Jeden Sommer bereiten Tausende von litauischen Müttern ihre Kinder auf die erste Beichte und hl. Kommunion vor. Das ist keine leichte, sondern eine sehr verantwortungs­volle Aufgabe, die den Eltern und Priestern viel Auf­opferung abverlangt. Die sowjetischen Gesetze verbieten den Priestern, die Kinder zu unterrichten, damit die Atheisten ihre Ideen leichter verbreiten können. Ein Teil der Priester will, nachdem er den Terror der stalinisti­schen Zeit durchgemacht hat, keine Konflikte mit der Regierung und begnügt sich lediglich mit dem Abfragen der Kinder. Der andere Teil der Priester zeigt Mut und ist bereit, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen -diese Priester riskieren ihre Freiheit und unterrichten die Kinder in den Grundwahrheiten des Glaubens.

In der großen Pfarrei Prienai bereiten sich jährlich an die dreihundert Kinder zur Ersten Kommunion vor. So war es auch im Jahre 1971. Am 16. Juli versammelten sich Kinder mit ihren Müttern zum Katechismusunterricht. Während Hochwürden Zdebskis Unterricht erteilte und die Kinder abfragte, drang eine Gruppe von Funktionären in die Kirche ein. Die Funktionäre photographierten die Kinder, fragten sie nach den Familiennamen und legten eine Akte an. In der Kirche kam es zum Tumult. Über das selbstherrliche Vorgehen der Sowjetfunktionäre empört, wandten sich die Eltern aus Prienai an die Kontroll­kommission des ZK der UdSSR wie folgt:

"Am 16. Juli dieses Jahres haben wir Unterzeichner dieses Schreibens unsere Kinder zur Kirche gebracht, damit der Priester ihre Kenntnisse überprüfe - ob sie zur Ersten Kommunion zugelassen werden könnten.

Plötzlich ist eine Gruppe von Männern und Frauen in die Kirche eingedrungen   Das waren der Vorsitzende des Exe­kutivkomitees, der Sekretär des Komsomol, Lehrer, Miliz­beamte u.a. Die ungebetenen Gäste sind sofort als Herren aufgetreten: sie haben die Kinder photographiert und nach ihren Familiennamen gefragt. Ein Mädchen ist vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Die Mütter konnten nicht umhin, ihre Kinder zu verteidigen. In der Kirche gab es ein traurigesBild. Auf die Bitte, nicht zu stören, haben die ungebetenen Gäste geantwortet: 'Nicht wir machen Palaver sondern die Frauen.'

Einsolches Benehmen von Regierungsvertretern läßt kei­nen Respekt vor den sowjetischen Gesetzen erkennen. Wir bitten darum, die Verfolgung der Gläubigen einzustellen."

DieseErklärung wurde von 89 Eltern unterschrieben und nach Moskau geschickt. Leider gab Moskau den Katholiken von Prienai keine Antwort.

DieStaatsanwaltschaft verhörte daraufhin Kinder, Eltern und den Vikar J. Zdebskis. Der Untersuchungsrichter A. Pakštysdurchsuchte die Wohnung von Priester J. Zdebs-kis.

Am26. August bat der Untersuchungsrichter den Vikar J. Zdebskis telefonisch, "kurz" in seinem Büro vorbeizu­kommen. Hier wurde der Priester sofort verhaftet.

Alsdie Gläubigen von der Verhaftung des Priesters er­fahren hatten, gingen sie zur Staatsanwaltschaft und forderten seine Freilassung. Sie sagten: "Wenn ihr den Priester verhaftet habt, dann müßt ihr zuvor uns ver­haften, denn wir haben unsere Kinder zum Priester ge­bracht. Seine Pflicht war es, die Kinder zu unterrich­ten und zu examinieren." Von der Staatsanwaltschaft be­gaben sich die Gläubigen zum Parteisekretär, der sich jedoch weigerte, sie zu empfangen. Eine Welle der Empö­rung ging durch die ganze Pfarrgemeinde Prienai und weit darüber hinaus.

Amfolgenden Sonntag konnte man eine große Menschenmenge beobachten, die wartete, bis sie Gelegenheit hatte, die an die sowjetischen Behörden gerichtete Beschwerde zu unterschreiben:

An den General Staatsanwalt der UdSSR

An die Parteikontrollkommission des ZK der UdSSR

An den Republik-Staatsanwalt der litauischen SSR

 

Erklärung

der Gläubigen der Pfarrgemeinde Prienai

 

Am 26. August d.J. wurde der Priester unserer Pfarrge­meinde, J. Zdebskis, verhaftet.

Als Priester hat er seine Pflichten gewissenhaft erfüllt. Er hat niemandem ein Unrecht zugefügt. Wir sind über­zeugt, daß die Verhaftung unseres Priesters auf einem Mißverständnis beruht; deshalb bitten wir um Überprüfung der Verhaftungsgründe und um den Befehl, ihn freizu­lassen.

Priester J. Zdebskis wird beschuldigt, die Kinder zur Erstbeichte vorbereitet zu haben. Wenn er sich durch Erfüllung von direkten priesterlicheh Pflichten ver­gangen hat, warum garantiert dann das Grundgesetz der UdSSR die Gewissens- und Kultusfreiheit? Wir meinen, daß durch diese Verhaftung die Gesetze des Sowjetstaates grob verletzt sind.

Wir Eltern haben keine Möglichkeit, unsere Kinder auf die erste Beichte vorzubereiten. Wir haben keine Zeit, denn wir arbeiten in den Betrieben und in den Kolchos­wirtschaften. Zum zweiten haben wir keine Katechismen und keine religiösen Bücher. In der Nachkriegszeit haben die zuständigen Beamten nicht einmal die Herausgabe eines einzigen Katechismus erlaubt.

Was können die Eltern in Anbetracht dieser beweinenswer-ten Lage der Gläubigen Litauens machen? Wir bringen unsere Kinder zum Priester und verlangen: Helft uns, unsere Kinder vorzubereiten, damit sie wenigstens ein Minimum an Glaubenskenntnissen mitbekommen. Der Priester darf kein unvorbereitetes Kind zur Erstbeichte zulassen.

Die sowjetische Regierung fordert, daß der Priester die Kinder nicht unterrichtet sondern nur examiniert, und auch das nur einzeln. Aber kann ein Priester innerhalb

vonzwei Monaten an die dreihundert bis vierhundert Kinder examinieren, die fast ohne jegliches Wissen über Glauben und Beichte zu ihm kommen? Und außerdem haben unsere Priester viele andere Arbeiten, denn die Pfarr­gemeinde ist groß, sie umfaßt etwa 8.000 Katholiken.

UnserPriester wurde verhaftet, weil er unsere Bitten und Forderungen erfüllte, und darüber sind wir sehr erstaunt, aufgeregt und empört. Wozu diese Störung des gewohnten Arbeitsrhythmus, die Aufreizung der Gläubigen und eine künstliche Unruhestiftung unter der Bevölke­rung des Rayon?

Wirsind der Meinung, daß unsere Empörung und dieser Protest begründet sind, daß darauf reagiert werden muß und in Zukunft ähnliche Vorkommnisse sich nicht wiederholen dürfen.

29.August 1971"

 

 

DieErklärung wurde von etwa 350 Gemeindemitgliedern unterschrieben. Die Einwohner von Prienai überreichten die Erklärung der Staatsanwaltschaft der UdSSR persön­lich. Es wurde versprochen, die Angelegenheit zu unter­suchen .

DieGläubigen wandten sich auch an den Staatsanwalt der Republik und an den Bevollmächtigten des Rates für reli­giöse Angelegenheiten, Rugienis. Er sagte böse: "Ich kenne den Priester Zdebskis." Die Pfarrangehörigen er­widerten: "Wir kennen ihn nicht weniger gut."

Am30. August wurde Vikar Zdebskis nach Vilnius abge­führt. Schon am frühen Morgen war eine Menschenmenge vor dem Sitz der Milizbehörde versammelt und wartete, wann der Priester abgeführt würde. Die Sicherheitsbeamten fotografierten die Anwesenden und wollten sie ausein­andertreiben. "Was steht ihr herum? Wollt ihr ein Wunder sehen?" - "Mehr als ein Wunder", antworteten die Leute. Als um 16 Uhr Vikar Zdebskis zum Waren gebracht und ab­geführt wurde, weinten die Menschen.

 

Am 3. September wurde in der Wohnungvon Hochw. Zdebskis zum zweiten Mal eine gründliche Durchsuchung vorgenom­men. Es wurden Gerüchte ausgestreut, Vikar Zdebskis sei nicht wegen der Unterrichtung von Kindern verhaftet wor­den, sondern weil man bei ihm einen Rundfunksender ge­funden habe u.s.w. Mit diesen Äußerungen der Vertreter der Regierung wollte man offenbar den verhafteten Prie­ster kompromittieren, damit das gläubige Volk ja nicht wagen sollte, ihn zu verteidigen.

In der zweiten Septemberhälfte sandten die Gläubigen von Prienai eine zweite Erklärung nach Moskau, die auf der ganzen Welt ein breites Echo fand:

An das Zentralkomitee der KPdSU An das Oberste Präsidium der UdSSR An den Ministerrat der UdSSR

ERKLÄRUNG DER GLÄUBIGEN DER PFARRGEMEINDE PRIENAI

Zeitungen und Rundfunk behaupten immer wieder, in der litauischen SSR herrsche Religionsfreiheit, aber in Wirklichkeit ist es anders.

Es wird uns nicht erlaubt, religiöse Bücher herauszuge­ben - wir haben solche niemals gesehen. Wir haben nicht einmal einen kleinen Katechismus. Die letzte Auflage datiert von 1940.

Oft können wir auch der heiligen Messe nicht teilnehmen, denn man zwingt uns, sonntags zu arbeiten, obwohl das durch Kirchengesetze verboten ist.

Uns fehlen die Priester. Jährlich sterben etwa zwanzig Priester, aber in das Priesterseminar dürfen höchstens zehn eintreten. Und außerdem sind uns die Schwierigkei­ten bekannt, die den Kandidaten bei ihrem Eintritt von Regierungsfunktionären gemacht werden.

Unsere Priester werden verhaftet wegen Vorbereitung von Kindern auf die Erstbeichte. Am 26. August wurde unser Seelsorger J. Zdebskis wegen Katechismusunterricht ver­haftet, und jetzt erwartet man seinen Prozeß.

Alles das kompromittiert in unseren Augen die sowjeti­sche Verfassung und die Gesetze.

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Deshalbbitten wir die Regierung der Sowjetunion: gebt uns eine wirkliche Religionsfreiheit; gebt Freiheit für unsere Priester, damit sie ohne Hindernisse und ohne Furcht ihre Pflichten erfüllen können; ordnet die Haft-entlassung unseres Seelsorgers J. Zdebskis an.

Prienai,den 12. September 1971

 

DieseErklärung wurde von 2010Gläubigenunterzeichnet. Das war ein mutiger Protest gegen die Glaubensverfol­gung. Die Regierung hat nicht vorausgesehen, daß das gläubige Volk nur ein auf Zeit erloschener Vulkan ist. Weitere Folgen können wir nicht voraussehen. Aber eines steht fest, daß die   gläubigenLitauer für ihre Rechte kämpfen werden.

Wielebhaft die Bevölkerung auf die Verhaftung von Vikar Zdebskis reagiert hat, läßt sich aus einigen Tatsachen erkennen. Anläßlich des Patroziniumsfestes Maria Geburt in Šiluvabestelltenan die zweihundert Menschen für Hochwürden Zdebskis eine heilige Messe.

DieGemeinde Santaika,dieihren Pfarrer verloren hat, wandte sich an den Generalsekretär der KPdSU mit der Bitte um Freilassung von Vikar Zdebskis, denn der Bischof habe niemanden, den er zum Pfarrer von Santaika ernennenkönne.

"Wirunten unterzeichneten Katholiken wenden uns an das ZK mit der Bitte, seine Aufmerksamkeit auf die schwere Lage der Gläubigen in Litauen zu lenken. Die Regierungs­beamten erlauben nicht allen, die den Wunsch haben, ins Priesterseminar einzutreten, Geistliche zu werden, und deshalb geht die Zahl der Priester stark zurück. Der Bischof hat schon jetzt nicht mehr genügend Priester, um alle Pfarreien versorgen zu können. Wir haben gehört, daß in diesem Jahr die Gemeinde Lankeliškiaiihren Pfarrerverloren hat, und in diesem Monat sind auch wir ohne unseren ständigen Pfarrer verblieben. Der aushilfs­weise zugewiesene Priester kann unsere geistigen Belange nicht angemessen versorgen. Das tut uns sehr weh und er­weckt Mißtrauen gegen die von der Regierung eingenommene Linie. 8

Noch war der Priester Šeškevičius, der wegen Erfüllung seiner priesterlichen Pflichten verurteilt worden war, nicht aus dem Lager Alytus entlassen, da ist schon wie­der in Prienai der Priester Zdebskis verhaftet, der, wie wir gehört haben, die von den Eltern mitgebrachten Kin­der auf die Erstbeichte vorbereitet hat. Wenn das schon ein Verbrechen ist, wie können wir da noch an die Ge­wissens- und Glaubensfreiheit glauben? 'd

Wir Katholiken haben keine Gebetbücher und beten aus zerlesenen Exemplaren. Vor einigen Jahren haben wir einige von der Regierung herausgegebene Gebetbücher be­kommen. Die geringe Anzahl im Vergleich zum Bedarf wirkte wie eine Verhöhnung. Jeder Katholik muß doch ein gutes Gebetbuch erwerben können. Wir haben nicht einmal die Heilige Schrift, um darin lesen zu können.

Wir bedauern es sehr, daß die Rechte der Katholiken grob verletzt werden, und bitten das ZK um Anordnung, daß die Regierungsbeamten sich nicht in die Angelegenheiten des Priesterseminars einmischen, daß sie unseren geistlichen Vorgesetzten Erlaubnis geben, jährlich genügend Gebetbücher, Evangelien und andere religiöse Bücher herauszugeben, und daß sie Priester Zdebskis aus der Haft entlassen. Dann wird der Bischof für uns diesen oder jenen Priester zum Pfarrer ernennen können.

Santaika, den 26. September 1971"

Die Erklärung wurde von 1190 Katholiken aus Santaika unterschrieben.

Es vergingen Wochen und Monate, aber der Prozeßtag von Vikar Zdebskis wurde verschoben und bewußt geheimgehal­ten. Am Vorabend des 11. November 1971 ging in Blitzes­eile die Nachricht durch die Pfarrgemeinde Prienai: "Morgen wird in Kaunas unser hochwürdiger Vikar Juozas Zdebskis abgeurteilt. Der morgige Tag wird das wahre Ge­sicht der Sowjetregierung gegenüber den Gläubigen zei­gen."

Schon am frühen Morgen hatte eine Menschenmenge das Treppengebäude bis zum vierten Stockwerk und den Hof gefüllt. In vieler Menschen Hände waren Blumen zu sehen.

Alle warteten darauf, daß Vikar Zdebskis herbeigeführt werde. Die Milizbeamten rannten hin und her. Als die Gerichtsstunde näher kam, fingen sie an, "Ordnung zu schaffen" - mit Gewalt die Menschen nach draußen abzu­drängen. Eine Frau wurde dabei sogar blutig verletzt. Die Katholiken wurden aus dem Gerichtssaal verwiesen und an deren Stelle eine große Schar von Sicherheitsdienst­lern eingelassen. Außer diesen waren im Gerichtssaal die Zeugen - Kinder, ihre Eltern und die aus Prienai herbei­geholten Angestellten verschiedener Dienststellen -anwesend. Es mußte ein Theaterstück gespielt werden -ein öffentlicher Prozeß fand statt        zu dem die Sicherheitsbeamten nur Atheisten zugelassen hatten. Für diesen Prozeß wollte die Regierung gewiß keine Propagan­da machen.

Verhaftungen von Gläubigen hatten im Treppengebäude be­gonnen. Ein Jugendlicher wurde deshalb verhaftet, weil er den Milizbeamten gegenüber die Bemerkung machte, warum sie nur Atheisten hereinließen, aber keine Gläu­bigen. Der Jugendliche wurde mit 15 Tagen Arrest be­straft. Im Treppengebäude wurde der die Mutter von Vikar Zdebskis begleitende Priester festgenommen und zum Ver­hör ins Sicherheitsgebäude abgeführt.

Die Menschenmenge vor dem Gerichtsgebäude wuchs ständig. Die Milizbeamten hatten begonnen, die Anwesenden fest­zunehmen, in deren Händen Blumen zu sehen waren, und sie mit Gewalt in Autos zu drängen. Es entstand ein großes Durcheinander und Geschrei. Den Milizbeamten wurde der Befehl gegeben, die Menschenmenge zu zerstreuen, die etwa 500 bis 600 Personen umfaßte. Nachdem die Menge mit Gewalt auseinandergetrieben war, begann man mit der Ver­haftung von Einzelpersonen. Ein vorübergehender Priester wurde festgenommen und beschuldigt, er hätte die Demon­stration organisiert. Den ganzen Tag über hielten Miliz­beamte in der Ožeškienė-Straße Wache und verhinderten jede Ansammlung von Menschen: "Was steht ihr wie Schweine hier herum!" Sogar auf diese Weise verstanden die Milizbeamten die Menschen zu "begrüßen". Selbst aus den naheliegenden Läden wurden die Menschen herausge­trieben. "Verjagt die Betschwestern!" schrie der in einen Laden hereinstürmende Milizbeamte. Ein Großteil der Verhafteten wurde am Abend wieder freigelassen.

Einer wurde ins psychiatrische Krankenhaus gebracht und später mit 15 Tagen Arrest bestraft.

An diesem Tag demonstrierten die Menschen eindrucksvoll ihre Solidarität mit dem angeklagten Priester, eine Menge von Sicherheitsdienst- und Milizbeamten aber zeigte, wie die Sowjetregierung mit den Rechten der Gläubigen umgeht.

Um das Volk der Juden in Schrecken zu halten, ließ der König von Syrien, Antiochus, jeden Monat diejenigen um­bringen, die er der Gesetzesuntreue verdächtigte. Aber viele wählten lieber den Tod, als ihrem Glauben untreu zu werden (vgl. 1. Mak. 1).

Der Prozeß von Vikar Zdebskis hatte das gleiche Ziel -im Volk eine Atmosphäre von Furcht zu erhalten, damit niemand wagen sollte, mehr Freiheit zu verlangen.

Verfolgung erweckt Furcht. Aber das Leiden um seines Glaubens willen und das dabei im Namen Gottes gebrachte Opfer wecken die Menschen zum Nachdenken und zum Kampf um die größten menschlichen Werte.

Das Volksgericht des Rayon Kaunas setzte sich aus dem Vorsitzenden Volksrichter V. Gumuliauskas und den Volksräten Palaišienė" und Vasiliauskas zusammen. Sekre­tärin war Frau Černiauskaitė. An der Gerichtsverhand­lung nahmen teil: der Staatsanwalt A. Miliukas, der "Üffentlichkeits"-Kläger S. Ratinskas und der Verteidi­ger A. Riauba.

Der Lehrer verlas das Protokoll der Lehrerversammlung der Mittelschule von Prienai, die für die Wahl des "Öffentlichkeits"-Klägers anberaumt war. Nachdem er die biographischen Daten des Priesters Zdebskis (geboren 1929 im Rayon Kapsukas, Ortschaft Naujiena) und seine Anklage verlesen hatte, begann der Richter,den Angeklag­ten selbst zu befragen. Wir bringen einige Auszüge:

-   Gerichtlich vorbestraft?

-   Vorbestraft.

-   Wofür?

-   Für das gleiche. Später hat der Oberste Gerichtshof den Strafvermerk getilgt.

-   Wurde Ihnen jemals das Recht genommen, die priester­lichen Pflichten zu erfüllen?

-   Ja.

-   Wofür?

-   Das könnte ich dem Hohen Gericht nicht sagen, denn meinem Bewußtsein ist bis heute nicht klar, wofür mir das Recht aberkannt wurde.

-   Was können Sie zu Ihrer Anklage vorbringen?

-   Ich muß erklären, daß ich nicht einverstanden bin mit der Anklage, ich hätte den Unterricht für Kinder or­ganisiert - es wäre schon allein aus Zeitgründen un­möglich, durch die Häuser zu gehen oder durch die Ortschaften zu fahren. Die Überprüfung der Kenntnisse der Kinder zur Vorbereitung auf die Erste Beichte er­folgt das ganze Jahr hindurch, und wer will, der kann kommen. Nur im Sommer, in der Ferienzeit, wenn die Kinder keine Schule haben, ist es für sie am gün­stigsten,   und deshalb ist die Zahl der Kinder in dieser Zeit von selbst größer geworden.

-   Wieviel Kinder waren es in einer Gruppe?

-   Manchmal eines und manches Mal mehr ...

-   Konnten es bis hundert sein?

-   Ja, antwortete er freudestrahlend, manchmal konnten es schon bis hundert sein. Zu meiner Freude gibt es recht viele verantwortungsbewußte Eltern, die ihre Kinder sehr gut vorbereiten: Nach der Befragung kann man sie sofort zu den Sakramenten zulassen. Aber es gibt auch unbegabte Kinder, die man nicht zulassen kann, bevor sie sich die Glaubenswahrheiten angeeig­net haben.

-   Der Untersuchungsrichter hat vermerkt, daß einige zwei Wochen lang gegangen sind.

-   Konnte schon sein.

-   Wurden Testate eingetragen, Listen geführt?

-   Nein, wer kam, mit dem wurde ein Gespräch geführt. Damit keine Unklarheiten entstehen, wurden an sie nach Überprüfung der Kenntnisse Kärtchen ausgegeben zum Nachweis der Zulassung zum Empfang der Erstkom­munion. Es gab Kinder, die nicht auf Anhieb die Fra­gen beantworten konnten. Dann habe ich ihnen Erklä­rungen gegeben.

-   Woher haben die Kinder gewußt, daß in der Kirche eine solche Belehrung für Kinder stattfindet?

-   Für gewöhnlich wird in der Kirche bei der Predigt darauf hingewiesen, die Eltern sollten für ihre Kinder Sorge tragen, sie in Glaubenswahrheiten unter­richten und die Ferien seien dafür die günstigste Zeit, ihre Kinder vorzubereiten, um sie dann zur Überprüfung der Kenntnisse mitzubringen.

-   Haben sie allein darauf hingewiesen oder auch andere Priester?

-   Wer die Predigt hielt, der hat auch daran erinnert.

-   Haben Sie allein die Kinder unterrichtet, oder haben es auch die anderen Priester getan?

-   Weil ich in der Kirche von Prienai der Jüngste war, entfiel auf mich ein größerer Arbeitsanteil, denn der Pfarrer hatte mehr andere Arbeiten zu verrichten.

 

Vikar Zdebskis wurde beschuldigt, unter anderen Prie­stern der Wortführer des Kinderunterrichts zu sein.

-  Wortführer zur Vorbereitung der Kinder auf die Sakra­mente war ich nicht. Damit würde man mir zuviel Ehre antun. Auch andere Priester erfüllen diese uns von Christus und der Kirche auferlegte Pflicht zu lehren. Ich wäre ein Verleumder, wenn ich behaupten würde, daß die anderen Priester nicht lehren. Und wie einer diese Pflicht erfüllt, das wird ein jeder vor seinem Gewissen zu verantworten haben.

Dann wurden die minderjährigen Zeugen befragt. Nach Er­kundung des Familien- und Taufnamens ermunterte sie der Richter:

-  Sag dem Gericht die volle Wahrheit. Kennst du den da? Drehe dich um, schau hin.

Die einen sagten "Ich kenne", die andern - "nein". Ein Junge schaute den stehenden und ihm freundlich zulä­chelnden Priester lange an und sagte: "Sehr stark ver­ändert." Auf die Fragen des Richters, was er gelehrt hätte, sagten die einen: "Gebete", die anderen: "Er hat nicht unterrichtet sondern nur befragt." Wieder andere antworteten, daß "er ermahnt hat, keine Fensterscheiben einzuschlagen, nicht die Taschen anderer zu revidieren, nicht zu hauen, nicht zu stehlen, den Lehrern und Eltern zu gehorchen."

Der Richter fragte nach Anfang und Schluß des Unter­richts und wann Pausen waren. Die einen gaben die Zeit an, die anderen sagten, sie könnten sich nicht erinnern. Auf die Frage des Richters, woraus sie gelernt hätten, von wem sie den Katechismus bekommen hätten, sagten fast alle, daß Mutter oder Oma diesen gehabt hätten. Die schüchternen Kinder weinten und schwiegen. Vor jedem Kind stand Vikar Zdebskis auf, und der Richter sagte wiederholt: "Bleiben Sie sitzen."

Dann wurden die Eltern befragt.

-   Zeuge R.: Ich habe das Kind vorbereitet und hinge­führt, damit der Priester es abfrage.

-   Hat das Kind selbst gewollt, hingeführt zu werden, oder haben Sie es gezwungen?

-   Verteidiger: Hat man auf euch Druck ausgeübt, ob du hingeführt werden willst oder nicht?

-   Nein. Ich habe mich aus eigenem Antrieb hinführen lassen.

Die Eltern als Zeugen wurden viel darüber befragt, wie oft sie die Kinder zum Priester hingeführt hätten, worü­ber der Priester gesprochen habe, wieviele Kinder in den Gruppen beisammen wären usw.

Dann wurden die Vertreter der Ortsbehörden von Prienai befragt.

-  Anfang Juli bekam das Exekutivkomitee Hinweise aus der Bevölkerung, daß der Priester von Prienai den Kindern in der Kirche Religionsunterricht erteile. Wir gingen zur Kirche und fanden etwa 50 Kinder und eine Anzahl von Frauen vor. Vikar Zdebskis gab Er­klärungen. Als wir kamen, machte er eine Pause, und wir gingen in die Sakristei zu einem Gespräch mit ihm Wir warnten ihn, daß er durch ein solches Vorgehen gegen das Gesetz verstoße, er aber erwiderte: "Ich habe belehrt und werde belehren. Wo die Gebote Gottes und der Kirche sich mit denen des Staates überschnei­den, muß man Gott mehr gehorchen", und hat sich durch unsere Verwarnungen nicht beirren lassen. Nach einer Woche bin ich wieder mit einer Kommission hingegangen und wieder hat Vikar Zdebskis Unterricht gehalten. Das wurde zu Protokoll genommen.

-   Ist Vikar Zdebskis taktvoll geblieben?

-   Ja, durchaus. Anfangs hat er sogar gescherzt:

Sind Sie wegen Ihrer Kinder gekommen? Bitteschön, ich bin gern bereit, Ihnen zu helfen ...

-   Und ihr habt gemeinsam das Protokoll zusammenge­stellt?

-   Beide gemeinsam.

- (Zeuge M. Naginevičius):

Am 9. Juli 1971 habe ich an der Kommission wegen des Kinderunterrichts in der Kirche teilgenommen. In der Kirche befand sich eine Gruppe von Kindern und Frauen. Vikar Zdebskis gab Erklärungen. Wir wiesen darauf hin, daß organisierter Religionsunterricht den Gesetzen widerspreche, und er antwortete, er wisse darum, aber er habe Gottes Gebote gelehrt und werde sie weiterhin lehren ...

Nach der Pause verlas der Richter laut die zum Prozeß gehörigen Dokumente, welche die,"Schuld" von J. Zdebskis bewiesen:

Aktenstück Nr. 3: "Schreiben des Vorsitzenden des Exeku­tivkomitees an den Bevollmächtigten des Rates für reli­giöse Angelegenheiten, Rugienis, daß am 8. Juli d.J. der Emeritus Zakryza mit einer Gruppe von 50 Kindern in der Pfarrkirche von Prienai angetroffen worden sei. Nach Ver­warnung erklärte Zakryza: "Ich habe gelehrt und werde lehren. Ich tue das, was Gott sagt. Am 9. Juli sagte Vikar Zdebskis nach Verwarnung das gleiche. Vikar Zdebskis wurde verwarnt, weil er den Gesetzen nicht ge­horchen wolle."

Aktenstück Nr. 20 (aus einer früheren Wirkungsstätte von Vikar Zdebskis): "Der Vorsitzende des Exekutivkomitees im Rayon Lazdijai schreibt, daß in Kapčiamiestis unter Einfluß von Vikar Zdebskis das religiöse Leben aktiver wurde: man trägt Kreuze und Kirchenfahnen, obwohl sie kein Recht dazu haben. Er zieht die Pioniere, die Okto­berkinder heran und schreibt sie in die Rosenkranzbru­derschaft ein. Vikar Zdebskis hat ein Motorrad 'Java' und fährt zu Hausbesuchen herum. Er war sogar bei einer kommunistischen Familie und sagte, er könne ihr Kind auch zu Hause taufen."

Alle diese Dokumente - Beschwerden, Photos, Verwarnun­gen - füllten eine Akte mit 53 Blatt. Nach deren Verle­sung bat Vikar Zdebskis, seine Motive in einem letzten Wort darlegen zu dürfen.

Reden der Kläger:

Nun folgte die gerichtliche Diskussion.

Der "Öffentlichkeits"-Kläger, Internatsdirektor der Mittelschule von Prienai, S. Ratinskas, sagte in seiner Rede, daß Vikar Zdebskis die Gesetze kenne, die dön Religionsunterricht für minderjährige Kinder verböten, aber er beachte diese Gesetze nicht mit der Begründung, er müsse höheren Gesetzen gehorchen. Gesetze dürfe man nidit mißbrauchen. Zdebskis zerstöre das, was in der Schule gelehrt werde.

Die Schüler könnten sich das Programmpensum nicht aneig­nen, sie würden von Zweifeln befallen. Die Kirche schüchtere die Menschen ein. Sie habe keine Lebenser­fahrung ... Der kleine Katechismus sei unpädagogisch, denn er schreibe über Unzucht ...

Der Religionsunterricht in der Kirche sei organisiert gewesen, denn er sei während der Predigt bekanntgemacht worden. Zum Erlernen der Religion sei das Priestersemi­nar da. Dort würden bis zu zehn Kandidaten aufgenommen, aber wenn sich nicht so viele Bewerber meldeten, dann würden nur drei bis vier Bewerber aufgenommen, und das befriedige die Bedürfnisse der Gläubigen vollauf, denn ihre Zahl sei ständig im Abnehmen. Der Staat mache den Gläubigen keine Schwierigkeiten.

Seine Rede beendete der Kläger mit der Wiedergabe einer verleumderischen Anekdote über Vikar Zdebskis.

Zusammenfassung der Rede des Staatsanwalts:

Eltern und Erziehungsberechtigte haben volle Freiheit, die Kinder in den Glaubenswahrheiten zu unterweisen. Behinderung der Erfüllung religiöser Zeremonien wird bestraft. Die Erklärung des II. Vaticanum über die "Christliche Erziehung" deklariert, daß außer/den Eltern auch der Staat Rechte auf die Kinder habe. Vikar Zdebskis hat gegen das Gesetz der Trennung der Kirche vom Staat verstoßen. In den Monaten Juli - August hat er

 

den Unterricht minderjähriger Kinder organisiert und systematisch durchgeführt, insgesamt für etwa zweihun­dert bis dreihundert Kinder; deshalb muß ihm eine Strafe zugemessen werden, die dem im Gesetz vorgesehenen Para­graphen entspricht.

 

Weiter führte der Staatsanwalt den Nachweis, daß Vikar Zdebskis wirklich die Kinder organisiert und unterrich­tet hat. Gemäß Zeugenaussagen und den Worten des Ange­klagten Zdebskis ist das Vergehen wirklich und vollstän­dig nachgewiesen. Kinderunterricht hielt auch Priester Zakryza, dessen Strafprozeß die Staatsanwaltschaft aber wegen der eingetretenen Umstände eingestellt hat. Zum Schluß bat der Staatsanwalt das Gericht, Zdebskis mit einem Jahr Freiheitsentzug zu bestrafen, bei Verbüßung der Strafe im Lager normalen Regimes.

Verteidiger Riauba führte aus, daß Vikar Zdebskis den Unterricht der Kinder nicht organisiert habe. Er habe nur darauf hingewiesen, für die religiösen Kenntnisse der Kinder Sorge zu tragen. Es habe keine Nötigung ge­geben. In einem Zusatz zur Strafprozeßordnung habe das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR darauf hingewiesen, wie der Paragraph der Trennung von Kirche und Staat anzuwenden sei, wobei Organisierung und systematische Durchführung hervorgehoben wurden. Durchführung allein genüge nicht. Außerdem seien einige Kinder nur einmal gekommen. Sei das ein systematischer Unterricht?

Der Verteidiger erinnerte an die Forderung Lenins, die Gläubigen nicht zu beleidigen, genau das habe aber der Kläger getan, indem er sich auf unbegründete Gerüchte über Vikar Zdebskis gestützt habe. Zum Schluß seiner Rede bat der Verteidiger das Gericht, § 143 des Straf­gesetzbuches nicht anzuwenden, sondern dem Exekutiv­komitee das Recht zu überlassen, Vikar Zdebskis mit einer Strafe von 50 Rubeln zu belegen.

Der Angeklagte wird zum Kläger

Danach sprach Vikar Zdebskis sein letztes Wort. Seine Rede unterbrach der Richter einige Male, und er ließ ihn seine Gedankengänge nicht ausführen; deshalb bringen

 

wir den schriftlichen Text der Rede von Vikar Juozas Zdebskis in vollem Wortlaut:

Am 25. August 1971 wurde ich verhaftet und ein Strafpro zeß gegen mich eingeleitet, weil ich im Sommer in der Pfarrkirche von Prienai Kindern Religionsunterricht er­teilt hatte. In der Prozeßakte heißt es: "In der Kirche wurden etwa 70 Kinder und an die 50 Eltern vorgefunden. Er wird beschuldigt, Paragraph 143 Abs. 1 des Strafge­setzbuches der Litauischen SSR verletzt zu haben, in dem die Trennung von Kirche und Staat behandelt wird. Die Anklage wurde bei der Verhaftung mitgeteilt."

Wie begründe ich mein Verhalten? Ich kann nur wieder­holen, was ich einer Gruppe von Atheisten in der Kirche geantwortet habe, als sie mich darauf hinwiesen, daß di Erteilung des Religionsunterrichts verboten sei. Man muß es mit den gleichen Worten sagen, wie auch die ersten Apostel Jesu dem Hohen Rat gegenüber erklärt haben: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." (Apg. 5, 29).

1.Deshalb lautet die grundsätzliche Antwort auf die Frage, weshalb ich Kinder in Glaubenswahrheiten unterwiesen habe entsprechend der Forderung Christi: "Gehet hin und lehret        alles zu halten, was ich euch geboten habe" (Mt. 28, 19). Das Gebot umfaßt alle Menschen, ohne Erwachsene oder Kinder auszu­nehmen. Zu lehren - nicht die eigene Weisheit, nicht die von einem Philosophen angebotene Lebensweise sondern - ein Leben, das Christus fordert. Dabei muß seine höchste Forderung, keinen Menschen als Feind zu betrachten, besondere Berücksichtigung finden. Kein anderer, der sich je als Lehrer der Lebens­kunst angeboten hat, wagte solche Forderungen. Auch die kommunistische Partei nicht.

2.Diese Forderung Christi hat die römisch-katholische Kirche als juristische Person in drei Paragraphen ihres Kanonischen Rechts wiederholt (CIC, 129, 130, (CIC 129, 130, 131).

3.Die Forderung Christi, Kinder in Glaubenswahrheiten und in der von ihm gebotenen Lebensweise zu unter­richten, erfüllen die Eltern, die von Natur aus das 18

Recht dazu haben. Wenn die Eltern wünschen, daß ihr Kind Musikunterricht bekommt, wenden sie sich an einen Musik­lehrer, wenn Mathematikunterricht für erforderlich ge­halten wird, dann an einen Mathematiklehrer u.a.

Aber wir Priester geraten zwischen zwei Gesetze.

Man sollte meinen, daß der Staat durch seine Gesetzge­bung das Wohl der Bürger gewährleisten will. Dieses Wohl ist undenkbar ohne Gewissensfreiheit, ohne das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen. Durch die Verfassung der UdSSR werden die Gewissensfreiheit und das Recht der Eltern auf ihre Kinder anerkannt. Die Erklärung der Men­schenrechte ist auch von der UdSSR unterschrieben worden Beides ist ausführlich in einem ähnlichen Prozeß vor einem Jahr gegen den Priester Šeškevičius zur Sprache gekommen. Da auch dieser Prozeß nicht die Sache eines Individuums - des Angeklagten - ist, sondern die Sache der Kirche als juristischer Person in einem bestimmten geographischen Raum, braucht man das dort Ausgeführte wohl nicht mehr zu wiederholen.

Erwägenswert wäre die offizielle Erläuterung dieser Frage. Der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Leonid Brežnev, hat in seinem Rechenschaftsbericht vor dem XXIV. Parteitag unterstrichen: "Auch die Rechtsbrüche gegen die Persönlichkeit, Verletzungen der Bürgerwürde dürfen nicht zugelassen werden. Für uns Kommunisten, die Anhänger der allerhumanistischsten Ideale, ist das ein Grundanliegen."

(Leitartikel der Pravda vom 29. August 1971)

Der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Rugienis, hat in seinem Interview mit dem Schriftleiter einer Emigrantenzeitung, Jokūbka, betont, in Litauen herrsche vollständige Religions- und Gewissensfreiheit. Keiner habe das Recht, einen Mitbürger über seine reli­giöse Einstellung auch nur zu befragen. So hat Jokūbka die religiöse Lage in Litauen in seinem Buch Tėvu žemė (Vaterland), das in diesem Jahr (1971) in Chicago er­schienen ist, auch geschildert. So berichtet auch ein Werkchen in italienischer und englischer Sprache, "Religion in Litauen", das kürzlich in Litauen gedruckt wurde.

 

Nicht nur in der Vergangenheit also, sondern auch in diesem Jahr lautet die offizielle Erklärung zu dieser Frage   -   in Litauen herrscht volle Religionsfreiheit.

Freiheit für die katholische Kirche als juristische Per­son muß sich aber dadurch manifestieren, daß ihre Tätig­keit erlaubt ist. Wenn es zum Beispiel erlaubt ist zu leben, dann ist es auch erlaubt zu essen, zu atmen usw. Wenn die Existenz der Priester offiziell erlaubt ist, dann schließt das doch auch die Erlaubnis für die grund­legenden priesterlichen Funktionen ein: d.h. zu opfern, Sünden im Namen Gottes zu vergeben (zu richten) und zu lehren.

Daraus folgt, daß mir wegen der Erfüllung meiner direk­ten Pflichten ein Prozeß gemacht wird.

Wenn man meine Prozeßakte durchsieht und die Charak­teristik liest, die von Atheisten in meinen früheren Wirkungsorten über mich abgegeben wurde, findet man immer dieselbe Anschuldigung: wegen Pflichterfüllung. Schade, daß ich dort keine Charakteristik der bischöf­lichen Kanzlei über mich vorgefunden habe   -   hätte sie mich auch der Pflichterfüllung beschuldigt?

II.

Der Angeklagte:   die Atheisten sind die Gesetzesbrecher

Vor dem Gericht muß auch das psychologische Milieu auf­gezeigt werden, das für mein Verhalten, für das ich heute gerichtet werden soll, von großer Bedeutung gewesen ist.

Dieses Milieu wurde von Lebens-Gegebenheiten geprägt, in denen die Atheisten selbst oder verschiedene Dienst-stellensich über dasselbe Gesetz der Gewissensfreiheit hinwegsetzten, auf Grund dessen mir heute der Prozeß ge­macht wird.

Das Wort "Atheist" gebrauche ich hier als eindeutig sach­bezogen. Ein Atheist - ob Beamter des Sicherheitsdien­stes, der Verwaltung oder des Unterrichtswesens - tritt immer in gleicher Weise als Kämpfer gegen Gott hervor.

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Das Problem der Gewissensfreiheit haben in der UdSSR die Gesetze durch Trennung von Kirche und Staat gelöst. Leider fühlt sich die Kirche - dank der Tätigkeit man­cher Atheisten - nicht vom Staat getrennt, sondern im Gegenteil den Interessen der Atheisten unterworfen, und dazu noch oft genug auf betrügerische und hinterhältige Weise.

Und aus diesem Grund kommen sich die Gläubigen "vogel­frei" vor. Sie spüren die Ungleichheit vor dem Gesetz.

Tatsachen, die der breiten Öffentlichkeit bekannt sind, können der Staatsanwaltschaft nicht verborgen sein. Warum schweigt sie dazu?

Zur Illustration können wir einige Tatsachen anführen, zumal solche, die mit diesem Prozeß zusammenhängen.

Zunächst spüren gläubige Menschen die Ungleichheit vor dem Gesetz, weil Atheisten ihr Schrifttum und ihre Schulen haben, den Gläubigen aber ist das nicht erlaubt.

Wenn Priester dafür bestraft werden, daß sie Kinder zur Erstbeichte vorbereiten, dann möchte man doch fragen, ob Atheisten auch nur ein einziger Prozeß gemacht wurde, weil sie Interessen der Gläubigen verletzt haben, ins­besondere gemäß der 1966 in Kraft gesetzten Ergänzung zu Paragraph 143 des Strafgesetzbuches. Die Tatbestände da­für gibt es doch. Zum Beispiel wurde vor einem Jahr eine Lehrerin an der Mittelschule in Vilkaviškis wegen ihres Glaubens vom Schuldienst suspendiert, und zwar so, daß ihr nicht nur das Recht auf eine andere pädagogische Arbeit, sondern auf jegliche Anstellung überhaupt aber­kannt wurde. Ist das eine Verletzung der Gewissensfrei­heit oder nicht? Und in unseren Verhältnissen ist das kein Einzelfall.

Ebenso offenkundig geht es auf das Betreiben von Athe­isten zurück, daß die Bevölkerung dem Gottesdienst fern­bleiben soll, vor allem Jugendliche, Schüler und Ange­stellte. Sie spüren instinktiv, daß man Gott am leich­testen im Gesicht eines im Gebet versunkenen Menschen erkennt. Sie spüren, daß all das, was wir als Wirken der Gnade bezeichnen - also auch die Glaubensfestigkeit in Zusammenhang mit der heiligen Messe steht. Darum

redet man wohl von Gewissensfreiheit, aber die Geistes­kultur darf in der Öffentlichkeit, besonders bei unserer Jugend, nicht gepflegt werden. Es kommt doch öfters vor, daß die Lehrer den Kindern, die an einem Begräbnis teil­nehmen, das Betreten der Kirche verbieten oder sie aus der Kirche herausführen. Ist das kein Vergehen gegen die Gewissensfreiheit? Diese und ähnliche Tatsachen, die der breiten Öffentlichkeit bekannt sind, können der Staats­anwaltschaft nicht unbekannt sein. Warum ihr Schweigen? Muß man sich da noch wundern, daß gläubige Menschen keine Gleichheit vor dem Gesetz verspüren?

Der Angeklagte:   Warum schweigt die Regierung darüber?

Vor allem bleibt es den Gläubigen unverständlich, daß die Regierung auf keine einzige Eingabe der Gläubigen reagiert hat, in denen bestehende Anomalien gegenüber den Gläubigen aufgedeckt werden. In der Presse wurde doch veröffentlicht, daß die betreffenden Instanzen auf eine Eingabe innerhalb eines Monats zu antworten hätten. Als Beispiel kann auch das mit diesem Prozeß zusammenhängende Vorgehen der Gläubigen dienen. Als diesen Sommer eine Gruppe von Atheisten während des Religionsunterrichts in die Kirche kam und sofort zu fotografieren und die Kinder nach ihren Familiennamen zu fragen begann, verteidigten die Mütter ihre Kinder. Es kam in der Kirche zu Tumult­szenen. Wahrhaftig, der psychologische Augenblick hätte bei der Masse nur eines kleinen Anstoßes bedurft, dann hätte sich wiederholt, was zur Zeit der zaristischen Unterdrückung in Kranial geschah. (Man möchte fragen, ob all diese Dinge der vermehrten Achtung vor der Verfassung dienlich sind?) Nach diesem Vorfall richteten 89 Eltern eine Beschwerdeschrift an die Kontrollkommission beim ZK der KPdSU mit der Forderung, "die Ausschreitungen gegen die Gläubigen einzustellen," Auf diese Eingabe kam keineoffizielle Antwort, obwohl die Adresse des Absen­ders angegeben war.

Angesichts dieser und ähnlicher Tatsachen muß man fragen: steht die gläubige Öffentlichkeit nicht außerhalb des Gesetzes? Darf man sich dabei wundern, wenn man öffent­lich die Frage aufwirft, ob die Gewissensfreiheit, die Erklärung der Menschenrechte und dergleichen nur zu Pro­pagandazwecken deklariert bzw. unterschrieben worden

seien? Und ebenso die 1966 veröffentlichte Ergänzung zu § 143 des Strafgesetzbuches - Strafe für die Verletzung der Rechte der Gläubigen - das Interview von Rugienis mit Jokūbka und Bücher wie Tėvu žemė (Vaterland), Bažnyčia Lietuvoje (Kirche in Litauen), u.a., die von der Gewissensfreiheit reden ...

Warum sieht die Staatsanwaltschaft schweigend zu? Gibt es denn irgendwelche geheime Gesetze, die zu den offi­ziellen in Widerspruch stehen und der Öffentlichkeit unbekannt sind?

Sehen wir weiter.

 

Der Angeklagte: atheistische Betrügereien und Fälschungen

Viele Tatsachen im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Atheisten offenbaren bewußten Betrug und Falschheit in bezug auf die Gewissensfreiheit. Warum wird das alles nicht bestraft? In vielen Fällen gleicht das Verhalten der Atheisten gegenüber den Gläubigen dem eines Herzogs von Gloucester im XV. Jahrhundert, wie ihn Shakespeare in seinen Schriften schildert. Er trachtet nach Englands Krone. Die Konkurrenten bringt er heimlich um, er selber versteht es, mit dem Gebetbuch in der Hand in der Öffent­lichkeit zu erscheinen.

1.Ist das hinterhältige Bestreben der Atheisten keine Verletzung der Gewissensfreiheit ... - in einem Land, dessen Verfassung die Gewissensfreiheit garantiert -die Kirche von innen zu zerstören, indem man den Ein­druck erweckt, die Bischöfe seien auf ihrem Posten, die Verordnungen kämen aus den bischöflichen Kanz­leien, obwohl in Wirklichkeit die Versetzungen von Priestern und viele andere Verordnungen von Athe­isten diktiert werden in dem Bestreben, die Lage der katholischen Kirche Litauens dem Zustand der Ortho­doxen Kirche anzugleichen?

2.Wird die Verschlagenheit der Atheisten nicht durch das Bestreben deutlich, Priester und Bischöfe bei den Gläubigen und sogar beim Vatikan zu kompromittieren, so daß ein gesunder, tatkräftiger Bischof, S. Exz.

V. Sladkevičius, im Bischofsverzeichnis des Vatikans als "sedi datus" aufgeführt wird?

3.Ist es keine Verschlagenheit, daß ein Priesterseminar existiert, aber jährlich nur vier bis fünf Kanidaten aufgenommen werden dürfen, während zwanzig bis dreis-sig Priester in Litauen jährlich sterben? Und daß überdurchschnittlich begabte und geistig hochstehende Studenten und Professoren keinen Zugang zum Priester­seminar finden?

4.Ähnlich ist es beim Rei1igionsunterricht für unsere Kinder. Ist es keine Verschlagenheit, daß der Empfang der Erstkommunion gestattet wird, die Kinder aber nur einzeln examiniert werden dürfen (obwohl es ein juri­stisch gültiges Gesetz dafür gar nicht gibt)? Wie soll man nun Kinder einzeln in den Pfarreien vorbereiten, wenn jeden Sommer einige hundert in Frage kommen? Sollen wir die Kinder unvorbereitet zur Erstkommunion führen? Was der Mensch nicht kennt, lernt er niemals lieben. Versteckt sich hier die Absicht, die Kinder den Eltern lautlos zu entfremden? Dann können die Atheisten ruhig behaupten: Bei uns herrscht volle Ge­wissensfreiheit - die Gläubigen geben ihren Glauben von selbst auf ...

Aber eine solche Religionsfreiheit ist doch ähnlich der Erlaubnis,zu leben,bei gleichzeitigem Verbot, ge­boren zu werden.

Eine Mahnung an die Richter:

Sehr geehrte Richter, man möchte meinen: Sie und viele
andere aus der jungen Geheration kennen nur den Gott aus
den "Biblischen Belustigungen" oder ähnlichen Büchern.
Jedenfalls nicht den, der für uns am Kreuze starb. Auch
wenn Sie ein Hochschulstudium oder Fachschulstudium vor-
weisen können, ist es zweifelhaft, ob Sie ein Examens*
wissen haben, wie es Kinder vor der Ersten Kommunion be-
sitzen.             <

Berücksichtigt man, daß Sie - nach Rachmanova - Menschen aus der "Fabrik des neuen Menschen" sind, dann müssen wir Ihnen diesen Prozeß verzeihen und Gottes Verzeihung erbitten. Am Tumulttag in unserer Kirche habe ich die

Kinder gefragt: "Muß man diese Menschen hassen?" Ihre Antwort lautete: "Nein". - "Und was ist die wichtigste Forderung Jesu?" - "Keinen Menschen als Feind betrach­ten."

In Anbetracht dieser Tatsachen, von denen einige hier beispielsweise angeführt und auch der breiten Öffentlich­keit bekannt sind und die auch der Staatsanwaltschaft nicht unbekannt sein können, möchte man fragen, warum dies alles geduldet wird und ich unter Anklage der Ver­letzung von Gewissensfreiheit stehe. Wie kann ein Bürger nach solchen Gesetzen bestraft werden, die, wie wir sehen, vielfach sogar von verschiedenen Behörden mißach­tet werden? Allein die Tatsache, daß einem Priester die­ser Prozeß gemacht wird, ist ein Vergehen gegen die Ge­wissensfreiheit als Bestreben, den Eltern ihre Kinder wegzunehmen. Vielleicht könnte man mich wegen Verletzung der Gewissensfreiheit beschuldigen, wenn ich ohne Wissen der Eltern unterrichtet hätte.

Vergißt der Staat nicht seine eigene Verfassung, wenn er solche Dinge duldet?

Schließlich erscheint auch der Absatz, demzufolge ich gerichtet werden soll, ohne klare Umrisse. Zum Beispiel können wir uns erinnern, daß mir schon 1964 der gleiche Prozeß gemacht worden ist, in dem ich wegen Unterrich­tung von Kindern zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Einige Monate später kam die Regierungsanweisung, mich zu entlassen und das Urteil für nichtig zu erklären. In der Rehabilitierungsakte hieß es: "Es wurde festge­stellt, daß man keinen Zwang auf die Kinder ausgeübt hat." Aber das wußte doch das Gericht schon damals, als es die Gefängnisstrafe verhängte. Vom Zwang auf die Kinder war in der Gerichtsverhandlung gar nicht die Rede. Und § 143 wurde in dem Prozeß so ausgelegt: Es ist ver­boten, Religionsunterricht in der Schule zu organisie­ren und zu erteilen. Obwohl mir das nicht zur Last ge­legt wurde, hat das Gericht mich trotzdem verurteilt. Wie ist das alles zu verstehen? Und wenn man mich später freigesprochen hat, warum werde ich jetzt nach dem glei­chen Paragraphen erneut angeklagt? Jetzt weiß doch das Gericht ebenfalls genau, daß den Kindern kein Zwang an­getan wurde. Das beweist doch auch die Eingabe der Eltern an die Regierung der UdSSR:

die Kinder wurden nicht in der Schule unterrichtet; sie wurden gemäß dem Elternwillen unterrichtet. Man kann doch unmöglich ein Gesetz einmal so, ein andermal an­ders auslegen.

Und bis heute ist es nicht gelungen, festzustellen, ob und wo die "durch Gesetze vorgesehenen Regelungen" ver­öffentlicht wurden? Weder der Untersuchungsrichter noch die Rechtsberatungsstelle konnten diese Frage beantwor­ten.

 

III.

Muß man auf Gott oder auf die Menschen hören Was folgt daraus?

Menschlich, kurzsichtig betrachtet, möchte man bei ähn­lichen Anlässen immer die Worte Jesu wiederholen: "Vater ... laß diesen Kelch an mir vorübergehen." In Wirklichkeit aber müßten wir Priester euch für diesen und ähnliche Prozesse danken. Sie rütteln unsere Ge­wissen auf, verhindern das Einschlafen, zwingen zur Ent­scheidung, stellen uns vor zwei Möglichkeiten.

Die erste Möglichkeit besteht darin - den Weg der soge­nannten "friedlichen Koexistenz mit den Atheisten" zu wählen: zu versuchen, zwei Herren zu dienen, den Athe­isten zu liebedienern - der Priester darf sein Pflicht­soll erfüllen, aber er darf nicht den Atheismus gefähr­den; er soll selbst die Jugend aus der Kirche vertrei­ben, die Teilnahme am Gottesdienst, an Prozessionen verweigern, das Ministrieren bei der hl. Messe verbie­ten; bei Vorbereitung auf die Erstkommunion muß er zu­frieden sein, wenn die Kinder ihre Gebete auswendig können, aber ohne jegliches Verständnis für das Geheim­nis der Messe - die Mitte des ganzen christlichen Lebens - bleiben; und die Priester sollen nicht über die Zukunft des Landes in zehn bis zwanzig Jahren nach­denken. Das bedeutet, daß die Priester ihre direkten Pflichten nicht erfüllen dürfen und mit ihrem Gewissen in Konflikt geraten müssen. Ihnen verbleibt die Sorge um die Zusammenstellung der täglichen Mahlzeit. Der

Priester muß sich schon bemühen zu vergessen, daß zu den Kindern doch über Gott gesprochen wird, aber über einen solchen, den es in Wirklichkeit nicht gibt. (An einen solchen Gott, wie ihn Presse und Rundfunk zeichnen, glaube ich auch nicht ...)

Ihr habt mir Tausende von Jugendlichen hinter Gittern ge­zeigt. Keiner von ihnen kennt den Gott, den wir lieben müssen und der uns liebt. Keiner hat zu ihnen von einem solchen Gott gesprochen, keiner hat sie gelehrt, sein Glück darin zu finden, daß man allen Menschen Gutes tut, auch seinen Feinden. Ich weiß genau: wenn wir Priester nicht mehr darüber sprechen, dann schreien die Steine, Gott aber wird von uns Rechenschaft über ihr Schicksal fordern.

Das bedeutet in unserer Lage friedliche Koexistenz mit dem Atheismus, was die Gläubigen im Ausland gar nicht be­greifen können.

Die zweite Möglichkeit - ein Priester nach dem Willen Christi zu sein mit dem Entschluß, die Pflichten zu er­füllen, die Christus verlangt und das Kirchenrecht, und dabei alles auf sich zu nehmen, was die Vorsehung zum Durchstehen schickt, wie wir in diesem Falle sehen   -vergitterte Fenster zu wählen, wie der Untersuchungs­richter gesagt hat: "Du wolltest keine gebratenen Enten, also wirst du Gefängnisbrot essen."

Wenn aber wir Priester heute nicht mehr von Gerichten verurteilt würden, dann würde uns das Volk verurteilen! Und schließlich wird auch die Stunde der Gerechtigkeit des Allerhöchsten kommen. Gott möge uns Priestern helfen, diese mehr zu fürchten als euer Gericht.

Wieder kommen mir die Tausende von Jugendlichen hinter Gittern ins Gedächtnis. Inihrer Kindheit verstanden sie nicht, ihren Eltern zu gehorchen ... Meine Heimat am Nemunsas (Memel)-Ufer ist mir ans Herz gewachsen. Und ich weiß genau: dieses Land wird zu existieren aufhören, wenn Kinder in unserer Heimat ihren Eltern nicht mehr gehor­chen. Darüber habe ich zu den Kindern gesprochen und ge­sagt, daß Gehorsam eine Forderung Gottes ist.

Wenn das nach eurem Gewissen als ein Verbrechen gilt, dann erklärt mich für einen Fanatiker und verurteilt mich   -   zugleich aber auch euch selbst!

Ich bitte das Gericht, auf das psychologische Moment meines Prozesses Rücksicht zu nehmen und abzuwägen, daß nicht die Gemeinschaft der Gläubigen durch das Gerichts­urteil zur Vermutung gelange, einige Paragraphen unserer Verfassung seien nur Propaganda. Kann man Ehrfurcht vor Forderungen erwarten, die zum Widerspruch gegen das Ge­wissen zwingen? Kann man Ehrfurcht vor Gesetzen haben, die Strafen für treue Pflichterfüllung verhängen?

Es bleibt nur noch, die Worte der ersten Apostel hier vor Gericht zu wiederholen: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen."

Gerichtsurteil: schuldig

Nach der Rede von Vikar J. Zdebskis folgte eine Pause von zwei Stunden. Nach einer längeren Beratung verkün­dete das Gericht im Namen der Litauischen SSR folgendes Urteil:

"Zdebskis Juozas, Sohn des Vincas, geb. 1929, wurde schuldig befunden des Vergehens, das in § 143 Abs. 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR unter Strafe gestellt ist, und wird zu einem Jahr Freiheitsentzug ver­urteilt bei Verbüßung der Strafe in einem Arbeitsbesse-rungslager normalen Regimes. Als Strafbeginn wird der 26. August 1971 gerechnet."

Am 9. Dezember 1971 beschloß das Gerichtskollegium für Strafprozesse beim Höchsten Gericht der Litauischen SSR, daß Vikar Zdebskis begründet für schuldig befunden wurde und daß die festgesetzte Strafe dem begangenen Vergehen und der Person entspricht.

Zur Zeit (1972) verbüßt Vikar J. Zdebskis seine Strafe in Pravieniškės.

Das Opfer der um ihres Glaubens willen Leidenden möge das Land unserer Väter zu neuem Leben erwecken!