(Aus ihren Briefen)
„... Ich danke allen, deren Bemühen mich hierher gebracht hat. Recht viel habe ich hinzugelernt, viel Neues erfahren, und alles ist zu etwas nutze. Der gute Gott weiß am besten, wessen ich bedarf ..."
„In sechs Tagen wird ein halbes Jahr um sein, seit sie mich aus Vilnius wegführten, und doch ist es so, als wäre es erst gestern gewesen, neulich .. . Alles steht lebendig vor meinen Augen — meine ,Ehren'-Begleitung, die Menge meiner Schicksalsgenossinnen (alles Kriminelle) und ich als einzige Politische darunter. Ein letzter Abschiedsblick auf die Stadt, besser gesagt, den Bahnsteig; dann diese Reiseromantik, wer will sie beschreiben. Man muß das schon selbst erlebt haben, um den Wert und die Notwendigkeit der Liebe für unser Leben ganz zu verstehen. Für mich ergibt sich jetzt die Gelegenheit, diese Romantik nochmals zu erleben — wenn sie mich in die Verbannung schicken werden. Du darfst mich deswegen beneiden, auch wenn es Dir besser erspart bleibt, das ist nichts für Leute mit Deiner (schwachen) Gesundheit."
„Wie gut, daß ein guter Vater das Steuer unseres Lebensschiffleins in seiner Hand hält. Ist Er am Steuer, um nichts ist einem bang. Du weißt, wie Du zu streiten, wie Du zu lieben hast — egal wie schwer das Leben dann auch sein mag. Ich darf sagen, das Jahr 1975 ist wie ein Augenblick verflogen — für mich ein Jahr der Freude. Ich verdankees ganz der Güte Gottes. .."
„In unserer Zeche ist zwar nicht sehr viel Staub. Dafür enthält das Material, aus dem wir die Handschuhe machen, allerdings Glasstaub. Das schlimmste aber ist die Monotonie der Arbeit, und wenn dann noch Maschinen ausfallen, so muß man schon Geduld haben. Der Mechaniker kommt ja nicht jeden Tag, oft muß man lange warten, bis die Reparatur gemacht ist — und die Arbeitsnorm wartet nicht..." (Am Tage sind 70 Paar Handschuhe zu nähen.)
„Am 3. März aus dem Krankenhaus zurück. Endlich, so scheint es, werde ich wieder auf eigenen Füßen stehen können. Ihre Diagnose war zutreffend — einfach große Schwäche.
Meine ,Ferien' dauerten lange: Beginn am 18. Oktober, im November nur fünf Tage Arbeit, den Dezember hindurch im Krankenhaus, nur die letzten vier Tage Näharbeit. Januar zur Hälfte gearbeitet, zur Hälfte nicht. Februar wieder im Krankenhaus, außerdem die ersten drei Tage des März. Ich nähe jetzt langsamer, mit Unterbrechungen; sobald mir schwach wird, gehe ich hinaus in den Hof, an die frische Luft, in die Sonne. Die Norm schaffe ich, denn wir arbeiten nur eine Schicht. Ich darf morgens um sechs beginnen und um 22 Uhr aufhören. So geht alles ausgezeichnet. Alle lieben mich, und ich bemühe mich, dies zu erwidern. Bin glücklich und zufrieden."
„Es gibt hier viele Alte und Kranke, und so freut es mich, daß man mich hierhergebracht hat, ganz nach meiner Berufung zu pflegen und zu lieben. Wenn ich mich auch sehr nach Euch sehne, es würde mir schwerfallen, hier wegzugehen, Leute zurückzulassen, die mir lieb und wert geworden sind. Doch der liebe Gott kümmert sich um uns alle, am allermeisten ..."
„Nicht nur Bekannte schreiben mir, sondern auch Menschen, denen ich nie begegnet bin. Der Wunsch dieser Menschen, zu helfen, wo sie nur können, berührt mich tief. Wieviel Mitgefühl, wieviel Ehrlichkeit des Herzens.. .All das erfreut, hebt die Stimmung, spornt an und ermutigt einen, selbst besser zu werden, so vieler Liebe wert zu sein ..."
„Zehn Mädchen aus Kaunas schreiben: ,Wir sind stets mit Ihnen und beten für Sie um Gottes Beistand. Zerbrechen Sie nicht. Menschen großen Geistes haben stets ertragen, was irdisch war. Beste Grüße vom Volk ..."'
Trotz härtester Bedingungen der Lagerhaft strahlen Nijolės Briefe heitere Gelassenheit aus, durchtränkt von Liebe und Besorgnis um Verwandte und alle anderen. Sie beklagt sich nie — sondern freut sich stets über alles, was Gottes Güte ihr gibt...