Darija Ivanovna Sizo, Bezirksvorsitzende von Giriai, war die erste Zeugin, die aufgerufen wurde. Der Richter ermahnte lässig die Zeugin, die Wahrheit zu spre­chen und forderte sie auf, eine eidesstattliche Erklärung zu unterzeichnen, in der sie sich verpflichtet, weder die Aussage verweigern zu wollen, noch falsche Aussa­gen zu machen.

Aussage von Frau Sizo:

»Am 20. Juli rief ein Mann den Gemeinderat an und gab an, daß in Giriai in der Wohnung des Lukša eine Versammlung von Kindern abgehalten würde. Ich rief den Vorsitzenden des >Rasviet< Volkskombinates an, doch der war nicht da. Der Stellvertreter wurde geholt, und ich fragte ihn, haben Sie eine Versammlung der Kinder angeordnet? Der Stellvertreter erklärte, daß ein solches Treffen nicht ge­plant gewesen sei. Ich sagte ihm dann, daß er auf mich warten solle. Dann rief ich den Direktor des Gymnasiums von Giriai an. Ich warf ihm vor, die Kinder im Sommer noch zu beschäftigen, und befahl ihm, auf mich zu warten. Ich holte den Stellvertreter des Kombinates sowie den Direktor und einen Lehrer und fuhr mit ihnen zu der Wohnung des Lukša. Wir fanden eine Gruppe Kinder vor. Wir be­fragten sie und erstellten ein Protokoll, das von den Abgeordneten des Rates der Arbeiter von Giriai unterzeichnet wurde, die ich auch mitgebracht hatte.« »Wieviele Kinder befanden sich denn dort?« fragte der Richter. »Es waren fünf.« »Welche Literatur fanden Sie?«

»Russische Literatur, Erzählungen und Gedichte lagen auf dem Tisch.« »Welche andere Bücher befanden sich noch dort?« »Ich sah keine anderen.« »Was sagten die Kinder?«

»Sie erklärten, daß das Mädchen sie in Religion unterrichte. Ein Junge gab an, zwei oder drei Gebete zu kennen. Die Kinder sagten, daß sie schon drei Tage lang unterrichtet worden seien.«

Der Anwalt unterbricht:

»Sahen Sie irgendein religiöses Buch?«

»Nein«, antwortete die Zeugin.

Aussage von M. I. Krupica:

»Ich war im Büro des Kombinates als die Distriktvorsitzende anrief und fragte, ob wir irgendwelche Veranstaltungen für die Kinder durchführten. Die Vorsitzen­de Sizo meinte, irgendein Programm solle für Kinder stattfinden. Wir holten den Direktor um 14.00 Uhr ab und gingen in das Haus von Lukša. Dort fragten wir die Kinder. Zu Beginn waren sie schweigsam, doch dann sagten sie, daß das Mäd­chen einen Religionsunterricht hielte. Die Kinder sagten auch, sie könnten ein oder zwei Gebete. Dann wurde ein Bericht gemacht. Die Miliz kam. Ich war Zeu­ge der Durchsuchung.«

»Befand sich religiöse Literatur im Zimmer?« fragte der Richter. »Es gab dort ein Büchlein. Bei der Durchsuchung wurden dann noch mehr gefun­den.«

Aussage von Tatjana Lukša (1969 geboren, wohnhaft in Giriai):

»Wo hast du das Mädchen getroffen?« fragte der Richter und zeigte auf Fräulein

Ramanauskaitė.

»In unserer Wohnung«, antwortete das schlanke Mädchen schüchtern. »Was sagte sie euch?«

»Sie sprach von Gott und lernte mit uns Gedichte.«

»Wie viele Tage?« »Drei.«

»Wie viele Kinder waren dort?« »Zehn.«

»Wie nannte sich das Mädchen?« »Angele.«

»Gab sie euch Bücher?«

»Wir hatten ein Gebetbuch. Ich habe es jetzt nicht mehr.« (Es wurde bei der Durchsuchung beschlagnahmt. Anmerkung des Redakteurs.) »Woher hattest du das Buch?« »Dieses Mädchen gab es mir früher.«

Aussage von Marija Ravoit (1969 geboren, Schülerin der 4. Klasse am Gymnasi­um in Giriai):

»Kennst du das Mädchen?« fragte der Richter. »Ja.«

»Wann hast du sie getroffen?« »In diesem Sommer.« »Wen besuchte das Mädchen?« »Kutko.«

»Was hat sie euch beigebracht?«

»Sie sprach über Gott und lernte mit uns Gebete.«

»Wie viele Tage?«

»Ich war einen Tag dort.«

»Wieviele waren da?«

»Sechs.«

»Wann sagte sie dir, wann du kommen solltest?«

»Angele sagte um 15.00 Uhr.«

»Sagte sie, warum ihr kommen solltet?«

»Sie sagte, sie wolle etwas von Gott erzählen.«

»Hast du Angelė vorher gesehen?«

»Ja.«

Aussage von Irina Kutko (1969 geboren, Schülerin am Gymnasium in Giriai):

Der Richter: »Kennst du dieses Mädchen?«

»Ja. Ich traf sie letztes Jahr.«

»War sie dieses Jahr in Giriai?«

»Ja.«

»Wer lud dich ein, in die Wohnung des Lukša zu kommen?« »Sie war es.«

»Wie viele Kinder waren dort?« »Elf.«

»Was hast du dort gemacht?«

»Sie sprach von Gott.« »Erzählte sie Geschichten?« »Sie erzählte keine Geschichten.« »Hat sie euch Lieder vorgesungen?«

»Wir haben nicht gesungen.« (Das Kind war offenbar eingeschüchtert und log, denn in den drei Tagen wurde nicht ausschließlich von Gott gesprochen. Es wur­den ebenso Gedichte, Lieder, Geschichten und Spiele vorgetragen. Anmerkung des Redakteurs.)

»Hat sie dir Bücher über Gott gegeben?« »Ja.«

»Wie oft warst du da?«

»Einmal, mein Vater hat mir dann verboten, wieder hinzugehen.«

Die Zeugin wird entlassen. Ein Milizangehöriger bringt einen Jungen herein.

Aussage von Roman Štūro (1965 geboren, Schüler der 8. Klasse der Schule in Gi­riai):

Richter: »Bist du allein in die Wohnung von Lukša gegangen?« »Ich ging mit meiner Schwester.« »Warum bist du gegangen?«

»Krasevičius sagte, eine Studentin sei gekommen. Ich ging hin. Sie erzählte von

Gott. Sie zeigte Bilder von Gott.«

»Lernte sie auch Gebete mit euch?«

»Am ersten Tag hat sie nichts mit uns gelernt.«

»Gab sie euch Bücher?«

»Ja, da waren kurze Gebete drin.«

»Du kannst jetzt gehen«, sagte der Richter. Der Milizbeamte bringt Rima Urba-novič herein.

Aussage von Rima Urbanovič (1967 geboren, Schülerin der 6. Klasse der Schule in Giriai):

Der Richter: »Wann hast du dieses Mädchen getroffen?«

»Meine Freundin erzählte mir von ihr. Sie sagte, sie wolle uns Lieder beibringen.«

»Hat sie mit euch Lieder gesungen?«

»Nein, sie sprach über Gott.«

»An wie vielen Tagen bist du dorthin gegangen, um etwas zu lernen?«

»Ich war nur am ersten Tag da.«

»Hat sie euch Bücher gezeigt?«

»Sie hat uns kein einziges Buch gezeigt.«

Aussage von Valentina Urbanovič (1966 geboren, Schülerin der 7. Klasse der Schule in Giriai):

Richter: »Wann trafst du Angele?«

»Ich traf sie in der Wohnung von Lukša.«

»Warum bist du dorthin gegangen?«

»Alle Mädchen gingen dahin.«

»Warum gingen sie dahin?«

»Alle sagten, sie wolle uns Gedichte beibringen.«

»Wie oft bist du dahin gegangen?«

»Nur am ersten Tag.«

»Habt ihr Gedichte gelernt oder gesungen?«

»Sie hat nicht ein einziges Gedicht vorgelesen, und wir haben auch kein Lied ge­sungen. Sie sprach von Gott, und wir lernten Gebete.« »Fragte sie Gebete ab?« »Ja.«

Aussage von Leonid Urbanovič (1967 geboren, Schüler der 6. Klasse in Giriai):

Der Richter: »Wie oft bist du zum Unterricht gegangen?«

»Ich bin nur am ersten Tag hingegangen.«

»Wo gingst du zum Lernen hin?«

»In die Lukša-Wohnung.«

»Wer hat dich eingeladen?«

»Sie sagten, daß jemand käme, und so gingen wir hin, um Gebete zu lernen.«

»Hat das Mädchen euch unterrichtet?«

»Ja.«

»Gab sie euch Bücher?«

»Sie verteilte einige auch an mich und die Kinder.« »Wie oft bist du dahin gegangen?« »Drei- oder viermal.«

»Du kannst jetzt gehen.« Der Richter entläßt den Jungen.

Aussage von Viktor Petrik (1968 geboren, Schüler der 5. Klasse der Schule in Gi­riai:

Der Richter: »Viktor, wann sahst du das Mädchen, das dort auf der Bank sitzt?«

»In der Wohnung von Lukša. Ich weiß nicht mehr wann.«

»Was hast du dort gemacht?«

»Ich habe Gebete gelernt.«

»Wer hat sie dir beigebracht?«

»Angele.«

»Was zeigte sie dir?«

»Bilder.«

»Welche?«

»Bilder von Gott.«

»Wie viele Tage hast du gelernt?«

»Einen Tag.«

»Hast du gespielt?«

»Wir haben etwas gespielt.«

»In Ordnung, du kannst jetzt gehen.«

Aussage von Lilija Štūro (1967geboren, Schülerin der 6. Klasse der Schule in Gi­riai):

Der Richter: »Kennst du dieses Mädchen?«

»Das Mädchen sagte mir, wie sie heißt.«

»Warum bist du in die Wohnung von Lukša gegangen?«

»Ich dachte, wir würden dort Gedichte und Märchen hören.«

»Habt ihr Gebete mit ihr gelernt?«

»Ja.«

»Wie oft bist du dahin gegangen?« »Zweimal.«

»Nun kannst du gehen«. Der Richter entläßt die Zeugin.

Aussage von Viktor Kasevič (1969 geboren, Schüler der 4. Klasse der Schule in Giriai):

Der Richter: »Worüber hat dieses Mädchen mit euch gesprochen?«

»Sie sprach von Gott und lehrte uns Gedichte.«

»Wer war noch dabei?«

»Štūro, Roman, Štūro, Lilija . . .«

»Hat sie euch Bilder gezeigt?«

»Nein.«

»Zeigte sie Fotografien?« »Nein.«

Direktor Bogačiov des Gymnasiums in Giriai wird in den Zeugenstand gerufen.

Zeugenaussage des Herrn Bogačiov (1927 geboren, wohnhaft in Giriai): »Der Bezirksvorsitzende rief mich in meiner Wohnung an und fragte mich, ob die Kinder in diesem Sommer Aufgaben hätten. Ich antwortete, daß die Schule ein Programm vorgesehen hätte für drei verschiedene Altersgruppen. Die Vorsitzen­de bat mich zu warten, da wir zu der Wohnung des Lukša fahren müßten. Als wir dort ankamen, sahen wir Kinder in einem Zimmer. Unter ihnen diese Bürgerin (er zeigte auf Angelė). Sie unterrichtete Religion.« Der Richter: »Wieso wußten Sie, daß sie Religionsunterricht hielt?« »Die Kinder sagten es uns. Sie hatten Gebetbücher.« »Wußten Sie, daß dieses Mädchen schon vorher in Giriai gewesen ist?« »Nein.«

Der Richter ordnet eine Unterbrechung der Verhandlung von fünf Minuten an.

Nach der Pause legt der Richter das Beweismaterial vor, welches vorliegt: 1. Referenzen ihres Arbeitsplatzes: »Angelė Ramanauskaitė arbeitet bei uns als Laborantin seit 1974. Sie erwies sich als solche sehr fleißig, ordentlich und zuver­lässig, beteiligte sich jedoch nicht an den Aktivitäten der Kommunistischen Ju­gend oder anderen sozialen Veranstaltungen . . .«

2.        Antwort des Dekans der Universität Vilnius:

»Angeėe Ramanauskaitė wird bei uns nicht als Studentin geführt, weder in den täglichen, noch Abendvorlesungen.«

3.        Bericht über das Verhör durch den Beamten Bobrov, der Zeugen Doner und Step und des Lehrers für litauische Sprache, A. B. Avgul. Herr Avgul stellte fest, daß sich unter den Büchern, die bei Fräulein Ramanauskaitė sichergestellt wurden, eines befand, welches den Titel Unser Vater trug. Es handelt sich dabei um ein zweitrangiges Textbuch. Ein anderes, der Katholische Katechismus eigne sich für den Religionsunterricht. Extraseiten beinhalteten Fragen zum Religionsunterricht.