18. April 1979 — Nr. 12

An die UNESCO — Organisation der UNO

Internationale Konferenz für Frieden und glückliche Zukunft aller Kinder

Betr.: Verstöße gegen die Rechte des Kindes in der Litauischen SSR

Im Namen der Gläubigen und der Geistlichkeit Litauens danken wir der UNESCO-Organisation für die Proklamierung des Jahres 1979 zum Internatio­nalen Jahr des Kindes. In aller Welt haben Menschen guten Willens auf den Ap­pell reagiert, Kindern alle ihre Rechte zu garantieren und geeignete Vorausset­zungen zu schaffen, daß sie sich heranwachsend zu vollwertigen Gestaltern der Zukunft entwickeln.

Uns sind die Lebensbedingungen der Kinder in der Litauischen SSR wohl be­kannt, und dieses Schreiben beabsichtigt, auch die UNESCO damit vertraut zu machen.

In unserem Lande wird oft das Wort Lenins zitiert: »Für die Kinder — von al­lem das Beste.« Und man verweist als Beweis für die Fürsorge um die Kinder auf die 120000 ständigen Kindergärten und Kinderkrippen der UdSSR, in de­nen mehr als 13 Millionen Kinder erzieherisch betreut werden. Es ist wahr, daß in der Litauischen SSR Kinder nicht Hungers sterben, auch haben sie Bildungs­möglichkeiten; doch werden Kindern bei uns, wie wohl selten anderswo in der Welt, viele Grundrechte vorenthalten.

In Litauen wird im allgemeinen viel davon gesprochen, daß unschuldige Kinder irgendwo in der Welt im Verlaufe von Kriegen umkommen, daß es Länder gibt, in denen Kinder Hungers sterben. Doch gleichzeitig verschweigt man die Tatsa­che, daß die Tötung ungeborenen Lebens bei uns legalisiert ist. Es gibt zu die­sem Thema keinerlei offizielle Statistik, doch wird nach Angaben unserer Ärzte in unserem Lande alljährlich das Leben von 50000 ungeborenen Kindern ausge­löscht — d. h. soviel wie alljährlich zur Welt kommen. Für ein so kleines Land wie Litauen sind dies erschütternde Zahlen. Das oberste Grundrecht eines Kin­des ist doch wohl, überhaupt zur Welt zu kommen. Wer dem Kinde dies Recht nimmt, von dem ist kaum zu erwarten, daß er andere Rechte gelten läßt, die zur Entwicklung des Kindes unerläßlich sind.

Alkoholische Getränke werden in der Litauischen SSR im Übermaß hergestellt; ihr Jahreskonsum entspricht einem Kaufpreis von mehr als einer halben Milliar­de Rubel. Zahlreiche Eltern sind Alkoholiker und bringen physisch nicht voll­wertige Kinder zur Welt. Wegen Alkoholismus steigt die Zahl der Ehescheidun­gen, unter denen die Kinder am meisten leiden. Weder Kindergärten noch Erzie­herinnen können einem Kind Vater und Mutter ersetzen. Augenblicklich besteht daher ein Hauptproblem im Kampf für die Rechte des Kindes bei uns in dem Bemühen, die Produktion alkoholischer Getränke in Litauen auf ein Minimum zu reduzieren und die um sich greifende Trunksucht effektiv zu bekämpfen. Der Alkoholismus hat in Litauen bisher ein unbekanntes Ausmaß erreicht — vielleicht abgesehen von der russischen Zarenzeit. Man kann daher nur bedau­ern, daß die Sowjetmacht die Tätigkeit von Abstinenzlerorganisationen bisher noch nicht genehmigt hat.

In diesem Dokument wollen wir weiter im einzelnen schildern, wie besonders die geistige Entwicklung der Kinder in Sowjetlitauen behindert wird. Kinder haben in der Litauischen SSR kein Recht auf Erziehung gemäß den Überzeugungen ihrer Eltern. Bereits im Vorschulalter wird Kindern gläubiger Eltern in Kindergärten Gottlosigkeit eingeimpft, obwohl die Eltern dies aus­drücklich ablehnen. Die atheistische Erziehung wird im schulpflichtigen Alter fortgesetzt. Auf Hochschulebene ist der Besuch atheistischer Kurse obligato­risch. Gläubige Studenten, die ihr Examen im Fach Marxistischer Atheismus nicht bestehen, bleiben ohne Hochschulabschluß. In den Schulen werden reli­giös-gläubige Kinder gezwungen, gegen ihr Gewissen zu reden, zu schreiben, zu malen und zu schauspielern. Weigern sich solche Kinder, entsprechenden Wei­sungen atheistischer Lehrkräfte nachzukommen, gibt es schlechte Zensuren und verminderte Betragensnoten. Kein Mensch denkt auch nur entfernt daran, die Eltern zu fragen, ob sie mit solcher Erziehung ihrer Kinder zur Gottlosigkeit einverstanden sind. Hier herrscht offener Zwang unter dem Vorwand: Atheis­mus sei gleich Fortschritt, Religion gleich Rückständigkeit! In der Litauischen SSR sind Kinder fast aller Möglichkeit beraubt, sich Kennt­nisse über religiöse Dinge zu verschaffen oder ihre christliche Weltanschauung zu vertiefen. In den 34 Jahren der Sowjetmacht wurde kein einziger Katechis­mus verlegt, erschien nicht ein einziges religiöses Buch, aus dem Kinder mit den Grundwahrheiten des Christentums bekannt werden könnten. Zwar wurde das Neue Testament der Heiligen Schrift verlegt; wegen der geringen Auflage (11000 Exemplare) — wobei viele Exemplare dieser Kostbarkeit ins Ausland verschickt wurden — können Kinder davon keinen Gebrauch machen. Gleich­zeitig strotzen alle Schulbücher voller tendenziöser und verleumderischer Sen­tenzen gegen Religion, Kirche und Geistlichkeit. Buchläden und Bibliotheken sind vollgestopft mit gottlosen Büchern und Broschüren niedrigsten Niveaus. In den Jahren 1960 bis 1973 wurden 250 Titel atheistischer Literatur verlegt (s. P. Mišutis, »Religion, Kirche, Atheismus« 1978, S. 136).

Religiös-gläubige Schüler werden in den Schulen gezwungen, den atheistischen Pionier- und Komsomolorganisationen beizutreten. Wer sich weigert, wird aus­geschimpft, muß nachsitzen, bekommt verminderte Betragensnoten. Als beson­deres Beispiel solcher Art von Terrorismus verweisen wir auf die Achtklassen­schule in Stebulai, Rayon Lazdijai, wo manche Lehrer geradezu Inquisitions­methoden anwenden, um gläubige Kinder zum Eintritt in Gottlosenorganisatio­nen zu bewegen.

Wer dem Komsomol (kommunistischer Jugendverband) nicht beitritt, wird bei der Aufnahme in eine Hochschule benachteiligt. Zwangsweise in atheistische Organisationen gepreßte Kinder werden gezwungen, sich gegen ihre eigenen und die Überzeugungen ihrer Eltern zu äußern. Die Kinder erleiden psychologische Traumata und werden so systematisch ans Heucheln gewöhnt. Als Reaktion auf eine solche »Erziehung« verbreiten sich Nihilismus und Rowdytum unter Ju­gendlichen und Halbstarken; die Jugendkriminalität wächst ständig. Gläubige Schüler werden auch wegen Kirchenbesuchs verfolgt. Während des Schulunterrichts macht man ihnen ihre religiöse Einstellung zum Vorwurf — sie werden verlacht, in Karrikaturen verleumdet, Betragenszensuren herabgesetzt. Zum Ende des zweiten Trimesters 1979 wurden in der Mittelschule Kybartai (Rayon Vilkaviškis) den gläubigen und ihre Religion mutig bekennenden Schü­lerinnen Rima Abraitytė, Roma und Rita Griškaitytė, Andronė Juraitė, Rima Žiemelytė u. a. die Betragensnoten herabgesetzt — und zwar nur deshalb, weil die Kinder zur Kirche gehen und es ablehnten, atheistischen Organisationen bei­zutreten. Ähnlich ist die Lage in vielen anderen Schulen Litauens. In den Schulen werden religiös-gläubige Schüler in einer Atmosphäre ekelerre­gender Unduldsamkeit gehalten. Vollgepumpt mit Verleumdungen gegen die Religion, terrorisieren ungläubige Kinder ihre gläubigen Klassenkameraden. So berichtet das Ehepaar Vytautas und Teresė Semenauskas, wie ihr Sohn Vitalijus in der 1. Mittelschule der Stadt Plungė von den Komsomolzen Kačerginskis, Malakauskas und Šakinis verfolgt wird, die die religiösen Gefühle des Jungen verhöhnen und ihn sogar zusammenschlugen, als seine Mutter sich beim Direk­tor der Schule beschwerte. Dieser erklärte übrigens, einer solchen Frau müsse man das Mutterrecht entziehen!

Gläubige Kinder werden an der Ausübung religiöser Kulthandlungen gehindert. In der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen kommt es oft vor, daß Lehrer ihre Schüler aus einer Kirche hinaustreiben, wo sie sich versammelt hatten, um für das Seelenheil des verstorbenen Vaters oder der Mutter eines Klassenkameraden zu beten. So benehmen sich sowjetische Pädagogen überall im Lande.

Nach sowjetischem Gesetz ist religiöse Unterweisung der Kinder in jeder Form verboten. Das Recht auf religiöse Unterrichtung ihrer Kinder haben nur die El­tern innerhalb der Familie. Wegen Katechesierung von Kindern wurden die Pfarrer Juozas Zdebskis, Prosperas Bubnys und Antanas Šeškevičius zu Frei­heitsstrafen verurteilt. Gemäß Verordnung des Präsidiums des Obersten So­wjets der Litauischen SSR vom 12. Mai 1966 ist Erteilung von Religionsunter­richt an Kinder ausdrücklich verboten, was eine grobe Diskriminierung dar­stellt, weil dadurch die Möglichkeit verbaut wird, Kinder auf richtig religiöse Lebensfragen vorzubereiten.

Kinder unter 18 Jahren ist aktive Teilnahme an religiösen Handlungen untersagt — wie z. B. Beteiligung am Chorsingen, Prozessionen und Ministrieren. Im Teilnahmefall werden die Kinder ausgeschimpft, bedroht und die Geistlichen mit Geldstrafen belegt. So wurde Gemeindepfarrer Algimantas Klima gleich zweimal bestraft, weil er Kindern das Ministrieren bei der heiligen Messe gestat­tet hatte. Ministrierende Kinder werden sogar von Organen der Staatssicherheit vernommen (Telšiai, Kybartai, Veisėjai u. a. O.) In Veisėjai wurde der Schüler A. Judeikis (Klasse VIII der dortigen Mittelschule) im Jahre 1979 im Verlauf ei­niger Monate dreimal von Beamten der Geheimpolizei vernommen. Gläubige Kinder müssen in jedem Jahr besondere Fragebogen ausfüllen, um die Religiosität der Kinder zu kontrollieren. Es gibt auch Fälle, wo gläubige Kinder in den Schulen wie Schwerverbrecher in besonderen Listen geführt werden. So etwa 1978 in der Donelaitis-Mittelschule zu Kybartai (Rayon Vilkaviškis). Die »Charakteristik« (Abgangsempfehlung, Übs.) gläubiger Schüler wird oft­mals mit Bemerkungen über die religiöse Einstellung des Betreffenden versehen, um eine Aufnahme zum Hochschulstudium zu erschweren. Diese Praxis gilt für alle Schulen Litauens.

In letzter Zeit ist ein weiteres schmerzliches Faktum der Diskriminierung gläubi­ger Kinder festzustellen. Beamte der Geheimpolizei versuchen, gläubige Kinder, ohne Wissen der Eltern, zur Mitarbeit als Spitzel zur Beschaffung erwünschter Informationen anzuwerben (Beispiele aus Telšiai, Kybartai, Veisejai, Šlavantai u. a. O.). So werden Kinder moralisch zu Krüppeln gemacht. Wir möchten betonen, daß es sich bei obigen Fakten von Diskriminierung gläu­biger Kinder keinesfalls um zufällige Ausfälle einzelner atheistischer Lehrer oder Staatsbeamter handelt — im Gegenteil. Es handelt sich um symptomati­sche Details einer planmäßigen Kampagne zur Bekämpfung religiöser Anschau­ungen unter Kindern. Diese Aktion wird vom Kultusministerium und den Orga­nen der Partei inspiriert und geleitet.