Die Kirche ist vom Staat getrennt

Der Begriff „getrennt" wird von den Sowjetorganen nicht einheitlich gehandhabt. Handelt es sich um kirchliche Belange, so hat die Kirche selbst­verständlich kein Recht sich in die inneren Angelegenheiten des Staates zu mischen — praktisch tut sie es auch nicht, d.h. sie ist nicht berechtigt vorzu­schlagen, welche Personen in den Obersten Sowjet oder sein Präsidium gewählt werden sollen, sie darf keine Vorsitzenden der Exekutivkomiteen, Professoren an den Hochschulen oder Dozenten aufstellen. Handelt es sich aber um den Staat, so erhält derselbe Terminus „getrennt" eine ganz andere Bedeutung: die sowjetischen Regierungsorgane bestimmen, welche Bischöfe ihres Amtes enthoben werden (Bischof J. Steponavičius, Bischof J. Sladke­vičius), sie beschließen wer ein Priesterseminar besuchen darf und beobachten dann diese Personen weiter (M. Petrauskas, A. Čiūras u.a.), legen sogar fest, welche Priester zum Ablaßfest eingeladen werden dürfen und welche nicht (A. Keinas, K. Garuckas, V. Černiauskas u.s.w.). Hw. Bronius Laurinavičius erklärten die Regierungsorgane, daß „ohne unser Wissen" der Priester nicht einmal einen Nagel in die Kirchenwand schlagen dürfe. Die Atheisten selbst bestätigen diese Diskrepanz. J. Aničas Und J. Rimaitis schreiben: „In der Literatur zum Thema Trennung der Kirche vom Staat werden manchmal die Kirche und der Staat als gleichrangige Partner dargestellt, z.B. ,die Staats­organe mischen sich nicht in kirchliche Belange, die Kirche ihrerseits mischt sich nicht in Staatsangelegenheiten'.

Dieser Standpunkt ist zweifellos ungerechtfertigt. Die Souveränität des Sowjetstaates berechtigt den Staat die verschiedensten Belange des öffent­lichen Lebens zu regeln. Die Kirche darf, trotz ihrer Sonderstellung, hierbei keine Ausnahme bilden.".

 

Logisch betrachtet, müßte die Trennung der Kirche vom Staat bedeuten, daß die Kirche frei ist, vom Staat unabhängig und ihre Belange selbst regelt. Erfahrungsgemäß und angesichts der von der Zivilverwaltung erlassenen Gesetze und Verordnungen scheint die Kirche vom Staat nicht getrennt zu sein, sie wird vielmehr von der Administration aufs schärfste kontrolliert. Obwohl die Sowjetpresse behauptet, daß der Sowjetstaat und seine Regie­rungsorgane sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche mischen, d.h. in deren kanonische und dogmatische Belange, spricht die Erfahrung dagegen: der Staat setzt sich über die kanonischen Rechte der Kirche hinweg und entscheidet selbst, was erlaubt und was verboten ist. Letzteres bezeugen die Atheisten selbst. A. Veščikov schreibt: „Die Sowjetgesetze verbieten den klerikalen Zentren irgendwelche Verordnungen oder Richtlinien für die Gläubigen zu erlassen. Es ist dem Klerus verboten, die früher geltenden Religionsgesetze anzuwenden oder sich darauf zu berufen",

S. 20.Die Schule ist von der Kirche getrennt

Artikel 13, Absatz 3 des „Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" besagt: „Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, das Recht der Eltern und gegebenenfalls des gesetzlichen Vormundes zu achten, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen zu wählen, die den vom Staat festgesetzten oder gebilligten erzieherischen Mindestnormen ent­sprechen, sowie für die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder gemäß ihren eigenen Anschauungen Sorge zu tragen". Derselbe Grundgedanke wird im Artikel 18 des „Internationalen Paktes über staatsbürgerliche und politische Rechte" vertreten, sowie in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" hervorgehoben: „In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen" (Artikel 26).

Artikel 65 der „Grundlagen des Volksbildungswesens der Sowjetunion und der Sowjetrepubliken" bestätigt theoretisch: „Wenn in einem internationalen Vertrag oder Abkommen unter Mitwirkung der UdSSR, andere Regeln auf­gestellt werden als es die Kultgesetze der Sowjetunion und der Sowjetrepubliken vorsehen, dann gelten die Regeln des internationalen Vertrages oder Ab­kommens". Doch die Realität sieht ganz anders aus.

In der Sowjetunion, wo die Schule von der Kirche getrennt ist, steht das ganze Schulwesen unter Aufsicht des Staates und es gibt keine anderen Schulen außer den öffentlichen. Deren Ziel und Aufgabenstellung sind in den Grundlagen des Volksbildungswesens in der Sowjetunion und den Sow­jetrepubliken niedergelegt. Diese Verordnungen postulieren allein den „welt­anschaulichen Unterricht ohne Religion" (Art. 12). Unterricht und Erziehung müssen auf der marxistisch-leninistischen Idee, dem sozialistischen Inter­nationalismus, Sowjetpatriotismus und kommunistischer Weltanschauung gründen. (Artikel 19, 31, 36, 41). Die Eltern oder der gesetzliche Vormund sind verpflichtet, die Kinder im Geiste der hohen kommunistischen Moral zu erziehen. (Art. 57). Die Erziehung in der Familie muß der Erziehung in den Schulen, Vorschulen und gesellschaftlichen Organisationen organisch ange­gliedert werden. (Art. 57).

Wie die erwähnten Artikel der Grundlagen des Volksbildungswesens prak­tisch gehandhabt werden, erzählt P. Milušis, Stellvertretender Vorsitzender für Koordination der wissenschaftlich-atheistischen Propaganda in den Republiken, in seinem Buch Ideologinio darbo praktika ir jos tobulinimas

(Die Praxis der ideologischen Arbeit und ihre Vervollkommung) Vilnius, 1974: „Die Vollversammlung des ZK der Litauischen KP bemerkte nach­drücklich, daß die wissenschaftlich-atheistische Propaganda eine innerpartei­liche Aufgabe darstellt." (S. 197). In letzter Zeit hat sich die Differenzierung der atheistischen Arbeit vervollkommnet. ... Die atheistische Betätigung an den Schulen wird intensiver. Die Unterweisung in der materialistischen Weltanschauung wird verstärkt auf den Unterrichtsprozeß übertragen. Die atheistischen Zirkel, Clubs, deren Wirkungsweise in manchen Schulen sogar über die Schulen hinausreicht, bleiben bestehen. Sehr wichtig ist auch die verstärkte atheistische Schulung der Eltern von noch gläubigen Schülern. Darum bemühen sich bereits viele Schülkollektive.

Bedeutende Aufgaben ergeben sich bei der Erziehung der Jugendlichen und Studenten.... Die atheistische und geschichtsphilosophische Fakultät der Staatsuniversität V. Kapsukas in Vilnius, die immer mehr an Bedeutung gewinnt, leistet hierzu einen großen Beitrag. Sie koordiniert und organisiert das atheistische Wirken der Studentenschaft auf Republikebene. Deshalb sollte man in erster Linie mit der Fakultät zusammenarbeiten, denn mit der Jugend allgemein, um somit sie noch gläubigen Jugendlichen dem Einfluß der Kirche zu entziehen" (S. 202).

Dies gilt als Zielsetzung für alle Schulen. Vielleicht ist es aber erlaubt, die Kinder und Jugendlichen der Gläubigen privat zu unterrichten?

Lenin's Dekret vom 23. Januar 1918 über die „Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche" genehmigt die private Religionsunter­weisung (Art. 9), doch Art. 143 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR verbietet sie. Als Verletzung dieses Artikels gilt: „Die organisierte und systematische Durchführung der Religionsunterweisung bei Minderjährigen unter Verletzung der vom Gesetz aufgezeigten Richtlinien. Als Verletzung der vom Gesetz aufgezeigten Richtlinien, gilt die Religionsunterweisung von Minderjährigen in jeglicher Form (z.B. die Organisation von Religionsgemein­schaften und Kultdienern in den Schulen, Zirkeln oder Gruppen; der systema­tische Zusammenschluß von Kindern zum Zwecke der Religionsunterweisung; Religionsunterweisung von seiten der Eltern, wenn diese nicht nur ihre eigenen Kinder sondern auch die Kinder anderer Gläubiger unterrichten, ausgenommen die religiöse Erziehung, die die Eltern ihren eigenen Kindern angedeihen lassen)" (Kommentar zum Strafgesetzbuch der Litauischen SSR, V., 1974, S. 226).

Denselben Gedanken vertreten Artikel 17 und 18 der Verordnungen für Religionsgemeinschaften. Folglich stimmen die bestehenden Regierungs­gesetze mit den Dekreten Lenins nicht überein.