Josvainiai (Rayon Kėdainiai)

Am 29. Dezember 1983 war das Mitglied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, der Pfarrer der Pfarrei Josvainiai, Priester Leonas Kalinauskas, in die Staatsanwaltschaft der LSSR vorgeladen. Der Staatsanwalt Bakučionis machte den Priester L. Kalinauskas mit einer Ermahnung folgenden Inhalts bekannt:

»Seit Oktober 1980 hat das Komitee zur Verteidigung der Gläubigen ohne Vollmacht und ohne Erlaubnis der Regierung gearbeitet.

Gemeinsam mit den verurteilten Priestern Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius verfaßte, unterschrieb und verbreitete es nicht weniger als 16 sogenannte Schriften-Dokumente. In diesen Texten wird die Politik des Sowjetstaates der Katholischen Kirche und den Gläubigen gegenüber ver­leumdet.

Diese Dokumente wurden systematisch in der illegalen, antisowjetischen Veröffentlichung »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« unterge­bracht.

Diese Veröffentlichungen werden auf verschiedene Weisen ins Ausland über­geben, wo sie für eine breite Propaganda benützt werden und dadurch dem internationalen Ansehen der UdSSR einen großen Schaden zufügen.

Priester Leonas Kalinauskas arbeitete sträflich bei der Tätigkeit der Priester Alf. Svarinskas und S. Tamkevičius mit.

Er lobt durch seine Predigten die Verurteilten und ist bestrebt, ein Miß­trauen der Zuhörer gegenüber der sowjetischen Ordnung hervorzurufen.«

Oberjustizrat Bakučionis

Oberstellvertreter des Staatsanwaltes der SSR Litauen

Priester Leonas Kalinauskas weigerte sich, diese Ermahnung zu unterschrei­ben.

Telšiai

Am 17. Februar 1984 wurde der Benefiziat der Kathedrale von Telšiai, Priester Vincas Vėlavičius, Mitglied des Komitees der Katholiken zur Ver­teidigung der Rechte der Gläubigen, in die Staatsanwaltschaft von Telšiai vorgeladen.

Der Stellvertreter des Staatsanwaltes der Republik, J. Bakučionis, ermahnte den Priester V. Vėlavičius, daß er für die weitere Tätigkeit des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen zur strafrechtli­chen Verantwortung gezogen werden könne. Der Staatsanwalt J. Bakučionis beschuldigte den Priester V. Vėlavičius, daß die Dokumente des Komitees in der »Chronik der LKK« abgedruckt gewesen seien, ins Ausland gelangten und dadurch seiner Überzeugung nach dem Ansehen der Sowjetunion einen großen Schaden zugefügt hätten.

Der Priester V. Vėlavičius unterschrieb die Ermahnung nicht. Šiauliai

Am 17. Dezember 1983 wurde der Vikar der St. Georgkirche, Priester Vy­tautas Brilius, von zu Hause zum Amtssitz des KGB der Stadt Šiauliai ge­bracht. Der Sicherheitsbeamte Edmundas Jakas tadelte den Priester wegen seiner Predigt, die er am Sonntag, dem 4. Dezember während der hl. Messe gehalten hatte. Darin habe er den zu Unrecht verurteilten und in der Zei­tung der Republik »Tiesa« (»Die Wahrheit«) verleumdeten Priester Sigitas Tamkevičius verteidigt und die der »Chronik der LKK« vorgeworfenen Anschuldigungen argumentiert zurückgewiesen, daß das Kreuz neben der Straße bei Amaliai nur deswegen abgerissen worden sei, weil die Gaslei­tungen verlegt werden müßten. Er erinnerte die Einwohner von Šiauliai daran, daß auch sie selber sich noch sehr gut erinnerten, wie ohne jeglichen ernsten Grund die Kreuze vom Berg der Kreuze in Meškuičiai mit Bulldo­zern heruntergewalzt worden seien. Er ermutigte die Gläubigen, daß sie nun nach der »Erledigung« der Priester Sigitas Tamkevičius und Alfonsas Sva­rinskas den Mut nicht verlieren sollen, denn die Verfassung der UdSSR sei bislang noch nicht geändert; darum hätten die Gläubigen noch immer das Recht, ihren Glauben frei zu bekennen. Die Repressalien gegen die Priester und die Gläubigen stellten nur eine Einschüchterung dar, die mit keinem der Gesetze vereinbar sei. Das seien grobe Vergehen der Regierung. Den Tschekisten interessierte, mit welcher Begründung der Priester Vytautas Brilius die »Chronik der LKK« verteidigte, ob er die Veröffentlichung ge­lesen habe und ob er die Richtigkeit der darin erhobenen Fakten beweisen könne. Der Priester erklärte, die »Chronik der LKK« gelesen zu haben. Alle Fakten zu überprüfen, habe er keine Möglichkeit, die Richtigkeit vieler aber könne er beweisen. Als Beispiel nannte er die in einer der ersten Num­mern der »Chronis der LKK« beschriebene Entlassung seiner Mutter Ona Brilienė aus dem Lehramt wegen ihrer religiösen Überzeugungen. Als der Tschekist ihn fragte, aus welchem Grund er den Priester S. Tamkevičius verteidige, den das Gericht für schuldig erklärt habe, antwortete Priester V. Brilius, daß aus der Geschichte bekannt sei, daß nicht alle Gerichte ge­recht sind; den Priester S. Tamkevičius kenne er aber sehr gut als guten und eifrigen Priester, denn er habe schon in seiner Kindheit, als dem genannten Priester das Anmeldezeugnis eingezogen worden war, mit ihm zusammen in der Flurbereinigung arbeiten müssen.

Am Ende der Unterhaltung warnte der Tschekist E. Jakas den Priester Vytautas Brilius, daß auf ihn das Schicksal des Priesters Sigitas Tamke­vičius warte, wenn er auch weiterhin in die eingeschlagene Richtung gehen werde.

Vilnius

Am 3. Februar 1984 wurde der Priester Jonas Boruta in den Sicherheits­dienst der Stadt Vilnius zum Untersuchungsbeamten P. Jonaitis vorgeladen. Dieser ermahnte den Priester, er solle für die verhafteten Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius nicht öffentlich beten, in seinen Pre­digten nicht gegen die Gottlosen und die Gottlosigkeit reden, denn »nach der Auffassung des Volkes bedeutet das Wort >Gottlose< soviel wie Staat; deswegen wird jedes Wort gegen die Gottlosigkeit als Aussage gegen den Staat betrachtet«, sagte der Untersuchungsbeamte P. Jonaitis. Außerdem wurde der Priester J. Boruta aufgefordert, in das Priesterseminar zu Kaunas einzutreten, weil der Staat das Untergrundpriesterseminar nicht anerkenne und auch niemals anerkennen werde.

*

Am 13. Februar 1984 verhafteten die Tschekisten gegen 18 Uhr auf der Straße beim Verlassen eines Lebensmittelgeschäftes den Einwohner von Vilnius, Vladas Lapienis. Nachdem sie ihn in das KGB von Vilnius gebracht hatten, nahmen die Sicherheitsbeamten uner der Leitung des Oberunter­suchungsbeamten der Abteilung für besonders wichtige Prozesse, Oberst Liniauskas, bei V. Lapienis eine Dursuchung vor. Nach der Durchsuchung stellten Oberst Linauskas und der Staatsanwalt der Stadt Vilnius, Grinys, ein Protokoll der abgenommenen Sachen zusammen: 1. je ein Exemplar der Nummer 57, 58, 59 der »Chronik der LKK«, 2. 6 Exemplare der Nummer 60 der »Cronik der LKK«, 3. 1 Exemplar des Buches » Žmogus be Dievo« (»Der Mensch ohne Gott«) von Grinius, 4. ein handgeschriebener Entwurf »Tarybinio kalinio memuarai« (»Memoiren eines sowjetischen Gefangenen«), in denen V. Lapienis seine Erlebnisse in den sowjetischen Lagern und in der Verbannung beschreibt; sie nahmen ihm auch die Schlüssel seiner Woh­nung, sein Geld, ein Notizbüchlein und andere Kleinigkeiten weg. In der KGB-Dienststelle wurde V. Lapienis der »Verbreitung wissentlich falscher Behauptungen, die die sowjetische Staats- und Gesellschaftsordnung ver­leumden« beschuldigt und gemäß Teil I. des § 199 des StGB der LSSR zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen.

Am Abend des 13. Februar 1984 wurde V. Lapienis in das Isolationsge­fängnis des Sicherheitsdienstes eingesperrt. Die ganze Zeit verhörte ihn der Oberuntersuchungsbeamte für besondere Prozesse, Oberst Liniauskas.

Wegen seiner sehr schlechten Gesundheit wurde V. Lapienis am Abend des 28. Februar 1984 aus dem Sicherheitsdienst freigelassen, aber auf Beschluß der Staatsanwaltschaft wurde ihm verboten, sich aus der Stadt Vilnius zu entfernen; außerdem gab man ihm seinen Paß nicht zurück und es wurde ihm erklärt, daß er trotz der vorübergehenden Freilassung vor Gericht ge­stellt werde.

Am 13. Februar 1984 um etwa 18 Uhr wurde in der Wohnung von V. La­pienis in Vilnius, Gelvonų g. Nr. 27-7, eine Durchsuchung durchgeführt mit dem Ziel, Literatur mit verleumderischem Inhalt und Vervielfältigungs­mittel mitzunehmen. Die Durchsuchung führte der Mitarbeiter der Staats­anwaltschaft der Stadt Vilnius, J. Čepulionis, als Zeugen waren Nijolė Jančiūtė, wohnhaft in Vilnius, Turistų g. Nr. 119-2, und Daiva Tvarijona-vičiūtė, wohnhaft in Vilnius, Studentų g. Nr. 39-223 eingeladen. Die Durch­suchung wurde in Anwesenheit der Frau des V. Lapienis, Elena Lapienienė, durchgeführt. V. Lapienis selbst durfte nicht an der Durchsuchung teilneh­men. Er wurde zu der Zeit im Sitz des KGB festgehalten. Während der Durchsuchung wurde mitgenommen:

1.     Ein Notizblock mit der Aufschrift auf dem Deckel »Apreiškimai. At­banguoja kraujas.« (»Offenbarungen. Das Blut bewegt sich wogend heran«).

2.     Ein Notizblock, beginnend mit handgeschriebenem Text: »LKBK« Nr. 1. 1972.« (»Chronik der LKK« Nr. 1. 1972«).

3.     Ein Notizbüchlein mit handgeschriebenen Ratschlägen, wie man sich wäh­rend eines Verhörs verhalten solle.

4.     Ein vierseitiger Schreibmaschinen-Text: »TSKP XXV-am suvažiavi­mui...« (»An die XXV. Vollversammlung der KPSU...«).

5.     Eine Kopie aus zwei Blättern mit handschriftlichem Text: »TSKP XXV-am suvažiavimui...« (»An die XXV. Vollversammlung der KPSU...«).

6.     Handgeschriebener Text, durch Kalkpapier geschrieben: »Pagal tarybinę Konstituciją ...« (»Gemäß sowjetischer Verfassung«).

7.     Ein Notizbuch mit Adressen.

8.     Eine mit Schreibmaschine geschriebene Broschüre, betitelt: »Mano gyve­nimo kryžkelės« (»Die Scheidewege meines Lebens«).

9.        Aufnahmen des Priesters Alf. Svarinskas mit der Aufschrift: »Už Bažny-
čią ir Tėvynę« (»Für die Kirche und das Vaterland«, 8 Stück).

10.   Ein Taschenkalender aus dem Jahr 1973 mit handgeschriebenen Notizen.

11.   Ein handgeschriebener Brief, geschrieben von A. Janulis 1983.

12.   Ein Heft mit dem Text: »Smurtas gimdo neapykanta« (»Die Gewalt erzeugt den Haß«).

13.   Ein Heft mit dem Text: »Teroru kovoja« (»Sie kämpfen mit Terror«).

14.   Drei Postbriefumschläge, geschrieben von: A. Rasilienė, S. Butkienė, V. Lapienis und R. Teresiūtė.

15.   Postbriefumschlag und eine Ansichtskarte, auf denen als Absender A. Janulis angegeben ist.

16.   Ein Blättchen Papier mit dem Text: »Cha-Cha. Teisybės...« (»Cha-Cha. Die Gerechtigkeiten ...«).

17.   Ein auf elektrographische Weise vervielfältigtes Buch von J. Tauronis »Aukso mintys« (»Goldene Gedanken«).

18.   Vier Schreibmaschinen-Farbbänder.

Es wurden noch eine ganze Reihe von Notizbüchlein, Adressen, einzelne Blätter mit verschiedenen Texten mitgenommen. Im Protokoll sind insgesamt 45 Positionen der während der Durchsuchung mitgenommenen Sachen nach­gewiesen.

Am 21. März 1984 schrieb Vladas Lapienis eine Erklärung an den Staats­anwalt Litauens, wie auch an den Vorsitzenden des Sicherheitskomitees:

»Dem Artikel 49 der sowjetischen Verfassung folgend, wollte ich den Re­gierungsorganen jene Mängel zeigen, die ich wahrgenommen, erfahren oder an die ich mich erinnert habe, als ich vom 20. Oktober 1976 bis Juli 1981 in der Untersuchungshaft, vor Gericht, in den Durchgangsgefängnissen (La­gern) und in der Verbannung war. Zu diesem Zweck habe ich in einem Entwurf »Memoiren eines sowjetischen Gefangenen« die Grundgedanken aufgeschrieben. Ähnlich haben seiner Zeit Dostojewskij, B. Sruoga, Guze-vičius, M. Moškauskienė und zahlreiche andere geschrieben. Ich konnte sie aber nicht mehr vollenden und den sowjetischen Organen übermitteln, weil mich die Tschekisten am 13. Februar 1984 festgenommen haben und mir der Oberuntersuchungsbeamte der Abteilung für besonders wichtige Pro­zesse, Oberst Liniauskas, alle diese Entwürfe weggenommen hat.

In dem Laden und vor dem Laden waren viele Leute. Sie alle haben nicht nur gesehen, wie die Tschekisten mich festgenommen, sondern auch, wie sie mich in ein Auto einsteigen ließen und in das Sicherheitskomitee gebracht haben. Als man mich am 28. Februar aus dem Untersuchungsgefängnis des Sicherheitsdienstes entlassen hatte, fragten mich natürlich die Leute, weshalb sie mich festgenommen und 15 Tage lang im Gefängnis gehalten haben. Ich erklärte ihnen, daß sie bei mir meine handgeschriebenen eigenen Erinne­rungen, betitelt »Memoiren eines sowjetischen Gefangenen«, einige Num­mern der »Chronik der LKK«, das Buch »Der Mensch ohne Gott« von Juozas Grinius, das Geld, das ich durch ein Testament geerbt und aus der Verbannung mitgebracht habe (...), die Schlüssel meiner Wohnung und andere Kleinigkeiten gefunden haben. Erst jetzt also, als ich aus dem Un­tersuchungsgefängnis des Sicherheitsdienstes zurückgekommen bin, haben die Leute erfahren, daß ich meine Erinnerungen geschrieben hatte; bis dahin hat niemand sie gesehen und niemand etwas davon gewußt. Deswegen ent­behrt die Anschuldigung gemäß § 199 des StGB der LSSR jeglicher juri­discher Grundlage, weil ich die »Memoiren eines sowjetischen Gefangenen« weder vervielfältigt noch verbreitet habe. Dieses Vergehen, das mir zur Last gelegt wird, habe ich nicht begangen. Ich verstehe nicht, warum mir erdichtete Beschuldigungen zur Last gelegt werden (...).

Welche Beweggründe ermutigten mich zu schreiben?

1.     Ich habe öfters in der Presse gelesen, daß man die Unduldsamkeit gegen die Mängel pflegen solle. Es wird darauf hingewiesen, daß dort, wo die Kritik gut entwickelt ist, wo entschieden und hartnäckig die Mängel beseitigt werden, wo auf die kritischen Bemerkungen der Bürger empfindlich reagiert wird, dort auch die Arbeit wie am Schnürchen gehe, den Rechtsverletzungen der Weg versperrt werde und die Kriminalität sinke. Daß es an den Straf-bestimmungs- und Strafverbüßungsorten nicht wenige Mängel gibt, ist den meisten Menschen schon kein Geheimnis mehr. Auch der Professor der Universität von Moskau, S. W. Poznyschew, sagt »Daß viele Gefängnisse oder Strafkolonien die Menschen nicht verbessern, ist die Wahrheit. Das er­klärt man aber durch ihre unzulängliche Organisation und schlechte Ord­nung.« Sogar die XX. Vollversammlung der Partei gab Fakten über Ver­letzungen der Gerechtigkeit bekannt, die in Verbindung mit dem Personen­kult Stalins vorgekommen waren. »Und das geschah deswegen«, so die XX. Vollversammlung der Partei, »weil Stalin sich in Wirklichkeit außerhalb der Grenzen der Kritik befand.«

2.     »Jedem ist es erlaubt, alles zu schreiben und zu reden, ohne geringste Einschränkungen. Die Freiheit der Rede und der Presse muß vollkommen sein. Ich muß Dir im Namen der Redefreiheit das vollkommene Recht ge­währen, zu schreien, zu lügen und alles, was Dir nur Spaß macht, zu schrei­ben«, sagte Lenin (Schriften, Band 10, 1952, Seite 129). So sprach er über die Literatur der Partei, diese Partei ist aber jetzt die regierende Partei.

3. Eine kritische Bewertung der Innen- oder Außenpolitik der einen oder anderen sowjetischen Regierung ist kein Vergehen, wenn damit nicht ange­strebt wird, die sowjetische Regierung zu schwächen.« (Kommentar zu StGB der LSSR, 1974, Seite 139). Können die Erinnerungen (ein Tagebuch) die sowjetische Regierung schwächen? Die tatsächlichen Mängel zu kritisieren, erlaubt doch die Verfassung, und Verfolgung wegen der Kritik ist doch ver­boten.

Die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte verkündet: Artikel 2 »Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Uberzeugung... Weiter darf keine Unterscheidung gemacht werden aufgrund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, oder unter Treuhandschaft steht.« Artikel 19 »Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen un­angefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verstän­digungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.« Artikel 28 »Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung auf­geführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.« Das Präsidium des Obersten Rates der UdSSR hat diese Deklaration ratifiziert. Schweigen, wenn man solche Mängel sieht, ist das größte Verbrechen nicht nur gegen das eigene Gewissen, sondern auch gegen die gesamte Mensch­heit (...).

Ich sage mit dem Führer des indischen Volkes, M. Gandhi, der viele Male im Gefängnis gesessen ist: »Der Zwang, die Gewalt überzeugt niemand. Die Gewalt erzeugt nur den Haß. Es ist niemandem erlaubt, die Menschen mit Gewalt sittlicher zu machen. Ich werde treu den Weg der Gerechtigkeit ge­hen, indem ich mich von jeglicher Gewalt gegen das Leben wie auch gegen das Hab und Gut zurückhalten werde. Wenn ich unschuldig bin und trotz­dem verurteilt werde, so ist das Gefängnis oder die Gefangenenkolonie für mich keine Schande. Die Zeit aber, die man hinter Gittern oder Stacheldraht verbringt, ist nicht verloren, sondern dient der geistigen Wiedergeburt.«

Wäre es nicht richtiger und vernünftiger, wenn man mir alle am 13. Februar 1984 während der Durchsuchung mitgenommenen Manuskripte, auch die »Memoiren eines sowjetischen Gefangenen«, zurückgeben würde? Da das nur Entwürfe sind, könnte ich sie, wenn ich sie zurückbekäme, präzisieren, die Fehler ausbessern, alles sauber abschreiben und den staatlichen Organen als Vorschläge zur Verbesserung der Tätigkeit der Behörden des Pöni­tentiarsystems vorlegen.

Ich denke, daß die Herzen der Kläger nicht voll sind von Verbissenheit, Haß oder Rache und Durst nach Qualen oder sogar Tod eines gläubigen Menschen. Wenn aber die Idee der Gerechtigkeit verdreht wird und eine objektive Gerechtigkeit von Verbissenheit, Haß und sogar Rache besiegt wird und meine Kläger sich vom Wunsch leiten lassen, meine Freiheit einzu­schränken und mir ihre Überlegenheit, die im Grunde der Verwirklichung der Freiheit widersprechen, mit Gewalt aufzwingen wollen, werde ich mit reinem Gewissen in ein Gefängnis oder in ein Lager gehen, um dort zu schmachten, zu leiden und sogar zu sterben, denn die Opfer der Märtyrer pflastern den Weg der Kirche von morgen. Ich werde das Kreuz eines Ge­fangenen für meine eigenen Fehler für meine Brüder und Schwestern tragen, ob sie sich in der Heimat oder in der Fremde befinden.

Je näher man Golgotha ist, desto näher ist man der Auferstehung.

Die Erklärung ist gekürzt — Bern. d. Red.)

*

Im Februar 1984 haben die Tschekisten in Vilnius den Organisten der St. Annakirche, Ignas Šimonis, und den Lehrer Puodžiukas festgenommen. Sie werden beide in der Isolationshaft des KGB festgehalten.

Kaunas

In der Wohnung der Familie Butkevičius (K. Giedrio 1-51) waren am 21. Januar 1984 etwa 50 Personen, vor allem Jugendliche, zu Besuch und zum Austausch von Gedanken über den Glauben und andere Fragen versammelt. Als die Türglocke schellte, öffnete die Hausfrau. Im selben Augenblick drangen Milizmänner in das Zimmer ein. Mit der Absicht, die Versammelten zu erschrecken, schrie einer der Milizmänner: »Keiner bewegt sich von der Stelle!« Nach den Milizmännern stürzten der Vorsteher des Sicherheits­dienstes der Stadt Kaunas, Bagdonas, zwei geladene Zeuginnen, der Tsche-kist Matulevičius und noch einige Sicherheitsbeamte hastig herein. Keiner von ihnen stellte sich vor. Die Milizmänner befahlen allen streng, ihre Pässe vorzuzeigen. Jene, die keinen Ausweis bei sich hatten, mußten sich anziehen und in die Milizabteilung mitfahren. Da sie sich Klarheit verschaffen woll­ten, fragten die Gäste: »Was ist passiert? Es ist doch kein Krieg! Wollen Sie nicht erklären, was Sie hier wollen? Möchten Sie sich nicht vorstellen, wer Sie sind?!« Die Beamten erwiderten, es sei nicht unbedingt notwendig, sich vorzustellen. Einer der Milizmänner machte klar: »Wir wissen gar nichts, wir haben lediglich den Befehl bekommen, Sie in die Milizabteilung zu bringen.« Manche versuchten noch, die Ursache des Erscheinen der Miliz zu erklären, die Milizmänner ließen sich aber in kein Gespräch ein; sie jagten nur nach den Menschen und hießen sie, sich schnell anzuziehen. Ein Mann in Zivil redete schamloses Zeug. Der Einwohner von Garliava, Sau­lius Kelpšas, versuchte ihn zur Vernunft zu bringen. Deswegen wurden ihm 10 Tage Arrest in Aussicht gestellt. Endlich rückte der Einsatztrupp an. Der Vater des Hausherrn, der Arzt Butkevičius, wurde krank, als er das alles sah. Man benötigte eine medizinische Hilfe. S. Kelpšas bot sich an, den Sanitätsdienst anzurufen, die Milizmänner steckten ihn aber in ihr Auto hinein. In dasselbe Auto schoben sie auch den Priester Albinas Deltuva, der ebenfalls zu Gast war. Als sie alle in ihren Autos untergebracht waren, transportierte man sie in die Milizabteilung des Rayons Požėla, wo der Vorsteher des Sicherheitsdienstes, Bagdonas, und die Tschekisten Matule­vičius und Raukys mit Verhören begannen. Alle wurden genötigt, Stellung­nahmen zu schreiben. Einige weigerten sich, zu schreiben, die anderen aber brachten in ihren Stellungsnahmen ihre Entrüstung über ein solches Be­tragen der Beamten zum Ausdruck. Im Verlaufe der Verhöre bemühten sich die Tschekisten, die Einwohnerin von Kaunas, Aldona Raižytė, und den Einwohner von Garliava, Saulius Kelpšas, des Organisierens zu be­schuldigen. Sie verhöhnten den Einwohner von Vilnius, Petras Cidzikas, und den Arzt Butkevičius, die ebenfalls dabei waren. Die Leute wurden in der Miliz bis 18 Uhr festgehalten.

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Als am 29. November 1983 die Gerichtsverhandlung gegen Priester Sigitas Tamkevičius in Vilnius stattfand, wurde die Einwohnerin von Kaunas, Giedrė Striokaitė, vor dem Palast des Obersten Gerichts festgenommen. Die Mitarbeiter der Miliz brachten das Mädchen in das Gebäude der Schule zur Vorbereitung der jüngeren und mittleren Führungskräfte im Rayon Valakampiai in der Stadt Vilnius, wo sie das Mädchen bis 17 Uhr festhielten. Etwa drei Stunden lang wurde das Mädchen von einem Sicherheitsbeamten verhört, der seinen Namen nicht nannte.

Am 30. November wurde die Mitarbeiterin des Sanitätsdienstes der Stadt Kaunas, die Krankenschwester G. Striokaitė, zu der Oberärztin Sasnaus­kienė vorgeladen. Hier wartete auf sie der Mitarbeiter der Abteilung für Gesundheitsfürsorge der Stadt Kaunas, Jankaitis. Er sagte, er habe eine Mitteilungf ür den Zwischenfall bei dem Palast des Obersten Gerichts in Vilnius bekommen und er sei beauftragt, Giedrė zu verwarnen; solche Sa­chen dürften sich in der Zukunft nicht wiederholen. Er riet ihr, nicht herum­zureisen und »sich dort nicht einzumischen, wo es sich nicht gehört«. G. Striokaitė fühlte sich nicht schuldig und erklärte deswegen, daß sie nicht verstehe, in welcher Beziehung sie sich bessern sollte, um so mehr, als die

Ärztin Sasnauskienė konstatierte, daß sie in der Arbeit ihre Pflichten sehr gewissenhaft erfülle.

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Während des Gerichtsprozesses gegen Priester Sigitas Tamkevičius wurde am 1. Dezember 1983 in Vilnius bei dem Palast des Obersten Gerichts die Einwohnerin von Kaunas, Joana Bukaveckaitė, die in der Registratur in der Kinderpoliklinik der Stadt Kaunas tätig ist, von der Miliz festgenommen und in die Milizschule gebracht. Ein Sicherheitsbeamter, der seinen Namen nicht sagte, verhörte sie. Er beschuldigte sie der Zugehörigkeit zu einem Untergrundkloster und des Schreibens eines Briefes an Priester Alfonsas Svarinskas, dessen Inhalt der Tschekist einwandfrei zitierte. Um sie lächerlich zu machen, erklärte er: »Sie haben den Priester Alf. Svarinskas so gern, Sie bezeugen in Ihrem Brief eine solche Solidarität mit ihm, aber leider ist alles vergebens: Er hat Ihren Brief nicht bekommen und wird ihn auch nicht bekommen!« Auf die Frage, warum der Priester Alf. Svarinskas die an ihn adressierten Briefe nicht bekomme, erklärte der Sicherheitsbeamte, daß schon vorher die allgemeine Zahl der Briefe festgelegt wurde, die der Gefangene empfangen dürfe. (Gemäß der Anweisung der Gefängnisleitung darf der Gefangene an seine Verwandten monatlich zwei Briefe in die Freiheit sen­den, die Zahl der Briefe, die empfangen werden können, ist aber unbe­grenzt — Bern. d. Red.). Dann erkundigte sich J. Bukaveckaitė, warum der Brief ihr nicht zurückgeschickt wurde, wenn doch auf dem Umschlag die Absenderadresse stehe, und woher die Sicherheitsbeamten das Recht hätten, fremde Briefe zu beschlagnahmen und sie zu lesen. Der Tschekist schwieg. Um 16 Uhr entließ man J. Bukaveckaitė aus der Milizschule, ihren Paß gab man ihr aber nicht zurück.

Die Woche darauf zwang die Leiterin der Arbeitsstelle, Frau Palaimienė, Joana Bukaveckaitė, eine Rechtfertigung zu schreiben, warum sie am 1. De­zember 1983 nicht in die Arbeit gekommen sei. J. Buveckaitė verweigerte die Rechtfertigung zu schreiben mit der Begründung, daß sie nicht durch ihr eigenes Verschulden in der Arbeit gefehlt habe; die Rechtfertigung sollten jene schreiben, die sie aufgehalten hätten.

Am 19. Dezember 1983 wurde in einer Sitzung der Mitarbeiter über das Betragen von J. Bukaveckaitė beraten. Man erwog die Frage, ob man sie aus der Arbeit entlassen solle, aber unter Berücksichtigung des jungen Alters von J. Bukaveckaitė wurde der Beschluß vertagt. Ihren Paß gab ihr die Vorsteherin der Kaderabteilung zurück.

Viduklė (Rayon Raseiniai)

Ende Januar 1984 waren der Pfarrer der Pfarrei Viduklė, Priester J. Ta-monis, und der Vorsitzende des Kirchenkomitees, Ignas Paulauskas, zu der

Stellvertreterin des Vorsitzenden des Exekutivkomitees von Raseiniai, Sto­nienė, vorgeladen. Die Stellvertreterin Stonienė ermahnte sie, daß sie für den 26. Januar keine hl. Messe für den Priester Alf. Svarinskas ankündigen und den Priestern, die an jenem Tag ankämen, nicht erlauben dürften, die hl. Messe zu feiern und zu predigen. Sie verlangte, daß die frühere Haus­hälterin des Priesters Alf. Svarinskas, Monika Gavėnaitė, aus ihrer Arbeit als Wäscherin der kirchlichen Gewänder entlassen werden solle.

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Die Einwohnerin von Viduklė, Monika Gavėnaitė, war am 28. und 29. No­vember 1983 und am 23. Januar 1984 in den Sicherheitsdienst von Raseiniai zu dem Vorsteher Gardauskas vorgeladen. Jedesmal betrachtete der Tsche-kist Gardauskas M. Gavėnaitė als Verbrecherin und drohte, sie zu bestrafen. Das Hauptvergehen von M. Gavėnaitė ist, wie Gardauskas sich äußerte, daß sie die gefährlichen Staatsverbrecher, die Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius unterstütze, indem sie in der Kirche hl. Messen für sie lesen lasse. In der letzten Zeit betonen die Tschekisten besonders oft, daß öffentlich für die verhafteten Priester zu beten, ein Staatsverbrechen sei.

Raseiniai

Regina Teresiūtė, wohnhaft in Keime, Laisvės 11, war am 11. Februar 1984 für 10 Uhr in die Abteilung für innere Angelegenheiten von Raseiniai vor­geladen. Der Oberuntersuchungsbeamte Leipus verhörte sie. Während des Verhörs wurden ihr folgende Fragen gestellt: Zu welchem Zweck sind am 29. Januar die gläubigen Jugendlichen und die Gläubigen nach Viduklė ge­kommen? Was haben sie gemacht? Wer hat das alles organisiert? Warum haben die Leute für den Priester Alf. Svarinskas gebetet, der, den Worten des Tschekisten nach, ein Verbrecher ist? Wieviele Leute kamen nach dem Gottesdienst bei Monika Gavenaite zusammen? usw.

Der Untersuchungsbeamte Leipus beschuldigte R. Teresiūtė, daß sie in der Wohnung von M. Gavenaitė die Milizbeamten beleidigt habe. Das Mädchen wies diese Anschuldigung zurück und bat, wenigstens einen der Beamten zu bringen, den sie beleidigt haben soll; solche gab es aber nicht. Nach einem Verhör von 2 Stunden Dauer ermahnte der Untersuchungsbeamte Leipus R. Teresiūtė, daß sie in der Zukunft nicht für die verhafteten Priester beten und nicht nach Viduklė fahren solle.

Gegen 15 Uhr am selben Tag wurde R. Teresiūtė von den Beamten an der Bushaltestelle von Viduklė angehalten. Die Beamten, die zu ihr hinge­sprungen waren, verlangten, daß das Mädchen in ihr Auto einsteige. Das

Mädchen weigerte sich aber entschieden, den Beamten zu gehorchen. Da sich auf dem Platz viele Menschen aufhielten, wagten es die Beamten nicht, Gewalt anzuwenden.

Gardamas (Rayon Šilutė)

Der Ortsvorsitzende von Gardamas, Buivydas, lud am 28. Dezember 1983 den Organisten der Kirche, Genys, zu sich und verlangte von ihm, dafür zu sorgen, daß der Jugendchor in der Kirche nicht mehr singe. Der Organist erinnerte den Vorsitzenden daran, daß die Verfassung allen Bürgern die Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert. Deswegen betrachte er die Teil­nahme der Jugend am Kirchenchor nicht als Vergehen.

Der Vorsitzende Buivydas drohte dem Organisten Ganys, daß er deswegen Unannehmlichkeiten im Rayon haben werde; sollte aber auch das nicht hel­fen, dann könne er vor Gericht landen.