Nachdem 1979 die beiden Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tam-kevičius offiziell vom Staatsanwalt verwarnt worden waren, schwoll auch die Flut der inoffiziellen Drohungen und Gerüchte an. Es hieß, das KGB habe beschlossen, sie durch einen vorgetäuschten Autounfall oder auf ähnliche Weise heimlich zu vernichten. Andauernd kursierten Gerüchte durch ganz Litauen, daß die Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius bei einem
Autounfall verletzt worden seien, daß man sie verhaftet habe und daß bei ihnen Hausdurchsuchungen durchgeführt worden seien. Wenn die Leute solche Gerüchte hörten, warnten sie oft die Priester, abends nicht allein hinauszufahren und Provokationen zu vermeiden. Die Agenten des Sicherheitsdienstes scheuten sich nicht, selber die Priester telefonisch anzurufen und ihnen damit zu drohen, daß man sie erledigen werde. Solche Gerüchte wurden mit Sicherheit speziell vom Sicherheitsdienst verbreitet, um die Ängstlichen einzuschüchtern.
Es entstand eine solche Lage, daß die eifrigeren Priester jeden Moment mit irgendeiner unerwarteten Überraschung rechnen mußten.
Die Sicherheitsbeamten prahlten andauernd damit, daß sie über allerlei Mittel verfügen, um sogar die Psyche des Menschen zu beeinflussen. Dies hat sich teilweise bei der Erledigung des orthodoxen Priesters Dimitrij Dutko und bei anderen Gefangenen bestätigt. Aus diesem Grunde setzte der Priester Sigitas Tamkevičius am 6. Februar 1982 sein geistiges Testament auf:
Mein »Credo«
Immer häufiger höre ich Drohungen, daß ich verhaftet werde. Ich bin überzeugt, daß die Drohungen des Sicherheitsdienstes auch Wirklichkeit werden können.
Wie den orthodoxen Priester Dimitrij Dutko werden mich die Sicherheitsorgane möglicherweise nötigen, meine Tätigkeiten als gegen den Staat und die Menschen gerichtete Verbrechen zu bereuen. Wer kann schon im voraus garantieren, daß er allen Mitteln, die dem Sicherheitsdienst zur Verfügung stehen, standhalten kann und nicht zusammenbricht? In der Hölle des GULAG sind Tausende zusammengebrochen. Aus diesem Grunde möchte ich, solange ich noch frei bin, mein »Credo« bekanntgeben.
Ich habe die Lüge, die Gewalt und die sittliche Verkommenheit gesehen, und deswegen konnte ich nicht gleichgültig bleiben. Das Verlangen, meine Landsleute hier wie auch dort in der Ewigkeit glücklich zu sehen, drängte mich, gegen das ganze Übel anzukämpfen, das auf meiner Heimat und der Kirche lastete. Diesem Kampf habe ich die fruchtbarsten Jahre meines Lebens gewidmet.
In meiner ganzen Tätigkeit ließ ich mich von den Grundsätzen der christlichen Moral leiten: Die Wahrheit sagen, die Wahrheit verteidigen, gegen Gewalt kämpfen, trotzdem aber alle lieben, ja sogar jene, die Werkzeug der Lüge und der Gewalt geworden sind.
Ich danke Gott, daß er mir erlaubt hat, im letzten Jahrzehnt fruchtbringend für das Wohl der Kirche und dadurch auch für mein Vaterland zu arbeiten.
Müßte ich noch einmal alles von vorne anfangen, würde ich genau dasselbe tun, höchstens mit noch größerem Eifer. Ich kann nur bedauern, daß ich mit Sicherheit noch mehr hätte tun können.
Mit ruhigem Herzen gehe ich ins Gefängnis: Möge das die Krone meiner Tätigkeit sein! Die Jahre der Unfreiheit widme ich der Buße für meine Fehler und der Zukunft der Kirche wie auch meiner Heimat. Alles, was ich werde erleiden müssen, opfere ich auf für meine lieben Landsleute, damit sie Gott und der Heimat treu bleiben und sich keiner von ihnen auf den Weg des Judas begibt. Besonders wünsche ich mir, daß sich die kirchliche Hierarchie Litauens diese Treue bewahre, denn sie wird mehr als alle anderen vom Sicherheitsdienst bedrängt. Für meine priesterlichen Mitbrüder werde ich zu Gott um die Gnade der Einheit beten: um die Einheit mit Christus, mit der Kirche, mit dem Papst, aber nicht mit dem KGB und nicht mit dem Rat für Religionsangelegenheiten.
Ich werde in meiner Unfreiheit stets auch für die Schwestern Litauens zum Herrn flehen, die ihr Leben dem Dienste der Liebe Gottes und der Menschen geopfert haben. Möchten sie doch dem Kampf für die Freiheit der Kirche und für die Grundrechte des Menschen große Aufmerksamkeit schenken! Und sollten die Propagandisten des staatlichen Atheismus sagen, daß diese Tätigkeit Politik sei, so glaubt es nicht. Das ist keine Politik, sondern eine Lebensnotwendigkeit für uns alle... Und wenn es Politik ist, dann ist es die Politik der Kirche, die Politik des Papstes.
Ich werde alle mir so teuren Gläubigen Litauens, die mir in den 20 Jahren meiner Tätigkeit als Priester begegnet sind, in meinem Herzen tragen. Bleibt Christus und der Heimat treu! Erzieht eure Kinder, daß sie der Lüge und der Gewalt gegenüber unbeugsam bleiben. Sie sollen eine vernünftigere und gesündere menschliche Gesellschaft schaffen als die, in der ihr jetzt leben müßt.
Ich bin überzeugt, daß andere unsere Arbeit und unseren Kampf fortsetzen werden, nur möglicherweise noch eifriger und noch erfolgreicher, als das mir und meinen Freunden gelungen ist. Wenn euch auch jemand sagen wird, daß man nicht mit dem Kopf durch die Wand könne, so glaubt diesem Pessimismus nicht. Die Wand der Lüge und der Gewalt ist brüchig, und mit der Hilfe Christi kann man alles besiegen.
Solltet Ihr mich jemals das Gegenteil reden hören, so glaubt es nicht, denn dann werde nicht ich sprechen, sondern der arme, vom Sicherheitsdienst gebrochene Mensch.
Am 6. Februar 1982.
Priester Sigitas Tamkevičius