Gintautas Iešmantas schreibt:

APPELL AN DIE FÜHRER

DER EUROPÄISCHEN KOMMUNISTISCHEN PARTEIEN:

 

Vom 18. bis 22. Dezember 1980 wurde in Vilnius gegen mich sowie gegen den Philologen Povilas Pečeliūnas und den Dozenten Vytautas Skuodis der Prozeß gemacht. Und zwar deshalb, weil ich einen Sozialismus mit mensch­lichem Antlitz propagiert, weil ich Poesie und Gedichte geschrieben habe, in denen das Gute, die Freiheit, Wahrheit und Freundschaft verherrlicht wurden (aber nicht gedruckt werden durften), und weil ich, gestützt auf die Verfassung, ersehnt habe, daß Litauen aus der UdSSR heraustritt und ein unabhängiger, freier sozialistischer Staat wird.

Ich appelliere an alle Menschen, die guten Willens sind, besonders an die Führer aller Europäischen Kommunistischen Parteien, daß sie ihr Mög­lichstes tun mögen, damit wir unsere Freiheit wiedererlangen. Sie mögen sich an den Generalstaatsanwalt der UdSSR wenden, damit in Anwesenheit von Rechtsanwälten aus den europäischen Ländern der Prozeß, der für meine Gruppe fabriziert wurde, revidiert wird.

 

An die litauische Jugend!

Ich danke Euch für die bürgerliche und moralische Unterstützung die ich durch Euch bei meinem Prozeß erfuhr. Besonders freue ich mich über Eure Courage und Festigkeit im Kampf für Freiheit und Wahrheit. Ihr seid unsere Hoffnung und unsere Zukunft! Ich ersehne nur eins: daß die litauische Frei-heits- und Unabhängigkeitsbewegung sich weiter in Litauen verbreitet.

Gintautas Iešmantas

 

NACHRICHTEN AUS DEM ARBEITSLAGER PERM:

In einer Entfernung von 6 Kilometern vom Bahnhof Vsesviatskaya befinden sich einige Arbeitslager. Povilas Pečeliūnas und Gintautas Iešmantas, beide am 22. Dezember 1980 in Vilnius verurteilt, verbringen ihre Strafe in einem von ihnen. G. Iešmantas arbeitet an der Drehbank, P. Pečeliūnas — in der Küche. Pečeliūnas arbeitet 12 Stunden täglich ohne freie Tage. Da sein Ge­sundheitszustand ohnehin schwach ist, zehrt eine solche Arbeit seine Kräfte vollständig auf. Noch schrecklicher ist der moralische Terror: In den Baracken werden ständig Untersuchungen durchgeführt, jegliche Möglichkeit zu einer schriftstellerischen Betätigung ist genommen, Schriften zu lesen, die dem Geist des Unterdrückers nicht konform sind, ist verboten. In diesem Arbeitslager beschlagnahmte man bei V. Poresh aus Leningrad eine Bibel. V. Poresh trat daraufhin aus Protest für 77 Tage in Hungerstreik. Gegen seinen Willen wurde er künstlich ernährt. Die Bibel erhielt er aber trotzdem nicht zurück.

 

Damals, als Hitlers Befehlsausführer ihren Opfern befahlen, ihre eigenen Gräber zu schaufeln, wollten sie sie damit verhöhnen. Ähnliches verlangten die Posten von ihren Gefangenen im Arbeitslager Perm, als sie anordneten, daß diese die Stacheldrahtverhaue reparieren sollten. Die Gefangenen ver­weigerten die Arbeit.

Etwas Ähnliches geschah auch, als aufgrund solcher Befehle sieben Litauer am Karsamstag, dem 18. April 1980, die Arbeit verweigerten. Die Lagerverwaltung kümmert sich überhaupt nicht um den Gesundheits­zustand der Gefangenen. Der Arzt dort ist entweder unqualifiziert oder er verweigert wissentlich seine ärztliche Hilfe.

Bis heute wurden die Zähne von Pečeliūnas nicht repariert. Für G. Iešmantas wurde ein Medikament zur Augenbehandlung verschrieben, das ihm eine Infektion eintrug. Erst nach langem Hin und Her hat man für ihn einen Arzt aus dem Rayonzentrum geholt, der für Iešmantas die passenden Medika­mente verschrieben hat.

BRIEF DES POVILAS PEČELIŪNAS VOM MAI 1981

»Viele wünschen mir Standhaftigkeit. Ich wiederhole noch einmal: die habe ich. Alles entscheidet die innere Verfassung eines Menschen und jenes Licht, das am stärksten aufleuchtet am Hochfest der Auferstehung. Und außerdem lebendig sind in meinem Herzen die von mir selbst ausgesprochenen Worte der Heiligen Schrift: >Die Wahrheit wird euch frei machen.«< Es ist alles vorherbestimmt von Gott und seinem Licht, das durch das Fest der Erlösung für uns leuchtet. Das Bibelwort lebt in meinem Herzen: >Die Wahrheit macht Dich erst frei.< Ich sagte es bereits öffentlich und nun auch Dir: >Ich bin frei in der Wahrheit!< Das ist die Quelle der Standhaftigkeit.«

Die Werte, über die sich so manche streiten und den Kopf zerbrechen, sind gering. Die wahren Werte gehen mit dem Menschen zusammen. Mit mir zusammen ist auch das wahre Licht gewandert, und meine Heimat habe ich ebenfalls in meinem Herzen mitgenommen. Alles ist lebendig und nah... Oh wie sehr möchte ich es wünschen, daß in den Herzen meiner Lieben soviel Frieden herrscht wie in meinem Herzen. Wer alles mit meinen Augen betrachten würde, der könnte die Welt in einem solchen Licht erblicken, in dem die wahren Werte in ihrer wirklichen Natur aufleuchten. Ich sehe in allen Dingen einen Sinn, und das ist ungeheuer wichtig! ... Das Licht besiegt die Dunkelheit. Und das ist die lebendige Quelle meines Glaubens. Die Menschen muß man lieben, wie sie auch sein mögen! Durch Rache oder Haß konnte bis jetzt noch niemand die Welt verbessern. Doch die Liebe hat bereits ihre Früchte getragen. Der Liebe gehört die Zukunft! ... Gott sei mit Euch! Er möge Dich in jedem Deiner Schritte segnen und beschützen vor allen Gefahren!

 

JULIUS SASNAUSKAS SCHREIBT:

Die ersten Frühlingstage sind gekommen. Obwohl die Sonnenstrahlen unsere Zelle und auch den Spaziergangsschacht noch nicht erreichen, ist es doch wun­derbar, daß die Tage länger werden und das Stückchen Himmel, das wir durch die Gitter sehen können, so hell ist, daß meine Augen vom Hinsehen weh tun ... Leider werden wir uns nicht vor April sehen können. Die Regierung will es so...

Briefe zu schicken ist zum echten Problem geworden. Das Unwichtigste scheint verdächtig zu sein. Ich muß sie immer wieder umschreiben. ... Mein Brief an Zita ist über einen Monat lang hin und her gegangen. Es ist fast unmöglich, alle Hindernisse zu überwinden.

... Mein Zellengenosse macht mir mit seinen Drohungen mit Sibirien die Hölle heiß. Er prophezeit mir, daß man mir dort schon alle »Illusionen« austreiben werde ...

 

JULIUS SASNAUSKAS SCHREIBT OSTERN 1981 AN SEINE ANGEHÖRIGEN:

Haleluja! Meine besten Grüße an Euch alle an diesem herrlichen Auferste­hungsmorgen! Leider kann ich nicht wie Simon das Kreuz von Ihren Schultern nehmen. Ich hoffe aber von ganzem Herzen, daß es leichter werden möge. Die Jahre werden vorübergehen. Ich werde nach Hause kommen und die Feste werden wieder schön sein. In meinem Innersten wird jedoch immer die Erinnerung an diese Tage hier wachbleiben — diese bittersüßen Feste im Gefängnis...

Sie wollen mich nach Tomsk bringen. Mit Gottes Hilfe werde ich nicht zu­grunde gehen und hoffe, daß Sibirien mich nicht auffressen wird. Ihr sollt Euch nicht mehr grämen.

 

JULIUS SASNAUSKAS SCHREIBT IN SEINEM BRIEF VOM 6. MAI:

Es ist schon Mai, mein letzter Monat im Bunker. Obwohl es schwer ist, die letzten Tage an solch einem Ort durchzustehen, besonders wenn Frühling ist, ist es doch wunderbar, daß das Ende nahe ist... Das Ende, das anfangs so schwer vorstellbar war zwischen diesen Betonwänden und der nassen Decke. Die Freiheit ist noch weit, doch ihr Bild geht mit mir von Ort zu Ort und nicht nur als schmerzliche Erinnerung, sondern in erster Linie als Zeichen des Glaubens, der Hoffnung...

Ich wollte Dir früher schreiben, noch vor dem Muttertag. Herzliche Grüße an Mutter und Großmutter... Es fällt mir so schwer, dafür Worte zu finden. Hier an meiner Liege habe ich eine Briefmarke mit einer winzigen Leonardo-Madonna. Und es scheint, daß Leben, Liebe und immer­währender Frühling bis zu diesem schrecklichen Ort durchsickern.

 

JULIUS SASNAUSKAS SCHREIBT IN SEINEM BRIEF VOM 11. MAI:

Jetzt haben wir den Marienmonat. Und Maria ist uns so nahe mit ihrem vom Schwert des Schmerzens durchbohrten Herzen, oder wie sie steht unter dem Kreuz ihres Sohnes. Es ist aber nicht nur die Trauer, wir wissen, daß dort nichts umsonst geschehen ist.. .

Sie sagten mir, daß ich nur noch bis zum 11. Juni von einem Gefängnis zum

anderen geschleift werde, danach woanders hin. (Exilbeginn: 11. Juni —

Anmerkung der Redaktion). Ich werde diese Wochen schon durchstehen.

Herzliche Grüße an alle. Gott sei mit Euch!

Julius Sasnauskas' Adresse im Exil:

Tomskaya oblast s. Parabelskoe Sovetskaya 147a

Er lebt dort in einem Internat und arbeitet als Sanitätsgehilfe.

 

GENUTĖ NAVICKAITĖ SCHREIBT IN IHREM BRIEF VOM 17. APRIL:

Mit den ersten Zeilen meines Briefes grüße ich Euch in diesem schönen Frühling und nahe dem Osterfest... Der 19. April ist Kollektivtag und wir müssen arbeiten wie an einem gewöhnlichen Werktag. Nur, daß wir dafür nicht bezahlt werden. Später schreibe ich, wie dieses geliebte Fest vorbeigegangen ist.

Ich verdiene ungefähr 50 Rubel im Monat. Die Kosten für das Essen werden davon abgezogen. Dann bleiben mir noch 35 Rubel übrig. Davon kann man

Essensmarken im Wert von 9 Rubeln kaufen, wenn man das Soll erfüllt hat. Der Rest des Geldes bleibt für später, das heißt, ich bekomme es, wenn ich wieder frei bin. Und von heute an muß ich noch genau ein Jahr hier blei­ben ... Jeden schweren Augenblick opfere ich für Euch und alle auf, die in der Wahrheit leben.

 

Wir sind hier nicht besonders beliebt, weil wir etwas anders sind als die anderen. Wir fluchen nicht und streiten uns nicht. Soweit ich verstanden habe, werden die Gläubigen hier schlimmer als alle möglichen Kriminelle angesehen.

Eines ist klar. Gott ist die Wahrheit und für Ihn kann man nicht nur diese

Jahre, sondern auch das ganze Leben hingeben.

Ich danke Euch für Eure Gebete und Sorgen. Gott sei mit Euch!

 

ONUTĖ VITKAUSKAITĖ SCHREIBT IN IHREM BRIEF VOM 3. MAI:

Heute ist der erste Sonntag im Mai: Muttertag. Dabei gibt es so vieles zum Nachdenken, sich erinnern, das alles aber soll unter dem Schutz unserer liebsten Mutter Maria bleiben. Sie war Lehrmeisterin der Liebe, des Opfers und der Güte für unser Mütterlein. Unsere Demütigungen und Verachtun­gen durch andere sollen unser Dank dafür sein. Es soll gleichzeitig für solche Mütter eine Sühne sein, die nicht nur die Körper, sondern vor allem die Seelen ihrer Kinder gedankenlos morden lassen. Sie verachten die Mutter der Liebe und vergeuden dadurch die Quelle, aus der sie Liebe, Güte und Stärke auf dem Weg des mütterlichen Opferganges schöpfen könnten. Im Arbeitslager habe ich sehr klar begriffen, wie furchtbar das Schicksal eines Menschen ist ohne Gott, ohne die ewige Liebe.

Gib bitte meinen besten Dank an alle diejenigen weiter, die für uns hier beten. Gott sei mit Dir!

 

ONUTĖ VITAUSKAITĖ SCHREIBT IN IHREM BRIEF VOM 17. MAI:

Es gibt nichts Neues hier in unserem kleinen Stück Welt, außer daß meine Freundin Genute aus der Freiheit ein trauriges Telegramm mit der Nachricht des Todes ihrer Schwester erhielt. Es war natürlich schrecklich. Eine schmerz­liche Nachricht. Stark im Glauben, hat Genute auch das ertragen. Sie hoffte, der Verstorbenen noch Lebewohl sagen zu können. Sie machte viele Ein­gaben deswegen, aber vergebens. .. (Pfarrer Zemonas Navickas, Genutes Bruder, und auch ihre Angehörigen taten ihr Äußerstes, wenigstens eine Suspendierung für die Dauer der Beerdigung zu erwirken, wie das Gesetz es erlaubt. Der Staatsanwalt verweigerte eine Erlaubnis — Anmerkung der Redaktion). Für mich war es schmerzlich, ihren stillen Kummer zu sehen. Ihre Pein fand ein Echo in der großen Liebe Gottes... Es ist sehr schade, daß die Briefe Nr. 10, 11, 12 und 13 nicht bei mir an­kamen. Auch die Ostergrüße in der Nr. 14 liegen noch irgendwo fest. Sie wollen mich mit aller Macht daran hindern, Christus zu sehen, sogar auch wenn es nur auf einer Postkarte ist. Ähnlich bewachten bewaffnete Männer auch das Grab Christi, um ihn an der Auferstehung zu hindern. Und trotz­dem ..  begehen wir das Osterfest bis heute.

Noch einmal Dank für die Gebete und für alles, alles. Ich will mit Euch im Gebet vereint sein, so gut ich es kann. Ein frohes und glückliches Osterfest!

 

VLADAS LAPIENIS SCHREIBT IN SEINEM OSTERBRIEF 1981:

Derjenige, der aus Liebe alles hergeben kann — Glück, Freiheit, Gesundheit und sogar das Leben — ist ein echter Liebender. Er trachtet weder nach Ruhm noch persönlichem Vorteil. So hat Christus die Menschen geliebt.

Thomas ä Kempis sagt, daß nicht eine einzige Stunde während des Lebens Jesu auf Erden ohne Schmerzen war. Doch suchen wir nicht nach einem anderen Weg als dem des Leidens? Wollen wir nicht einen anderen Weg einschlagen als den, den unser Heiland gegangen ist? Wie schon der Apostel Jakobus schrieb, soll es uns eine wahre Freude sein, Prüfungen zu bestehen, wenn wir schon nicht des Märtyrertodes sterben. Wir müssen verstehen, daß die Prüfung unseres Glaubens die Ausdauer bewirkt und die Ausdauer reift durch Taten, damit wir vollkommen und heil werden (Jak. 1; 2—4). Es heißt, daß man alle Mühsal geduldig ertragen muß, denn dafür erwartet uns eine große Freude im Himmel. Aber schon auf Erden wird diese Mühsal für Christen, die Jesus aufrichtig lieben und mit ihm das Kreuz tragen, leicht gemacht. Nur wir erfahren, wie froh es macht, dieses Kreuz mitzutragen. Die Welt erkennt das nicht. Wir sind noch auf dem Kalvarienberg, feiern aber schon den Sieg im Himmel!

(V. Lapienis' Exil in Sibirien endet am 20. Juli 1981 — Anm. d. Redaktion)

 

P. LUKOŠEVIČIUS SCHREIBT (AUSZUG):

Die grausame und hinterhältige Hand des Sicherheitsdienstes hat mich erneut getroffen. In den frühen Morgenstunden des 22. Januar 1981 holten sie mich aus meiner Wohnung (Tulpių 21-62) und brachten mich in das Republika­nische Psychoneurologische Krankenhaus in Naujoji Vilnia. Dieses Mal weiß ich nicht, weshalb und wie lange ich hier bleiben muß. Man erfährt nichts. Alles ist geheim. Das Psychiatrische Krankenhaus dient nur den dunklen Zwecken des Sicherheitsdienstes ... Die »Behandlungen« erfolgen auf Befehl des Sicherheitsdienstes. Kein Gesetz kann hier helfen, wenn man die Wahr­heit sucht. Natürlich gibt es eine Verfassung, doch... sie existiert nur für Propagandazwecke im Ausland und zur Irreführung der Menschen, die dort leben.

Ich erwarte den Frühling. Wenn es wärmer wird, dann erträgt man vieles leichter. Wir dürfen auch nach draußen, dort fühlen wir uns weniger unter­drückt ... Aber wegen unserer dürftigen Kleidung kann man es nicht lange draußen aushalten.

Ich wünsche allen alles Gute und Gottes Segen. 12. März 1981