(Eine Antwort an den verdienten Lehrer Bernardas Šaknys)

»In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen.« Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 29, Teil 3.

Ihr Artikel »Apie papirktą sąžinę in dviveidiškumą« — »Über bestochenes Gewissen und Heuchelei« vom 27. August d. J. in der »Tiesa« — »Die Wahrheit« hat schmerzliches Erstaunen hervorgerufen. Erstaunen deswegen, weil Sie nach Ihren häufigen Äußerungen in der Presse das Bild eines denkenden, um die Beseitigung des Bösen besorgten Verfassers erwecken. Ihr Artikel vom 27. August hat dieses Bild ganz stark verblassen lassen. Sie klagen in Ihrem Artikel gemeinsam mit einem anonymen Vater, dessen Sohn von einer von den Verwandten darum gebetenen Frau zur Erstkom­munion vorbereitet worden ist. Sie behaupten, daß das Kind, ein über­zeugter Pionier, seine Anschauungen verraten und sich durch ein feierliches Geschenk — einen japanischen Kassettenrekorder —habe bestechen lassen. Sie sind entsetzt über die Handlungsweise der Elena Versekytė, Laborantin am wissenschaftlichen Untersuchungsinstitut für Tuberkulose, die die Kinder in der Kirche von Nedzingė gebracht hat. Sie verurteilen die ungläubigen Eltern, denen es gleichgültig ist, nach welcher Weltanschauung ihre Spröß­linge geprägt werden, und Sie lassen wieder den anonymen Vater zu Wort kommen: »Das ist doch seelische Schädigung der Kinder, so zieht man doch Heuchler auf. Warum mischen sie (die Katechetinnen) sich hinein, warum berühren sie die reine Seele des Kindes und stören ihre Ernsthaftigkeit? Es widerspricht letztlich unseren Gesetzen, die die kollektive Unterrichtung der Kinder in Religion verbieten.«

Um zum Ausdruck zu bringen, daß ich den grundsätzlichen Thesen Ihrer Anschuldigung nicht zustimme, werde ich (um es authentischer sagen zu können), darüber reden, was ich selbst erlebt, erlitten und erfahren habe Bitte, halten Sie fest: Ich habe nicht die Absicht, für mich selber Reklame zu machen und mich selbst hinzustellen, als sei ich besser als die Ungläu­bigen. Ich will Ihnen nur erklären, daß auch wir, die Gläubigen, Menschen sind, in keiner Weise geringer als Sie, die Atheisten; daß auch wir unsere Überzeugungen haben, die der wichtigste Bestandteil einer Persönlichkeit sind. Wir haben das Recht, nach unseren Überzeugungen zu leben, sie auf dieselbe Weise zu äußern (wenn wir vor den Gesetzen gleich sind), wie auch Sie es tun. Wir haben das Recht, unsere Uberzeugungen anderen Menschen zu übermitteln — allen, die der Meinung sind, daß sie wertvoller sind, besser begründet oder erhabener sind als die atheistischen. In diesem Zu­sammenhang möchte ich Ihnen auch einige Überlegungen mitteilen, die mir schon lange am Herzen liegen.

Ich bin in einer gläubigen Familie aufgewachsen, beide Elternteile waren Beamte. Unter den Kindern unseres Hauses war ich das einzige religiös eingestellte. Aus meiner Kindheit prägte sich folgende Szene in meiner Erinnerung ein: Eine Schar der Sprößlinge der Hausbewohner steht um einen Haufen Steine, die von Bauarbeitern zurückgelassen worden waren. Irgendeiner schlägt vor, die Kröten, die sich unter den Steinen versteckt hatten, zu erschlagen, weil sie doch so häßlich sind... Und gleich beginnt ein Massaker der wehrlosen Kreaturen. Mir kommen die wenigen Stunden im Katechismus über Jesus von Nazareth in Erinnerung — und ich stelle mich wahrscheinlich zum ersten Mal protestierend der Grausamkeit der Mehrheit gegenüber. Und der Beweggrund: nicht die von ihrer Propaganda so beliebte »Angst vor der Hölle« oder die »Entlohnung im Himmel«, son­dern das einfachste Entsetzen vor Sadismus, das intuitive Empfinden, daß das unvereinbar ist mit dem in der Seele schon festliegenden ethischen Ideal Jesu. Warum haben so etwas die anderen Kinder nicht gehabt, die in den Familien von sogar aktiven Atheisten aufgewachsen waren?

Wir wurden mit der Zeit reifer, die Probleme, die Ereignisse wurden kom­plizierter. In unserer Klasse gab es ein unbegabtes, aus einem verwahrlosten Haus stammendes Mädchen, deswegen wurde es dauernd gehänselt und verspottet. Eines Tages packte eine Meute von Schülern das Mädchen und führte es zu einem nahegelegenen See, um es dort zu »ertränken«. Ich konnte sie nicht daran hindern, weil die Kräfte ungleich waren, aber in mein Be­wußtsein schon ein Gedanke: Sie schleppen das Mädchen doch genauso daher wie Christus, dessen Leiden wir in der Fastenzeit beim Begehen der Kreuzwegstationen verehren ... Das Mädchen ist in allen Augen das häß­liche Entlein, rings herum nur Feinde ... Das »Ertränken« endete damit, daß sie das Mädchen in ein kaltes Frühlingstauwasser hineingestoßen haben (am Ufer war eine Untiefe); die Schulkameraden verspotteten es und gingen weg. Weder die Abzeichen der Pioniere noch der Kommunistischen Jugend hinderten sie daran, an der »Exekution« teilzunehmen. Um dem weinenden Mädchen ein gutes Wort zu sagen, um ihr ein ermutigendes Wort zuzuspre­chen, blieb nur einer bei ihr — ein Gläubiger, ein Nichtkomsomolze, der keine Angst vor der »öffentlichen Meinung« hatte und sich nicht fürchtete, deswegen ausgelacht zu werden, weil er zu einer Verstoßenen hielt...

Ich kannte einen gläubigen Lehrer, der, wenn er auch spielend leicht in der Schule die von mir gehörten atheistischen »Argumente« zerschmettern konnte, die Kirche in einer anderen Ortschaft besuchte. Er wußte, daß er sofort seine Arbeit verliert, wenn er öffentlich seine Religiosität bekennt (wie die Lehrer Kausienė, O. Brilienė, A. Grigas usw.). Einem solchen Ver­steckspiel stimme ich nicht zu. Der Mann hätte, wenn auch um den Preis, die Arbeit zu verlieren, die Kirche in der eigenen Ortschaft besuchen müs­sen. Offen. Aufrichtig. Nur ein solches Leben schenkt eine unversiegbare Gewissensfreude, das Empfinden des eigenen menschlichen Wertes. Der Kompromiß dieses Lehrers, genau wie auch eines großen Teil der Päd­agogen Litauens, erklärt aber in keiner Weise die Seite der juridischen Notwendigkeit der Sache: Auf welche Weise ist das Prinzip der Gewissens­freiheit in Einklang zu bringen mit der Tatsache, daß Gläubige keine päd­agogische Arbeit verrichten dürfen? Wie unterscheidet sich das von dem in unserer Presse immer gern zitierten »Berufsverbot« im Ausland, dem Verbot also, in dem Beruf eigener Wahl zu arbeiten, falls man »unpassende« An­schauungen mitbringt?

In Ihrem Artikel nehmen Sie Anstoß an der Unterrichtsstunde der Heuchelei, weil ein Pionier, der das Beten gelernt hat, sich in der Kirche niederkniet! Ich nehme an einem gegenteiligen Benehmen Anstoß. Als ich zum ersten Mal in die Schule, in die erste Klasse kam, hat mich niemand gefragt (wie auch niemand die Scharen der Kinder jährlich danach fragt), ob mir die Ideen Christi oder die Lenins näher liegen; es hat mich keiner mit ihnen bekannt gemacht — man steckte mir einfach ein Sternchen an, und schon war ich ein Oktobrist. Ich bin meinen Eltern dankbar, die verboten haben, auf diese Art ihren Sohn zu verspotten. Auf ähnliche Weise trat man auch der Organisation der Pioniere bei. Auch viele gläubige Kinder haben sich die Halstücher umgebunden. Diesmal war ich schon selbst reif genug, um mich zu widersetzen und zu sagen: »Ich darf kein Pionier werden, denn ich bin gläubig. Die Organisation ist eine freiwillige, warum zwingen Sie dazu, ihr beizutreten?« Mir schien es, daß sich die Pädagogen als Heger der Ge­wissenhaftigkeit hätten darüber freuen müssen: Das ist ein Kind, das nicht heucheln will. Das gab es aber nicht: Die Rayonführerin der Pioniere ent­setzte sich darüber und begann der Lehrerin Vorwürfe zu machen. Jene aber, die »ihr Fell gewechselt« haben, ließ sie in Ruhe. Ich sah, daß es der Schule nicht so sehr darauf ankam, uns von der atheistischen Wahrheit zu über­zeugen, unsere Weltanschauung zu »formen«, sondern vielmehr darauf, daß die Klasse hundertprozentig zu den Pionieren bzw. zum Kommunisti­schen Jugendverband gehört, auf welche Weise das aber erreicht wurde, wird in den Berichten nicht erscheinen. Gegen die demoralisierende Me­thode habe ich immer schon Abscheu empfunden und empfinde dies auch jetzt noch. Auch die Aufnahme in die Hochschule begleitete noch der Hin­weis der Lehrer: Man sagte den Abiturienten, daß ohne Ausweis der Kom­munistischen Jugendorganisation wenig Hoffnung bestehe, einen Studien­ausweis zu bekommen. Das konnte mich weder von der Gerechtigkeit des Marxismus noch des Leninismus überzeugen, und deswegen bin ich kein Mitglied der Kommunistischen Jugendorganisation geworden. Die Prognosen der Pädagogen haben sich bestätigt — an der Hochschule durfte ich nicht lange bleiben. Obwohl ich im Studium auch viele Komsomolzen in den Schatten gestellt habe, wurde ich aus der Hochschule verwiesen, als das KGB anfing, sich für meine Anschauungen und die Art, sie zu äußern, be­sonders zu interessieren. (Ich bitte Sie, mich richtig zu verstehen; ich be­klage mich nicht wegen der Kränkung, im Gegenteil, ich bin glücklich dar­über, daß ich wegen meines Glaubens sie erdulden mußte.) Aber vergleichen wir das bitte mit der Sorge in Ihrem Artikel, daß die ungläubigen Schüler sehr leichtsinnig mit ihrem Gewissen Handel treiben, indem sie für ver­schiedenste Geschenke die Kirche besuchen. Da fragt man sich doch: Lohnt es sich überhaupt noch, Überzeugungen zu vermitteln, die ein Kind dann gegen . .. Jeans, Transistorradio, Bonbons oder Geld eintauscht? Und wenn einem erwachsenen Menschen mit solchen Überzeugungen eine prachtvolle Villa, ein Auto der Marke »Žiguli«, eine Reise ins Ausland angeboten wird, wird er nicht wieder ohne Schwierigkeiten seine Heimat, seine Prinzipien verraten? Ich komme zu folgender Schlußfolgerung: Wenn man ein Gewissen bestechen kann, dann bedeutet es, daß es überhaupt nicht existiert, daß es nicht geformt ist! Die Motive der Pioniere und Komsomolzen sind zu schwach, um ein festes, unbestechliches Gewissen formen zu können! Mein inneres Erleben aber, diese Freude, irgendetwas um Christi willen verlieren zu dürfen, erklärt und rechtfertigt mir die juridische Seite dieser groben diskriminierenden Handlung nicht. Ist es denn nicht klar, daß durch ähnliche Einschränkungen und Privilegien bei weitem nicht der Ideenreichtum und die Prinzipientreue gefördert werden, sondern im Gegenteil, abscheuliche moralische Fehlhaltungen — Karrieresucht, Heuchelei — kultiviert werden?

Sie haben einige Fragmente aus dem Lebenslauf eines gläubigen Menschen gelesen. Wieviele durchaus ähnliche, aber wesentlich schmerzlichere Le­bensgeschichten könnten die meisten Gläubigen Litauens und des ganzen kommunistischen Imperiums erzählen? Während ich gelernt, studiert, in der Armee gedient und gearbeitet habe, bin ich Hunderten von Gleich­altrigen begegnet. Ich habe eine bemerkenswerte Gesetzmäßigkeit dabei beobachten müssen: Wenn ein junger Mann nicht trinkt und nicht lasterhaft ist, sondern schöpferisch ist — siehe da, er ist gläubig (oder dem Glauben nahestehend); wenn ein Mädchen bescheiden, sittsam, besonnen ist — siehe da, sie besucht die Kirche; wenn in einer jungen Familie Eintracht, gegen­seitige Ehrfurcht herrschen, wenn die Interessen nicht beim kollektiven Gar­ten aufhören — siehe da, kunstvolle Bilder Christi und Marias schmücken ihre Wohnung (und zwar nicht solche »von Mücken betüftelte«, zu denen sie Ihre Propaganda unaufhörlich stempelt). Auch für die Probleme der Welt­anschauung interessieren sich gerade die Menschen dieser Kreise am mei­sten. Die absolute Mehrheit der mir bekannten Ungläubigen lebt so, wie »man so lebt«, zeigen kein Interesse weder für Marxismus noch für Idealis­mus; ihre Interessen drehen sich nur im Karussel der Kariere, der Ambi­tionen, der Vergnügungen. In der Armee konnte man meistens die Gläu­bigen unfehlbar daran erkennen, daß sie keine russischen Flüche benützten und die jüngeren Soldaten nicht mißbrauchten. Sowohl meine religiösen Altersgenossen wie auch die mir bekannten Priester waren meistens gerecht, gebildet und nach dem Guten strebende Menschen. Die Priester Sigitas Tamkevičius und Alfonsas Svarinskas, die zu sibirischem Lager und zu Verbannung verurteilt worden sind, haben schon wesentlich früher als Gorbatschow, schon in den Jahren 1980 bis 1981 die Katholiken aufgefor­dert, das Volk aus dem Unglück des Alkoholismus zu retten. Sehr viele von uns haben damals wie zu Zeiten des Bischofs Valančius das Kreuz küssend geschworen, nüchtern und abstinent zu sein. Die Priester selbst sind ein lebendiges Beispiel dieser von ihnen verkündeten Idee. Sie sitzen im Ge­fängnis. Von denen aber, die zu Zeiten Breschnews einen Alarm wegen der Weinsintflut gemacht hatten, ist, soweit bekannt ist, keiner zu Schaden ge­kommen.

Der am 5. Februar unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall umgekommene Priester Juozas Zdebskis vertrat die Anschauung, daß es das höchste Ideal des Menschen ist, dienende Liebe zu sein. Von seinen Lippen klang es dauernd: »Was ihr jedem Menschen getan habt — Gutes oder Böses — habt ihr Christus getan.« Und dies hat dieser Priester den Massen hilfebedürftiger Menschen durch sein heldenhaftes Leben bewiesen. Er besuchte die Soldaten, die Gefangenen, die Kranken, er erreichte die sibirische Tundra und die Berge im Kaukasus, er fand auch die armselige Hütte eines verlassenen Invaliden.

Wir haben die eine oder andere Erscheinung des Guten im Leben der Gläu­bigen betrachtet. Wer hat ihnen dies alles eingegeben, wer hat es in ihnen erweckt, wer ihnen einsuggeriert? Ist das nicht das leuchtende Ideal der

Person Christi? Und wer vermag all diese Beispiele im Leben aller Christus­liebenden aufzuzählen? Und das noch nach dem Maßstab der Allgemeinheit? Es genügt nur die missionarische Tätigkeit einer Mutter Teresa von Kal­kutta oder eines Albert Schweitzer zu studieren, damit ein objektiver For­scher sich überzeugen kann, welch großes Potential von Menschlichkeit sich in der Ideologie des Christentums verbirgt. Kann man dann die Behauptung des Buches »Paauglys« — »Der Heranwachsende« für richtig halten, daß »das Heranziehen von Kindern zu religiösen Handlungen (...) die Be­wußtseinsentwicklung des Heranwachsenden ungemein schädigt und seinen Verstand mit unnötigen Ideen verseucht«? Das kann man wohl kaum »Be­wußtseinsschädigung« nennen, wenn die davon Betroffenen gewissenhaft ihre Arbeit verrichten, sich nicht besaufen, nicht fluchen .. . Aber die Idee des absoluten Guten, die Idee Gottes als unnötig zu bezeichnen, ist mehr als Bildungsmangel, denn diese Idee kommt der menschlichen Natur wahr­scheinlich am meisten entgegen und wird auch am meisten von ihr begehrt. Vergleichen wir nur die gegenseitige Idealisierung der Liebenden, die Per­sonifizierung der Wahrheit, der Lauterkeit in der neuen litauischen Litera­tur, wo die Helden direkt herausschreien, daß sie an Gott glauben und daß sie in Ihm Kräfte finden, um Ideale verteidigen zu können. Vergl. Beatrice in dem Drama von J. Grušas.

Ihr Artikel erweckt ein Bild, wie wenn der Glaube an Gott, an Christus »im Zeitalter des Kosmos, des Vordringens des menschlichen Denkens in die Geheimnisse des Alls« vollkommen zu verwerfen wäre, als ob er eine Sache sei, die nicht der Rede wert sei, daß nur noch alte Weiber den Kindern etwas erzählen »über die ganz verkehrte Erkenntnis der Herkunft des Menschen und der Entstehung der Welt«. Die Anschauungen der Gläubigen nennen Sie »religiösen Wirrwarr«, wogegen »die Wissenschaft schon seit Jahrhunderten kämpft«. Erlauben Sie mir die Frage — welche Wissenschaft? Vielleicht die Wissenschaft von Newton? Newton nimmt seine Mütze ab, wenn er das Wort »Gott« sagt. Ist das die Wissenschaft des Pawlow? Pawlow verbeugt und bekreuzigt sich, wenn er an einem Bethaus vorbei­geht. Oder die Wissenschaft von Galvani? Galvani ist ein Mitglied des Dritten Ordens, den Sie (sogar in der Presse) mit dem Namen »Betschwe­stern« beschimpfen. Oder ist das vielleicht Ihre individuelle Wissenschaft, die Sie noch nicht entwickelt haben? Jeder, der es nur wissen will, weiß, daß es keine allgemeine Beurteilung der Religion gegeben hat, weder auf dem Gebiet der Lehre noch der Ethik; jeder, der offen das Leben betrachtet, sieht, daß das Evangelium Christi auch heute das Fundament der Weltan­schauung von Millionen von Menschen ist, eine für die Schöpfung inspirie­rende Macht. Schon Dostojewskij bemerkte ganz richtig: »Sie verneinen Gott und Christus, sie überlegen aber nicht dabei, wie dreckig und sünden­voll alles ohne Christus würde.. . Wenn sie Christus beseitigen, beseitigen sie aus der Welt das unvergleichliche Ideal des Guten und des Schönen.«

Vergessen Sie bitte nicht, daß der erste Mensch, der auf der Oberfläche des Mondes ausgestiegen ist, dort eine Schallplatte mit dem Text der hl. Schrift hinterlassen hat; daß der überwiegende Teil der derzeitigen wissenschaftli­chen Größen tief religiöse Menschen gewesen sind; daß auch heute noch die religiösen, ganz konkret die christlichen Ideen humanistische soziale Bewe­gungen, Werke der Musik, der Literatur, der Kunst inspirieren, die inter­nationale Anerkennung genießen. Mit welcher Begründung also verkünden Sie den Glauben Christi als irgendetwas Paläontologisches, Veraltetes, das nicht mehr das Recht habe, im Bewußtsein der Menschen und schon gar nicht in dem der Kinder zu existieren?!

Über die kollektive Unterrichtung der Kinder in der Religion reden Sie als über eine Verletzung des sowjetischen Gesetzes über Gewissensfreiheit. Tatsächlich wurden seinerzeit die Priester Juozas Zdebskis, Prosperas Bubnys, Antanas Šeškevičius gerade wegen solcher Verletzungen des Ge­setzes der »Freiheit« verurteilt. Wie doch diese Prozesse an die Repressalien des zaristischen Rußlands gegen die »Daraktoren« des Volkes zu Zeiten des Presseverbots erinnern! (Daraktor wurden die Lehrer genannt, die zu Zeiten des Schulverbots in litauischer Sprache von Haus zu Haus gegangen sind und die Kinder in Litauen in der litauischen Sprache heimlich unterrichtet haben.) Aber das Wort »Gesetz« hat bei den Menschen des 20. Jahrhunderts nicht mehr den magischen Klang, welchen bei den Afrikanern das Wort »Tabu« früher hatte. Wir wissen, daß sich auch die Nazis leider von den »Gesetzen« leiten ließen, sie verteidigten sich damit auch im Nürnberger Prozeß. Das konnte aber die Verbrecher nicht vor der verdienten Strafe bewahren. Die Pflicht eines Bürgers ist es, darauf zu achten, ob das Gesetz nicht der eigenen Definition widerspreche und ob es menschlich ist; aber man kann sich nicht einfach blindlings anschicken, es zu erfüllen. Allerlei Bestimmungen, die die Weitergabe der religiösen Anschauungen an die Kinder einschränken, sind eine Schande, aber keine Gesetze! Man darf auch nicht behaupten, daß der Mensch frei ist, wenn er seine Überzeugungen nicht frei äußern, seine Einstellung nicht öffentlich zeigen, seine Meinung durch die Presse, durch Radio, Fernsehen nicht sagen darf, wie Sie, die Ungläu­bigen, es heute tun. Gerade auf Grund der Gesetze, die uns Christen ver­bieten, dasselbe zu tun, fühle ich mich in dem Lande, in dem wir laut Gor­batschow alle die Hausherren sein sollten, benachteiligt und diskriminiert, denn es gibt kein Presseorgan, in dem ich meine christlichen Anschauungen zu den in der Gesellschaft herrschenden Erscheinungen äußern könnte; es gibt keine Buchhandlung, in der ich mir religiöse, philosophische Literatur, Dichterwerke, christliche schöne Literatur wie z. B. das durch den Nobel­preis anerkannte »Quo vadis« von H. Sienkewitsch kaufen könnte; es gibt keinen Kinosaal, in dem ich einen Film anschauen könnte, der die Probleme des Lebens, der Sittlichkeit, des Schönen nach Ansicht eines Christen inter­pretiert; es gibt keinen Kindergarten es gibt keine Schule, wo die gläubigen Kinder nicht dauernd einseitig (nicht selten durch Beschimpfung, Ver­spottung, Lockung durch Privilegien) gegen ihre religiösen Überzeugungen erzogen würden. Haben vielleicht wir Christen, die den größten Teil der Einwohner ausmachen, selber uns diese Lage gewählt? Hat vielleicht die christliche Jugend, haben die Priester, die Gebildeten keine Talente, um künstlerische Werke, um Organisationen der Bildung, der Kultur, der Cari­tasbewegung schaffen zu können, wie es z. B. im sozialistischen Polen oder Ungarn gemacht wird? Wenn es bei uns so etwas nicht gibt, dann bedeutet es nur, daß die Massen der Gläubigen gezwungen sind, das alles in sich er­sticken zu lassen und daß sie das nicht zeigen dürfen. Und wer erstickt das alles? Mit welchem Recht? Das ist ein abscheulicher unmenschlicher Akt. In welcher Beziehung sind wir Gläubigen schlechter als die Atheisten? In welchem Sinne sind wir »frei und gleichberechtigt«? Erlauben Sie eine öffentliche Diskussion über Fernsehen oder Radio — das Volk soll selbst beurteilen und entscheiden, wo die Wahrheit ist. Ihr tut es aber nicht, und die Ursachen dafür können nur zwei sein: Entweder fühlen Sie in der Tiefe Ihres Herzens, daß Sie ungerecht sind und unfähig zum Diskutieren, oder Sie betrachten das eigene Volk als noch unmündig, noch nicht bewußt genug, noch nicht unterscheidungsfähig, so daß es Ihrer »Wahrheit« noch nicht glauben und unsere »Lüge« annehmen könnte. Es ist ernstlich anzunehmen, daß es tatsächlich so sein könnte. Vielleicht hat deswegen weder in der Presse noch in der Sendung »Argumente« die Diskussion zwischen den Gläubigen und Atheisten bis jetzt noch nicht begonnen. Ihr seid mutig und gerecht nur im Monolog! Das ist aber die Gerechtigkeit einer Diktatur!

Wenn ich auch die marxistische Weltanschauung in ihren Grundlagen als falsch betrachte, so gewann ich seit meinen Studienzeiten eine ihrer Thesen lieb, die sich dauernd gegen sich selbst wendet: »Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis des Lebens.«

Als die Ungläubigen mir drohend zugeschrien haben: »Gehorche und handle!«, haben die Gläubigen gesagt: »Überlege, ob es gut oder schlecht ist.«

Als die Ungläubigen mich verachtet und verflucht haben, haben die Gläu­bigen Mitleid mit mir gehabt, mich unterstützt, für mich gebetet, damit ich aushalte.

Als die Ungläubigen, denen ich begegnet bin, meistens vom Haß, vom Geschlechtstrieb, von ungezügelten Ambitionen hin- und hergeworfene Menschen waren, zeichneten sich meine Bekannten, die Gläubigen, durch kristallklare Klarheit, Selbstlosigkeit, Treue zur Wahrheit (sogar bis zu einer persönlichen Hingabe wie bei den Priestern Sigitas Tamkevičius, Al­fonsas Svarinskas, Jonas-Kąstytis Matulionis und Juozas Zdebskis) aus.

Sehen Sie, ich habe die Praxis des Lebens als Kriterium der Wahrheit aus­genützt, und deswegen bin ich ein Christ. Deswegen verteidige ich das Recht, die eigenen Überzeugungen den anderen mitteilen zu dürfen, das Sie mit Ihrem Artikel absprechen möchten. Deswegen halte ich jenes Bildungssystem für eine wahre Schule der Heuchelei, in der Sie tätig sind. Ich habe sie ohne Verkrüppelung meiner Seele durchgemacht, weil ich in meiner Kindheit pflichtbewußten Priestern und opferbereiten »Daraktoren« des Volkes be­gegnet bin, die ohne Furcht vor drakonischen Gesetzen und drohenden Gefängnisstrafen mich gut im Katechsmus unterrichtet haben!

Ehre sei ihnen, den Verteidigern der Person und der geistigen Freiheit der Menschheit!