In den frühen Morgenstunden des 30. Oktober 1975 lungerte an der Berg­bahn der Vorstadt Kaunas-Aleksotas ein gedungener Mörder in der fahlen Dämmerung herum, auf sein Opfer lauernd und zur Durchführung seines Auftrages entschlossen. Da kam eine Frau die neben der Bergbahn zu Tal führende Holztreppe hinunter. Der Moment war gekommen. Der Mann versicherte sich nochmals, daß keine Zeugen anwesend waren, und stürzte dann wie ein Tier auf sein Opfer, die Kirchgängerin Stase Lukšaite, warf die Frau nieder, schlug wild auf sie ein und floh ... Halbtot lag das Opfer in einer Blutlache neben der Treppe.

Im Krankenhaus versuchten die Ärzte, das Leben der Frau zu retten. Doch vergeblich, zu groß war der Blutverlust, zu schwer die Verwundungen, kaum ein Körperteil war noch unversehrt, Kopf und Gesicht völlig zerschla­gen. Am 5. November verließ die Seele den geschundenen Leib und kehrte zu ihm zurück, dem sie ihr Leben hindurch treu gedient hatte. Viele Men­schen geleiteten die Tote am 7. November zur letzten Ruhestätte auf dem Friedhof der Kleinstadt Viduklė; darunter eine Gruppe von Kindern mit Blumen in den kleinen Händen, Blumen für ihre geliebte und verehrte Lehrerin.

Stasė Lukšaitė wurde am 17. März 1917 im Dorfe Graužai, Kreis Viduklė, geboren. Als Kind gehörte sie der Schutzengelbewegung, dann dem Jugend­verein der Pavasarininkai (Frühlingsmenschen) an. Sie fühlte sich dazu be­rufen, ihr Leben dem Dienste Gottes zu weihen, und trat dem Herz-Jesu-Orden bei. In den letzten Jahren arbeitete sie in einem Kindergarten und be­reitete Kinder auf die heilige Kommunion vor. Viel glaubten, daß diese geheime Tätigkeit die eigentliche Ursache des Mordes an Stasė Lukšaitė war. Noch in der Todesstunde blieb sie dem Gebet des Evangeliums treu, indem sie kurz vor ihrem Ableben, aus der Bewußtlosigkeit erwachend, noch her­vorbringen konnte, sie verzeihe dem Mörder, dem Mann mit dem hellen Mantel...

Leute, die anscheinend Interesse daran hatten, den Mörder zu entlasten, er­klärten dagegen einer Schwester der Toten, die zu einer Vernehmung vorge­laden worden war, es handele sich um einen einfachen Unfall, sie sei auf der Treppe ausgerutscht und hätte sich beim Sturz verletzt. . . Die Version vom Ausrutschen ist ein Versuch, die Mörder zu ermuntern, neuen Mut zu fassen, sobald man neue Taten für nötig hält...

Diese Mörder werden von den Gleichgültigen und allen anderen gefördert, die Wahrheit und Liebe mit Füßen treten, Treue und Glauben vernichten und unsere Heimat in eine Diebeshöhle und Mördergrube verwandeln. Und doch trifft eher das zu, was der Dichter Mykolaitis-Putinas schreibt: Nicht alles verging in der Dämmerung —nicht alle starben im Dunkel, und neues Blut durchpulst das Herz — das nicht lernte, vor Gewalt sich zu ducken! Mortuos Voco — ich rufe die Toten!

Dies Volk wird nicht nachgeben! Gerade in den Reihen der Jugend befinden sich jene, die weder vor Irrenhäusern noch vor feuchtkalten Kasematten und Kerkern Furcht haben, die Stacheldraht und auch Mord nicht fürchten. Jeden Tropfen Blut der unschuldig Ermordeten wird Gott segnen als Saatkorn, aus dem neue Halme sprießen, grünen wie ein Jungwald, erblühen, reifen und neue Früchte tragen für die Kirche und das Volk.

Das Vorbild derer, die für die Wahrheit und aus Liebe zu Christus und seiner Kirche starben, wird Millionen unbekannter Märtyrer beflügeln, dem Glauben zur Zier, der Geschichte zum Ruhm.

An den Gräbern der Opfer werden sinnend einst stehen

die Kinder des Volkes und schweigen.

Das Angelus Dei raunen die Bäume sich zu,

Blumen beten ein Vaterunser.

Die Vögel im Laub singen Ewige Ruh,

Wenn die Seelen aufsteigen der Ewigkeit zu,

Zu Gott, dem himmlischen Vater.