Am 3. Juli 1981 wurde der Kämpfer für die Freiheit des Glaubens, Vladas Lapienis aus der Verbannung entlassen. Der Verbannte kam physisch er­schöpft zurück, aber stark im Geiste.

Am 30. Juli 1981 ist Povilas Buzas in die Freiheit zurückgekommen, der wegen der Vervielfältigung der religiösen Untergrundliteratur eineinhalb Jahre im Lager mit strengem Regime verbracht hat.

Mečislovas Jurevičius verbüßt seine Strafe im Lager mit strengem Regime in Kapsukas.

Seine Adresse: 234520, Kapsukas OC 12/3 Būrys, brigada 51 Jurevičius Mečislovas, Jurgio.

Ingenieur Vytautas Vaičiūnas wurde nach der Gerichtsverhandlung in das Lager von Pravieniškės gebracht, aber nach ein paar Monaten kam er per Etappe in das Innere Rußlands. Seine Adresse ist bislang noch nicht bekannt.

Vytautas Vaičiūnas schreibt:

Diesen Brief schreibe ich aus dem Gefängnis zu Lukiškės. Du bist während meiner Gerichtsverhandlung dabei gewesen und hast gesehen wie das, was an einem Tag verworfen wurde, am nächsten Tag wieder angenommen und verurteilt wurde ... es hat so sein müssen! Nimm das als Opfer an.

Ich sitze in einer Zelle, in der die Menschen für weitere Etappen gesammelt werden. (...) Hier sind persönliche Besuche nicht erlaubt. Es werden nur gemeinsame durch eine Glaswand bewilligt, wo man sich durchs Telefon miteinander unterhalten darf. Es ist wahrscheinlich notwendig, daß der Schöpfer auch an jenen Stellen geehrt werden soll, wo er am meisten ver­gessen ist.

Ich wiederhole die Worte von Gemma (Stanelytė — Bern. d. Red.): »Nimm, o Herr, mein kleines Opfer an.« Am 27. 6. 1981.

 

Ein Brief aus dem Pskower Gefängnis:

Sie haben uns deswegen so streng bestraft, weil wir unsere Heimat Litauen geliebt haben, weil wir für das eigene Volk die Freiheit wünschten, weil wir keine Sklaven der Mißgeburten unseres Volkes und seiner Feinde sein wollten. Unser Gewissen ist aber ruhig, weil der Feind nicht fähig war, un­seren Willen zu brechen. Jetzt sind wir auf dem Weg in die Zwangsarbeit, auf die lange Jahre der Verbannung in Sibirien folgen werden. Niemand kann sagen, ob wir noch alle irgendwann in unsere Heimat zurückkehren werden. Unserer Zukunft sehen wir trotzdem mit Ruhe und Entschlossenheit ent­gegen. Untereinander trennen uns manche verschiedene Anschauungen und Uberzeugungen. Einer von uns ist ein Sozialist, der andere ist ein Demokrat, der dritte ein Humanist; zwei sind praktizierende Katholiken, der eine indif­ferent. Uns verbinden aber Ideen, für die wir uns entschlossen haben, unsere sichtbare Freiheit zu opfern. Jetzt hat uns das gemeinsame Schicksal noch enger aneinander gebunden ...

Aus den düsteren unterirdischen Verließen des Gefängnisses senden wir unseren Dank, die herzlichsten Glückwünsche und wir bitten um Gottes Segen und viele Gnaden für alle, die an uns mit gutem Wort denken. Wir hoffen, daß unsere Opfer, niedergelegt auf dem Altar des Heimatlandes, die Flamme weiter erhalten wird, daß sie von keinen Alltäglichkeiten des Lebens gelöscht werden kann.

Am 17. 7. 1981. G. V. Iešmantas, P. Pečeliūnas, V. Skuodis. Dozent Vytautas Skuodis schreibt:

Mein Leiden ist mir süß und mein Opferweg ist für mich leicht, weil ich den Sinn kenne, der für mich unzählige Male kostbarer ist als mein eigenes Leben selbst. Ich bitte um Gottes Gnadenfülle für Sie! (...) Ich war sehr angenehm überrascht, als ich am 7. Juli sogar 9 Briefe bekommen habe. Besonders überraschte und erfreute mich, daß 4 von ihnen mich nach einer Reise von 33—35 Tagen erreicht haben. Ich möchte bemerken, daß ich seit dem im Juni abgeschickten Brief keinen Brief mehr von den mir teuren Personen, die an mich denken, bekommen habe. (...) Aus Lettland ist ein neuer Mensch angekommen, Dainis mit Namen. Beinahe gleichjährig mit mir, ein Ingenieur und ein Künstler zugleich, ein Schüler von Sumiš. Am 11. 7. 1981.

 

Ein Brief von Anastazas Janulis an eine Schülerin:

Jugend, ich grüße das für Dich so charakteristische kindliche Vertrauen, die selbstlose Aufopferung, den tätigen Idealismus; die Kühnheit der Alpinisten im Streben nach dem Wahren, Guten und Schönen. Jugend, ich wünsche Dir Glauben, Hoffnung und Liebe, durch die die außergewöhnlichen Taten zu gewöhnlichen, und die gewöhnlichen zu außergewöhnlichen werden. Möge der Blick des Rūpintojėlis (eine kleine Holzfigur des leidenden Christus — unser Herr im Elend — die an Baumstämmen oder Bildstöcken in Litauen oft aufgestellt wurde. Anm. d. Ubers.) am Wegrand Deine Schritte begleiten!

Die Eucharistie und Maria mögen für Dich die Flügel sein, die Deine Seele ad astra emporheben. Wo heutzutage viele geneigt sind, vom Leben nur zu nehmen, Du, Jugend, gib!

Was könnte ich über mich selbst schreiben? Einerseits viel, andererseits nichts. In meinen Gedanken schreibe ich sehr viele Briefe auch an Dich, Jugend, sie erreichen die Adressaten leider nicht, denn diese Gedanken werden auf keinem Papier festgehalten. Und das, was festgehalten wird, das verliert den Hintergrund meines alltäglichen Daseins. Auf einem Kreuzchen, das ich auf meiner Brust trage, steht geschrieben: »Ich bin gekreuzigt auf dem Kreuz Christi«. Oh, wie gerne möchte ich, daß diese Worte sich in mir bewahrheiten, daß ich ihrer würdig sein könnte. Es steht geschrieben: Den fröhlichen Geber hat Gott lieb. Deswegen singe ich in meiner Seele das Te Deum, weil Gott mich als Opfer ausgesucht hat, auf den Wegen seines Sohnes zu gehen, wenn es nötig sein wird, von Gethsemani bis Golgotha. Es ist ganz natürlich, daß ich mich nach Altären und Orgeln sehne. Jetzt ist aber der Tempel der Natur meine Kirche. Sie ist ein offenes Buch des Schöp­fers, das mir das Evangelium ersetzt. Wenn man dieses Buch liest, dann ist es sehr leicht, nicht nur hin und wieder zu beten, sondern auch die Gedanken ständig zum Gebet zu machen. Auf unseren Hof kommen nicht wenige Tauben geflogen. Wenn ich sie anschaue, erinnere ich mich an die Worte Christi: »Seid arglos wie die Tauben, aber klug...«, oder die Worte meiner Mutter: »Gebe dir Gott den Heiligen Geist«, eine Taube ist doch ein Sinn­bild des Heiligen Geistes. Wenn ich die simplen, grauen Spätzchen auf dem Dach sehe, dann ist es mir, als ob ich die Worte Christi hören würde: » ... Wieviel wertvoller seid ihr als viele Spatzen ...? und keiner von ihnen (diesen Spätzchen) fällt vom Dach ohne Wissen des himmlischen Vaters .. .« Wenn ich ein auch noch so verkümmertes Blümchen sehe, erinnere ich mich an den Spruch Christi: »Ängstigt euch nicht und seid nicht besorgt, was ihr essen, was ihr trinken oder was ihr anziehen werdet... Seht auf die Vögel des Himmels ... betrachtet die Lilien des Feldes ... Selbst Salomo... war nicht prachtvoller gekleidet, wie eine von ihnen.» Ich verehre den Schöpfer, denn jetzt habe ich wahrhaftig nichts, worum ich mir Sorgen machen müßte — für alles sorgt die Vorsehung durch ihre Geschöpfe. Ich habe etwas zum Essen, bin angezogen und kann schlafen. Mit einem Wort: es genügt, Gott zu lieben, und alle Dinge werden zum Besten dienen, sogar die Arbeit wird zum Segen. Und so ist es auch: das Gebet und die Arbeit, das sind meine zwei Flügel, mit denen ich mich von der Erde bis zum Himmel emporhebe. Wenn der liebe Gott mich eines Tages zu sich rufen wird, werde ich nicht mehr mit »bloßen« Händen zu Ihm kommen müssen, sondern Handschuhe anziehen — von mir selbst genähte Handschuhe (A. Janulis näht im Lager Handschuhe — Bern. d. Red.). An Gott zu denken, und die innere Verbin­dung mit Ihm zu bewahren, dazu helfen uns alle fünf Sinne, die uns gegeben sind. Wenn man hier lebt, ist es sehr wichtig, mit Gott und in Gott zu leben.

Ein Mensch, der mit Gott lebt, ist überzeugt, daß in der Welt alles nur relativ ist: Glück und Unglück, Freude und Leid, sogar die Freiheit und Unfreiheit, Gesundheit und Krankheit.

Zur Zeit bin ich gesund (geringe Unpäßlichkeiten gelten für mich nicht). Das Klima ist bei uns kontinental. Der Wind wechselt sehr oft seine Richtung: einmal kommt er vom Süden, bald darauf wieder vom Westen oder Osten. Es ist trocken; dieses Jahr hat es, man kann sagen, überhaupt nicht geregnet. Es ist heiß und schwül. Die Luft wird jetzt langsam etwas kühler. Die Nächte sind sehr lieblich. Ich hatte eine angenehme Gelegenheit, sie zu genießen. Ich habe das Glück gehabt, einige Nächte in der freien Luft draußen zu schlafen. Lieber Gott, welch ein Segen! Man liegt mit offenen Augen und schaut die wunderbare Schönheit des Weltalls. Bei der Betrachtung der Sterne und des Himmels, erinnere ich mich an die Worte des großen Spaniers: »Wie armselig sieht die Erde aus, wenn man den Sternenhimmel betrachtet.. .!« Wie viel könnte man allein über die Nacht schreiben! Nicht umsonst be­singen sie die Dichter. Ich habe in diesen Nächten auch viel gebetet und viel phantasiert. Und wo ich überall in diesen Nächten gewesen bin! Ich lieh mir vom Himmel den Grįžulis-Wagen (so wird in litauischer Sprache das Sternbild des Großen Bären genannt — Bern. d. Übers.), spannte Sterne ein und ... es ging los durch die schlafende Welt... Beim Uberfliegen der Fel­der, der Wälder und der Seen der schlafenden Heimat scheint es mir, als ob ich die Worte des Dichters Maironis höre: »Die Erde ist eingeschlafen...« Aber... viele Herzen schlafen nicht. Wer sind sie? Das sind unruhige Her­zen. Da wacht eine Mutter, an der Wiege ihres Kindes gebeugt, da wacht ein Priester, der wegen verschiedener Arbeiten am Tag mit seinem Stunden­gebet nicht fertig wurde; leider, wachen auch noch einige andere.

 

Julius Sasnauskas schreibt:

... Ich habe den Gefängnisstaub abgeschüttelt und bin ein Verbannter ge­worden. Sonderwachposten (so haben sie sich genannt) haben mich aus Vil­nius hinausbegleitet — zwei Soldaten und ein Offizier. Im Flugzeug legten sie mir die Handschellen an... deckten sie aber zu spät mit einer Zeitung ab. Die Leute sind doch neugierig. . den ganzen Weg machten sie sich dar­über lustig und spotteten über meine Bewacher.

In Tomsk brachten sie mich wieder ins Gefängnis. Wieder gab es Durch­suchungen und langes Warten, bis sich endlich die Tür der Zelle öffnete. Die Zelle selbst ist sehr klein; im Sicherheitsdienst lebten wir in einer solchen Zelle zu zweit, hier waren wir sogar zehn. Zementfußboden, zweistöckige Pritschen, das Fenster beinahe ganz zugenagelt! Es ist heiß und schwül. Um Mitternacht ziehen Legionen von Wanzen auf die Bühne. Mich hielten sie nur eine Nacht im Gefängnis, denn am Freitagnachmittag bewegten wir uns schon per Etappe in Richtung Parabel.

Genau einen Tag später, am Samstagnachmittag also, war ich schon in Pa­rabel. Zwei Nächte habe ich in einer Arrestzelle der Miliz verbringen müs­sen. Montag früh kam die Verwaltung und nach allen Instruktionen... ent­schlüpfte ich hinaus.

Ich wohne in einem Gemeinschaftshaus, ganz am Rande des Städtchens.

Ohne Erlaubnis des Kommandanten darf ich keinen Schritt wegfahren. (Das haben sie sich selbstverständlich selber ausgedacht, denn der Kodex schränkt nur den Verwaltungsrayon ein, aber nicht die Ortschaft). Ich werde als Schlosser-Sanitätstechniker in einem Erdölförderungswerk arbeiten. Auch das haben sie mir selber zugeteilt, soll nämlich heißen: sie werden es schon schaffen, auf ihn »entsprechend einzuwirken«. Es ist klar, daß der Erzie­hungsarbeit damit noch nicht Genüge getan ist; es ist schon irgendein »Herr« dafür vorgesehen...

Am 15. 6. 1981.

(...) Česnavičius (...) hat irgendwann gedroht, alle aus dem Flugzeug aussteigen zu lassen, die auf den Gedanken kämen, mich zu besuchen ... er belehrte mich, daß ich standhaft bleiben solle bei »dem Zureden und den Versuchungen« der Besucher.

(...) Ich erinnere mich sehr gut an das letzte Wort. Wie Česnavičius sagt, haben die Korrespondenten es ganz falsch verstanden und deswegen wurde in der »Tiesa« die tschekistische Variante wiedergegeben. Für das Gnaden­gesuch (genauer gesagt für seinen Schluß) ... braucht man keinen Kom­mentar abzugeben. Außer der letzten Seite, konnten sie nichts mehr heraus­holen. Und in dem in der »Tiesa« abgedruckten Faksimile haben sie zwei Sätze am Ende »abgeschnitten«. Freilich war die ganze Schreiberei ein Un­sinn. Aus dem Verhalten von Česnavičius nach der Gerichtsverhandlung habe ich geschlossen, daß man mir die Verbannung ersparen will. Später bin ich paar Mal in einen Streit geraten ... und ihre Einstellung hat sich geändert; sie hörten auf, mich zu »erziehen« und als Tausch gegen die Freiheit ver­langten sie nicht nur ein zweites Gnadengesuch, sondern auch noch »eine genaue Information und Unterwerfung« ...

Am 26. 7. 1981.

Nachdem Nijole Sadūnaitė aus der Verbannung in die Freiheit zurückge­kehrt ist, bekommt sie auch weiterhin überhaupt keine Briefe; nicht nur die Briefe aus dem Ausland, sondern auch die inländischen Briefe werden vom KGB beschlagnahmt. Aus Anlaß ihres Geburtstages (am 22. Juli) über­mittelte das Internationale Nijolė Sadūnaitė-Komitee durch den Rundfunk eine schöne Gratulation:

»Herzliche Glück- und Segenswünsche für unsere liebe, unvergeßliche Schwe­ster Nijolė Sadūnaitė zu ihrem Geburtstag! Keiner von Deinen Freunden, Schwestern und Brüdern weiß, wo Du jetzt lebst. Wenn Du auch nicht schrei­ben kannst, sind wir mit unseren Herzen und Gedanken immer mit Dir, wie auch in unseren täglichen Gebeten, in die auch Deine Lieben miteinbezogen werden... Unsere guten Wünsche werden Dich verspätet erreichen, aber tief aus dem Herzen; gleichzeitig denken wir an Dein kleines, aber mutiges Volk und Deine unzähligen Schicksalsfreunde und ihre Familien. Dein Ver­wandter und seine Familie in den Vereinigten Staaten von Amerika schließen sich unseren Wünschen, Gebeten und Grüßen an. Möge der Himmel Dich beschützen und behüten! Möge der Herr Dich segnen und Seine Hand im­mer über Dich halten! Du, wie auch Deine Lieben, bleiben immer unter uns. Von ganzem Herzen von allen Deinen Freunden, Schwestern und Brüdern im Internationalen Nijolė Sadūnaitė-Komitee. Eine Unzahl von hl. Messen sollen unser Geschenk zu Deinem Geburtstag sein.«

Nijolė Sadūnaitė wird sich nicht für die Gratulation bedanken können, wie auch viele andere, die in der Ungnade der sowjetischen Regierung sind, es nicht können. Deswegen dankt die »Chronik der LKK« dem Internationalen Nijole Sadūnaite-Komitee und allen, allen, die mit liebendem Herzen die Kämpfenden und Leidenden für die Freiheit des Glaubens in der Sowjet­union unterstützen.