Im Sommer 1971 sollte der Bischof zur Spendung des Sakra­mentes der Firmung nach Raseiniai kommen. Die Priester des Rayon hatten die Weisung erhalten, die Glaubenskennt­nisse der Firmlinge zu überprüfen und an sie Zulassungs-kärtchen auszugeben.

Der Pfarrer von Girkalnis, P. Bubnys, gab daraufhin sei­nen Gläubigen bekannt, daß die Eltern ihre Kinder zur Prüfung in die Kirche bringen könnten. So haben die Eltern es auch gehalten. Eines Tages drang eine Gruppe von Vertretern des Exekutivkomitees des Rayons Raseiniai in die Kirche ein. Als sie eine Gruppe von Kindern vor­fand, die auf ihren Pfarrer warteten, forderten die Vertreter die Kinder auf, mitzukommen, und schleppten sie durch das Dorf zur Feuerwache; dort zwang man sie durch Einschüchterungen und Drohungen, Erklärungen zu schrei­ben, denen zufolge Pfarrer Bubnys ihnen Unterweisung in Glaubenswahrheiten erteilt hätte. Die Kinder waren so eingeschüchtert, daß sie zu weinen anfingen, und einige wurden später sogar krank.

Am 12. November 1971 tagte in Raseiniai ein Volksgericht. Das Recht, an der Gerichtssitzung teilzunehmen, hatten nur Zeugen und Funktionäre. Die Gläubigen mußten draußen vor der Tür stehen. Keiner hatte damit gerechnet, daß Pfarrer Bubnys verurteilt werde - denn die Regierungs­funktionäre hatten ihn nur beim Examinieren eines ein­zelnen Kindes angetroffen, während die anderen Kinder in der Kirche gewartet hatten, bis sie an der Reihe waren. Erst als die Richter sich zur Beratung zurückgezogen hatten und vor dem Gerichtsgebäude ein Milizwagen vorge­fahren war, wurde allen Anwesenden klar, daß Pfarrer Bubnys verurteilt werde. Im Namen der Litauischen SSR beschloß das Gericht dann, Pfarrer Bubnys für schuldig zu befinden, und verhängte eine Strafe von einem Jahr zur Verbüßung in einem Lager strengen Regimes. Nach der Urteilsverkündigung wurde Pfarrer Bubnys festgenommen und unter Tränen der Gläubigen zum Gefängnis Lukiškis abtransportiert.

Bereits vor der Gerichtsverhandlung hatte Pfarrer P. Bubnys seine Verteidigungsrede verfaßt, die wir hier folgen lassen:

Hohes Gericht,

ich habe die verantwortungsvolle Bürgerpflicht, zu einer wichtigen Lebensfrage Stellung zu nehmen: habe ich mich durch Religionsunterricht schuldig gemacht? Da erhebt sich die Frage, ob das Bekenntnis des Glaubens (nicht ein Bekenntnis vor Bäumen und Steinen, sondern im Ange­sicht der Menschen) und damit auch dessen Verkündigung in sich schlecht und verboten ist? Wenn dies nicht verboten ist: habe ich dann das Recht und die Pflicht, es zu tun?

Der Angeklagte:

habe ich das Recht, den Eltern meinen Dienst zu versagen?

Die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) und die Verfassung des Landes (der UdSSR) sind über den mittel­alterlichen Denkansatz - wessen Regierungsgewalt, dessen Glaubensbekenntnis (cuius regio eius religio) - durch Anerkennung von Gewissens- und Religionsfreiheit hinaus­gegangen. Würde ich Religionsunterricht als Schuld an­sehen, dann würde ich gegen das im Laufe der Jahrhun­derte schwer errungene Menschenverständnis und gegen den geistigen Fortschritt verstoßen. Ich respektiere das Recht der Eltern, selbst zu bestimmen, ob ihre Kinder religiös sein sollen oder nicht. Sie haben mir ihre Kinder zur Oberprüfung der Religionskenntnisse von selbst gebracht. Für niemanden war ein Tag festgelegt, wann er seine Kinder bringen sollte. Um für die berufstätigen Menschen Zeit zu sparen, mußte man sich dem Fahrplan des einzigen über Girkalnis fahrenden Omnibusses anpassen. Funktionäre und ihre Verordnungen auf diese Weise bewußt zu mißachten, war nicht meine Absicht.

Außer meinen Pflichten gegenüber dem Staat habe ich als Priester und Pfarrer noch Pflichten gegenüber Religion und Kirche, die mich gewissensmäßig binden. Eine wesent­liche,   von Christus selbst dem Priester auferlegte Pflicht ist es, das Evangelium zu verkünden, die Men­schen zu belehren und durch Spendung der Sakramente ihnen die Gnade Gottes zu vermitteln. Wenn die Sowjet­regierung das Priesterseminar (in Kaunas) noch nicht endgültig geschlossen hat, in dem Glaubenswahrheiten doziert und studiert werden, dann ist sie mit der Ver-

Wendung der erworbenen Kenntnisse in der Glaubensunter­weisung einverstanden. Bei der Weihe verpflichtet sich jeder Priester dem Herrgott gegenüber unmittelbar, und mit dem durch den Bischof erteilten Auftrag erhält er einen von Bestimmungen der Kirche geregelten Befehl, das Volk Gottes zu unterweisen und zu heiligen. Deshalb kann er gar nicht, wenn er gewissenhaft sein will, die Aus­breitung und den Unterricht des Glaubens unterlassen, wie der h. Apostel Paulus sagt: "Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!" (1 Kor. 9, 16) Die Eltern haben ebenfalls das Recht, ihre Kinder im Glauben zu unterweisen. Wenn sie durch ihre persönlichen Spenden den Priester unterhalten, hat dann der Priester das Recht, den Eltern seinen Dienst zu versagen? Was wäre das für ein Unsinn, das Recht und die Mittel zu haben, deren Gebrauch aber zu verbieten?! Das käme doch einem Menschen gleich, dem man zwar erlaubt, einen Hammer in der Hand zu halten, den man aber zwingt, die Nägel mit der Faust einzuschlagen. Eine solche Forderung widerspricht dem Urteil des gesunden Menschenverstandes, und deshalb ist es nicht zu verwundern, daß sie der Mehrheit der Bevölkerung total unverständlich bleibt.

Der Angeklagte:

habe ich das Recht, meine Pflicht zu unterlassen?

Wenn schon ein jeder anständige Mensch den Forderungen der Wahrheit und Sittlichkeit gegenüber nicht gleich­gültig bleiben darf, dann darf erst recht ein Priester nicht schweigen, dem durch Christus die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit gegeben ist. Denn es ist kein ande­rer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen, als nur der Name Jesu (vgl. Apg. 4, 12). Die Lehre Christi ist die Grundlage der menschlichen Kultur und des Wohlergehens. Um soviel mehr die vernünftigen Wesen die unvernünftigen überra­gen, um soviel wertvoller ist die geistige Kultur im Vergleich zur materiellen. Menschengesetze werden durch Zeit und Ort geändert - ja sie werden ins Gegenteil von früheren verkehrt. Die Gesetze Christi dagegen stützen sich auf die menschliche Natur selber und werden nicht erlöschen, solange der Mensch lebt. Die Geschichte Christi ist mit seinem Tod am Kreuz nicht beendet. Er lebt ewig. Das bezeugt auch hier dieser Tag. Er kommt, wie besprochen, ohne zu zögern, mit einer großen Macht

und Herrlichkeit wie einer, dem alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Im gehören sowohl alle Gläubigen als auch alle Ungläubigen, wie groß ihre Zahl auch sein mag. Die Wurfschaufel ist in seiner Hand, und er wird die Spreu vom Weizen scheiden.

Dieser Tatbestand zwingt mein Gewissen, sich nicht wegen angeblicher Vergehen zu ängstigen, weil ich Kinder in Glaubenswahrheiten unterrichtet habe, sondern höchstens wegen meiner Nachlässigkeit in der Erfüllung dieser so wichtigen Pflichten. Denn wenn man die ganze von den An­klägern berechnete Zeit zusammenzählt, dann bleiben für die Überprüfung der nötigsten Kenntnisse (zum Empfang der Erstkommunion) eines jeden Kindes keine zehn Minuten übrig. Kann man da noch von Unterricht sprechen?

Meine einzige Rechtfertigung ist die, daß der Bischofs­besuch in Raseiniai zu kurzfristig angekündigt wurde. Ich kann mir weder Verdienste vor Gott noch eine Schuld vor dem Gesetz zuschreiben.

Wenn ich heute öffentlich sagen muß, ob ich Religions­unterricht erteilt habe, so kann ich das weder leugnen noch bedauern, denn das wäre Verwirrung des Gewissens und Mißachtung der Rechte des Schöpfers um menschlicher Gesetze willen. Wenn Menschengesetze nicht mit den vom Schöpfer gegebenen Naturgesetzen übereinstimmen, dann ist nicht die Natur im Irrtum sondern der Menschenver­stand. Und darunter leiden die Menschen und werden auch fernerhin leiden, bis sie eingesehen haben, wo sie in Abweichung vom Plane des Schöpfers Fehler gemacht haben.

In dieser für mich, einen Erdenstaub, bestimmten feier­lichen Stunde kann ich Jesus nicht verleugnen, der uns liebt und ermahnt, die Kleinen nicht zu hindern, daß sie zu Ihm kommen. Ich will sagen: Gelobt sei Jesus Christus!

Einen Monat nach der Verurteilung, am 9. Dezember 1971, bestätigte das Oberste Gericht das Urteil des Volksge­richts von Raseiniai.

Beschwerdeschrift der Gläubigen an Moskau: wir haben den Pfarrer gebeten ...

Die Gläubigen der Pfarrei Girkalnis und der Nachbar­pfarreien haben das dem Priester zugefügte Unrecht schmerzlich empfunden. Von den Ortsbehörden enttäuscht, haben sie sich an den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets und an den Generalstaatsanwalt der UdSSR mit einer Erklärung gewandt.

Erklärung

Am 12. November 1971 wurde in Raseiniai (Litauische SSR) der Priester Prosperas Bubnys, wohnhaft im Rayon Rasei­niai, Pfarrei Girkalnis, zu einem Jahr Gefängnis verur­teilt. Am 9. Dezember hat das Oberste Gericht der Litau­ischen SSR dieses Urteil bestätigt.

Seine "Schuld" bestand darin, daß er gewissenhaft seine Pflichten erfüllt hat: er hat den Eltern geholfen, ihre Kinder auf die Erstkommunion und Firmung vorzubereiten.

Wir können nicht glauben, daß dies kein Irrtum gewesen sei. Unsere Verfassung garantiert doch Religions- und Gewissensfreiheit, und das Dekret Lenins über die Tren­nung von Kirche und Staat sagt: "Die Bürger haben das Recht, Religion aus eigener Initiative zu lernen." Aus eigener Initiative hat unser Pfarrer auch gelehrt. Er ist doch nicht in die Schule gegangen, um die Kinder zu unterrichten. Genau das Gegenteil ist geschehen: Vertre­ter des Exekutivkomitees vom Rayon Raseiniai sind zu­sammen mit geladenen Lehrern regelrecht in die Kirche eingedrungen, wo sie auf den Pfarrer (zur Oberprüfung der Glaubenskenntnisse) wartende Kinder vorgefunden und Lärm gemacht haben. Die Vertreter haben auf die aufge­schreckten Kinder eine Jagd veranstaltet und sie dann durch das Städtchen zum Feuerwehrschuppen geschleppt. Dort wurden sie eingesperrt und unter Einschüchterungen gezwungen, gegen den Pfarrer gerichtete Erklärungen zu schreiben.

Eingeschüchtert, erschrocken und weinend haben die Kinder die Erklärungen niedergeschrieben, ohne die Worte "lehren" und "überprüfen" unterscheiden zu können. Das haben die Feinde der Gewissensfreiheit ausgenutzt, um dem Pfarrer einen systematischen Unterricht von Kindern zur Last zu legen. Na, und selbst wenn der Priester belehrt hat, sie sollen nicht stehlen, nicht ausgelassen sein, ihre Eltern ehren und den Nächsten lieben - ist das denn ein Ver­brechen? Aus eigener Lebenserfahrung sehen wir doch deut­lich, daß im Glauben erzogene Kinder zu besseren Men­schen werden, ohne schlechte Gewohnheiten. Deshalb wollen wir ja auch unsere Kinder so erziehen, wir haben aber keine Lehrbücher, aus denen wir unsere Kinder in Glau­benswahrheiten unterrichten könnten. (In den Jahren des sozialistischen Litauen wurden kein einziges Mal Kate­chismen oder andere Lehrbücher für Religion herausge­geben). Es blieb nur noch der einzige Ausweg: den Pfarrer zu bitten, er möge uns helfen. Aber leider ist unser Pfarrer für diese religiöse Hilfe zu Gefängnis verurteilt worden.

Die Gläubigen klagen an: Den Atheisten werden mehr Rechte auf Kinder als den Eltern eingeräumt

Durch diese Willkür von Atheisten und Regierung fühlen wir gläubigen Menschen uns zutiefst gekränkt und ernied­rigt, denn durch solchen Zwang wird die Ungleichheit der Gläubigen gegenüber den Ungläubigen vor dem Gesetz be­wiesen. Nur Atheisten haben die Möglichkeit, ihre Kinder ungehindert, d.h. atheistisch, zu erziehen, den Gläubigen aber werden sämtliche Rechte und Möglichkeiten, ihre Kinder nach eigener Oberzeugung zu erziehen, genommen. Ja, mehr noch, den Atheisten werden größere Rechte einge­räumt als den Eltern selber; sie dürfen sich in die Er­ziehung unserer Kinder einmischen; sie bemühen sich, fremde Kinder durch Zwang zu Gottlosen zu machen, ver­treiben sie aus den Kirchen, schüchtern sie ein, ge­statten ihnen nicht, zur Erstkommunion zu gehen, und einen Priester, der auf Bitten der Eltern "aus eigener Initiative" die Kinder in Glaubenswahrheiten und Sitten­gesetz unterwiesen hat, bestrafen sie sogar mit Gefäng­nis.

Wir bitten Sie, eine solche Willkür nicht zuzulassen, derzufolge unsere - der Eltern - Rechte auf die eigenen Kinder verletzt werden. Wir bitten um Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung, wie Lenin es versprochen hat und wie die sowjetische Verfassung es verkündet.

Wir bitten, Katechismusausgaben drucken zu lassen, damit wir unsere Kinder unterrichten können.

Wir bitten, den Priestern zu erlauben, in der Kirche Kinder in Glaubenswahrheiten unterrichten zu dürfen - und sich damit an das Dekret Lenins zu halten.

Ebenso bitten wir Sie um Ihre Hilfe, damit Pfarrer P. Bubnys aus dem Gefängnis freigelassen wird.

 

P. S.   Diese Erklärung haben 1344 Gläubige aus dem

Rayon Raseiniai unterzeichnet, davon 570 aus der Pfarrei Girkalnis, 43 Seiten Unterschriften werden dieser Erklärung beigefügt.

Antwort erwarten wir an folgende Adresse:

Litauische SSR, Rayon Raseiniai Girkalnis, Lukinskaite Blazė Kazimierskytė Anelė.

den 11. Dezember 1971

 

Moskau antwortet nicht:

Obwohl die Einwohner von Girkalnis gebeten hatten, ihre Rechte zu verteidigen und Pfarrer P. Bubnys aus dem Ge­fängnis freizulassen, hat die Sowjetregierung diese Stimme des Volkes trotzdem überhört.

Und Pfarrer P. Bubnys ißt mittlerweise das Gefängnisbrot im Lager strengen Regimes von Kapsukas und beklagt sich nicht Uber sein Schicksal. Anläßlich des Weihnachtsfestes schrieb er: "Als ich ins Gefängnis gekommen bin, habe ich mich teilweise nach Ihm gesehnt und über die Möglichkeit gefreut, mich von der Welt zu trennen, allen unbekannt zu werden und bewußt den Geist der Buße und des Opfers anzu­nehmen ..."