Priester Sigitas Tamkevičius schreibt:

»(        ) Bei meiner jetzigen Arbeit an einer Werkbank kann ich den ganzen

Tag meditieren, beten, Kreuzwegstationen begehen. So sieht meine Fasten­zeit, so sehen auch meine Exerzitien aus, und nach der Arbeit möchte man am liebsten gar nichts mehr, weder etwas tun, noch etwas lesen. Und so vergehen die Tage, einer nach dem anderen. Bei der Betrachtung des Kreuzweges Christi erinnere ich mich in meinem Gebet an alle Veronikas, alle Zyreneer, die auf die eine oder andere Weise durch ihr Gebet oder ihre Briefe schon seit fast fünf Jahren mit mir sind; Durch ihren Idealismus oder ihre Solidarität haben viele von ihnen mir den Schweiß vom Gesicht gewischt und mir meine Last abgenommen. Die Hilfe der einen habe ich gesehen, von den anderen wußte ich, die dritten spürte ich, ohne mich zu täuschen, neben mir. Mein Gott, wie gut ist es zu leben, wenn man so viele Menschen und liebende Herzen neben sich sehen oder wenigstens fühlen darf. Diese Menschen trifft der Haß, die Unfreundlichkeit und Gleichgül­tigkeit der Welt. Deswegen allen Veronikas und allen Zyreneern tausend­fach „Vergelts Gott".

Vor kurzem haben wir alle über das Zentralfernsehen den Film über Prie­ster Alfonsas Svarinskas gesehen. Auch der Hauptdarsteller dieses Films hat zugeschaut. Anschließend folgten Kommentare und Gratulationen.

Es zeigt sich, daß man das Gesicht eines guten Priesters in jedem beliebi­gen Spiegel erkennen kann. Selbstverständlich nur dann, wenn die Sehkraft nicht zu stark geschwächt ist.

Ich habe viele Artikel in den Zeitungen über die Priester gelesen. Gebe Gott, daß immer mehr Idealisten und Männer der Opferbereitschaft das Priesterseminar abschließen, und kein einziger Mietling, kein einziger Zöll­ner, der nur um den eigenen Sack besorgt ist. Welch eine große Verantwor­tung liegt auf den Schultern der Priester dem Volke Gottes gegenüber. Der Erlöser könnte womöglich einigen vorwerfen: „Konntet ihr nicht eine Weile mit mir wachen?" (vergl. Mk. 14, 37). Nur Menschen der Opferbereit­schaft können den Weg weisen und führen. Der heutige Mensch wendet sich mit Verachtung ab von solchen Hirten, die das eine reden, aber anders leben. Ein Priester muß durch sein Leben wie eine Sonne scheinen, andernfalls - wehe ihm!

Ich warte auf die hl. Ostertage. Die Schritte des Frühlings sind auch in den Bergen des Urals schon hörbar, die Sonne scheint schon lustiger, der Wind ist schon rücksichtsvoller geworden. Bis Sie diesen Brief erhalten, wird bestimmt schon der Palmsonntag, oder vielleicht auch schon Ostern sein. Ich begrüße euch alle, versammelt vor dem leeren Grab Christi: Er ist nicht hier! Er ist auferstanden! Alleluja! Er ist aber in uns und mit uns. Und zwar nicht nur dann, wenn wir in unserem kleinen Kämmerlein beten oder Schmerzen erleiden, sondern auch dann, wenn wir voller Unruhe sind, wenn wir in unserer Unvernunft vor dem Kreuz Christi davonrennen. Er ist immer mit uns, und deshalb immer Alleluja! Ich wünsche Euch allen klare österliche Freude. Allen, die die Liebe des Herrn kennengelernt haben und an sie glauben, drücke ich die Hand und erinnere an die Worte des Lieblingsschülers Jesu: „Alles, was aus Gott geboren ist, besiegt die Welt" (1. Joh. 5, 4). Wer das Fest des Siegers über Tod und Sünde bewußt begeht, der ist Verkünder und Träger des Sieges des Herrn selbst.«

Am 8.3.1988

 

Priester Alfonsas Svarinskas schreibt:

»(...) Ich grüße Sie herzlichst und durch Sie auch alle meinem Herzen teu­ren und lieben Pfarrkinder, Freunde und alle Bekannten. Behüte Euch der Herrgott und Seine Gnade führe alle in neue Höhen der Heiligkeit.

Ich freue mich, daß Sie alle meine Briefe des vorigen Jahres erhalten haben, ich aber habe von Ihnen ein ganzes Drittel nicht bekommen.

Ich glaube, daß Sie nur teilweise recht haben mit der Behauptung: „Man hört nichts Erfreuliches, sondern immer nur Bedrückendes..." Ist es nicht erfreulich, daß mir sogar mehrere Zeitungen viel Platz auf ihren Seiten gewidmet haben und in Kinos wie auch im Fernsehen von Moskau und Vilnius ein Film von mir gezeigt wurde? Eine Minute in Moskaus Fern­sehen kostet 362 Rubel. Wie groß ist dann die Summe für eine halbe Stunde! Es ist wahr, es gibt viel Unwahrheit darin (beispielsweise, daß ich freiwillig einverstanden war, gefilmt zu werden usw.), ist das aber so wich­tig? Sie haben mich damit in der ganzen Sowjetunion bekanntgemacht. Meine Freunde haben mir die Hand geschüttelt. Ich könnte jetzt die Wah­len gewinnen. Ich brauche das aber alles nicht! Ich bin ein Priester, und nur ein Priester! Und ich werde auch nur ein Priester bleiben! Ich kann nur mit dem Heiligen wiederholen: „Nicht mir, Herr, nicht mir, sondern deinem Namen schaffe Ehre". Mir aber, und uns allen, ist nur das eine nötig: Überall und immer den Willen Gottes erfüllen, der heilig und unbe­streitbar ist. Immer habe ich mich bemüht und bemühe mich auch jetzt, den Willen Gottes mein ganzes Leben lang, heilig und mit einem Lächeln in meinem Herzen und auf meinen Lippen zu erfüllen, denn „Gott liebt den fröhlichen Geber", wie der hl. Lukas sagt.

Wundert Euch nicht wegen meiner Adresse. Mir ist sie gleichgültig. Unsere letzte Adresse ist im Himmel. Nur diese Adresse darf man nicht verlieren oder vergessen. Die Oblaten für den Heiligen Abend wurden hier aus Ihren Briefen und aus den Briefen der anderen in den Abfallkasten geworfen. Hier gibt es nichts Heiliges! Von der Umgestaltung gibt es bei uns beinahe nichts zu sehen!

(...) Es ist schade, daß es nicht möglich ist, alle Briefe zu beantworten. Ich hoffe aber, daß alle meine Lage gut verstehen können, mir vergeben und mir auch weiter schreiben werden.

Ich danke meinen Mitbrüdern im Priesteramt für das Gedenken und das monatliche Opfer der hl. Messe in Viduklė. Ihr werdet auch heute in der Heimat beten, ich aber hier, zusammen mit Priester Sigitas. Unsere Gedan­ken sind frei, niemand wird sie aufhalten oder in Ketten legen können. Ich danke allen, allen, die sich meiner im Gebet, in Worten oder in Briefen erinnern.

Jetzt geht es mir gut, ich darf meine Beichte in Litauisch ablegen und mich auch Litauisch unterhalten. Wie oft habe ich gebeten, mir eine Gelegen­heit für eine Beichte zu geben, war aber alles vergebens.

Gott hat es so eingerichtet, daß ich niemandem dankeschön zu sagen brauche. Wie wundervoll sind die Wege Gottes!

In der letzten Zeit begann meine Gesundheit etwas zu schwanken: Ich habe Kreuzschmerzen und der Blutdruck ist etwas angestiegen. Die Krank­heit läßt es eigentlich nicht zu, daß ich arbeite oder Schweres hebe. Das

Leben zwingt mich aber dazu... Jetzt habe ich vier Tage von der Arbeit frei bekommen, so werde ich mich ausruhen und ausschlafen können, und weiter werden wir schon sehen. In die Küche werde ich nicht mehr zurück­kommen, weil man dort 12 Stunden arbeiten und täglich Töpfe voll mit 40-50 Litern heben muß.

Ich werde mich bemühen, meine Gesundheit etwas wiederherzustellen, aber hier sind die Möglichkeiten mehr als begrenzt. Und wieder: Sein heiliger Wille geschehe.

Ich blättere in litauischen Zeitschriften herum. Besonders interessant war die letzte Plenarsitzung. Es zeigt sich, daß es keinen Grund zu einer Belo­bigung gibt. Es ist schade, daß auch das moralische Gesicht nicht besser wird. Die Zeitschriften behaupten, daß die Produktion Selbstgebrannten Schnapses um sich greift. Außerdem wird der Name Litauens auch in Ver­bindung mit Drogenschwarzhandel oft genannt. Kann man also nach all dem von einem Erfolg, von einer Kultur reden? Es ist schade, daß ich weit von Litauen weggebracht worden bin und mich nicht in einen aktiven Kampf für eine hellere Zukunft der Heimat einschalten kann. Meine Brü­der sollten nicht schlafen, sondern mit allen ihnen zur Verfügung stehen­den Mitteln gegen diese Übel kämpfen, sonst wird sie sowohl die Geschichte wie auch Gott verurteilen. Wie grausam ist es zu sterben, ohne ein Zeichen hinterlassen zu können, ein Mensch gewesen zu sein.

Solange ich in der Küche gearbeitet habe, habe ich wenig Zeit gehabt. Ich konnte kaum noch die Zeitschriften lesen, von einer ernsten Arbeit, von Selbstbildung, konnte überhaupt keine Rede sein. Aus diesem Grund bin ich in meinem Programm ziemlich weit zurückgeblieben. Mein Gesund­heitszustand erinnert mich dauernd daran, daß man auch die Sprache der Heiligkeit gut beherrschen sollte. Nur sie allein ist der Garant einer glück­seligen Ewigkeit.

Sonst bin ich ganz ruhig und zufrieden mit meinem Lebensweg. Ich tue, was ich kann, alles andere überlasse ich dem Himmel. Wenn es möglich ist, werde ich den Dienst am Altar verrichten, geht es nicht, wird der Herr mich nicht anklagen. Sonst habe ich mich mit allem versorgt, bin, Gott sei Dank, nicht hungrig, in meinem Geiste vollkommen frei, von meinen Freunden nicht vergessen und beliebt.

Ich schaue jeden Tag eine halbe Stunde lang im Fernsehen die inneren und ausländischen Ereignisse an, und so orientiere ich mich für meinen eige­nen Bedarf.

Die Fastenzeit verbringe ich ruhig. Die Monate Januar und Februar waren für mich innerlich stimmungsvolle Monate. Ich habe jeden Tag volkstüm­liche und kirchliche Lieder gesungen.

Es ist noch Fastenzeit. Ich betrachte jeden Tag das Leiden Christi: Am Mittwoch, Freitag und Sonntag begehe ich gemeinsam mit den Gläubigen von Viduklė den Weg des Leidens des Herrn und ständig bitte ich Gott, daß die Gläubigen von Viduklė auf dem Weg zu Gott nicht müde werden sollen.

Am Freitag und Sonntag weilt meine Seele in Litauen, besonders aber in den Pfarreien, in denen ich gearbeitet habe. Solche Tage sind für mich besonders schwer. Aber andererseits, möge dies ein Opfer für meine per­sönlichen Sünden und die Sünden meines Volkes sein.

Es wäre gut, wenn einer der Priester mir über die liturgische Reform etwas schreiben würde. Es war doch vorgesehen, alle 10 Bände bis 1985, d.h. in 10 Jahren, herauszugeben. Bis jetzt aber, soweit ich lesen konnte, wurden nur 4 herausgegeben. Warum?

Was ist zu Ehren des seligen Erzbischofs Jurgis getan worden, und was erlaubt nun der Codex des Kirchenrechts?

Zum Schluß grüße ich alle noch einmal.«

Am 26.2.1988.

Aus einem Brief von Gintautas Iešmantas :

„(...) In meiner Verteidigungsrede im Gerichtsprozeß gegen mich habe ich vor sieben Jahren den Gedanken zum Ausdruck gebracht, daß ich mich glücklich fühlen würde, wenn meine Schritte wenigstens einigen Menschen etwas Hoffnung spenden und ihnen den Weg weisen könnten. In dem damals vorgetragenen Gedicht, das ich in den Kasematten des Sicherheits­dienstes schuf, drückte ich die Hoffnung so aus:

Wir geben alles her, o Freiheit, deinetwegen:

Unsere Ruhe und Liebe, den Erfolg und die Hoffnungen dazu,

Die Freuden der Familie haben wir dir zu Füßen gelegt,

Dir haben wir unseren Mut und unsere Zukunftsträume geopfert.

Das Herz erbebte nicht allzusehr von den Gefahren,

Mit denen du die Kampfesschritte immerfort begleitest.

Du unser Stern, du Hoffnung und Erlösung.

Die Sehnsucht nach dir, o Freiheit, hat unser Inneres entflammt...

Ich sehe, daß unsere Hoffnung und unser Vertrauen nicht umsonst waren. Am erfreulichsten ist, daß sich junge Herzen darauf melden. Unsere Hoff­nung, die Zukunft des ganzen Landes, ist doch die Jugend. Das Eis wird erst dann in Bewegung kommen, wenn die, die erst in das Leben eintreten, die Wahrheit erblicken und, in Sehnsucht nach ihr und der Freiheit ent­flammt, die Kraft und den Sinn finden, auf alle materiellen Güter und Vor­teile zu verzichten, und den Mut finden, sich für hohe und erhabene Ziele zu opfern.

Niemand muß sich entschuldigen, weil wir unseren Weg so spät entdeckt haben. Es ist niemals zu spät. Mein Schritt in das Licht und zu meinem Entschluß war wesentlich länger und komplizierter. Sie haben den Stern gerade rechtzeitig erblickt, noch in Ihrer Jugend, in der Zeit also, in der alles noch vor uns steht. Das genügt aber noch nicht. Man muß der ent­deckten Wahrheit so glauben, daß man für sie leichten Herzens auch auf einen Scheiterhaufen steigen könnte, ohne zu zaudern, ohne zu zweifeln. Das ist nur dann möglich, wenn man davon überzeugt ist, daß diese Wahr­heit wahrhaftig die wahre Wahrheit ist. Und nur sie allein muß zum Wesen und zum Ziel des menschlichen Daseins werden.

Wenn der Mensch keine festen Überzeugungen besitzt, schaut er oft nach den anderen, er ist unselbständig, und wenn er sieht, daß er nichts hat, worauf er sich stützen kann, beginnt er hin und her zu wanken, verliert den Mut oder bricht sogar zusammen. In den Lagern bin ich solchen Menschen begegnet. (...)

Du ziehst auf dem Weg hinaus, auf dem es nichts gibt, worauf du schauen kannst. Du bist dir selbst die ganze Stütze, wenn dir im Schmerz scheint, daß die Türme zusammenstürzen, die Eisschollen bersten.

Durch die Fügung im Kampfe ruhmvoll geworden, mußt du auch anderen noch helfen sich zurechtzufinden. - Spenden uns dann nicht die stattlichen Eichen die Kraft?

Du warst doch nichts. Heute mußt du über dich selbst hinaussteigen, mußt überhaupt vergessen, wie spät es ist. Und es gelingt dir, den Traum durchs Streben zu vertreiben.

Sogar in der Finsternis - denk dran - gibt es ein Licht. Du bist die Fortset­zung ihrer (grenzenlosen) Unruhe.

Das ist also die Aufgabe, die auf uns wartet! Wir befinden uns in der Lage, in der nur wir selbst uns helfen können. Kompromisse fügen dem Ziel, nach dem wir streben, nur Schaden zu, der nicht leicht gutzumachen ist.

Ich glaube an junge Herzen. Ihre Wärme wird das Eis schmelzen und die Wege für die Freiheit öffnen."

Am 28.12.1987.