Priester Sigitas Tamkevičius schreibt:

Seit zwei Monaten lebe ich nun schon unter den neuen Bedingungen, die sich seither nicht geändert haben. Ich verrichte einfache Arbeiten in der Küche (...). Die Vorsehung gab mir dazu die Möglichkeit, daß ich lerne, mich in jene hineinzudenken und sie richtig einzuschätzen, die — wie es auf den ersten Blick scheint — sehr unbedeutende Arbeit verrichten, die aber in den Augen Gottes nicht weniger verdienstvoll ist als eine große. Alles bringe ich dem Herrn als Opfer dar und bin überzeugt, daß meine jetzige Arbeit der Kirche und den Gläubigen nicht weniger nützt als all das, was ich in 20 Jahren getan habe. Welch ein Trost ist es dies zu wissen! Der himmlische Vater sieht alles und weiß alles zu beurteilen. Niemand stört mich bei der Arbeit; deswegen kann ich mit meinen Gedanken fortwährend mit dem gütigen Gott Zusammensein und durch Ihn auch mit jenen, die meinem Herzen nahestanden und teuer waren, als ich noch in der Freiheit war. Gedenkt auch meiner, wenn ihr in der Nähe des Herrn seid, damit ich überall und in allem einen Sinn finde und ihn Gott als Opfer bringen kann, so daß kein Tag meines Lebens unnütz vorübergeht. Es wäre eine Tragödie, wenn ich in meinem jetzigen Leben keinen Sinn finden könnte. Dann wäre ich wie jener Mann, der das Talent, das ihm gegeben worden ist, in der Erde vergrub und keinen Gewinn brachte (...). Während der vergangenen 10 Monate habe ich wesentlich mehr gelernt, auf Gott zu vertrauen. Auch dann, wenn wir gar nicht an Ihn denken, befindet er sich im Schiffchen unseres Lebens und läßt es nicht untergehen.

Grüßt alle von mir, die sich an mich erinnern! Ich begleite alle mit meinem Gebet und meinem Opfer. Die Liebe Jesu Christi möge in allen Herzen gedeihen!

Am 24. 2. 1984.

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Der 18. April war für mich ein kostbarer Tag: Ich dankte dem Herrn für das Geschenk des Priestertums. Vor 22 Jahren traten wir 10 Diakone am Mitt­woch vor Ostern (heuer traf sich das genauso) mit bebenden Herzen vor den Hauptaltar der Kathedrale und baten ausgestreckt auf dem Boden, die Märtyrer und Heiligen um ihren Schutz; dann spendete uns der Bischof von Telšiai, Petras Maželis, die Priesterweihe. Am 23. April (zweiter Osterfeier-tag) brachte ich in der Kirche meines Geburtsortes das erste Hl. Meßopfer dar. Ich bin dem Herrn so unendlich dankbar für das Priestertum, wie auch für den Weg, den ich gegangen bin. Immer habe ich die helfende Hand der Vorsehung gespürt und nur von dieser Hand gestützt konnte ich das Ideal des Priestertums wie eine kostbare Perle bewahren; mir scheint, daß diese 22 Jahre nicht unnötig vergeudet wurden, obwohl ich wesentlich mehr Früchte hätte bringen können, wenn ich gelernt hätte, vollkommen mit Got­tes Gnade mitzuwirken. Möge der Herr mir barmherzig sein, wenn ich etwas vernachlässigt habe und manches nicht so verrichtete, wie ich es hätte tun sollen. Vielleicht wird mein jetziges Leben jene Lücken füllen, die während meiner Seelsorgtätigkeit entstanden sind.

Die Ostertage haben viel Freude gebracht. Wo du auch sein magst — Chri­stus, der den Tod besiegt hat, erreicht dich und erquickt dich überall. Wie traurig wäre das Leben, wenn man den leidenden, den sterbenden und den auferstandenen Herrn nicht kennen würde. Mit einem heiligen Beben im Herzen erinnere ich mich an alle Ostermorgen, an denen ich das Lied »Linksma diena mums nušvito« (»Ein fröhlicher Tag hat für uns be­gonnen«) anstimmte, während ich die Monstranz aus dem Grab Christi herausnahm, und wie die tausendfache Menschenmenge mit freudigem Her­zen, Engelchören gleich, dieses heilige Osterlied mit dem unvergleichbar schönen »Halleluja« fortsetzte. Man muß wahrscheinlich einige Jahre hin­durch dieses Auferstehungslied mit dem Leben selber anstimmen, nicht nur mit den Lippen (...), man muß lernen, in allem mit den Minimum zufrie­den zu sein. Das ist für alle eine unumgängliche Bedingung für ihr Glück. Wer vieles will, der kann nie ruhig und voll Freude sein. Ich bete für Euch und segne Euch alle.

Im Mai 1984

Aus den Briefen des Priesters Alfonsas Svarinskas:

Dieser Monat war gut: Ich habe einige Briefe bekommen (Die Gläubigen schreiben sehr oft, aber Priester A. Svarinskas erhält ihre Briefe nicht — Bern. d. Red.). Von ganzem, ganzem Herzen danke ich allen für den Dienst des Mannes von Cyrene und bitte um Gnadenfülle für alle. (...) Ich be­danke mich sehr für die Hl. Messe im Januar (In Vidukle war des Jahres­tages der Festnahme gedacht worden — Bern. d. Red.). Gott nur allein ist unsere Hoffnung und unser Schutz. (...) Ich danke Bischof Julijonas und allen, die sich meiner erinnern und mich grüßen (...). Alles wäre noch zu ertragen; sehr schade aber ist, daß ich keine Hl. Messe feiern, das Buß­sakrament nicht in Anspruch nehmen und die Hl. Kommunion nicht emp­fangen darf. Möge Gott auch dieses Opfer annehmen!

Ihr fragt mich nach meiner Gesundheit. Psychisch und seelisch fühle ich mich gut. Ich glaube an den Sieg des Guten. Man möchte aber so gern noch viel in der Heimat arbeiten. Das ist es, was mich quält. Physisch fühle ich mich nicht schlecht: Ich lebe und bin gesund. (...) Jeden Monat darf ich im Kaufladen für 5 — 6 Rubel etwas Margarine, billige Karamellen, Pflanzenfett und Zwiebeln für mich einkaufen. Es genügt! Zwei Zähne haben sie mir herausgezogen — Paradontose! Jeden Tag treibe ich Gym­nastik (...), deswegen ist meine Gesundheit gut (...). Verzeihen Sie mir meine einfachen Gedanken; man möchte viel, viel sagen. (Man gewinnt den Eindruck, daß nur solche Briefe abgesendet werden dürfen, in denen Alltäg­lichkeiten stehen. — Bern. d. Red.).

Am 18. 3. 1984.

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Meine Stimmung ist gut. Alles, was geschieht — Gottes Wille! Wegen der Gesundheit habe ich nicht zu klagen, nur werde ich ein wenig müde von der täglichen Arbeit. Deswegen ruhe ich mich am Sonntag etwas länger (zwei bis drei Stunden) aus, dann ist die folgende Woche wieder leichter. In meiner Freizeit lese ich die Zeitschriften und Journale, die ich aus Li­tauen bekomme, vertiefe meine Kenntnisse in der französischen Sprache, die italienische Sprache habe ich schon gelernt, und jetzt schicke ich mich an, Spanisch zu lernen. Ich denke, daß man im Leben alles brauchen kann. Die Aussichten sind düster — die Welt hat Gott verloren und versank in Fin­sternis (...). Man möchte viel, viel schreiben (...).

Am 20. 5. 1984.