An den Generalstaatsanwalt der UdSSR Erklärung

von der Bürgerin Ramanauskaitė, Angelė, Tochter des Mykolas, wohnhaft in der Litauischen SSR, Rayon von Kaunas, Raudondvaris, Pakalnės g. 29

Am 17. Juli dieses Jahres fuhr ich los, um Litauer in Weißrußland, im Dorf Gi­riai, Rayon von Astravas, zu besuchen.

Am 20. Juli besuchte ich die Familie Lukša, spielte litauische Spiele mit den Kin­dern, lehrte sie litauische Lieder und las Geschichten vor und sprach auch mit ih­nen über Religion, als Lehrer aus Giriai und Rimdžiūnai ins Haus kamen, ebenso betrunkene Abgeordnete zusammen mit dem Staatsanwalt Abromovič aus dem Rayon von Astravas und mehrere Staatsbeamte und Milizangehörige. Die Abgeordneten und Staatsbeamten kamen ins Zimmer und verlangten meine Papiere, die ich nicht bei mir hatte. Sie schulmeisterten mich in arroganter Weise: »Warum kommen Sie hierher und bringen litauische Bücher mit? Warum sam­meln Sie Volkstümliches, das weder für Sie noch der Wissenschaft von Nutzen ist. Die litauische Sprache ist fast ausgestorben auf diesen Inseln und wertlos für die Bewohner. Wenn Sie mit den Kindern spielen wollen oder ihnen aus litauischen Büchern vorlesen wollen, gehen Sie zur Schule. Wenn Sie vom Rektor die Erlaub­nis haben, können Sie die Kinder unterhalten.«

Dann quälten sie die Kinder mit Drohungen und einschüchternden Fragen. Staatsanwalt Ambromovič verfluchte die Litauer, nannte sie degenerierte Nazis, schlug auf den Tisch, befahl, daß die Studenten nicht länger hierher kommen dürften, daß sie ihre Volksversammlungen in Litauen und nicht in Weißrußland abhalten sollten, da sie unter dem Mantel der Folklore ihren bourgeoisen Natio­nalismus und religiösen Aberglauben verbreiteten. An dem Abend, nachdem sie den Bericht aufgenommen hatten, nahmen sie mich mit auf das Kommissariat von Astravas, um mich zu verhören und meinen Wohnsitz festzustellen. Am 24. Juli wurde ich durch den Staatsanwalt Abromovič vorgeladen, welcher ein Verfahren gegen mich einleitete, mich mit organisiertem religiösen Unterricht von Kindern und Verbreitung religiöser Literatur belastete, obwohl sich nur etwas religiöse Literatur bei mir befand. Während des Verhörs bedrängte er mich oft zu verraten, wer mich geschickt hätte und welche Studenten mich früher zu den li­tauischen Dörfern begleitet hätten. Nach dem Verhör sagte er mir, daß ich noch am selben Abend dem Untersuchungsgefängnis in Lida überstellt würde, wo ich zwecks Feststellung meines Wohnsitzes einen Monat lang festgehalten würde. Er erklärte, ich sei wegen Vagabundierens festgenommen.

Ich wurde aber erst am 26. Juli nach Lida gebracht. In Astravas wurde ich in eine leere und kalte Zelle mit betrunkenen Frauen geführt. Der Vorsteher der Miliz ig­norierte meine Beschwerden wegen der Unterkunft und des schlechten Essens. In Lida wurde ich vier Tage in einer Zelle allein gefangengehalten, wo es nicht einmal möglich war, sich hinzulegen. Es wurde mir kein Bettzeug gegeben. Es gab auch kein Bettgestell, und der Boden war kalt und feucht. Später kam ich in eine andere Zelle, zusammen mit Vagabunden und weiblichen Kriminellen. Dort gab es Holzpritschen, aber kein Bettzeug.

Vom ersten Tag der Inhaftierung an war die ganze Atmosphäre des sogenannten »Besserungsheimes« mehr als abstoßend. Das Geschirr war schmutzig und fettig. Es gab Zeiten, in denen die Wächter es uns nicht erlaubten, mit heißem Wasser zu spülen. Manchmal mußten wir mehr als einen Tag auf Seife und Handtuch war­ten, denn nur die Aufseher gaben diese Dinge aus. Es gab nichts zum Desinfizie­ren, obwohl sich unter den Gefangenen einige mit ansteckenden Krankheiten be­fanden. Tag und Nacht überschütteten uns die Wächter mit gröbsten Schmähun­gen und Flüchen. Es war schwierig, sie von ihrem Kartentisch wegzubringen, um uns Wasser oder Medizin zu bringen oder das kleine Fenster zu öffnen. Es war scheußlich, den Ton mitanzuhören, mit dem die Wächter die gefangenen Frauen in den Zellen bedachten.

Meine Zelle wurde oft aufgebrochen. Ich weiß nicht, auf wessen Befehl hin die Wachen dies taten. Herr J. Patorskij war es besonders, der mich moralisch ka­puttmachen wollte. Wenn ich mich nicht seinen Umarmungen fügen wollte, wür­de er mir die Arme verrenken und den Mund zustopfen, damit ich nicht schreien könne. Er könne mich auch vergewaltigen, da es sowieso niemand erfahren wür­de. Meine Beschwerden bei den Wächtern über die Brutalitäten von Patorskij und sein schändliches Verhalten fielen auf taube Ohren. Im Gegenteil, er konnte mich danach nur noch mehr terrorisieren. Als am 5. August ein Arzt wegen meines schlechten Gesundheitszustandes geholt werden mußte, wagte Patorskij es auch, mich mit auf dem Rücken zusammengebundenen Armen aus der Zelle zu stoßen, unter dem Vorwand, ich solle das Büro des diensttuenden Wächters säubern. We­gen der moralischen Repressalien erlitt ich einen Herzanfall und hatte kaum Zeit, mich davon zu erholen, als Patorskij mich erneut mit seinen sadistischen Angrif­fen attackierte.

Am 17. August kam der Beamte Bobrov aus Astravas. Er informierte mich über das Material, das man bei den vorangegangenen Verhören gegen mich gesammelt hatte und sagte, ich würde vor Gericht gestellt werden. Am folgenden Tag, dem 18. August, wurde ich nach Hause entlassen.

Bei der Entlassung erhielt ich keine Bestätigung über die Dauer der Inhaftierung.
An meinem Arbeitsplatz gelte ich für die Zeit als unerlaubt ferngeblieben.
Aufgrund welcher Gesetze konfiszierte der Staatsanwalt in Astravas meine Wohnungsschlüssel und hat sie mir noch nicht zurückgegeben? Warum hat man mich von meinem Arbeitsplatz ferngehalten und 25 Tage arrestiert, obgleich meine Person, der Arbeitsplatz und Wohnort innerhalb weniger Tage hätten festgestellt werden können? Warum werden vollkommen unschuldige Menschen physisch und moralisch zerstört, verleumdet und der Willkür und Gewalt unterworfen?
Warum werden solche Fehler von sowjetischen Sicherheits- und Militärpersonen geduldet und vertuscht? Warum werden die sowjetischen Gesetze und die meisten Menschenrechte verletzt, warum wird die Menschenwürde mit Füßen getreten, selbst von dem Staatsanwalt und anderen hohen Beamten?
Das ist das helle, friedvolle und sichere Jahr des Kindes und nicht das der Ankläger. Arbeitsvertreter und auch Lehrer, die es wagen, mit Gewalt und Einschüchterung die unverletzlichen Rechte der Kinder zu mißachten!
Warum und auf wessen Befehl werden Studenten, Scholaren und Sammler von Folklore davon abgehalten, die Litauer in Weißrußland zu besuchen? Warum schicken wir auf Wunsch litauische Bücher ins Ausland, während es uns verboten ist, sie zu Litauern nach Weißrußland zu bringen? Warum ist es absolut verboten, Litauisch in Gebieten zu unterrichten, die von Litauern bewohnt sind? Warum ist Litauisch als Fremdsprache dort nur drittklassig? Wenn litauische Bürger und Russen rechtlich gleich sein sollen, müßten sie nicht nur dort, wo alles sowieso auf litauisch unterrichtet wird, sondern auch in Giriai und Rimdžiūnai, wo die Litauer in Minderheit sind, zu litauischem Unterricht zugelassen sein.
22. August 1979        A. Ramanauskaitė

(Die Erklärung wurde gekürzt. Anmerkung des

Redakteurs.)