Priester Alfonsas Svarinskas schreibt: Lieben heißt opfern

Lieben heißt, den schwereren Teil der Last abnehmen, Lieben heißt, das Licht tragen und den Weg beleuchten, Lieben heißt glauben.

(K. Inčiūra)

Im Februar habe ich ein kurzes Brieflein geschrieben, ich glaube aber nicht, daß Sie es bekommen haben.

Entweder in dieser oder in der nächsten Woche werde ich die Hauptstadt Vilnius und Litauen für lange, lange Zeit oder vielleicht auch für immer verlassen. Der Herr allein weiß es! In dieser Hinsicht aber wiederhole ich immer wieder mit dem Hiob in der Bibel: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen... Sein heiliger Wille geschehe!«

Aus dem Lager werde ich zwar zweimal im Monat schreiben dürfen. So werde ich einmal an Sie und einmal an meinen Bruder und meine Schwester schreiben. Ich kann mich über nichts beklagen. Ach doch! Die Lippe ist noch nicht verheilt und ich habe meine Zahnprothese zerbrochen. Ich hoffe, daß ich im Lager eine qualifizierte Hilfe bekommen werde.

Ich bin satt. Ich danke Ihnen und allen anderen für das Geld und für die Nahrungsmittelsendungen.

Eine kleine Reserve an Lebensmitteln habe ich als Reiseproviant schon dabei. Wenn sie mir die Diebe nicht wegnehmen, dann werde ich für unter­wegs etwas haben. Schade ist, daß alles zu leicht verdirbt und schimmelig wird, weil es warm ist. Aber das ist keine große Katastrophe. Pakete werde ich erst im August 1986 bekommen dürfen — 5 kg in 4 Monaten.

In meinen Gebeten erinnere ich Gott den Herrn täglich daran: »Nicht mein, sondern dein heiliger Wille geschehe!«

Gottes Gnade möge all Eure Schritte begleiten!

Gefangener in Christus Priester Alfonsas

P.S. Die Sicherheitsbeamten haben in diesem Brief 16 Zeilen mit Tusche ausgestrichen.

 

In einem Brief vom 7. Juni 1983 schreibt er:

Ich grüße alle mir teueren und geliebten Brüder und Schwestern in Litauen! Allseitigen Segen Gottes!

Vor meiner Abreise habe ich aus dem Gefängnis des Sicherheitsdienstes ein Brieflein geschrieben. Am Verteilungspunkt Pskow versprach mir ein Ukrainer, über mich zu schreiben. Jetzt versuche ich es selber (...) Es ist mir gelungen, bereits nach 4 Monaten meinen Abschied zu nehmen, Bieliaus­kienė aus Garliava mußte sogar 7 Monate warten. Ich denke, daß die Ge­richtsverhandlung gegen Priester Sigitas so etwa Mitte August stattfinden wird, und Anfang September wird auch er Vilnius verlassen. Ich hörte ihn einige Male laut lachen, begegnet bin ich ihm aber nicht. Ich glaube, daß er durchhalten wird. Ich bete für ihn seit seiner Verhaftung. Nach meinen Prozeß fragten sie mich über ihn aus. Ich weigerte mich aber, darüber zu reden. Warum? Weil man da einen Menschen auf schändliche Weise ge richtlich fertig machen will! Es zeigt sich, daß es jetzt noch weniger Gerech­tigkeit gibt als vor 30 Jahren. Ich habe einen Gefangenen getroffen, der seine eigene Frau umgebracht hat und dafür 9 Jahre bekam. Diebe gibt es viele unterwegs; sie bekommen aber nur 2, 3, 4 Jahre, nur in seltenen Fällen auch mehr.

In Vilnius waren meine Gesundheit und Stimmung gut. Ich betete viel. Jetzt werde ich die Möglichkeit haben, für alle meine Liederlichkeiten in der Freiheit Abbitte leisten zu können. Vormittags betete ich einen leben­digen Rosenkranz für die Priester (nach Meinung Niederlitauens), 5 Gebete für die Vertreter der Regierung, denen ich begegnen muß; die Lauretanische Litanei für jene, die sich im Gefängnis des Sicherheitsdienstes befinden; den ersten Teil des Rosenkranzes für die leidende Kirche, den 2. Teil für Jb leidende Kirche in Litauen und den 3. Teil für das Vaterland.

Nachmittags betete ich den ersten Teil für meinen Prozeß (und nach dem Prozeß, daß der Herr mir eine glückliche Ewigkeit schenken möge und mich wie den Verbrecher zu seiner Rechten betrachte!), den 2. Teil für die Kämp­fer der Kirche und des Vaterlandes, den 3. Teil für die Pfarrei Viduklė und die anderen Pfarreien, in denen ich gearbeitet habe; für die Seminaristen dieser Pfarreien, für die Brüder und Schwestern, für die Familien, für den Kardinal Slipyj und für alle, die zu meinem Prozeß gekommen sind (und sogar dafür gelitten haben), die mich verteidigten, daß Gott ihnen vergelten möge. Am Abend bete ich einen Teil für die Eltern, für die Verstorbenen der Familie und der Verwandtschaft. Zur Fastenzeit ging ich jeden Tag die Kreuzwegstationen, jetzt aber nur noch am Freitag. Ich danke also Gott, daß ich beten darf. Besonders gut stimmt mich der Kreuzweg, wo man das eigene kleine Opfer, wie der hl. Paulus sagt, mit dem Erlösungsopfer Christi vereinen kann.

Am 27. Mai habe ich um 20 Uhr Vilnius verlassen. Am Samstag war ich um 9 Uhr in Pskow und nachmittags schon im Gefängnis selbst. Die Be­dingungen sind hier grausam. Es gibt hier sehr viele Menschen und deswegen geriet ich in den Keller. Die Zelle ist finster, hat keinen gedielten Fußboden; durch den aus Lehm festgestampften Fußboden sickert von unten das Wasser ein. Wanzen, Schnaken und Läuse! 16 Menschen in einer nicht gerade großen Zelle! Die Wanzen haben auch mich ganz schön angenagt. Vorigen Freitag kam ich in eine Zelle im dritten Stock. Dort ist es trocken. Ich habe meine Wäsche gewaschen und einigermaßen taugliches Bettzeug bekommen. Für die Hundertnähtige danke ich, sie hat mich während der Reise sehr gut vor der Kälte geschützt. Da ich Nahrungsmittel hatte, war die Reise für mich nicht beschwerlich. Ein Armer aber bat mich unterwegs, ihm meine Strickjacke zu schenken. Ich habe sie ihm gegeben.

Sowohl im Zug als auch in der Zelle bin ich der einzige Politische. Deswegen sind die Reden und Flüche grausam. Manchmal kann man nicht einmal beten. Das sind furchtbar entmenschlichte Individuen. Hier habe ich etwas

Gelegenheit gehabt, über Gott zu sprechen. Gestern begnegnete ich einem lettischen Studenten (er wurde wegen Schwarzhandel zu zweieinhalb Jahren verurteilt). Mit ihm sprach ich über Christus. Er interessierte sich sehr dafür. Es wäre gut, wenn unsere Atheisten dieses Publikum sehen würden. Viel­leicht würden sie dann begreifen, wohin und in welchen Niedergang sie die Menschen führen. Sie nehmen ihnen nicht nur die Ewigkeit weg, sondern auch die irdische Freude. Mich als Priester haben sie geachtet, sie überließen mir in Pskow sogar den unteren Platz auf der Pritsche. Aber siehe da! Alle nennen mich »Vater«, »Väterchen«, »Alterchen«! Bin ich denn schon so alt? Wo ist meine Jugend geblieben? Wenn ich zurückkehre, werde ich 68 Jahre alt sein.

Am Sonntag fuhren sie uns um 7 Uhr aus Pskow weiter ins Lager. Es hat sich gut getroffen, daß man nicht durch das Gefängnis von Jaroslawsk mußte. Denn viele Kriminelle gehen in die Verbannung. Deswegen gab Moskau einen Sonderwagen, und es geht in die Richtung Perm. Wohin ich letztlich komme, weiß ich noch nicht, aber es sieht so aus, als ginge es nach Perm. Heute sind wir an Jaroslawsk vorbeigefahren; von hier geht es auch nach Mordwinien. Morgen abend werden wir schon in Perm sein und am Sonntag möglicherweise schon im Lager. Es ist möglich, daß ich dort Viktoras und Balys begegnen werde. In Mordwinien wollte ich den Janulis treffen, der am Fest Maria Himmelfahrt nach Hause fährt. Aber das ist anscheinend von Gott anders entschieden worden. In Perm wird es mehr junge Menschen geben. Mit einem Wort, wenn Gott es fügt, wird alles gut ausgehen.

Von Vilnius bis Pskow bekam ich 1 kg Brot (ein Laibchen), zwei angefaulte Heringe (habe ich nicht gegessen, weil sie sehr salzig waren) und 10 gr Zucker. In Pskow bekam ich 3 Laibchen Brot. Da ich aber ein eigenes Plastikgefäß mit Fett und 2 kg Zucker dabei habe, bin ich nicht hungrig und sogar in der Lage, auch andere noch zu bewirten.

Ein Übel ist nur, daß hier im Zug ein Platz für zwei reichen muß. Es ist hart. Mir scheint, ich bin schlapp und verhätschelt oder ist das vielleicht doch das Alter?

Die Stimmung ist ausgeglichen und gut. Zur Zeit betrachte ich das Priester-tum Christi. Ich wiederhole dem Herrn jeden Tag von Herzen: »Fiat!« Ich habe zur Ehre Gottes und zum Wohl der Kirche und der Heimat alles getan, was ich tun konnte. Deswegen bereue ich nichts. Ich hoffe nur, daß der Herr mich nicht beschuldigt, daß ich zu wenig getan habe. Betet für mich, daß ich als Priester immer den Feinden Gottes und der Kirche ins Gesicht schaue.

Vielleicht werde ich zum Antoniusfest schon aus dem Lager schreiben kön­nen. Grüßen Sie alle, alle von mir. Viduklė habe ich von Herzen gern gehabt und dafür opfere ich das meiste auf. Für Kulautuva waren es 6 Jahre, für Viduklė 10 Jahre. Igliauka feiert dieses Jahr das 100jährige Jubiläum der

Kirche. Es wäre gut, wenn der Pfarrer und eine Gruppe der Leute von Viduklė hinfahren könnten (erkundigt euch nach dem Datum!) und auf dem Grab des Priesters Kačergis Blumen hinterlegen könnten. Bei der Kirche von Naumiestis werden es bald 200 Jahre. (...)

Der Gefangene im Herrn Priester Alfonsas

 

Aus dem Brief vom 8. Juni 1983:

(...) es wurde eine Anspielung gemacht, ich solle es nach dem Beispiel von D. Dudko machen, dieser Trost machte aber auf mich keinen Eindruck. (...) Wir wollen füreinander beten, damit wir nicht unter dem Kreuz des Herrn zusammenbrechen.

Der Gefangene im Herrn Priester Alfonsas

 

Am 11. Juni 1983 wurde Priester Alfonsas Svarinskas an seinen Strafort gebracht. Von dort schickte der Lagervorsteher eine Mitteilung, bei der auch seine Adresse angegeben war. Dort heißt es, daß es ihm erlaubt sei, im Jahr zwei Päckchen zu je 1 kg zu bekommen. Er dürfe im Monat zwei Briefe schreiben und einmal im Jahr persönlichen Besuch bekommen. Briefe dürfe er unbegrenzt erhalten.

Nach Verbüßung der Hälfte der Strafe, d. h. nach dreieinhalb Jahren, wird es gestattet sein, ein Paket von 5 kg zu empfangen. Seine Adresse:

618263 p. Kutschino Tschusowskogo r-n Permskoi obl. Utschreschdenie VS-389/36 Svarinskas Alfonsas, Vaclovo