(Das sollte am 10. Februar 1986 am Grabe des Priesters J. Zdebskis gesagt werden)

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schmetterte die Nachricht über den Tod des Priesters Juozapas Zdebskis ganz Litauen nieder. . . Man wollte eher glauben, daß es sich um ein Gerücht handele, denn der Sicherheitsdienst hatte ähnliche Erdichtungen auch schon vor den Gerichtsverhandlungen ge­gen die Priester S. Tamkevičius und A. Svarinskas verbreitet. Leider wurden die Details des Falles immer klarer, von allen Seiten kamen bestätigende Nachrichten, und der letzte Rest des noch glimmenden Zweifels erlosch... Am 5. Februar 1986, am Tag der Märtyrerin St. Agatha, ist das Auto des Priesters Juozas, ein »Ziguü«, auf der Straße zwischen Varėna und Eišiškiai mit einem Milchwagen zusammengestoßen. Der Fahrer des Wagens, Aigis Sabaliauskas, der neben ihm sitzende Priester Juozas Zdebskis und die Mit­fahrerin D. Šidlauskaitė sind dabei ums Leben gekommen. Der vierte Mit­reisende im »Ziguli«, R. Žemaitis, wurde verletzt und ins Krankenhaus nach Šalčininkai gebracht.

Wir stehen auf dem Kirchhof von Rudamina an einer Grube, die bald die irdischen Uberreste eines Apostels Jesu in sich aufnehmen wird. Weder die Kirche noch der Hügel, auf dem zwei Kirchentürme ragen, können die Gläu­bigen aufnehmen. Aus der Gegend von Klaipėda und von Ukmergė, von Šiauliai und Druskininkai, aus Vilnius und Kaunas: eine tausendfache Masse von Menschen, über hundert Priester mit den Exzellenzen, den Bischöfen Juozas Preikšas und Vincentas Sladkevičius, und ebenso viele Jugendliche sind zusammengekommen; ungeniert weinen am Sarg des Verblichenen Prie­ster und Laien, Männer und Frauen, die Alten und die Kinder. Herr Gott, was willst Du mit diesem Schmerz unserem Volke sagen? Waren wir vielleicht nicht würdig, so einen Menschen wie Priester Juozas unter uns zu haben? Er trug uns überall auf seinen Händen und in seinem Herzen. Wir reden jetzt sehr viel davon, daß das erste litauische Buch ein Katechismus war, und wir sind stolz darauf. Er aber hat ihn mit Lagerstrafe und mit seiner eigenen Unfreiheit bezahlen müssen; er hat unser Recht verteidigt, den Katechismus aufschlagen zu dürfen. Er hat uns Gott gezeigt, der in unserer Nähe ist, der unter uns lebt. Er hat uns Jesus gegeben, der in der gegenseitigen Liebe lebt. Als schwere Brutalität, ein Eisberg des Terrors und der Angst alles unter­drückte, als wir alle wie die Hasen auf ein erstes Rascheln warteten, nur um davonlaufen zu können, hat er uns Verlorene in kleinen Scharen gesammelt, hat Versammlungen veranstaltet, unsere »Genossen« auf das Gesetzbüchlein verwiesen, und wir haben ihn sagen gehört: »Wenn Gott für uns ist, wer ist gegen uns? Wer will uns trennen von der Liebe Christi? Not oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Denn ich bin überzeugt, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Kräfte, weder Höhe noch Tiefe noch sonst etwas Geschaffenes wird uns zu trennen vermögen von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn.« (Rom. 8, 35—38).

Und diese auf primitive Weise mit Kohlepapier geschriebenen Statutbüch­lein! Einfache Forderungen gegenseitiger Liebe und Gebete füreinander, die mit gemeinsamen Gebetsintensionen für einen Monat endeten! Sie haben unser Leben geändert und tun es auch jetzt noch! Vielleicht haben wir noch eines davon? Wollen wir es nicht bewahren wie eine Stafette eines guten Kampfes für jene, die Jesus durch uns an sich ziehen will? Wir erinnern uns an das Gefühl der Macht der Einheit, an die Freude des Wagnisses, die unsere Versammlungen überfluteten und sie ähnlich den Agapen der ersten Christen machten. Wir erinnern uns an die bescheidenen kleinen Häuschen und Wohnungen, in denen sie stattgefunden haben, die manches Mal mit einem Besuch des Staatssicherheitsdienstes und einer Reise ins Untersu­chungszimmer endeten. Du, Priester Juozas, hast uns gelehrt, nicht dem eigenen Mut zu vertrauen und sich nicht auf ihn zu verlassen, sondern auf den Mut Gottes, um die List des Teufels und seine Absichten, uns für sich zu gewinnen, überwinden zu können. Du hast die Worte des Herrn, »Was ihr einem der Kleinsten getan habt, habt ihr mir getan« tief erwogen und Dich mit priesterlicher Sorge unserer verschmähten und zertrampelten Hei­mat Litauen zugewandt. Du hast uns die schönen litauischen Lieder gelehrt, Du bist für uns ein unverfälschtes Buch der Geschichte Litauens gewesen, von Deinen Lippen haben viele erfahren, was die gelb-grün-rote Fahne, der sechzehnte Februar und der Vytis (das Wappen des unabhängigen Litauens) bedeuten.. . Das war aber keine billige Politisierung. Wir haben niemals feststellen müssen, daß Du dem schwer vermeidlichen Haß gegen die Be­satzer und Unterdrücker verfallen wärest.

Mit Deinem Leben und durch Dein Wort hast Du uns andauernd aufge­fordert, in ihnen unsere unglücklichen Brüder zu sehen, die der Heroismus unserer Tugenden, die Beständigkeit der Treue und das dem Erlöser ge­opferte Leiden aus den Fesseln des Bösen befreien muß. Du hast niemals die äußerlichen Erscheinungen des Teufels angegriffen und hast uns niemals angewiesen zu schreien: »Weg mit der sowjetischen Regierung! Russen, hinaus aus Litauen!« Du hast in das Wesentlichste, in den Mittelpunkt gezielt und hast gefordert: »Weg mit der Sklaverei der Sünde!« — »Freiheit für Christus in Litauen!« Wie der Herr auf dem Altar uns seinen Leib und sein Blut in Speise verwandelt schenkt, so hast Du, dem Beispiel Deines Meisters folgend, uns Deine Zeit, Deine Erholung, Deine Gesundheit geschenkt. Du hast mit der Beichte, mit der hl. Messe, mit der hl. Kommunion und mit der heimat­liehen Frische die Tausende von Kilometern entfernten Rekruten erreichen können, und keine Hindernisse, keine Gefahren konnten Dich davon ab­halten. In Deinem Antlitz, das immer einen heiteren Ernst der Ewigkeit ausstrahlte, haben wir das Antlitz Christi geschaut. Wenn wir uns bei der Beichte oder in unseren Schwierigkeiten an Dein Herz lehnten, spürten wir das Herz Christi schlagen. Und deswegen sprechen wir, ungeachtet all jener, die das priesterliche Amt abgelegt haben, ungeachtet all jener, die das prie­sterliche Amt zwar nicht abgelegt haben, aber im Ausland den afghanischen »Frieden« verteidigen, ungeachtet all dessen das Wort »Priester« mit heiliger Ehrfurcht aus, denn wir haben Dich, Priester Juozas, kennengelernt. Heute unterstehen Deine Seele und Dein Körper nicht mehr der Gerichtsbarkeit der Pilatus oder Kajafas und den Anschuldigungen der Heuchler. Sie unter­stehen nicht mehr der Kompetenz der »Mächtigen dieser Welt«. Heute dürfen wir ungeniert reden und für die Arbeit danken, die Du Jesus in Dir selbst und auch in uns vollbringen ließest, — für die Organisation der Jugend, für die aufopferungsvolle Tätigkeit im Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, für Deine erfinderische Tätigkeit als Missionar, für Dein eifriges mit Gebet und Beispiel unterstütztes Werben für Abstinenz und Enthaltsamkeit. Wir trösten uns in unserer Trauer am Tag des Ab­schieds mit dem von Dir geprägten Gedanken, daß eine echte Freundschaft auch dann nicht zerbricht, wenn einer bereits zum Herrn heimgekehrt ist. Den Gedanken, der sich durch Dein ganzes Leben zieht, hat man treffend ausgedrückt mit einem Wort aus der Hl. Schrift, das als Inschrift Deinen Grabstein ziert: »Die Liebe hört niemals auf.« Wir hoffen nicht nur, sondern wir wissen auch, daß Du, Priester Juozas, der unseren Nöten und Wunden in diesem irdischen Leben am nächsten gestanden ist, gemeinsam mit Priester Bronius Laurinavičius, Karolis Garuckas, Virginijus Jaugelis, gemeinsam mit der Heldin der Reinheit des Landes Dzūkai, Danitė Burbaitė uns auch weiter mit der Liebe Gottes lieben wirst. Wir sind, von dieser Liebe getragen, fest entschlossen, dafür zu sorgen, daß uns das Bild des Schmerzensmannes im­mer im Herzen gegenwärtig ist. Wir werden niemals die Vorsätze vergessen, die wir aus Deinen Exerzitien mitgenommen haben. Die von Dir in weitem Schwünge ausgestreute Saat wird in unsere Familien, in unsere Kinder, in die Zukunft unserer Heimat hineinwachsen! Und wenn an Deinem Sarg kein Seminarist zu sehen war, dann bedeutet das nur, daß keiner das Priester­seminar in Kaunas verlassen durfte, um an Deiner Beerdigung teilzu­nehmen ...

Wir beten für Dich und sind zutiefst davon überzeugt: Wenn Jesus am letzten Tag als Richter den zu seiner Rechten Stehenden sagen wird: »Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, (...) denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken; ich war unterwegs, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet;

ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen« — dann werden wir alle vor Dir gehen, die Du

gesättigt, getränkt, beherbergt, angezogen und

besucht hast und werden Dich dorthin begleiten, wohin Du uns durch Dein ganzes Leben und sogar noch nach Deinem tragischen Tod hinführen wolltest. Gott vergelte es Dir, spreche Dir Dank aus und nehme Dich auf!

Die Freunde der Eucharistie