und nicht aufhören würden in die Kirche zu gehen. Am schmerzlichsten ist, daß unter den „anderen" auch Pioniere und Komsomolzen zu verzeichnen waren" (V. Grublikas, Skaudi pamoka — Schmerzliche Lehre). Der Kampf um eine atheistische Weltanschauung der Schüler wird durch den Hinweis intensiviert, daß die Mehrzahl der Schüler gläubig sei. 1972 wurde die Bedeutsamkeit der atheistischen Erziehung besonders unterstrichen. A. Bara­nauskas, Sekretär des ZK der Litauischen Kommunistischen Partei, schreibt am 26. Februar 1972 in Tiesa:

„Es ist die Pflicht der Schulen, zu erreichen, daß die während des Lernpro­zesses vorgetragenen Informationen sich später zu Überzeugungen festigen. Kämpferische Atheisten heranzuziehen ist die Pflicht eines jeden Lehrer­kollektivs, eines jeden Lehrers."

M. Gedvilas, Kultusminister der LSSR behauptet: „Im Hinblick auf den welt­weiten ideologischen Kampf müssen wir uns noch stärker bemühen, Wege und Möglichkeiten zu finden, um eine universal ausgebildete, geistig gehaltsvolle Persönlichkeit mit einer materialistischen Weltanschauung, kommunistischer Überzeugung und starkem bürgerlichen Staatsbewußtsein zu erziehen" (Tiesa, 18. August 1972).

Welcher Methoden bedient man sich, um den gläubigen Schülern die atheisti­schen Überzeugungen einzugeben?