Lazdijai

76 Vertreter der Jugend des Rayons Lazdijai schrieben am 1. April 1983 an den Staatsanwalt der LSSR eine Erklärung folgenden Inhalts: »Am 20. März 1983 wurde der Priester von Šlavantai J. Zdebskis auf dem Rückweg aus Exerzitien zurück in seine Pfarrei von der Miliz angehalten. Als der Priester bis zum Beginn der Hl. Messe noch nicht zurück war, fuhr eine Gruppe von Gläubigen los, um den Priester zu suchen. Als sie neben der Abteilung für innere Angelegenheiten von Lazdijai das Auto des Prie­sters entdeckten, gingen die Gläubigen in die Miliz und verlangten, den leider nicht zum ersten Mal erpreßten, festgehaltenen und verfolgten Priester freizulassen.

Die Miliz und der Sicherheitsdienst befahlen aber allen, schleunigst zu ver­schwinden. Einige Personen wurden festgenommen, unter ihnen wegen an­geblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung auch der Lehrer der Mittel­schule von Leipalingis A. Grigas.

Wir kennen den Priester J. Zdebskis als einen würdevollen, mutigen und opferbereiten Priester erhabenen Geistes wie auch den Lehrer A. Grigas als edlen, aktiven, aufrichtigen Menschen, der nicht heuchelt. Obwohl er als Lehrer tätig war, besuchte er trotzdem jeden Sonntag die Hl. Messe, nicht selten sogar in der Kirche der eigenen Pfarrei.

Aus diesem Grunde wurde er von der Bildungsabteilung des Rayons Lazdijai und vom Sicherheitsdienst diskriminiert, einer ideenlosen, unwissenschaft­liehen Denkweise und einer richtungslosen Erziehung zur materialistischen Weltanschauung beschuldigt; sehr oft wurde ihm nahegelegt, freiwillig eine Erklärung zu schreiben, daß er seine Arbeit als Lehrer aufgebe.

Daß der Lehrer A. Grigas am 20. März mit den anderen Gläubigen ging, um den Priester J. Zdebskis freizubekommen, war unserer Meinung nach eine persönliche Herausforderung, die gerade recht kam und ein Scheingrund für den Sicherheitsdienst des Rayons Lazdijai war, ihn festzunehmen und ihn wegen angeblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung zu bestrafen, damit man ihn als den »gefährlichsten Bazillus« aus der Mittelschule von Leipalingis entfernen kann.

Das bekräftigt auch der Artikel des außerordentlichen Mitarbeiters A. Pe-traitis vom 29. März 1983 in der Rayonzeitung von Leipalingis »Ein schlech­tes Beispiel eines Pädagogen«, in dem der Lehrer A. Grigas angegriffen wird. Wir zitieren: »... bei der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons benahm sich A. Grigas frech; er randalierte, gehorchte den Miliz­beamten nicht und hetzte die anderen auf, die berechtigten Aufforderungen der Miliz nicht zu befolgen. Das Rayonvolksgericht bestrafte A. Grigas wegen böswilliger Nichtbefolgung der berechtigten Aufforderungen der Miliz mit 15 Tagen Arrest.«

Alle Anwesenden behaupten jedoch etwas ganz anderes: A. Grigas verhielt sich taktvoll und erklärte in aller Ruhe, solange nicht weggehen zu wollen, bis man den Priester J. Zdebskis freigelassen hätte. Es sei eine Pflicht für alle Gläubigen, sich für ihre Priester einzusetzen und sie zu verteidigen. Deswegen müßten die Mitarbeiter der Miliz und des Sicherheitsdienstes des Rayons Lazdijai wegen der unberechtigten Verdächtigung und der Fest­nahme einer Person gemäß § 186 des StGB der LSSR zur strafrechtlichen Veranwortung gezogen werden.

Schließlich wissen Sie sicher nicht oder Sie erinnern sich nicht daran, daß man im Artikel 19 der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte, die zu unterstützen und zu achten auch die Vertreter der Sowjetunion sich ver­pflichtet haben, schreibt: »Der Mensch hat das Recht auf die Freiheit der Überzeugungen und deren Äußerungen«, d. h. er hat das Recht, frei die eigenen Gedanken und Entscheidungen in Wort und Schrift zu äußern. Ebenso haben Sie vielleicht auch den schon auf der Schulbank eingehäm­merten § 57 der Verfassung der UdSSR vergessen, wo behauptet wird: »Die Achtung der Persönlichkeit, der Schutz der Rechte und Freiheiten der Bür­ger ist die Pflicht aller Staatsorgane, gesellschaftlichen Organisationen und Funktionäre.«

Herr Staatsanwalt der SSR Litauen, wir verlangen, mit der mit Lügen und Gewalt begründeten Erpressung von unschuldigen Menschen aufzuhören, den Priester A. Svarinskas freizulassen, den Priester J. Zdebskis wie auch die anderen mutigen, eifrigen und opferbereiten Priester in Ruhe zu lassen, den Lehrer A. Grigas sofort freizulassen und ihn in seiner Lehrtätigkeit nicht zu behindern.

Das verlangen nicht nur wir allein. Das ist ein vereinter Schrei der Gläubigen und der Jugend ganz Litauens nach Beendigung der heftigen Exzesse der Gottlosen gegen die Gläubigen.«

Karfreitag 1983        Die Jugend des Rayons Lazdijai

76 Unterschriften

Kapčiamiestis (Rayon Lazdijai)

Am 29. März 1983 reiste eine kleine Gruppe von Schülern in die Abteilung für die inneren Angelegenheiten von Lajdijai, um den zu Unrecht arretierten Lehrer der Mittelschule von Laipalingis, A. Grigas, zu besuchen. Nachdem die Jugendlichen gefragt hatten, ob es nicht möglich wäre, den Lehrer zu sehen, verlangte der wachhabende Milizmann Stravinskas, ohne seine Papiere gezeigt zu haben, von den Angekommenen, sie sollten ihre Namen nennen. Als diese sich weigerten, die Neugier des Milizmannes zu befriedigen, begann der Beamte zu schreien und sie scheußlich zu beleidigen. Schließlich rief der Milizmann die Inspektorin des Kinderzimmers und mehrere Beamten herbei. In das Arbeitszimmer stürzte auch irgendeine wütende Russin herein, begann mit fürchterlichsten Worten zu fluchen, mit den Fäusten zu drohen usw. Vier Beamte führten die ausgeschimpfte Jugend in das Arbeitszimmer des Sicherheitsbeamten. Die Inspektorin für die An­gelegenheiten der Minderjährigen nannte die Namen der Schüler und ver­langte ihre Unterschrift. Diese aber verweigerten sie. Der Sicherheitsbeamte Orlow fragte russisch, ob sie die Ostergrüße, die an Lehrer A. Grigas adres­siert waren, unterschrieben hätten. Die Schüler wunderten sich, wie ein Brief, der an den Lehrer A. Grigas adressiert war, in die Hände des Sicherheits­beamten gelangen konnte. Nach einem Verhör verlangte der Tschekist streng von den Jugendlichen, zu unterschreiben; diese aber weigerten sich, es zu tun. Als der Sicherheitsbeamte die Schüler hinausließ, drohte er, daß nach den Schulferien einer seiner Vertreter in die Schule kommen werde.

*

 

Bei einer Sitzung der Pädagogen der Mittelschule von Kapčiamiestis am 1. April 1983 wurde das Betragen der Schüler Alė Žibūdaitė, Klasse IX, der Alma Žibūdaitė und Gintas Sakavičius, bei Klasse XI, beurteilt und gleichzeitig überlegt, ob man sie in der Schule lassen oder von der Schule verweisen solle.

Auch J. 2ibūda bekam eine Einladung zu der Sitzung.

Der Direktor Sabalius verlangte während der Sitzung von den Schülern, daß sie erklären sollten, warum sie nach Lazdijai gefahren seien, um den mit 15 Tagen Arrest bestraften Lehrer Grigas zu besuchen und wer sie dorthin geschickt hätte. Die Schüler erklärten, daß sie alt genug seien, um von selbst, ohne daß sie jemand schicke, hinzufahren. Außerdem befehle das Gewissen den Gläubigen, die Uberzeugungsgenossen und Freunde zu verteidigen. Nach dieser Antwort fing der Lehrer Šidlauskas an, G. Sakavičius voll Wut zu beschimpfen. Der Lehrer führte Beweise an, daß im Rayon eine antisowje­tische Kampagne entstanden sei, die von den Priestern von Šlavantai und Kapčiamiestis inspiriert werde. Es wäre besser, zu dem Priester von Leipa­lingis hinzufahren, der ruhig sei und keinem die Ruhe störe.

Während der Sitzung zeichneten sich am meisten die Lehrer Šidlauskas, Šidlauskienė, Urbonienė, Januškevičienė aus. Sie schrien die Schüler derart an, daß diese nicht dazukamen, wenigstens ein Wort zu sagen oder etwas zu erklären.

—        »Ihr dürft unsertwegen auch die ganze Nacht in der Kirche sitzen, was ihr aber außerhalb der Kirche macht, ist schon Politik« — versuchten die Lehrer ihnen einzureden.

Der Lehrer Šidlauskas beschuldigte den Schüler G. Sakavičius und warf ihm vor, er habe Unterschriften gesammelt. Als Ginautas dies aber ver­neinte, begann der Lehrer hysterisch zu schreien:

- »Sind das nicht jene, die Menschen umbringen und Schlösser aufbrechen?«

- »Die gläubigen Menschen morden nicht und brechen keine Schlösser auf. Das ist eine Tat der Gottlosen.«

Auch die Eltern unterstützten die Schüler, indem sie behaupteten, daß die Schüler wirklich nichts verbrochen hätten; die Inhaftierten zu besuchen und sie zu verteidigen, sei eine Pflicht für alle.

Am Ende der Sitzung ermahnte der Vorsitzführende, daß bei Wiederholung eines ähnlichen Falles die Schüler der Schule verwiesen würden, ja, daß es für sie kaum möglich sein werde, in dem Dorfe zu bleiben, wo sie jetzt lebten.

 

Am 16. März 1983 lud der Organisator der außerschulischen Arbeit an der Mittelschule zu Kapčiamiestis, der Lehrer S. Šidlauskas, die Schüler Romas Varnelis, Rimgaudas Kukučionis, Alė Žibūdaitė, Antanas Žibūda, Gintas Valentą und noch andere zu sich und nötigte sie, der Kommunistischen Jugend beizutreten. Als der sowjetische Erzieher der Jugend sah, daß er mit Güte nichts erreichen werde, begann er, den Schülern zu drohen und sie zu beleidigen. Am schlimmsten traf es Alė Žibūdaitė und Romas Varnelis. Der wütende Lehrer Šidlauskas erdichtete nie dagewesene Dinge: Er be­schuldigte den Schüler der IX. Klasse Antanas Žibūda, daß er die Wandzei­tungen abgerissen habe und daß er unterwegs aus der Tanzveranstaltung mit einer Lampe den anderen in die Augen leuchte. Diesmal mißlang aber die Lüge; Antanas besucht überhaupt keine Tanzveranstaltungen. Das können auch seine Eltern bezeugen. Als der sowjetische Pädagoge einsah, daß die Schüler keine Angst hatten, beschloß er, sie mit Schmeicheleien zu gewinnen und bot einem der Knaben eine Zigarette an mit den Worten: »Mit Süßig­keiten kann man nur einen Erstkläßler gewinnen.«

Nach der Methode der Tschekisten verlangte der Lehrer Šidauskas von den Schülern, über die verlaufene »Unterhaltung« Stillschweigen zu bewahren.

*

An den Generalsekretär der UdSSR J. Andropow Erklärung

der Eltern, die in der SSR Litauen, Rayon Lazdijai, Ortschaft Kapčiamiestis wohnhaft sind.

Auf Beschluß des Pädagogenrates der Mittelschule zu Kapčiamiestis vom 10. Mai 1983 wurden drei Schüler der XI. Klasse: Alma Žibūdaitė, Gintas und Vytas Sakavičius wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung bei dem Palast des Obersten Gerichts der SSR Litauen zu Vilnius, wo zwi­schen dem 3. und 6. Mai 1983 vor dem Obersten Gericht der LSSR zu Vilnius die Gerichtsverhandlung gegen den Priester Alf. Svarinskas stattfand, der Schule verwiesen. Als die obengenannten Schüler von der Gerichtsver­handlung erfahren hatten, fuhren sie am 4. Mai zu der Verhandlung. Ob­gleich in der Presse verkündet worden war, daß die Verhandlung öffentlich sei, wurden in den Saal nur der Bruder und die Schwester des Priesters hineingelassen. Alle anderen Menschen wurden einige hundert Meter vom Gerichtspalast zurückgedrängt. Die Menschen wurden eingeschüchtert, in Milizautos hineingepfercht und über 40 km weit in die Wälder hinausge­fahren. Viele wurden festgenommen, besonders Jugendliche. Unter ihnen war auch Gintas Sakavičius, dem wegen der »Verletzung der öffentlichen Ordnung« eine Administrativstrafe von 50 Rubel allein deswegen auferlegt wurde, weil er sich zusammen mit einer Gruppe von Jugendlichen und an­deren Leuten dort aufhielt und für den frommen und guten Priester betete, obwohl die Miliz befohlen hatte, sich beim Gericht nicht mehr blicken zu lassen.

Die erwähnten drei Schüler und auch die anderen dort Anwesenden wurden von den Beamten der Miliz und des Sicherheitsdienstes beschimpft, terrori­siert, bedroht und eingeschüchtert. Die Mitarbeiter der Abteilung für innere Angelegenheiten schrieben Namen, Schul- und Arbeitsort der Anwesenden auf, und es wurde befohlen, sie aus Schule und Internat zu verweisen.

Wir wenden uns an Sie, damit Sie uns die in jeder Weise unverständliche Politik, unbescholtene und unschuldige Menschen mit Lüge und Terror zu hintergehen, erklären möchten. Die junge Generation, die die Grausamkeiten der Nachkriegsjahre nicht mehr erlebt hat, jetzt aber selbst die Fehler der verantwortlichen Beamten des Staates beobachtet und sieht, beginnt, die von ihnen proklamierten Ideen und Prinzipien sehr kritisch einzuschätzen. Die Jugend ist für die Wahrheit, für das Gute und das Menschliche aufge­schlossener und aufnahmefähiger. Eine Verweisung der Schüler aus der Mittelschule ist aber ein völliges Versperren des Weges zu Wissenschaft und Arbeit.

Wird es uns möglich sein, die Schüler zu zwingen, die sowjetischen Gesetze zu achten, darunter auch die Verfassung der UdSSR, die das Recht auf Aus­bildung und Arbeit, ungeachtet der Rasse, der Nationalität und Überzeu­gungen garantiert, wenn die sowjetischen Führer selber sie ignorieren?

Ein derartiges Fertigmachen unschuldiger Schüler könnte doch einen weiten Widerhall des Anstoßes unter der ganzen Jugend hervorrufen.

Am 14. Mai 1983        (Unterschriften der 4 Eltern)

 

Židikai (Rayon Mažeikiai)

Am 11. April 1983 marterten Sadisten im Wald von Kekinė auf grausame Weise die Schülerin der IV. Klasse, Dalia Milvydaitė, aus der Ortschaft Vižančiai, Dorf Skliaustė, zu Tode: Arme und Beine wurden abgeschnitten, ein Auge ausgerissen, das zweite ausgestochen, die Haut schachbrettförmig zerschnitten, das Blut aus dem Körper herausgepreßt. Die Experten stellten fest, daß das Martyrium etwa 3 Stunden lang gedauert habe.

Das Mädchen war gläubig; erst vor einem Jahr empfing es die HI. Erst­kommunion. Die Angehörigen hatten mit dem Pfarrer der Pfarrei Židikai vereinbart, das Mädchen am 16. April um 12 Uhr zu beerdigen. Die Leitung der Schule, die Lehrerin Alberkienė und der Ortsvorsitzende Putkus aber verboten, das Mädchen auf religiöse Weise beizusetzen. Die Lehrer entfern­ten das Kreuz aus dem Zimmer, die Heiligenbilder und die Kerzen. Die Lehrerin Priedosikienė erklärte voll Stolz: »Wir haben alle Heiligen aus dem Zimmer gestrichen.«

Pilviškiai

Die Führerin der Pioniere an der Mittelschule zu Pilviškiai, Lehrerin Ba-kaitienė, rief vor Ostern 1983 die Schülerin der IV. Klasse Reda Bobinaitė in das Zimmer der Pioniere. Die Lehrerin fragte, ob das Mädchen wirklich in die Kirche gehe und in dem kleinen Chor der Jugend singe. Als dieses positiv geantwortet hatte, verlangte die Lehrerin, alle ihre Freundinnen zu verraten, die in die Kirche gehen und dort singen, und versuchte sie auch zu überreden, nicht mehr in die Kirche zu gehen.

Die Klassenlehrerin Murašauskienė griff während des Deutschunterrichts das Mädchen an, warum es nicht die Halsbinde der Pioniere umgebunden habe. Das Mädchen gab zur Antwort, daß es sie deswegen nicht trage, weil es gläubig sei. Anschließend wurde Reda zu der Vertreterin des Direktors, Sniečkienė, vorgeladen. Diese versuchte ebenfalls, das Mädchen von dem Besuch der Kirche abzubringen. Als Reda sich mutig verhielt, begann man, ihr zu drohen, daß sie keine Arbeit bekommen werde, wenn sie erwachsen sein werde.

*

An der Osterprozession 1983 in Pilviškiai nahm viel Jugend teil. Das mißfiel den Atheisten sehr.

Frau Ona Trimirkienė, die für die Ordnung bei der Jugend während der Prozession sorgte, bekam ein Schreiben folgenden Inhalts: »An die Genossin Trimirkienė Ona

Sie sind am 14. April d. J. um 11 Uhr in das Exekutivkomitee des Ortes Pilviškiai zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees vorgeladen. Das Er­scheinen muß pünktlich erfolgen. Die Vorsitzende des Exekutivkomitees.« Es fehlten die Unterschrift wie auch der Stempel. Ona Trimirkienė ging nicht hin. Nachher kam ein Schreiben: »Verehrte Trimirkienė,

wir bitten Sie, am 15. April d. J. um 12.30 Uhr wegen einer Unterredung

über die Erziehung Ihres Kindes in die Schule zu kommen.«

Unterzeichnet: Der Direktor der Schule J. Janušaitis.

Die Unterschrift fehlte. Nur ein dreieckiger Stempel war darauf.

In dem Arbeitszimmer, in das O. Trimirkienė hineingeführt wurde, waren

schon versammelt: Der Direktor der Schule, J. Jenušaitis, die Stellvertreterin

des Direktors, Sniečkienė, und die Ortsvorsitzende von Pilviškiai, Krini-

cinienė. Alle waren bereit, Frau O. Trimirkienė »zu erziehen«.

Frau Trimirkienė fragte aber gleich selbst als erste, zu welchem Zweck sie

vorgeladen sei und was ihr Sohn, der Schüler der II. Klasse, Virginijus

Trimirka, getan habe. »Hat er jemanden ermordet, irgendetwas gestohlen oder war er betrunken?« Als die Mutter die Antwort hörte, daß ihr Sohn ein guter und disziplinierter Schüler sei, daß er aber am Altar diene, ant­wortete Trimirkienė, daß es auch für die Anwesenden an der Zeit wäre, über die Ewigkeit nachzudenken. Als diese einsahen, daß O. Trimirkienė eine bewußte Christin sei und sich der atheistischen Erziehung nicht ergeben werde, fingen sie an, sie mit der Anrufung der Miliz zu ängstigen und ihr zu drohen, daß sie zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werde, wenn sie auch weiter für die Ordnung bei der Prozession sorge.

Kybartai

 

Am 10. Mai 1983 kam der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexeku­tivkomitees von Vilkaviškis, Juozas Urbonas, in die K. Donelaitis Mittel­schule zu Kybartai. Der Zweck seines Kommens war, den Schülern der 8. bis 11. Klassen zu erläutern, daß in der UdSSR der Glaube wahrhaftig frei sei und daß der Pfarrer von Kybartai, Priester Sigitas Tamkevičius, rechtmäßig gemäß § 63 Teil I des StGB der LSSR wegen Verleumdung und Verächt­lichmachung der sowjetischen Ordnung zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen worden sei; dies nämlich habe er durch Predigten verleumderischen Inhalts getan.

Zu Beginn seiner Rede bat J. Urbonas die Schüler, zuerst seine Rede bis zum Ende anzuhören und erst dann die Fragen zu stellen. Dabei unterstrich er, daß er schon bei anderen Institutionen habe reden müssen, wo die Gläubigen mit ihren Rufen gestört hätten.

J. Urbonas las einige Stellen aus den Predigten des Priesters S. Tamkevičius vor. In einer wird darüber gesprochen, daß in diesen sieben Jahren seiner Tätigkeit in Kybartai die Zahl der jugendlichen Kirchenbesucher wesentlich gewachsen sei. J. Urbonas sagte, daß das eine Stelle aus der Predigt vom Palmsonntag sei, und mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu:

— »Es ist möglich, daß ihr selber bezeugen könntet, daß dies eine Lüge ist. In der Zeit ist die Zahl der die Kirche besuchenden Jugendlichen sogar geringer geworden.«

Durch den Saal rollte eine Welle der Unzufriedenheit und leise Zwischen­rufe. Diese Lüge des J. Urbonas war viel zu eindeutig.

Anschließend las er ein Zitat vor, das aus der Predigt stammte, die anläßlich der Osterfeiertage gehalten wurde. Darin wird über drei Kreuze gesprochen, die die Litauische Katholische Kirche drücken: a) der Kirche in Litauen sind alle Rechte und Freiheiten genommen; b) durch die sogenannten Zwanziger mischt sich die Regierung unmittelbar in die Ordnung und die Verwaltung der Kirche ein; c) jene Menschen, die für die Freiheit des Glaubens kämpfen, werden verfolgt, angeklagt und eingekerkert.

»Die Gläubigen dürfen frei beten, aber der Tamkevičius will die Kirche so sehen, wie sie in den bourgeoisistischen Jahren oder während der Besetzung durch die Faschisten war! In der UdSSR ist die Kirche vom Staat getrennt, aber die Gläubigen dürfen frei beten. Welche zusätzlichen Rechte sind dabei noch nötig?« So klang die Erläuterung von J. Urbonas. »Außerdem hat S. Tamkevičius im Gebetshaus Unterschriften gesammelt! Erklärungen darf jeder schreiben, aber nur persönlich. Es darf keine ge­meinsamen Erklärungen geben. Auch Ihr dürft persönliche Erklärungen schreiben, an wen Ihr wollt: dem Papst, Andropow oder auch mir« — sprach der Redner weiter. »Wir haben Tamkevičius viele Male verwarnt, und ihn sogar in Güte gebeten, mit seiner Tätigkeit aufzuhören, aber wie Ihr seht, ist der Kelch unserer Geduld übergelaufen« — so schloß J. Urbonas seine Rede.

Nach dem Schluß seiner Rede stellten die Schüler eine ganze Reihe von Fragen:

»Wenn Sie sagen, daß Sie sich in die innere kanonische Tätigkeit der Kirche nicht einmischen, warum nennen Sie dann den Vikar unserer Pfarrei, den Priester Jonas Matulionis, nicht einen Priester, sondern »einen Sänger von Natur aus«? Es ist doch nicht Ihre Angelegenheit, zu beurteilen, ob er ein richtiger Priester ist oder nicht. Er hat das Priesterseminar durch Fernunter­richt abgeschlossen und ist von einem Bischof zum Priester geweiht.« Hier erklärte J. Urbonas, daß die Regierung das Priesterseminar durch Fernunterricht nicht anerkenne ...

»Und warum zwingt Ihr uns, zu heucheln, indem Ihr mit Druck und sogar mit Drohungen von uns fordert, den Organisationen der Pioniere oder der Kommunistischen Jugend beizutreten?«

—        »Dazu zwingen darf man euch auf keinen Fall. Wenn euch manchmal die Lehrer schimpfen oder drohen, dann nur deswegen, weil auch ihre Ner­ven gewisse Grenzen haben.«

Auf die Frage, warum während der Gerichtsverhandlung gegen Priester Alf. Svarinskas seine Freunde und Bekannten, die gekommen waren, nicht in den Saal hineingelassen wurden und warum darin nur die Vertreter der Kom­munistischen Partei gesessen seien, antwortete Urbonas, daß jeder Saal ein gewisses Fassungsvermögen habe und eben nur so viele Menschen aufneh­men könne, wie es Platz darin gebe. Wenn die Gläubigen im Saal gesessen wären, dann hätten sie ohne Zweifel auch die Reden des Angeklagten wie des Klägers hören können, und hätten Interesse gehabt, ungenaue Informa­tionen zu geben.

—        »Warum verhören uns nicht zum ersten Male Sicherheitsbeamte, und warum haben sie sogar versucht, ein Mädchen anzuwerben?«

—        »Warum hat mich der Lehrer deswegen aus der Schule hinausgeworfen, weil ich die Halsbinde nicht umgebunden habe, meine Eltern Faschisten und Bourgeois genannt und geraten, ins Ausland auszuwandern?«

Auf diese Fragen konnte J. Urbonas keine klaren Antworten geben. Er ver­suchte die Angelegenheit herabzuspielen, daß das nur einfache erhitzte Stim­mungen der Lehrer seien.

—        »Könnte vielleicht die Bildungsabteilung des Rayons über so ein unge­eignetes Betragen der Lehrer eine Entscheidung treffen?« — fragte ein Mädchen.

J. Urbonas gab aber darauf keine Antwort.