Eine Predigt des Priesters A. Svarinskas, gehalten in Šiluva:

»Ehre Dir, o Herr, für Deinen ewigen Weg von dem Staub der Erde, bis zu den Sternen des Himmels, Ehre Dir für die Sonne, die jeden Morgen aufgeht, und für die Größe unserer kleinen Herzen...

Brüder und Schwestern in Christus, ich bin überzeugt, daß diese Worte des Dichters Bernardas Brazdžionis am besten unsere Stimmungen, hier in Šiluva versammelt, zum Ausdruck bringen. Ganz Litauen strömt in diesen acht Tagen nach Šiluva, der Ruhm von Šiluva hat die Grenzen Litauens über­schritten. Zu Maria von Šiluva kommen die Gläubigen aus Kasachstan, Lettland, Estland, Weißrußland, und das nicht umsonst. Zwangsweise treibt sie niemand nach Šiluva, wenn die Leute aber kommen, dann bedeutet es, daß sie einen geistigen Nutzen davon haben und viele Gnaden erhalten. Heute sind in Šiluva viele Priester, ein Bischof, den wir bald empfangen werden und eine Menge Gläubige. Wir legten die Sorgen der Katholischen Kirche Litauens, ihre Klagen und ihre Ohnmacht zu Füßen Mariens nieder; wir versammelten uns hier nicht, um zu resignieren, nicht, um zu weinen, sondern im Gegenteil — um zu bitten, damit Maria von Šiluva unsere Ar­beit segnen möge, und damit wir im Geiste gestärkt in den großen Kampf für die Rechte der Kirche Gottes und des Glaubens in unserem Lande zurück­kehren. Ich will hoffen, daß wir uns alle, Priester wie Gläubige, gemeinsam mit dem hl. Bernhard zu Ihr wenden werden: »Gedenke, o gütigste Jung­frau Maria, daß es niemals gehört wurde, daß jemand von Dir verlassen worden sei, der zu Dir seine Zuflucht nahm.« Wir wollen uns also die Hoff­nung behalten, daß Maria auch uns erhören, alle unsere Sorgen verstehen, sich für uns bei Ihrem Sohn einsetzen und uns helfen wird. Wenn wir die 600jährige Geschichte der Katholischen Kirche Litauens betrachten, dann sehen wir, daß in unserer Heimat der Weg für die Kirche nicht immer ge­ebnet war, daß es dabei auch schmerzliche, große Schwierigkeiten gegeben hat. Eine davon war der Reformationszwang. 

Als die Priester, die selber zuerst der Reformation zum Opfer gefallen waren, versucht haben, sie auch unserem Volke aufzuzwingen, rettete nur das Wunder von Šiluva, rettete Maria von Šiluva Litauen vor der Reformation. Ähnliche große Schwierig­keiten erlebt die Kirche auch jetzt nach den Kriegsjahren, als die sogenannte Regierungsgottlosigkeit sich anstrengte, die Kirche und den Glauben in unserem Lande durch Zwang zu vernichten. In dieser Richtung ist schon vieles geschehen: viele Kirchen sind in Lagerhäuser umgewandelt, die Kreuze abgesägt, vielen Menschen, besonders der Jugend, wurde der Glaube ge­raubt; Gott sei Dank, daß die Gottlosen noch nicht alles erreicht haben — das Volk lebt noch, und es wird wieder gesunden für ein neues, helleres Leben. Wir wollen von dieser Erneuerung angeregt uns auf einen weiteren geistigen Kampf einstellen. Am 15. August vorigen Jahres verfaßte das Ko­mitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen einen Auf­ruf an alle Bischöfe und Priester Litauens, an alle Litauer guten Willens, an unsere Brüder im Ausland, an Radio Vatikan mit der Bitte, dieses Jahr zum Jahr der Abstinenz zu erklären. Die Bischöe Litauens, der Verwalter der Diözese Telšiai sogar wesentlich früher, erklärten durch ihre Briefe dieses Jahr zum Jahr der Abstinenz. Und jetzt finden schon verschiedene Praktiken der Frömmigkeit, Einkehrübungen statt, damit wir diese Aufgabe besser unter uns beraten und erfolgreich durchführen können. Ich bin der Meinung, daß wir, die Priester aller Diözesen, in Zukunft einmal im Jahr, so wie vergangenes Jahr im Tor der Morgenröte, in Kalvarija und so wie jetzt in Šiluva, zusammenkommen sollten, um gemeinsam zu beten und uns über die aktuellen Probleme zu beraten. Wir müssen uns versammeln, denn wir haben keine Redefreiheit; allein die Kirche ist uns noch geblieben, und dieses Auditorium müssen wir dementsprechend ausnützen Es ist schon zur Gewohnheit geworden, daß sich jeden Mittwoch während der Ablaßfeiertage von Žemaičių Kalvarija und Šiluva alle Priester Litauens an den Wall­fahrtsorten Mariens versammeln. (...) Wir wollen und wir streben danach, daß dieses Jahr der Abstinenz nicht ein Ziel für sich, nicht nur ein kurz­fristiges Programm wird, sondern daß es der Vorbereitung zweier großer Jubiläen dient, die wir bald feiern werden: Im Jahre 1984 werden wir das 500jährige Jubiläum des Todes des Schutzheiligen unseres Volkes, des hl. Casimir feiern und im Jahre 1987 wird die 600-Jahrfeier der Christianisierung Litauens sein. Das Jubiläum des hl. Casimir werden die Polen, wird der Papst feiern; ich hoffe, daß auch wir Litauer nicht zurückbleiben werden. Unsere Bischöfe beraten schon über das Jubiläumsprogramm (...). Wir haben die Bischöfe Litauens gebeten, sich an die sowjetische Regierung mit der Forderung zu wenden, die entweihte und zu einem Atheismusmuseum umgewandelte St. Casimir-Kirche zurückzugeben. Im Jahre 1604, als Casimir heiliggesprochen wurde, wurde mit den Bau dieser Kirche begonnen. Wir wollen in vier Jahren das Jubiläum des hl. Casimir in der St. Casimir-Kirche feiern. Ich hoffe, daß unsere Bischöfe unsere Wünsche der sowjetischen Regierung übergeben werden. Wir sind also nach Šiluva gekommen, um zu beten und auch um zu überlegen, auf welche Weise wir das geistige Antlitz unseres Volkes, das eigene Leben, unsere Taten, unsere Gedanken und Worte, das gesamte Antlitz Litauens bis zum genannten Jubiläum erneuern könnten. Wir wollen, daß bis zu der Zeit alle Kneipen geschlossen werden. Wir wollen, daß es auf den Straßen keine Torkelnden und Betrunkenen mehr geben wird. Wir wollen, daß nicht mehr so viele Tränen der Frauen und Kinder fließen, sondern daß wieder ein schönes gemeinsames Lied er­klingt und daß unsere Brüder wieder den Weg zur Kirche finden, besonders aber jene, die aus Angst um ihre Karriere, »um eines Goldstücks oder eines Löffels besseren Essens willen ...« sich von Gott, von der Quelle des ewigen Glückes, abgewendet haben. Wir müssen mit den Worten des hl. Paulus »alles erneuern in Christus!« Wir wollen diese Worte gut überdenken und jeder einzelne für sich praktisch in seinem Leben anwenden. Wenn wir es schaffen könnten, uns bis zum 600jährigen Jubiläum der Christianisierung Litauens zu erneuern, wer weiß, ob nicht der Papst den Wunsch äußern würde, nach Litauen zu kommen. Vielleicht wird er auch die Erde unserer Heimat küs­sen dürfen. Aber dessen müssen wir vor Gott und dem Heiligen Stuhl wür­dig sein. Wenn man hinauf will, dann muß man die Gefahren kennen, die auf uns lauern, uns drücken und quälen. Die erste und die größte Gefahr ist die Trunkenheit, die in unserem Lande von der Gottlosigkeit verbreitet wird. Die Trunkenheit ist das Ergebnis der Gottlosigkeit. Es ist unbegründet, wenn manche behaupten, daß wegen des hohen Lebensstandards getrunken wird. Die Amerikaner leben besser als wir, aber das Problem der Trunken­heit steht bei ihnen an fünfter Stelle, bei uns aber an erster. Bei uns trinken die Männer, trinken die Frauen, trinken die Kinder, wir trinken uns zu Tode. In diesem Jahr der Abstinenz haben viele Pfarreien ein Gelübde der Ent­haltsamkeit oder totalen Abstinenz abgelegt, sich vom Alkohol zu enthalten oder nur mäßig zu trinken, z. B. bei einem Namenstag, bei einer Kindstaufe oder Hochzeit nur 100 Gramm Alkohol und kein bißchen mehr, und sie haben vor, was das wichtigste ist, niemanden zum Trinken aufzufordern oder sogar zu zwingen. Diese Praxis hat schöne Ergebnisse gebracht. Heute während des Hochamtes werden Kärtchen verteilt. Wenn Sie nach Hause kommen, schreiben Sie Ihren Vornamen und Nachnamen darauf und wie lange Sie das Versprechen halten wollen. Gehen Sie bei Gelegenheit mit dem Kärtchen zu Ihrem Pfarrer, damit er weiß, wieviele Pfarrkinder sich an dieser Abstinenzaktion beteiligt haben. (...) Wir haben heute keinen Bischof Valančius (Valančius, Motiejus, litauischer Bischof, geb. 1801, gest. 1875, Förderer der Abstinenz — Übers.) unter uns, keine solche Autorität, auf die das ganze Volk hören würde, wir haben aber Tausende kleine Va­lančius, und diese kleinen Valančius, das seid Ihr, alle, die Ihr hier ver­sammelt seid. Deswegen seid Ihr alle verpflichtet, diese Nüchternheits- und Abstinenzbewegung in unserem Volke zu verbreiten. Ich würde allen vor­schlagen, die an der Ablaßfeier in Šiluva teilnehmen, wenigstens einen Monat lang keine alkoholischen Getränke anzurühren; das wird der Anfang unseres Entschlusses, ein schönes Geschenk für Maria sein, denn jetzt genügt kein halbes Opfer, man braucht ein großes, ein ganzes, ein riesenhaftes Opfer, und man möchte glauben, daß wir in der Lage sind, uns so zu opfern. Wir, die Priester, blicken auf Euch hier Versammelte, mit Hoffnung und Zuversicht, und ich bin überzeugt, daß Ihr verstehen werdet, daß das alles die Kirche von uns fordert, daß es Litauen von uns fordert, und das fordert von uns auch der schönere, bessere morgige Tag.

Die zweite Krankheit, an der wir nicht selten leiden, das ist die Furcht. Wenn sich vor dem Kriege die Leute vor einer schwarzen Katze auf ihrem Hof fürchteten, dannn fürchten sie sich jetzt vor den Augen des Nachbarn, vor den Ohren des Nachbarn, die Leute fürchten sich vor vielerlei Dingen, sie fürchten sich immer mehr... und schließlich wissen sie nicht mehr, wo­vor sie sich noch fürchten sollen, obwohl sie das Gefühl haben, daß sie sich fürchten müssen. Die Furcht ist ein den Menschen erniedrigendes Ge­fühl. Um so weniger dürfen sich jene fürchten, die das Volk Gottes führen, die dem Volke Gottes vorstehen. Der ehrwürdige Märtyrer unseres Volkes, Erzbischof Teofilius Matulionis, hat einmal gesagt: »Ich erlaube einem Priester, vor einer Gefahr zu zittern, aber ich erlaube ihm nicht, sich davor zu fürchten.« Wir alle dürfen also als Menschen angesichts der Schwierig­keiten und Gefahren zittern, wir brauchen uns aber nicht zu fürchten. Den­noch lebt die seinerzeit verbreitete Manie der Furcht vor weißen Bären auch heute noch unter uns, obwohl die weißen Bären schon beinahe ver­schwunden sind.. . Wir wollen ein Beispiel an unserer Jugend nehmen. Am 24. August organisierte unsere Jugend eine Wallfahrt von Tytuvėnai nach Šiluva. An der Wallfahrt nahmen zwei Priester und etwa anderthalb tausend Wallfahrer, meistens Jugendliche teil. Es gab Äußerungen von hohen sowjetischen Beamten zu hören: »Wir haben nur gelacht... Wenn die Leute beten, wozu braucht man dann die Feuerwehr, wozu muß man sie filmen; warum filmt man die Rowdys nicht, von denen die Straßen voll sind...« Wahrhaftig, obwohl sich die Gottlosen vor einem Gebet fürchten, lachen sie sehr oft darüber; es zeigt sich jedoch immer wieder, daß sie wirklich sehr furchtsam sind — sie fürchten sich vor einem Kreuzzeichen, sie fürchten sich vor einem Rosenkranz. Wenn wir eine solche Jugend anschauen, dann müssen wir, die Erwachsenen, uns in acht nehmen, daß wir ihnen gegenüber in Zukunft nicht erröten müssen: Es zeigt sich, daß die Jugend, die in den sowjetischen Schulen erzogen wird, fähig ist, den Weizen von der Spreu, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Sie gehen mutig auf die Wege Litauens hinaus und tragen das Kreuz, die Wahrheit und die Liebe. Wir, die Alten, dürfen nicht zurückbleiben, wir müssen vorangehen: Besuchen wir am Sonntag die hl. Messe, bekreuzigen wir uns bei Tisch oder grüßen wir mit »Gelobt sei Jesus Christus«, wenn uns der Nachbar begegnet. Wir wollen also die Furcht überwinden, denn wenn wir auch weiterhin so furchtbar sind und wie die Mäuse unter einem Besen hocken bleiben, dann müssen wir als Christen untergehen. Wir wollen uns an das Alte Testament erinnern, wie Moses das jüdische Volk aus Ägypten führte. Beim Durchwan­dern der Wüste bekamen sie Lust auf Zwiebeln und Knoblauch und murrten gegen Moses. Dann sagte Gott: »Dieses Volk wird das gelobte Land nicht betreten. ..« Sie sind alle innerhalb von 40 Jahren in der Wüste umgekom­men, und ich fürchte, daß auch mit unserer älteren Generation dasselbe geschieht; sie verraten nicht selten aus Furcht ihren Glauben und geben der jüngeren Generation kein gutes Beispiel. (...) Die Jugend wird mit Sicher­heit das gelobte Land betreten und den allseitigen Sieg der Kirche sehen. Also, Brüder, weg mit der Furcht — außer der einen Furcht, eine Sünde zu begehen. Der Christ fürchtet sich nur vor der Sünde, und sonst vor nichts. Weg mit der Mittelmäßigkeit! Die lange zaristische Sklaverei gebar den Typus des minderwertigen Litauers, und so ein Mensch möchte nicht selten gleichzeitig Gott und der Welt dienen; er beugt sich vor dem einen wie auch vor dem anderen, und das ist gerade das Schlimme, denn die Gottlosen sehen das und nützen es aus. Vor nicht allzu langer Zeit fuhr der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, Petras Anilionis, von Pfarrhaus zu Pfarrhaus, rief die Priester in die Exekutivkomitees und belehrte sie, daß ihnen nicht erlaubt sei, den Kindern Religionsunterricht zu geben, und daß es den Kindern verboten sei, zu ministrieren ... alles nur: verboten, verboten, sogar Predigten mit katechetischen Themen zu halten, ist verboten. Derselbe Bevollmächtigte hat den Pfarrer der Pfarrei Grinkiškis in die Ortsverwaltung vorgeladen und ihn in Anwesenheit der Ortsvorsitzenden ausgeschimpft. Dem Bevollmächtigten nach darf der Prie­ster nur dann den Mund aufmachen, wenn er einen Löffel zum Munde führt. Nachdem er den Priester ausgeschimpft hatte, zog der Bevollmächtigte gleich einen katholischen Katechismus aus der Tasche, übergab ihn der Ortsvorsitzenden und befahl ihr: »Nimm und lies, was da geschrieben steht.« Als die Katechismen schon gedruckt waren, haben die Arbeiter dreieinhalb­tausend davon gestohlen und verkauft, und eineinhalbtausend nahm der Bevollmächtigte an sich. Die Leute wunderten sich sehr oft darüber, daß die Katechismen und die Gebetbücher noch in der Druckerei gestohlen werden und warum die anderen Bücher niemand stiehlt? Das ist doch eine einfache Sache, wenn eine Idee lebendig, wenn sie wirkmächtig ist, dann greifen alle nach ihr, — veraltete Sachen will niemand haben... Das bedeutet also, daß der Priester die Wahrheiten des Katechismus nicht erklären darf, daß er keine katechetischen Predigten halten darf, die Gemeindevorsitzenden aber werden für die Katechese vorbereitet, damit sie die Zerstörungsarbeit der Kirche besser erledigen können. Wir müssen die Grundgesetze des Staates, die Verfassung einhalten, keinesfalls aber die von Gottlosen zu­sammengeflochtenen Spinngewebe. Wir, die Priester, müssen nach den von den Bischöfen festgesetzten zweijährigen oder dreijährigen Lehrplänen die Kinderkatechese gut durchführten. Unter den jetzigen Bedingungen ist es not­wendig, auch die Erwachsenenkatechese jeden Sonntag durchzuführen, denn wir haben zu wenig Katechismen bekommen, nur etwa 10 Stück für jede Pfarrei; es ist also notwendig, katechetische Predigten zu halten, und die Gläubigen müssen die gehörten Wahrheiten bewußt aufnehmen, damit sie die Wahrheit finden und sie von der Unwahrheit unterscheiden können. Daraus folgt, daß die Priester das Volk Gottes lehren müssen, sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder. Man muß die zweitägigen, in manchen Pfarreien auch dreitägigen Exerzitien im Advent und in der Fastenzeit sehr sorgfältig durchführen und mit dem Herzen daran teilnehmen. Alle diese Vorbereitungen werden mit Sicherheit die Gnade Gottes und Mut bringen, und erst dann werden wir sehen, wer wir sind.

Zum Schluß, da die Zeit knapp ist, möchte ich mich wenigstens kurz mit einem sehr wichtigen Problem befassen, und zwar mit dem Problem der Priestervorbereitung. Es gab Jahre, in denen die Gottlosen nur vier, sechs, acht oder zehn Kandidaten die Aufnahme in das Priesterseminar genehmig­ten. Nachdem die Bischöfe und die Priester dies eindringlich gefordert haben, werden jetzt schon seit vier Jahren zwanzig Kandidaten in das Priester­seminar aufgenommen. In der Zeit ist ein Teil der Priester verstorben, was große Lücken gerissen hat; ein Mangel an Priestern ist entstanden. Die Gottlosen sind so unverschämt geworden, daß sie faktisch das Priesterseminar verwalten. Dieses Jahr beispielsweise überreichte die Leitung des Priester­seminars der Behörde des Bevollmächtigten des Rates für Religionsangele­genheiten Eintrittserklärungen von 36 Kandidaten. Die Gottlosen suchten siebzehn von ihnen heraus und strichen sie; sie strichen die besten. Ich hoffe, daß die Bischöfe dafür sorgen werden, daß sich die Abgewiesenen auf pri­vatem Wege zum Priestertum vorbereiten können. Es ist Zeit, daß nicht mehr der Bevollmächtigte über die Eignung der Kandidaten für das Priester­seminar entscheidet, sondern die Führung der Kirche — die Bischöfe und die Verwalter der Diözesen, die Priester und die Gläubigen. Man darf nicht mehr länger schweigen! Wenn wir uns geistig selbst verbrennen wollen — dann schweigen wir weiter, wir können uns selber verbrennen, aber dann wird die Geschichte sagen, daß wir durch unser Schweigen und unsere Lie­derlichkeit die Katholische Kirche Litauens verraten haben. Ein anderes Bei­spiel: am vergangenen Dienstag wurde ein guter Seminarist aus dem vierten Kursus des Priesterseminars verwiesen. Als ich fragte, weswegen er verwie­sen wurde, sagten die einen, daß es deswegen geschehen sei, weil er sich im Sommer mit reaktionären Priestern getroffen habe, die anderen wieder, weil er die Sommerferien in Viduklė verbracht habe. Viduklė ist also eine infizierte Stelle, wo man sich die Pest holen kann. (...) Diese und ähnliche Vorfälle zwingen uns zum Nachdenken und zu sagen: »Jetzt ist es aber genug! Wir werden so etwas nicht mehr dulden. Wenn die Regierung es nicht will, dann soll sie die Arbeit des Priesterseminars überhaupt verbie­ten. Aber es leiten darf nur die Führung der Kirche, und wir werden so ein Priesterseminar auf jede Art und Weise unterstützen.«

Heute ist unser Bischof hierher gekommen. Er wird eine geeignete Rede halten. Wir wollen unsererseits das, was wir hören werden, in ganz Litauen verbreiten und jeder von uns wird es in seinem Leben praktisch anzuwenden versuchen.

Wir, die Priester Litauens, streben nach keinen politischen Zielen. Nein! Wir nehmen auf uns nur die Sendung, die Gott unseren bedeutungslosen schwachen Schultern auferlegt hat. Wir werden uns oft vor Maria in Siluva, im Tor der Morgenröte oder in Žemaičių Kalvarija hinknien und sie um Kräfte bitten, diese Sendung würdig zu erfüllen. Wir versprechen Maria, daß wir die Kirche bis zum letzten Priester verteidigen werden; wir werden sie mit unserem ganzen Leben, mit Worten, mit Mut, durch Verbreitung der Wahrheit verteidigen. Dann dürfen wir hoffen, daß wir es mit der Hilfe Gottes bis zu diesen zwei Jubiläen schaffen werden, das geistige Antlitz des Volkes zu erneuern. Also, Brüder, unsere Parole möge sein: »Alles erneuern in Christus!« Amen.«

(Die Rede wurde leicht redigiert — Bern. d. Red.).

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Eine Predigt des Priesters Sigitas Tamkevičius, gehalten zum Andenken an den ersten Jahrestag des Todes von Priester Karolis Garuckas in Ceikiniai, im April 1980:

»Wir stehen am Grabe des Paters Karolis. .. Wozu haben wir uns hier versammelt? Wir sind doch gewöhnt, nach großen Menschen in den Büchern zu suchen, weit in Frankreich oder in Italien und merken oft nicht, daß diese großen Menschen hier gleich unter uns leben — mit uns reden und arbeiten, mit uns die Zukunft der Kirche und des Volkes gestalten. Einer dieser großen Menschen, die die Kirche und das Volk nicht vergessen wer­den war und ist Pater Karolis. Wer war er? Wenn ein Gläubiger Pater Ka-rolis charakterisieren würde, dann würde er sagen: Pater Karolis war ein hunderprozentiger Idealist, der sich um Gott und die Kirche sorgte, der sich um die Heimat kümmerte, der sich um die unsterblichen Seelen der Menschen und auch um ihr materielles Wohl Sorgen machte. Wenn auf die Frage, wer Pater Karolis war, ein Regierungsgottloser unserer Tage die Antwort geben würde, dann würde er sagen, daß Pater Karolis ein verfluchter Jesuit und religiöser Extremist war. Warum nennen die Regierungsgottlosen heutzutage die Bischöfe, die Priester, unter ihnen auch Pater Karolis, und die Gläubigen Extremisten, Reaktionäre, mit anderen Worten, warum heften sie ihnen alle erdenklichen erniedrigenden Aufklebeschilder an? Um das zu verstehen, wollen wir die jetzige Lage unserer Kirche betrachten. Die Kirche befindet sich heute in unserem Volke auf dem Weg nach Golgotha. Sie wird heute in unserem Volke gekreuzigt. Man will die Kirche und den Glauben so beerdigen, daß in unserer Heimat keine Spur eines Kreuzes oder einer Kirche bleibt, damit die kommenden Generationen nur Denkmäler der Gottlosen sehen können und nichts mehr davon zeugen kann, daß hier am Strande der Ostsee ein tiefgläubiges Volk war, das Gott und Maria geliebt hat. Für diese Kreuzigung der Kirche Christi wird alles aufgewendet. Wenn man das alles zusammennimmt, alle Grundrichtungen richtig betrachtet, in denen die Kirche gekreuzigt wird, dann kann man folgende Schlüsse ziehen: An erster Stelle wird für die Kreuzigung der Kirche, für den Kampf gegen den Glauben der Alkohol verwendet. Bewußt oder unbewußt, durch die riesenhafte Produktion des Alkohols, kämpfen die Gottlosen auf grausamste Weise gegen den Glauben und kreuzigen die Kirche. Nimm heute unserem Volke den Alkohol weg und du findest dreimal soviele Menschen in der Kirche, wenn nicht sogar fünfmal soviel; denn der Mensch, dem der Alkohol zum Ziel des Lebens wird, vergißt den Weg zur Kirche, der Glaube wird ihm zum Aberglauben. Heute ist das Land Mariens mit Kneipen übersät. Jedes Jahr opfern die Litauer diesem Götzen Millionen von Rubel, und alle, die ein bißchen denken und nicht blind sind, sehen, daß das größte Unglück, der größte Feind unseres Volkes und der Kirche nichts anderes ist als der Alkoholismus.

Die zweite Waffe, die zweite Maßnahme, mit der gegen die Kirche Christi gekämpft wird, ist der Zwang. Im ganzen Leben der Kirche sehen wir die grausamen Krallen des Zwangs. Jeden Frühling lesen wir Priester Euch Gläubigen von der Kanzel aus ein von der Diözesankurie uns zugeschicktes Schreiben vor, in dem das Priesterseminar die Jugendlichen auffordert, sich für die Arbeit im Weinberg Christi zu entscheiden; wir verschweigen aber dabei und sagen nicht, daß die Jugendlichen in das Priesterseminar oft nicht vom Pfarrer ihrer Pfarrei begleitet werden, sondern öfters von den Gott­losen, die wir als Sicherheitsdienst bezeichnen oder unter anderen Namen nennen. Ein junger Mensch, der sich dem Dienste Christi weihen will, darf keine freien Hände haben. Er wird genötigt, nicht die Kirche Christi auf­zubauen, sondern das Haus des Teufels. Er wird genötigt, zu heucheln, ein Verräter zu sein. Wir, die Gläubigen, haben keine religiöse Literatur, wir haben keine eigene Zeitung, wir haben keine Bücher. Diejenigen, die vor kurzem im März ein paar Fernsehsendungen angeschaut haben, haben ge­hört, wie Amtspersonen behauptet haben, daß die Gläubigen in Litauen alles haben: Sie haben die hl. Schrift, religiöse Literatur, für sie werden Zere­monienbücher, Kalender herausgegeben, mit einem Wort, alles wird her­ausgegeben, was wir, die Gläubigen, benötigen. Das ist aber nicht wahr! Wir haben nichts. Durch Zwang wurden uns unsere Buchdruckereien wegge­nommen, die Hand des Zwangs läßt uns nicht zum Rundfunk oder zum Fern­sehen; und wenn dann auf die Köpfe der Priester und der Gläubigen das Dreckwasser der Lüge und Verleumdung ausgegossen wird, darf sich der Priester nicht neben den Redner stellen und eine Antwort auf die vorge­tragenen Vorwürfe geben oder sie widerlegen. Die Hand des Zwangs erlaubt nicht, daß die Priester die kleinen Kinder in die Wahrheiten des Glaubens einführen. Und wenn heute die Priester auch weiterhin noch die Kinder katechisieren, wenn sie den Mut haben, sich diesem grausamen Zwang zu widersetzen, dann wollen wir uns vor ihnen verbeugen. Man könnte viele Opfer dieses Zwanges aufzählen, aber Ihr kennt sie alle sehr gut — man müßte ein Idiot oder ein Blinder sein, wenn man diese Opfer des Zwanges nicht sehen würde.

Die dritte Waffe, die die Gottlosen anwenden, um die Kirche kreuzigen zu können, ist die Lüge. Der Zwang ist in sich selbst schon abscheulich und unmenschlich. Um ihn zu verbergen, wird deswegen die Lüge benützt. Diese Lüge hören wir im Radio, im Fernsehen; wir lesen sie in den Zeitungen und Journalen. Sie versucht uns, die Priester und die Gläubigen, zu überzeugen, daß der Strick, den die Gottlosen uns um den Hals legen, kein Strick, son­dern eine wunderschöne Krawatte ist. Gerade dann, wenn die Gottlosen ver­suchen, uns auf jede Art und Weise zu ersticken, uns zu begraben, dann geben sich die Gottlosen alle Mühe, uns zu überzeugen, daß wir die besten Bedingungen haben, um zu atmen, zu leben und gedeihen zu können. Diese Lüge dient dazu, den Zwang zu verbergen. Dieselbe Lüge dient aber auch der Ideologie der Gottlosen. Heute, wo sogar die objektiven Atheisten zugeben, daß Christus eine historische Persönlichkeit ist, daß Er auf dieser Erde gelebt und gewirkt hat, daß Er gekreuzigt wurde, schreiben die Regierungs­gottlosen in den Zeitungen und Schulbüchern immer noch, daß Christus ein Mythos, ein Märchen, eine von Menschen erfundene Legende sei. Diese ehrlose Lüge wird auch heute noch angewendet, damit die Kinder, die Ju­gend und alle, die sich weniger in Glaubensfragen orientieren können, Ihn vergessen und sich von der katholischen Kirche abwenden. Pater Karolis sah das alles, und aus dem Wunsch heraus, Gott und den Menschen dienen zu können, aus der Notwendigkeit, die unsterblichen Seelen zu retten, ist er Jesuit geworden, hat auf alles verzichtet, und legte alles als Opfer auf den Altar. Als er die derzeitige schwere Lage der Kirche sah, als er den Zwang sah, die verführten Kinder und die Jugend, als er die Lüge hörte, konnte er nicht mehr allein nur beten, konnte er nicht mehr nur an sein eigenes Leben und den Tod denken; er fand keine Ruhe; in seinem Herzen loderte eine Flamme; er suchte nach Wegen, was man tun und was man ändern könnte. Als er dann erfuhr, daß in Litauen eine litauische Helsinkigruppe gegründet werde, trat er ihr sofort bei, ja wurde einer der Gründer dieser Gruppe. Diese Gruppe erhob als erste offiziell ihre Stimme und forderte eine vollkommene Freiheit für die Kirche und den Glauben in Litauen, wie sie auch die Regierungsgottlosen haben. Wenn ihnen für die Herausgabe ihrer Broschüren das Papier tonnenweise zugeteilt wird, dann müssen genau so viele Tonnen Papier auch den Katholiken zugeteilt werden. Wenn die Regierung die Atheisten unterstützt, dann muß sie die Gläubigen genauso unterstützen, wenn sie sie als eigene Staatsbürger, als gleichberechtigte Bürger betrachtet. Sie muß ihnen helfen und ihnen erlauben, ihre Ideen zu verbreiten. Wir verneigen uns heute vor Pater Karolis. Zu der Zeit, als die meisten angstvoll geschwiegen und sich dem Zwang und der Lüge gebeugt haben, stand Pater Karolis unerschütterlich wie eine Eiche da und sagte die Wahrheit. Auch er hat mit Sicherheit tief in seinem Herzen die Angst und die Unruhe erlebt; er hat aber auch in sich selbst Kräfte gefunden, um diese in­nere Angst und Unruhe zu überwinden und mutig unter dem hocherhobenen Banner Christi zu stehen. Wir stehen am Grabe des Paters Karolis. .. Wir haben uns hier nicht nur versammelt, um für ihn zu beten, nicht nur, um ihn zu beweinen, sondern auch um nachzudenken, damit wir in den Tagen der Zukunft die richtige Haltung einnehmen, die alle Priester und Gläubigen Litauens einnehmen sollten. Jeder von uns muß heute an erster Stelle be­greifen und sich tief bewußt werden, daß unser Schweigen, unsere Untätig­keit ein großes Vergehen dem Volke und der Kirche gegenüber ist. Wenn wir in der Zeit schweigen und nichts unternehmen, in der die ganze Hölle gegen die Katholische Kirche auszieht, um sie zu zerstören, damit sich kein einziger gläubiger Mensch mehr auf dem Boden Litauens bewegt, dann wären wir Feiglinge, Deserteure und Verbrecher. Heute muß jeder Priester und jeder gläubige Mensch sehr aktiv sein. Nur allein zu beten, ist heute zu wenig. Es ist zu wenig, nur an das eigene Leben, an den Tod und die glückselige Ewigkeit zu denken; heute müssen wir weitsichtig sein und mit unserem Herzen alle Brüder und Schwestern des Volkes und der Kirche umfassen. Wenn der Alkoholismus das Volk und die Kirche zugrunde richtet, dann ist jeder Priester, jeder Gläubige, der ein Gläschen Alkohol in die Hand nimmt, ein Deserteur und Verbrecher. Es ist auch dann unentschuldbar, wenn er das nicht mit bösem Willen macht, sondern nur seine Schwäche zu befriedigen. Heute müssen wir alle zusammen für die nüchterne Zukunft des Volkes kämpfen, denn nur ein nüchternes Volk hat gute Bürger und gute Kinder der Kirche. Nicht alles kommt heute von uns allein, wir können aber durch unsere Proteste bei den Versammlungen fordern, daß die Her­stellung von Alkohol eingeschränkt werden soll, daß aus der Umgebung, in der wir leben, die Kneipen verschwinden, denn sie sind unser Unheil, das Grab der Kirche und des Volkes. Es ist unser aller Pflicht, die der Bi­schöfe, der Priester und auch der Gläubigen, zu fordern, daß dieses Gift von unserem Volke entfernt und die Herstellung von Alkohol eingeschränkt werde. Es ist ein Verbrechen, untätig zu bleiben, der Lüge zu applaudieren, der Lüge die Stimme zu geben, sie zu verbreiten, blinde und nichtdenkende Werkzeuge des Zwanges zu sein, wenn wir nur Zwang und Lüge sehen. Die jetzige Lage der Kirche und des Volkes erfordert von uns, mutig und stark zu sein. Die Furcht und das Davonlaufen vor Schwierigkeiten bringt weder der Kirche noch dem Volke etwas Gutes. Und dessen ungeachtet, was jene Priester und Gläubige darüber sagen oder denken würden, die eine diplo­matische Stellung einzunehmen und sich mit den Worten zu rechtfertigen suchen, daß es manchmal vernünftiger sei zu schweigen, daß man mit einer stillen Arbeit mehr erreichen kann, sagen wir heute allen ganz deutlich: Das ist ein grausamer Irrtum! Wir haben in der Geschichte sehr viele Bei­spiele. Die schmerzvolle Lehre, die die orthodoxe Kirche Rußlands mitge­macht hat, als genauso versucht wurde, auf diplomatischen Wegen zu ge­hen, ist uns sehr gut bekannt. Wir, die Priester und die Gläubigen Litauens, können nicht zulassen, daß dieser grausame, unverzeihliche Fehler sich in unserer Heimat wiederholt. Andernfalls werden wir vor dem Gericht Gottes, vor dem Volke und der Geschichte die Verantwortung tragen müssen.

Wir stehen am Grabe des Paters Karolis..., am Grabe eines Streiters Christi; hier müssen wir uns alle entschließen, wer wir auch sein mögen — Priester oder Laien — mutig das Banner Christi zu tragen. Heute dürfen wir uns vor keinem Opfer fürchten. Keine Drohung, kein Lager, kein Ge­fängnis, nicht einmal der Tod darf uns aufhalten. Die Kirche hat niemals darunter leiden müssen, wenn ihre Kinder in Gefängnissen sitzen mußten, die Kirche hat keine Verluste gehabt, wenn ihre Kinder gegeißelt und ge­kreuzigt wurden, aber die Kirche hatte große Verluste dann, wenn ihre Kinder zu Feiglingen und Deserteuren wurden und die heiligste Sache Christi verrieten, für die Er selbst am Kreuz starb. Brüder und Schwestern, wir wollen mit einem Gebet auf den Lippen, mit einer großen Liebe im Herzen das Grab des Paters Karolis verlassen, wir wollen aber das Feuer, das in Pater Karolis gebrannt hat, hinaustragen und im ganzen Volke ver­breiten. Möge das Feuer der Wahrheit, der Liebe und des Mutes im Herzen von uns allen brennen. Amen«

(Die Rede wurde redigiert — Bern. d. Red.)