Als die Pläne der Zivilregierung in Litauen, ihre Kandidaten zur Bischofs­wahl durchzubringen, gescheitert waren, mußte man dafür einen Sündenbock finden. Dies zu tun, entschloß sich ein Anonymus. Er verschickte zu Weih­nachten 1981 ein bösartiges und verleumderisches Schreiben an verschiedene Adressen. Sein Plan war, die Menschen in der Heimat und im Westen noch mehr zu verwirren. Erstaunlich ist es, daß einer der Bischöfe diese anonyme Schrift ein »bemerkenswertes Schreiben« nannte. Da Anonymus genau die Meinung des KGB über den Bischof Julijonas Steponavičius und über die aktiven Priester darlegt, möchten wir dieses Schreiben kommentieren.

Anonymus berichtet: Zu der Zeit, als die Diözesen Litauens keine Bischöfe hatten, sondern Verwalter, bildeten sich um einige eitle »Streber« verschie­dene Gruppen, die noch heute die Arbeit der Bischöfe behindern. Diese wirklichen Streber-Priester benahmen sich jedoch nicht so, wie Anonymus schreibt. In der Zeit, als ein Drittel der kirchentreuen Priester in sowjeti­schem GULAG litt, ließen sich die Priester-Streber in die Fallen des KGB einfangen. Sie unterzeichneten sogar Schriften gegen den Papst Pius XII., und auf diese Weise kletterten sie die Stufen der Karriere empor. Die kirchentreuen Priester aber versuchten mit allen Mitteln, die Pläne des KGB zu zerschlagen, die Kath. Kirche Litauens den Interessen des kommu­nistischen Staates zu unterwerfen. Damit setzten sie ihren guten Ruf aufs Spiel, ja sie wurden beschimpft, bedroht, in entlegene Pfarreien abgeschoben, oder sogar in Lagern eingesperrt u. ä.

Anonymus schreibt: Die Verzögerung, die Diözesen mit Bischöfen zu be­setzen, droht die Einheit der Kath. Kirche Litauens zu zerstören. Sollte das aber der Einheit der Kath. Kirche Litauens dienlich sein, wenn die Pläne der kommunistischen Partei und des KGB zum Tragen kämen? Sie schlagen Bischofskandidaten vor, reichen ihre Namen ein, unter dem Vorwand, die »hierarchische Frage« der Kath. Kirche Litauens schnell zu lösen.

Sollte Anonymus so naiv sein, daß er nicht weiß, wer die Einheit der Priester Litauens spaltet und zerstört? Gerade das sind doch die Gottlosen und die Angst, die sie verbreiten mit ihren Lagern.

Nun aber ist die Einheit auch bedroht durch die Streber-Priester und die Angst, daß der Weg zurück das Leben kosten könnte. Auch muß die Frage erlaubt sein, wie es möglich ist, daß ein Teil der Prie­ster Litauens jahrzehntelang die verbannten Bischöfe ignorierte? Wie ist es möglich, daß die von der Regierung verhaßten und verfolgten Priester auch von der Kurie keine moralische Unterstützung erhielten, ja sogar igno­riert und gerügt wurden?

Zu den Zerstörern der Einheit der Priester Litauens zählen wir auch den Anonymus, dessen Gedanken genau mit den Gedanken der kämpferischen Gottlosen übereinstimmen.

Anonymus beschuldigt den verbannten Bischof Julijonas Steponavičius. Er habe das Geheimnis des Apostolischen Stuhles über die Nominierung der neuen Bischöfe gebrochen. Die Wahrheit aber ist: Nicht der Bischof Julijonas Steponavičius hat das Geheimnis gebrochen, sondern die Bischofskandidaten selbst. Noch war ihnen die Ernennungsbulle des Papstes nicht zugestellt, sondern nur eine geheime Mitteilung des Apostolischen Stuhles über die Ernennung, da begannen sie in aller Öffentlichkeit, ihre Konsekration vor­zubereiten. Sie bestimmten den Tag der Konsekration, luden Gäste ein und begannen die Weiheexerzitien. Der Brief des Bischofs Julijonas Stepona­vičius an Bischof Liudvikas Povilonis stützt sich nicht auf die geheime Mit­teilung des Apostolischen Stuhles, sondern auf die Aussagen des Bischofs Povilonis selbst und auf die Aussagen des Priesters Algirdas Gutauskas, und die des Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten Petras Anilionis über die vorgesehene Amtseinführung der verbannten Bischöfe und die Ernennung der neuen Bischöfe.

Es ist schwer zu beurteilen, wie weit die Personen, die dieses Geheimnis über die Ernennung der Bischöfe nicht hielten, schuldig geworden sind. Denn diese Priester kennen die neuesten Bestimmungen des Kirchenrechtes und ihre Kommentare nicht, da sie keine neuere theologische Literatur aus dem Westen bekommen.

Anonymus behauptet: Bischof Julijonas Steponavičius habe Priester beein­flußt, ehrfurchtslos über den Papst, den Kardinal Casaroli und andere hohe Beamte des Vatikans zu reden.

Der Plan des Anonymus dürfte klar sein, den Bischof Julijonas Stepona­vičius zu kompromittieren und den Apostolischen Stuhl gegen ihn einzu­nehmen. Wer glaubt denn daran, daß ein Bischof, der wegen seiner Treue zur Kirche schon über 20 Jahre in der Verbannung lebt, ehrfurchtslos über den obersten Hirten der Kirche reden würde.

Hier stellt sich aber auch die Frage: Woher will Anonymus wissen, daß der Bischof Julijonas Steponavičius in dieser Weise über den Hl. Vater ge­sprochen haben soll? Sollte aber Anonymus an den Nöten der Kath. Kirche Litauens gelegen sein, dann würde er die verbannten Bischöfe nicht ver­leumden, sondern er würde den wahren Sachverhalt über den Bischof der

Diözese Panevėžys dem Heiligen Vater mitteilen. Dafür würden ihm die Priester und Gläubigen dieser Diözese sogar dankbar sein. Anonymus ereifert sich, wenn er zu erklären wagt: Wenn die verbannten Bischöfe Julijonas Steponavičius und Vincentas Sladkevičius — guten Willen gezeigt hätten, dann hätten sie schon vor über 10 Jahren wieder in ihr Amt eingeführt sein können.

Die Priester Litauens wissen, welchen »guten Willen« die sowjetische Re­gierung von den verbannten Bischöfen verlangte: daß sie die Interessen der Kirche verraten; daß Unschuldige sich selbst anklagen; daß sie Unwahr­heiten über die kath. Kirche in Litauen verbreiten.

Allein dieser Gedanke des Anonymus sollte jedoch genügend klären, wer sich in Wahrheit hinter der Maske des Anonymus, des »Verteidigers« der Kirche^ verbirgt.

Anonymus beschuldigt den Bischof Vincentas Sladkevičius, daß er nicht zu dem Eucharistischen Kongreß nach Philadelphia gefahren sei; denn von dort aus hätte es leicht eine Möglichkeit gegeben, sich mit dem Vatikan in Ver­bindung zu setzen.

In Litauen ist es nun gut bekannt, daß diese Reise zum Eucharistischen Kongreß in Philadelphia nicht von den Bischöfen Litauens organisiert wurde, sondern vom Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegen­heiten Kazimieras Tumėnas. Eindringlich mühte man sich, den verbannten Bischof zu überreden mit dieser von der gottlosen Regierung zusammen­gestellten Delegation der Geistlichen Litauens zum Eucharistischen Kon­greß zu fahren. Gerade diese eindringlichen Bemühungen führten zu dem Verdacht, daß hier irgendeine List der Zivilregierung dahinter steckte. Des­wegen verweigerte der Bischof Vincentas Sladkevičius seine Teilnahme. Anonymus beschuldigt »Hitzköpfe aus dem Komitee der Katholiken«: Sie hätten während der Wallfahrtstage in Šiluva die Bischofskandidaten mit häßlichen Worten geschmäht. Dagegen die Wirklichkeit: Nach dem offiziellen Sonntags-Gottesdienst um 15.00 Uhr — während dieser Wallfahrtstage in Šiluva — versammelten sich viele Jugendliche in der Kirche. Der Priester Alfonsas Svarinskas hielt ihnen eine Predigt, in der er die jetzige Lage der Kirche erläuterte. Der Priester sagte: Der Heilige Vater will für jede Diözese Litauens einen Bischof ernennen. Schon wird zwischen dem Vatikan und Moskau deswegen verhandelt. Wir aber müssen viel beten, damit nicht (nur) die der Regierung allein nützlichen Kandidaten ernannt werden. Über die Kandidaten selbst hat der Prediger kein einziges Wort gesagt. Er betonte aber, daß es in der schweren Lage der Kirche notwendig ist, daß die Bischöfe den Mut haben, die Wahrheit zu sagen und (falls notwendig) für die Wahrheit zu leiden.

Nach der Predigt aber ging der Priester Svarinskas in die Knie und mit ihm die Jugendlichen. So bewegten sie sich auf den Knien vom Hochaltar um die ganze Kirche von Šiluva herum. So flehten sie zu Maria um gute Bischöfe für Litauen.

Regierungsvertreter haben diese außergewöhnliche Sühneprozession beob­achtet. Die blutigen Knie der Jugend gefielen ihnen nicht. Es scheint, daß diese blutigen Knie dem Anonymus »Verteidiger« der Kath. Kirche Litauens ebenfalls mißfielen.

Nun bleibt es mir nur noch, der gläubigen Öffentlichkeit zu erklären, warum gerade der verbannte Bischof Julijonas Steponavičius in der letzten Zeit derart angegriffen wird. Sicherlich konnten die beamteten Gottlosen ihn schon früher nicht leiden, wegen seiner Grundsatztreue und seiner Treue zur Kirche. Doch dieser Haß verstärkte sich, als der Papst einen Kardinal »in pectore« verkündete. Denn da begann die Weltpresse zu rätseln, ob dieser Kardinal nicht Bischof Julijonas Steponavičius sei. Sollte denn der verbannte Bischof schuldig geworden sein, wenn Litauen durch Leiden und Opfer die Anerkennung der Gesamtkirche verdiente?! Was ist das für eine »Schuld« des Bischofs Julijonas Steponavičius, wenn die gläubigen Christen Litauens ihn und seine Treue zur Kirche sehr hoch­schätzen? Es ist schon so, daß die Gläubigen sich sehr freuen würden, wenn auf dem Haupt des verbannten Bischofs ein Kardinalshut zu sehen wäre.