An die Gruppe zur Überwachung der Anwendung des Abkommens von Helsinki

Eingabe

betreff die Situation der römischen Katholiken sowie Andersgläubigen in Litauen

In der UdSSR ist der Religionskampf eine parteipolitische Forderung der Kommunistischen Partei. „Gewissensfreiheit" wird hier auf eigene Art und Weise interpretiert. A. Veščikov beschreibt in seiner BroschüreTarybiniai įstatymai apie religinius kultus (Sowjetische Religionskultgesetze Vilnius, 1963 , die Gewissensfreiheit folgendermaßen: „ Nach unserer Auffassung ist Ge­wissensfreiheit die endgültige Befreiung aller Menschen vom religiösen Aber­glauben" (S. 10). Dieselbe Meinung vertreten J. Aničas und Rimaitis in ihrer Broschüre Tarybiniai įstatymai apie religinius kultus ir sąžinės laise (Sowjetgesetze über den Religionskult und die Gewissensfreiheit, Vilnius, 1970/: „ Die wahre Gewissensfreiheit ist erst dann möglich... wenn mit allen wissenschaftlichen, kulturellen und ideologischen Mitteln die Befreiung jedes einzelnen von dem Einfluß der unwissenschaftlichen religiösen Weltan­schauung angestrebt wird. Solange die Gläubigen dem religiösen Aberglauben, anhängen, kann es keine vollkommene Gewissensfreiheit geben." (S. 54).

Eine derartige Auffasung und Erklärung der Gewissensfreiheit widerspricht sich selbst: wo Zwang, Einengung und Bekämpfung herrschen kann man nicht vor Freiheit sprechen. Zugleich führt diese Auffassung alle internationalen Verpflichtungen ad absurdum: „die allgemeine Erklärung der Menschen­rechte", die „Schlußakte von Helsinki", den „internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", sowie den „internationalen Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte".

Als Mitglieder der UNO, verpflichtete sich die UdSSR die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten und zu verteidigen, doch innenpolitisch blieb es bei der alten antireligiösen Einstellung. Nicht nur, daß die alten Gesetze in Kraft blieben, sondern bereits nach dem Helsinki Abkommen bestätigte das Präsidium des Obersten Sowjet der Litauischen SSR am 28. Juli 1976 die Verordnungen für Religionsgemeinschaften, die 53 Artikel umfassen. Dies veröffentlichten wir bereits in unserem Dokument Nr. 2, 1976. Wiederholt weisen wir darauf hin, daß diese Verordnung sich durchwegs auf die verschiedensten sowjetischen Erlässe und Anordnungen stützen, die noch vor dem Helsinkiabkommen bindend waren und eine Diskriminierung der Gläubigen darstellen. Z.B. antireligiöse Propaganda ist erlaubt, religiöse dagegen nicht.

Artikel 26 des „Internationalen Paktes über staatsbürgerliche und politische Rechte" besagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf den gleichen gesetzlichen Schutz. In dieser Hinsicht ist jede Diskriminierung gesetzlich zu verbieten, und allen Menschen wird gleicher und wirksamer Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Besitzstandes, der Geburt oder sonstigen Stellung gewährleistet". In den Internationalen Abkommen zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten heißt es, daß sie vor den Landesgesetzen vorrangig sind. Wenn die Sowjetunion dies theoritisch anerkennt, so muß sie den Artikel 124 der Sowjetverfassung und Artikel 96 der Verfassung der Litauischen SSR ändern. Dort heißt es: „Die Kirche ist vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Freiheit der Ausübung religiöser Kulthandlungen und die Freiheit antireligiöser Propaganda werden allen Bürgern zuerkannt".