RAYON ŠAKIAI

Die Verfolgung der Schulkinder in Lukšiai

Im November 1971 entspann sich in Lukšiai ein erbitterter Kampf zwischen der Lehrerschaft, insbesondere den Klassenlehrern und dem Schuldirektor, einerseits und den aktiv amKirchenleben teilnehmenden Schülern andererseits. Die bei der Messe mitwirkenden Kinder wurden zum schuldirektor gerufen, und man setzte ihnen mit Verhören und Drohungen zu, um sie vom Altar fernzuhalten. Die Schüler mußten sich dem Spott der Klasse aussetzen lassen, sie wurden in Wandzeitungsartikeln und Karikaturen verhöhnt. Man versuchte sogar, über die Eltern Druck auf die Schüler auszuüben, damit diese ihren Kindern die Mit­wirkung als Ministranten oder in anderer Weise an kirchlichen Zeremonien ver­bieten sollten.

Nach Neujahr 1972 sprachen ein Vater und eine Mutter, G. Krikštolaitis und N. Didžbalienė, bei Schuldirektor S. Urbonas vor und verbaten es sich — unter Hin­weis auf die sowjetische Verfassung und die Gesetze — ihre Kinder wegen der Teilnahme an den Meßzeremonien oder auch nur wegen des Kirchgangs zu ter­rorisieren. Der Direktor bemerkte hierzu in barschem Ton:

„Wir haben eure Kinder angegriffen und werden dies auch weiterhin tun, ja, so­gar noch intensiver als zuvor. Uns bedrängt der Rayon, wir bedrängen eure Kin­der und wem's nicht gefällt, der kann sich meinthalben sogar nach Moskau über uns beschweren."

Einige wenige Kinder ließen sich einschüchtern, doch die meisten Kinder aus gläubigen Familien gaben nicht auf, sie halfen weiter bei der Messe und nahmen an Prozessionen teil. Die Eltern warteten geduldig darauf, daß die Lehrer viel­leicht doch Vernunft annähmen. Doch als die Erniedrigungen und Einschüch­terungen ihrer Kinder nicht aufhörten, verfaßten die Eltern eine Beschwerde an die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR.

Nachstehend wird ihr Text wiedergegeben:

An den Republik-Staatsanwalt der Litauischen SSR

Durchschriften an:

·     das Bildungsministerium der Litauischen SSR

·     das Bildungsamt des Rayon Šakiai

·     den Vorsitzenden des Rayon-Exekutivkomitees von Šakiai

 

Erklärung

der gläubigen Eltern der Kirchengemeinde Lukšiai, Rayon Šakiai

Die A ussagen der Regierung zur Religionsfreiheit

In dem in Vilnius, 1970, vom „Mintis" — (Gedanke) Verlag herausgegebenen Büchlein „Die sowjetischen Gesetze betreffs Religionskulte und Gewissensfrei­heit" von J. Aničas und J. Rimaitis steht: „Jeder Bürger darf sich zu jeder Reli­gion bekennen oder aber auch keinem Religionsbekenntnis zugehören. Die Schmälerung von Rechten auf Grund der Zugehörigkeit zu irgendeiner Konfes­sion oder der Konfessionslosigkeit wird aufgehoben" (S. 17). „Zu den Prinzipien der Gewissensfreiheit gehört: 1) das Recht eines jeden Bür­gers auf das Bekenntnis zu jeder Religion ohne Ausnahme; 2) das Recht, Kult­zeremonien zu zelebrieren; (...) 6) die Gleichberechtigung der Bürger, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit" (S. 15).

„ Die Sowjetregierung geht unentwegt und geschlossen beim Vorliegen einer Mißachtung der Rechte von Religionsorganisationen bzw. einzelner Gläubige gegen die schuldigen Beamten des Regierungsapparates sowie gegen einzelne Bürger vor. In den Strafgesetzbüchern der Unionsrepubliken sind spezielle Para­graphen enthalten, die Verstöße gegen die Prinzipien der Gewissensfreiheit gläu­biger Bürger ahnden" (S. 24).

„Die Kommunistische Partei und die sowjetische Regierung weisen darauf hin, daß mit der gleichen Strenge auch die Forderungen derjenigen sowjetischen Ge­setze einzuhalten sind, welche den Religionsgemeinschaften und den Geistlichen Betätigungsfreiheit ohne Nötigung zu Vertsößen gegen die Gebote und Dogmen einräumen sowie den Gläubigen die absolute Möglichkeit geben, von der verfas­sungsmäßig zugesicherten Glaubensfreiheit Gebrauch zu machen. Der sozialistische Staat verbietet das administrative Eingreifen jedweder Art, grobes und taktloses Verhalten gegenüber religiösen Kulten, Kultdienern und Gläubigen. Jedwede Behinderung der Ausübung von religiösen Kulten, sofern diese nicht gegen die Gesetze über Religionskulte verstoßen, gilt als strafbares Vergehen.

Gemäß Artikel 145 des Strafgestzbuches der Litauischen SSR kann die Behinde­rung und Belästigung von Religionszeremonien, soweit diese die öffentliche Ordnung nicht stören und keine Einmischung in die Rechte einzelner Bürger darstellen, mit bis zu einem Jahr Freiheitsentzug oder mit einer Geldbuße bis zu hundert Rubeln bestraft werden" (S. 31).

(Siehe Präsidiumsbeschluß des Obersten Sowjets der Litauischen SSR „Über die Anwendung des Art. 143 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR" in den „Nachrichten des Obersten Sowjets und der Regierung der Sozialistischen Sowjetrepubliken" vom 20. Mai 1966, Nr. 14, S. 183 bis 184).

In den Beschlüssen des Zweiten Allgemeinen Vatikanischen Konzils, die auch von den litauischen Bischöfen unter Rücksprache mit dem Beauftragten für Kultangelegenheiten dem „Liturgini maldyną" (Liturgisches Gebetbuch), her­ausgegeben 1968 von der Druckerei „Vaizdas" (Anblick), zugrunde gelegt wurden, werden die Gläubigen dazu ermahnt und angehalten, so aktiv als möglich an religiösen Zeremonien teilzunehmen. Wir Eltern halten uns daran und knien in Gemeinschaft mit unseren Kindern in der Kirche, singen Kirchen­lieder, sprechen leise unsere Gebete und erwidern laut unsere Bekenntnisse, wir gehen in Prozessionen mit und tragen dabei Kultgegenstände. Unsere Kinder knien und stehen vor dem Altar, wir. ihre Eltern, stehen neben ihnen. Unsere Kinder sind keine Kirchenbedienstete, sie sind bloß Kirchgänger und Teilnehmer an Gottesdiensten.

Die Tätigkeit der Schule gegen die Religionsfreiheit

Mit großer Betrübnis nehmen wir gläubige Eltern das uns widerfahrene Unrecht und unsere Diskriminierung zur Kenntnis. Weil unsere Kinder zusammen mit uns, ihren Eltern, an kirchlichen Zeremonien teilnehmen, werden sie von der Schulleitung und der Lehrerschaft der Mittelschule von Lukšiai auf vielerlei Weise verfolgt, man behandelt sie grob und setzt sie Spott, Demütigung und Ein­schüchterung aus:

a)    Die Lehrerin Vaišvilienė befahl dem Erstkläßler Juozas Naujokaitis, da er am Gottesdienst teilgenommen hatte, vor der gesamten Klasse (Jungen wie Mädchen) während einer Schulstunde die Hose runterzulassen und sich hinzulegen. Dabei sagte sie zu ihm: „Für das Knien vor dem Altar be­kommst Du eins mit dem Riemen übergezogen." Das durch die Worte der Lehrerin verängstigte Kind begann zu weinen.

b)    Die Lehrerin Martišiūtė, Schulleiterin für Unterrichtsangelegenheiten, ermunterte den Schüler der Klasse VI b, Rolanas Tamulevičius, geradezu zu einer unrechten Handlung; sie forderte ihn auf, den Meßwein auszu trinken und dem Priester stattdessen Wasser einzugießen.

c)    Die Lehrerin Vanagienė erklärte bei einem Hausbesuch den Eltern von R. Didzbalis, einem Schüler der VI. Klasse, falls ihr Sohn ein größeres Ver­brechen begehen würde, sei dies von geringerem Übel als sein Knien vor dem Altar.

d)   Die Lehrerin Urbonienė befahl dem Zweitkläßler Vitas Pavalkis sich zu entscheiden, entweder zur Kirche oder zur Schule zu gehen.

e) Die Lehrerin Martišiutė zeigte in der Klasse Gemäldereproduktionen reli­giösen Inhalts und richtete dabei an die Schülerin Virga Mikelaitytė die Frage, ob sie wisse, weshalb Gott Adam aus dem Paradies vertrieben habe? Als das Mädchen schwieg, sagte die Lehrerin zu ihr: „Du bist doch aus ei­ner religiösen Sippe, deine Vettern knien doch beim Priester vorm Altar, da müßtest du das doch eigentlich wissen." Weitere ähnliche Fragen, die die Religion verunglimpfen, richtete die Lehrerin an die Schülerinnen Liut­vinaite und Alytaite.

f) Die Lehrerin Skirskytė versuchte bei einem Hausbesuch die Eltern des Schülers Krikštolaitis dadurch zu erweichen, daß sie ihnen etwas vorjam­merte. Falls Krikštolaitis weiter Ministrantendienste versehe, so könne sich das ungünstig auf ihren, der Lehrerin, Rentenanspruch auswirken, meinte sie.

g) Ohne den wirklichen Schuldigen einer Störung ermitteln zu wollen, rief
die Lehrerin Sakalauskienė während einer Schulstunde den völlig schuld-
losen Schüler der Klasse VII a, Rimas Didžbalis, mit den Worten zur Ord-
nung: „Didžbalis, hör auf, du bist hier nicht in der Messe!" Den Knaben
traf die Bemerkung der Lehrerin so unverhofft,daßeraustand und weinte.

h) Kinder, die zur Kirche gehen, werden von den Lehrern verhört, man ver-
spottet und demütigt sie vor der Klasse.

i)   Die Schul-Wandzeitung vom 22. Januar 1972 enthielt eine Anzahl von
Karikaturen über zur Kirche gehende Schüler: so war der Schüler der
Klasse V b, Krikštolaitis, abgebildet, wie er in der Sakristei mit einem Ro-
senkranz in den Händen kniet; den Schüler der Klasse IV b, R. Tamulevi-
čius, bringt die Mutter auf einer anderen Zeichnung mit dem eigenen Au-
to zur Kirche; er sagt in einer Sprechblase dazu: „Zur Kirche fahr ich rein,
hei, wie ist das fein, der Priester trinkt dort Wein und ich laut' das Glöcke-
lein." Auf ähnliche Weise machte man sich auch über die Brüder Didžbalis
lustig.

Außerdem ist in der gleichen Wandzeitungs-Nummer ein Artikel der Schriftleitung folgenden Inhalts enthalten: „An Gottesanbetern ist auch in unserer Schule kein Mangel. Solche Schüler erniedrigen sich, sie be­schmutzen ihre eigene Würde und den guten Ruf der Schule. Das sind doppelzüngige Heuchler, die sich in ihrem Verhalten sowohl der Kirche als auch der Schule anpassen; sie möchten Jungpioniere sein und gleich­zeitig auch Altardiener, die sich für ihr Anpassungsvermögen einige Gro­schen aus der Hand des Priesters erschleichen. Solche chamäleonartige Wesen sind Alytaitė, Schülerin der Klasse IX a, Alyta, Schüler der Klasse IV b, Krikštolaitis, Schüler der Klasse VII, und Didžbalis, Schüler der Kl. VII. Außer diesen Kirchendienern gibt es noch weitere an religiösen Zere­monien teilnehmende Betschwestern in der Schule, das sind Litvinaitė, Schülerin der Klasse IX, Staugaitytė, Schülerin der Klasse X, und D. Bale-vičiūtė, Schülerin der Klasse XI. Einem derartigen Verhalten muß ein wirksamer Gegenschlag unsererseits ein Ende bereiten."

Das erste Opfer eines solchen konkreten „Gegenschlags" war ganz offensichtlich die vierzehnjährige Janina Alytaitė, Schülerin der IX. Klasse, die in der Schulkantine als Putzhilfe tätig war. Nach einem mit der Mutter geführten Ge­spräch über das „Zur-Kirche-Gehen" ihrer Kinder wurde das Mädchen sofort aus der Arbeit entlassen, obwohl die Lehrer bereits früher von dem Kirchgang gewußt und stillschweigend toleriert hatten, daß sie dort arbeitete.

Und ist das etwa kein „Gegenschlag", wenn ein junger Mensch als Chamäleon, als Tier, bezeichned wird? Ist denn das kein „Gegenschlag", wenn ein mit seinen Eltern zur Kirche gehendes Kind für seine Religiosität bestraft und terrorisiert wird? Ist es kein „Gegenschlag", wenn gläubige Schüler vor den Augen ihrer Mitschüler gedemütigt werden, damit der Eindruck erweckt wird, ihr Verhalten sei ein furchtbares und verwerfliches Verbrechen?

Schließlich, wird denn nicht auch die Autorität der Lehrer in Mitleidenschaft ge­zogen, wenn sie sich derart gegenüber ihren Schülern verhalten? Das Kind weiß ja, daß der Glaube die persönliche Angelegenheit eines jeden ist. Wie soll es sich denn das Benehmen der Lehrer ihm gegenüber erklären? Wir Eltern wollen, daß unsere Kinder uns und auch ihren Lehrern Achtung entgegenbringen, wir wollen, daß sie in der Schule etwas Rechtes lernen und anständige Menschen werden.

Die Lehrer der Mittelschule von Lukšiai bezeichnen die gläubigen Eltern als rückständig, als blöde. So sagten zum Beispiel der Lehrer Genys und die Lehrer­in Martisiūtė zu Frau Ona Alytienė: „Ihr Eltern seid blöd, daß ihr in die Kirche geht und auch noch eure Kinder mitnehmt." Wie sollte das Kind nicht zur Kir­che gehen, wenn es von Vater und Mutter dorthin geführt wird oder ihm be­fohlen wird, allein dorthin zu gehen? Die Eltern sind doch für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. Ist es denn dann weise und pädagogisch zu verant­worten, das Kind an jedem Montag während des Unterrichts zu fragen, ob es in der Kirche gewesen sei, und an jedem Samstag, ob es morgen zur Kirche gehen werde? Wie kann denn das Kind gegnüber den Eltern so ungehorsam sein und nicht zur Kirche gehen? Auf diese Weise wird das Kind nur gegen seine Eltern aufgehetzt. Das Kind kann ja nicht immer unterscheiden, auf wen es hören soll. Manchmal wendet es sich gegen seine Eltern und sagt zu ihnen: „Ihr seid blöd, ihr seid rückständig, laßt mich in Ruhe mit euren Belehrungen." Wenn sich ein Kind in der Schule etwas zuschulden kommen läßt, dann ruft man sofort nach den Eltern, um uns an unsere Erziehungspflichten zu mahnen, doch wenn wir Eltern die Kinder in Religionsdingen unterrichten und die Kinder zum Kirch­gang anhalten, dann sagt man den Kindern, sie sollten nicht auf ihre Eltern hören. Wo bleibt da die Logik? Wie verträgt sich das mit der Achtung der Kinder vor ihren Eltern und Lehrern?

Die Bitte der Eltern, ihre elterliche Autorität in den Augen der Kinder nicht zu untergraben

Wir gläubigen Eltern sind über die Vorfälle zutiefst besorgt und bitten Sie, Schritte zu unternehmen, daß unsere Kinder wegen ihres Glaubensbekenntnis­ses und wegen ihrer Teilnahme an kirchlichen Zeremonien nicht bestraft, ver­folgt, verhöhnt und diskriminiert werden. Mit unserer Geduld ist es nun zu Ende, wir können das ständige Zerren an unseren Kindern, ihre Verängstigung und Verhöhnung, ihre Tränen, ihr nächtliches Aufschrecken nicht mehr hinneh­men. Wir wollen, daß unsere Kinder sich nicht mehr vor der Schule zu fürchten brauchen. Zur Zeit ist die Schule für ein gläubiges Kind nur ein Hort des Schrek-kens, des Spotts, der Demütigung.

Wir wollen, daß unsere Kinder mit Freuden zur Schule gehen und fröhlichen Herzens wieder heimkommen. Wir wollen, daß die Schule den Kindern ein zwei­tes Zuhause und die Lehrer zu ihren Zweiteltern werden, die sie, falls nötig ist, pädagogisch und väterlich zugleich zurechtweisen und sie zu kultivierten Men­schen erziehen.

Wir gläubigen eitern wünschen uns, daß das Gesetz über die Religionsfreiheit nicht nur eine leere Propagandaformei bleibt, sondern zur Realität wird.

Wir bitten den sehr geehrten Republik-Staatsanwalt, dem Schuldirektor und der Lehrerschaft der Mittelschule von Lukšiai ins Gedächtnis zu rufen, daß die sow­jetischen Gesetze auch für sie zu gelten haben und daß die erwähnten Fehlgriffe und ähnliche Mißstände fürderhin vermieden werden sollten.

Lukšiai, Februar 1972

Die Erklärung wurde von 14 Vätern und Müttern unterzeichned.

Die Schule bittet um Hilfe des A bgeordneten

Als der Schuldirektor und die Lehrer von diesem Schreiben erfuhren, versuchten sie zu verhindern, daß es zu den Behörden auf Republikebene gelange. Die Schü­lerin der Klasse IXb, J. Alyaitė, wurde gefragt, ob ihre Mutter Unterschriften ge­sammelt habe, wer sonst noch daran beteiligt gewesen sei u.a.m. Die Schülerin gab an, nichts von dieser Angelegenheit zu wissen.

Die Sache wurde dem Vorsitzenden des Lenin-Kolchos und Abgeordneten des Obersten Sowjets, K. Glikas, hinterbracht. Die Lehrer baten ihn, sich einzu­schalten. Glikas ärgerte sich sehr über die gläubigen Eltern, er warf ihnen vor, mit ihrem Verhalten die Lehrer der Mittelschule Lukšiai verunglimpft und diese Angelegenheit in die breite Öffentlichkeit getragen zu haben.

In einer Arbeitsgruppen-Versammlung berichtete der Kolchosvorsitzende, daß man ihm in Vilnius die Eingabe gezeigt habe und daß er wegen dieser Vorkomm­nisse in seinem Kolchos viel Scherereien auszustehen habe. „Das werden wir denen noch heimzahlen! Wer unsere Lehrer angreift, dem gehören die Hauer ge­stutzt," bemerkte er enerviert. Er drohte in einem Zeitungspamphlet, gegen die Eltern, die die Eingabe unterschrieben hätten, vorzugehen und mit anderem mehr. Der Kolchosvorsitzende fuhr zu G. Krikštolaitis und warf ihm mit bösen Worten vor, mit anderen Eltern die Lehrer angeschwärzt zu haben: „Die Lehrer sind gelehrte Leute, die Achtung verdienen und nicht in Streitereien gezogen werden sollten." Glikas deutete an, daß auf die Eltern, die das Gesuch unter­schrieben hätten, noch viele Unannehmlichkeiten warteten.

Frau Tamulevičienė ließ Glikas über den Kolchos-Agronomen ausrichten, daß sie, falls sie nicht bald „ein anderes Lied anstimme," ihre Stelle als Rechnungs­führerin verlieren würde. Er drohte außerdem den Eheleuten Tamulevičius mit einer geringeren Vergütung für ihr altes Anwesen nach ihrem Umzug in die Kol­chos-Neubausiedlung.

Daß der Kolchosvorsitzende sich einmischte, bedrückte die Eltern. Gerüchte wurden laut, daß man die Kirche schließen und den Pfarrer versetzen wolle und dergleichen mehr. Es wurde die Meinung geäußert, die Schikanen hätten vermie­den werden können, wenn die Kinder den Meßzeremonien nicht beigewohnt hätten. So manch einer grollte den an der Unterschriftenaktion beteiligten El­tern. Doch die Beherzteren verließen sich auf Gottes Schutz. Der Pfarrer mahn­te in seiner Predigt die Gemeindeglieder zu Opfermut für die gute Sache. Die be­flisseneren Katholiken beteten: „Lieber Herrgott, nimm die Kinder, die du ja am meisten liebst, in deine Obhut."

Die Untersuchungskommission aus Vilnius

Am 9. Mai erschien in Lukšiai eine Kommission, um die in der Eingabe erwähn­ten Tatsachen zu überprüfen. Die Kommission, die angab, vom Bildungsministe­rium gesandt zu sein, hielt sich drei Tage in Lukšiai auf; befragt wurden Kinder, Eltern, Lehrer und Außenstehende.

Man fragte den Schülern der I. Klasse, J. Naujokaitis, ob die Lehrerin sehr dar­über geschimpft habe, daß er als Ministrant diene? „Doch, das hat sie getan." „Hat dir die Lehrerin wirklich gedroht und dir gesagt: „Zieh die Hose runter?" — „Ja, so war das gewesen," sagte der Knabe.

Die Kommissions-Mitglieder stellten klar, daß die Lehrerin hierzu nicht berech­tigt gewesen sei. Der Glaube sei eine Privatsache, und jeder könne in die Kirche gehen, wann immer er dazu Lust habe.

Dem Vitas Pavalkis erläuterten die Kommissions-Mitglieder: „Wenn es dir gefällt, dann geh ruhig weiter in die Kirche und diene als Ministrant bei der Messe, niemand darf dir daraus einen Vorwurf machen und dich deshalb aus der Schule jagen." Der Junge kam fröhlich heim in dem Gefühl, nun nicht mehr dem Spott in der Schule ausgesetzt zu sein.

Beim Schüler der Klasse VII, R. Didžbalis, erkundigte man sich:

„War eine Karikatur, die dich aufs Korn nahm, in der Wandzeitung?" „Jawohl, so war's. Dem Jungen wurde erklärt, daß es unerlaubt sei, Kinder auszulachen und in der Wandzeitung karikiert darzustellen; das alleinige Überzeugungsmit­tel, daß es Gott nicht gäbe, sei, darüber zu sprechen. Der Knabe wurde gefragt, ob er noch einen Wunsch habe. „Ich möchte nur unbehindert zur Kirche gehen können," gab er zur Antwort.

Bei dem Mädchen Alytaitė erkundigte man sich, weswegen sie die Kantinen­tätigkeit niederlegen mußte? „Weil ich in die Kirche gehe." — „Warst du auch in der Wandzeitung abgebildet und darin erwähnt?" — „Ja." — „Was hast Du für einen Wunsch?" — „Von den Lehrern nicht mehr wegen meines Kirchganges beschimpft zu werden und nicht mehr in die Wandzeitung zu kommen." Wieder gab die Kommission zu verstehen, daß es unerlaubt sei, zur Kirche gehende Schüler deswegen zu demütigen; die Kommission versprach, dem Schuldirektor und der Lehrerschaft die Anwendung solcher Druckmittel zu untersagen.

Die Kommissionsmitglieder fragten R. Tamulevičius: „Wer hat dir befohlen, nicht mehr in die Kirche zu gehen und an den Meßzeremonien teilzunehmen?" — „Die Lehrer und der Direktor." Dann erzählte der Knabe, daß er einmal gleich zu drei Lehrerinnen gerufen wurde. Sie hätten ihm unter Gelächter ge­sagt, er solle doch mal mit dem umgebundenen roten Pionierhalstuch in die Kir­che kommen und sehen, ob ihn der Priester auch dann noch als Ministrant zu­lassen würde. „Hat dir die Lehrerin Martišiūtė im Ernst oder nur zum Spaß ge­sagt, du sollest den Wein des Priesters austrinken und Wasser nachfüllen?" — „Wie sie's gemeint hat, weiß ich nicht, doch gesagt hat sie's." — „Du darfst in die Kirche gehen, wenn du willst, und du darfst auch an den Meßzeremo­nien teilnehmen. Aber werde nur kein Pfaffe und lies eifriger atheistische Literatur."

Pijus Didžbalis, einer der Väter, erklärte der angereisten Kommission: „Gegen die Schule hab' ich nichts. Ich finde nur von Übel, wenn die Lehrer die zur Kirche gehenden Kinder Repressalien aussetzen. Die angegriffenen Kinder fürchten sich deswegen vor der Schule und wollen nicht mehr zum Unterricht gehen. Unser Glaube gebietet uns, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen und auch unsere Kinder daran teilnehmen zu lassen. Deswegen wird ihnen von den Lehrern Angst gemacht, sie kommen in die Wandzeitung und werden dem Gespött der Klasse ausgesetzt u.s.w." Die Kommission versicherte dem Vater, daß die Lehrer hierzu keine Berechtigung hätten und ihr Verhalten ändern würden.

Ein Mitglied der Kommission erklärte Frau Ona Alytienė, daß die Lehrer keine Befugnis hätten, den Kindern den Glauben an Gott und den Kirchgang zu ver­bieten, die Schüler wegen ihres Glaubens auszulachen und das in der Wandzei­tung kundzutun. Der Schuldirektor und die Lehrer würden hierfür zur Rechen­schaft gezogen.

Auch G. Krikštolaitis wurde von Kommissionsmitgliedern versichert, daß die Teilnahme an Gottesdiensten kein Anlaß dafür sei, die Kinder zu beschimpfen, sie zu verhören und in der Wandzeitung anzuprangern. Einer aus der Kommis­sion erteilte den Rat, die Kinder während der Andacht bei sich in der Mitte der Kirche zu halten, die Eltern hätten jedoch durchaus auch das Recht, die Kinder an Meßhandlungen teilnehmen zu lassen.

Wie erfreulich wäre es, wenn eine derartige Reaktion auf eine Beschwerde zur Regel würde; indes, dieses Ereignis ist bis jetzt einmalig für die ganze Nachkriegszeit.

In Büchern wird zur Verspottung der Religion aufgewiegelt

Das wissenschaftliche Forschungsinstitut für das Schulwesen des Bildungsmini­steriums der Litauischen SSR. brachte 1969 ein Buch von B. Bitinas: „Religingi mokiniai ir ju perauklėjimas" (Religiöse Schüler und ihre Umerziehung) heraus. Darin steht folgendes:

„Es wird mancherseits die Meinung vertreten, daß in der atheistischen Schüler­erziehung die Religionskritik bei an religiösen Zeremonien teilnehmenden Schü­lern nicht in satirischer Form erfolgen sollte. Dem kann jedoch nicht kategorisch zugestimmt werden, wie das von uns gesammelte Material zeigt; insbesondere dann nicht, wenn man es mit religiös eingestimmten Jugendlichen jüngeren Alters zu tun hat. Es gibt Fälle, wo mit einer in satirischer Form dargebotenen atheistischen Weltanschauung effektiver das Ziel einer atheistischer Erziehung religiöser Jugendlicher erreicht wird als mit anderen Formen der atheistischen Beeinflussung..." (S. 122)

Dieses Buch von B. Bitinas liegt nur in den Methodik-Räumen der Schulämter aus, es wird zur Instruktion bei der Umerziehung gläubiger Schüler empfohlen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob man den Worten der Kom­missionsmitglieder oder der gedruckten Instruktion mehr Glauben schenken sollte?

Dies wird die Zukunft erweisen...