Zum Gedenken an das 1000-jährige Jubiläum der Taufe der Kiewer Rus'.

Nachdem der Fürst Wladimir im Jahre 988 die Taufe im byzantinischen Ritus aus Konstantinopel angenommen hatte, unterstand die Kiewer Rus' in kirchlicher Hinsicht direkt dem Patriarchen von Konstantinopel. Als der Patriarch von Konstantinopel Kerularius sich 1054 von Rom trennte, riß die Kiewer Rus' nicht sofort ihre Verbindungen zu dem Nachfolger Petri in Rom ab. Sogar noch im Jahre 1458 nahm der Metropolit von Kiew Gregor die Bischofsweihe in Rom an. Die Orthodoxie begann sich viel später unter den Christen der Kiewer Rus' zu verbreiten, besonders dann, als Moskau mächtiger wurde und sich bemühte, die Bewohner der russischen Gebiete, die zum Großfürstentum Litauen gehörten, wenigstens in seiner kirch­lichen Abhängigkeit zu behalten.

Als Widerstand gegen diesen fremden Einfluß und als Treuebekundung gegenüber dem Nachfolger des Apostels Petrus verkündete die Mehrheit der Bischöfe Litauens der orthodoxen Kirche im Jahre 1596 in Brest Litowsk ihre Einheit mit dem Apostolischen Stuhl mit Beibehaltung des griechischen Ritus und der slavischen Sprache als liturgischer Sprache. Bei­nahe 400 Jahre lang blieb diese Idee der Union im Herzen der Katholiken der Ukraine und Weißrußlands in der orientalischen Liturgie lebendig. Zahlreiche Märtyrer haben ihr Blut vergossen oder ihr Leben für diese Union mit Rom geopfert (der Erzbischof von Polock Josaphat Kuncevičus, der Jesuitenpater Andreas Bobola). Besonders viel Blut wurde vergossen und viele Lebensopfer wurden dargebracht in den schweren Zeiten des Verbots der Union (in den Jahren 1839 bis 1905) und im Jahre 1946; die Schwierigkeiten dauern aber auch in unseren Tagen an.

Solche Geschehnisse wie die von Kražiai und Kęstaičiai in Litauen wieder­holten sich dort zu diesen Zeiten fast jährlich.

Da heuer des 1000-jährigen Jubiläums der Taufe Rußlands gedacht wird, versucht die von der sowjetischen Regierung unterstützte orthodoxe Kirche in den Gebieten der Westukraine und Transkarpatiens dieses Jubiläum als Feier zur Festigung der Orthodoxie zu begehen. In diesen von den Katho­liken des orientalischen Ritus bewohnten Gegenden werden bei jeder Kir­che, die den unierten Katholiken weggenommen worden ist, große ortho­doxe Kreuze aus Eichenholz errichtet, obwohl bis jetzt sogar die orthodo­xen Christen hier (z. B. auf den Friedhöfen) nur lateinische Kreuze errich­tet hatten. Die christliche Ukraine begeht ihr 1000-jähriges Jubiläum der Taufe, die sie in Einheit mit der Römisch-Katholischen Kirche empfangen hat, auf dem schweren Weg der Katakomben. Ihr schweres Los in diesem

Jubiläumsjahr offenbart eine Erklärung der Gläubigen des Dorfes Bub-nischtsch im Rayon Dolin in der Ukraine, die vor kurzem an den General­sekretär des ZK der KPdSU M. Gorbatschow gerichtet wurde:

»Wir, die gläubigen Katholiken des orientalischen Ritus (oder wie immer man uns nennen mag, Mitglieder der Unierten Katholischen Kirche der Ukraine), wünschen sehnlichst, daß Perestroika und Glasnost auch uns erfasse, damit Sie, verehrter Sekretär, und auch alle Glieder der Gesell­schaft endlich begreifen können, daß auch wir sowjetische Menschen sind wie alle anderen.

Bis heute wird viel über uns in Büchern geschrieben, im Radio und Fern­sehen gesprochen, leider aber verdreht, falsch und mit der Atmosphäre der Offenheit unvereinbar. Auch in letzter Zeit, wo auf anderen Gebieten unseres öffentlichen Lebens die Offenheit immer mehr an Rechten gewinnt, wird über uns die Unwahrheit gesprochen. Als Beweis möchten wir Sie auf den Artikel von Orest Michaliuk, veröffentlicht in „Iswestija" Nr. 357, 1987, hinweisen:

„Der Dienst, den die Hierarchie der Unierten den Hitler-Besatzern erwie­sen hat, diese teuflische Allianz mit den Banditen, das war es, was den Gläubigen endgültig die Augen geöffnet hat für deren wahres Gesicht. Deswegen sind die Bemühungen der patriotisch gesinnten Geistlichen und Gläubigen begreiflich, sich von der profaschistischen Obrigkeit der Unier­ten abzugrenzen und ein für allemal mit der Union von Brest ein Ende zu machen. Im Jahre 1946 fand in Lwow, unter der Leitung des bekannten kirchlichen Funktionärs Gawril Kostelniuk, der später von Banditen umge­bracht wurde, eine große Vollversammlung der Unierten (Katholiken des griechischen Ritus) statt, die beschloß: ,Die Beschlüsse der Versammlung von Brest im Jahre 1596 zu annullieren, die Union aufzulösen, sie vom Vatikan zu trennen und zum heiligen orthodoxen Glauben unserer Ahnen zurückzukehren, sich also der orthodoxen Kirche Rußlands anzuschlie­ßen'."

Wenn man diese Worte liest, fragt man sich, wer wohl besser Bescheid weiß über uns, als wir selber? Deswegen haben wir auch beschlossen, sel­ber über uns zu schreiben, damit auch die anderen uns richtig verstehen können.

1. Wir, die gläubigen Katholiken des orientalischen Ritus, sind gewissen­hafte Bürger der Sowjetunion, und nicht deren Feinde. Wir arbeiten zum Wohle aller Mitglieder unserer Gesellschaft und begehren Frieden für die ganze Welt. Wir erheben keine politischen Forderungen, sondern bitten nur, daß man mit uns, Katholiken des orientalischen Ritus, so umgeht, wie es die sowjetischen Kulturgesetze und die Verfassung der UdSSR verlangen.

2. Alle sollten begreifen, daß den Glauben zu wechseln und einen anderen anzunehmen, nicht gar so leicht und einfach ist. Ein massenhafter Übertritt zu einem anderen Glauben ist niemals freiwillig, und eine Vergewaltigung des Gewissens ist grausamer als der Tod ! Als die Christen der ersten Jahr­hunderte gezwungen wurden, ihrem Glauben zu entsagen, wählten sie lie­ber den Tod. So war es auch in dem Falle der Versammlung von Lwow im Jahre 1946. Ihre Forderungen, aus dem katholischen Glauben in die Ortho­doxie überzuwechseln, war Für uns, die Katholiken, unvollziehbar. Gegen unser eigenes Gewissen handeln können wir nicht. Die Verfassung und das internationale Recht garantieren uns das Recht, den Glauben zu bekennen, den wir bekennen wollen. Und deswegen haben die Teilnehmer der Ver­sammlung von Lwow nur Für sich selbst die Entscheidung treffen können, ob sie den katholischen Glauben mit dem orthodoxen vertauschen wollen oder nicht. Wenn sich ein Katholik freiwillig für den orthodoxen Glauben entscheidet, dann ist es seine Gewissensangelegenheit. Niemand hat das Recht, ihm dies zu verbieten.

Wenn die Versammlung von Lwow im Jahre 1946 beschlossen hätte, den protestantischen oder mohammedanischen Glauben zu übernehmen oder einer Sekte beizutreten, hätten wir dann gegen unser Gewissen diesem Beschluß folgen müssen?! Außerdem nahm an der Versammlung von Lwow im Jahre 1946 kein einziger Bischof der Katholiken des orienta­lischen Ritus teil. Und wenn auch ein einziger an dieser Versammlung teil­genommen und sich von der katholischen Kirche losgesagt hätte, sind wir, die wir Katholiken geblieben sind, nicht verpflichtet, ihm zu folgen.

Deswegen verlangt die Gerechtigkeit, daß neben der orthodoxen Kirche auch die Kirche der Katholiken des orientalischen Ritus wiedergeöffnet und ihre Pfarreien zugelassen werden, damit wir nach unserem Gewissen beten dürfen. Gebt dem Volke die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wel­chen Glauben es bekennen will. Weder die Versammlung von Lwow, noch der Papst in Rom oder der Patriarch Pimen können durch Zwang bestim­men, diesen oder jenen Glauben zu bekennen. Ein aufgezwungener Glaube ist kein Glaube.

Orest Michaliuk schreibt, daß die Oberhäupter der Hierachie der Unierten mit den Leuten Hitlers zusammengearbeitet hätten, und deswegen hätten die Gläubigen beschlossen, ihren Glauben zu wechseln und sich vom Vati­kan zu trennen. 0. Michaliuk begreift wahrscheinlich nicht, daß das Ver­halten der Menschen, die hohe Posten innehaben, das eine ist, der Glaube aber etwas ganz anderes. Der Glaube wird nicht nach dem Verhalten der einzelnen Menschen beurteilt, sondern aus dem, was er lehrt. Unter den Aposteln ist auch Judas, der Verräter, gewesen, aus dieser Tatsache aber den Schluß zu ziehen, daß der Glaube Christi den Verrat lehrt, wäre unlogisch.

Man müßte verstehen, daß die Katholiken des orientalischen Ritus und die Katholiken Roms dieselben Glaubenswahrheiten bekennen, dieselben von Christus eingerichteten Sakramente praktizieren, demselben Papst in Rom gehorchen. Ihre Anschauungen bezüglich der sowjetischen Regierung sind dieselben, wie die der römischen Katholiken. Der Unterschied besteht nur in der Liturgie und der in dieser Liturgie verwendeten Sprache. Und das gerade ist eine innere Angelegenheit der Kirche. In solche Angelegenhei­ten mischt sich die sowjetische Regierung nach dem Gesetz nicht ein. Wenn in den Kriegsjahren manche hohe Geistliche oder einfache Gläubige sich nicht so verhielten, wie man sollte, dann bedeutete es noch nicht, daß man deswegen den Glauben ablehnen muß. Das war ihre persönliche Schuld, die Kirche aber und der Vatikan haben damit gar nichts zu tun. Wir wissen doch, daß es Soldaten, Offiziere, Lehrer gab, die mit den Deut­schen zusammengearbeitet haben; es gab auch orthodoxe Geistliche, die mit ihnen kollaboriert haben, es kommt aber niemandem in den Sinn, daß man aus diesem Grunde das Militär verjagen, die Schulen auflösen oder den orthodoxen Glauben verbieten sollte.

Wir achten nicht darauf, was einzelne Personen getan haben, sondern dar­auf, was uns der Glaube Christi lehrt. Und er lehrt uns die Gebote Gottes und die gerechten Gesetze des Staates einzuhalten und Liebe unter den Völkern, Staaten und Rassen zu üben.

Wir also, die Bürger des Dorfes Bubnischtsch (Gebiet Iwano-Frankiwsk, Rayon Dolin, USSR), sind so, wie wir vor der Versammlung von Lwow im Jahre 1946 Katholiken waren, auch nach dieser Versammlung Katholiken geblieben und sind es bis jetzt. Bis 1983 konnten wir eine katholische Kir­che des griechischen Ritus in unserem Dorfe besuchen. Im Oktober 1983 hat die Miliz unsere Kirche geschlossen, die Ikonostasis zerschlagen, die Banner und das andere Inventar der Kirche weggefahren. Auf diese Weise haben sie uns, die Gläubigen, gekränkt. Ähnlich ging man im Jahre 1983 auch gegen eine Reihe anderer benachbarter Pfarreien der Katholiken des griechischen Ritus vor. Den sowjetischen Gesetzen nach genügen 20 Gläu­bige, damit eine religiöse Gemeinschaft angemeldet werden kann. In unse­rem Dorfe leben mehr als 300 Katholiken. Wir bitten Sie inständig, eine Anweisung zur Eröffnung einer katholischen Kirche des griechischen Ritus im Dorf Bubnischtsch zu geben und.einem katholischen Priester des orien­talischen Ritus zu erlauben, hierher zu kommen. Der Priester wird dann keine Verbindungen mit Hitlers Faschisten gehabt haben und kein bour­geoiser Nationalist sein.

Das wäre ein wichtiger Beitrag für die weitere Demokratisierung unserer Gesellschaft. Wir wären dafür sehr dankbar und würden mit noch größerer Aufopferung für das Wohl unseres Vaterlandes arbeiten...«

Bislang konnte man noch nichts hören, daß eine positive Antwort gekom­men wäre. Die Katholiken Litauens unterstützen durch ihre Gebete und ihre Solidarität die katholische Kirche des orientalischen Ritus in der Ukraine in ihrem edlen Kampf für die elementarsten Menschenrechte.

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Bemerkung. Nach vorliegenden Meldungen versucht eine Gruppe liberal gesinnter Personen, unter dem betrügerischen Vorwand der Zustimmung der zuständigen Personen, den Leitartikel der „Chronik d. L. K. K." Nr. 75 zu widerrufen. Der Verfasser dieses Artikels wird beschuldigt, engstirnige Anschauungen zu vertreten und Nichtkatholiken gegenüber intolerant zu sein. Deswegen wird er Antisowjetler genannt. Unter dem Begriff Toleranz versteht man aber auch die Freiheit, mit gerechten Mitteln anzustreben, daß die ganze Gesellschaft den von der einen oder anderen Gruppe befür­worteten Ideen zustimmt. Deswegen erklären wir noch einmal: Nach unse­rer tiefsten Überzeugung werden nicht die Transparente, Flaggen oder die Parolen „Freies Litauen!" die wirklich wahre und vollkommene Freiheit dem Volke bringen. Die Geschichte liefert Beweise genug dafür, daß die eigene Regierung manchmal nicht besser war als die der Besatzer. Man muß für die Freiheit reif werden und sich ihrer würdig erweisen. Deswegen fordern wir alle unsere Volksangehörigen in der Heimat wie auch in der übrigen Welt auf, in erster Linie zu Gott zurückzukehren und in vollem Ernst seine der Menschheit gegebenen Gebote einzuhalten. Sünde ist die größte Sklaverei der Welt.

Die in der „Chronik d. L. K. K." veröffentlichten Artikel zu widerrufen, hat allein die „Chronik d.L.K.K." das Recht. Von irgendwelcher Seite kommende Deutungen oder sogar Versuche, sie zu widerrufen, bitten wir als unberechtigt zu betrachten.

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Litauer, vergiß es nicht, daß Priester A. Svarinskas Priester S. Tamkevičius B. Gajauskas P. Gražulis V. Petkus G. Iešmantas

und andere die Ketten der Unfreiheit tragen, damit du frei leben und glauben darfst!