ERZDIÖZESE VILNIUS

Eingabe von 1709 Gläubigen an Breznev betreffend eines Gemeindegebäudes

Ceikiniai

Am 5. September 1972 schrieben die Gläubigen der Gemeinde Ceikiniai, Rayon Ignalia, folgende Eingabe an den Generalsekretär des ZK der KP der UdSSR, L. Breznev:

„Wir bedauern es sehr, wegen solch einer Banalität, wie der Instandsetzung des Pfarrlagerhauses uns sogar an Moskau wenden zu müssen. Dies Vorgehen ruft uns eine Reihe anderer schmerzlicher Begebenheiten ins Gedächtnis, die wir gerne vergessen würden.

In Ceikiniai, unweit des Kirchplatzes, steht ein schadhaftes Pfarrholzlager und ein zerfallenes Wirtschaftsgebäude. An deren Stelle würden wir gerne ein ordentliches Wirtschaftsgebäude aufstellen. Anfang 1971 baten wir um eine Renovierungsgenchmigung. Nach vielen Vorsprachen und Bitten, sagte uns am 27. Mai 1971 der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons Vaitonis, daß wir uns in dieser Angelegenheit an den Bevollmäch­tigten des Religionsrates in Vilnius wenden sollten. Wir befolgten den Rat. Der Bevollmächtigte des Rates aber verwies uns wieder an die Rayonverwaltung. Und so fort — dies dauert bereits 2 Jahre an. Unzählige Male sind wir wegen der Genehmigung herumgefahren und ebenso oft suchten uns die Rayon­funktionäre auf. Darunter der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutiv­komitees des Rayon mit einem Untersuchungsrichter, der Finanzabteilungs­leiter, die Miliz, der Rayonarchitekt (sogar 4 mal), einige Male der Ortsvor­sitzende, der Parteisekretär... Sogar drei mal wurden die Dokumente für das gekaufte Renovierungsmaterial überprüft — als ob es sich in der Zwischenzeit vermehrt haben könnte.

Am 30. Juni 1971 schrieben wir an den Ministerrat der Litauischen SSR. Am 30. August 1971 schließlich erteilte uns die Rayonsverwaltung die Reno­vierungsgenehmigung. Ein angesehener Bauleiter des Rayons riet uns, ein Haus von jenen Leuten aufzukaufen, die wegen der Melioration aus ihren Gehöften ausziehen mußten und dann dieses hier als Wirtschaftsgebäude auf­zustellen. Da wir nun nicht das Holzmaterial beschädigen wollten, begannen wir, das Gebäude 80 cm breiter aufzubauen, dafür aber entsprechend kürzer. Außerdem verschoben wir das Wirtschaftsgebäude einen ganzen Meter vom Kirchplatz weg zum Garten hin.

Daraufhin befahl uns die Rayonsverwaltung am 21. Juli des Jahres, den begonnenen Umbau abzureisen. Fruchtlos blieb auch unsere Vorspräche beim

Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten. Wir wurden des eigenmächtigen Baus bezichtigt.

In einer Dorfortschaft und ziemlich abgelegen vom Weg, ergibt sich die Frage, ist es denn so wichtig, ob dieses Gebäude nun 80 cm breiter oder schmäler ist. Doch dies ist nicht der wahre Grund. Der Volksmund sagt: „Wer prügeln will, der findet auch einen Grund." Die Verletzung der Bauverordnungen ist hier nur ein Vorwand. Am 30. Juni 1972 wurde das Exekutivkomitee unserer Religionsgemeinde in die Rayonverwaltung beordert. Dort eröffnete uns der Bevollmächtigte des Rates: „Entfernt die Kinder vom Altar, achtet darauf, daß sie bei derMesse nicht dienen, bei der Prozession keine Blumen streuen; seht zu, daß keine Priester aus anderenOrtschaften bei euch in der Kirche aus­helfen — erst dann werden wir, euch erlauben, dasWirtschaftsgebäude zu renovieren."

Aber was hat denn der Gottesdienst mit der Instandsetzung eines Wirtschafts­gebäudes zu tun?

1965 wurde in Ceikiniai auf Befehl der Rayonsverwaltung ein uns teures Kreuz mit der Begründung, daß es den Verkehr störe, niedergerissen. Heute um­wuchern an dieser Stelle Büsche einen Elektrizitätsmast... Am 2. Dezember 1966 mußten wir 59.76 Rubel Geldstrafe zählet*, wegen „Verletzung" des Naturgesetzes, da wir auf unserem Friedhof die angefaulten Birken abgesägt hatten, die umzufallen und die Grabmäler zu zerstören drohten.

Stehen verfaulte Birken auch unter Naturschutz? Wenn ja, warum lassen dann

die zuständigen Ämter sie völlig verrotten und umfallen? Wo bleibt hier die

Logik? Der Grund ist klar: — wir sind Gläubige.

Schon oft haben wir uns wegen ähnlicher Mißstände beklagt.

Am 10. Mai 1964 und 16. März 1965 schrieben wir an den Bevollmächtigten

des Kaies für religiöse Angelegenheiten.

AM 19. Dezember 1966 und 16. April 1967 an den Vorsitzenden des Minister­rates der Litauischen SSR.

AM 25. März 1968 baten wir den Bevollmächtigten des Rates uns darzulegen,
welche Gesetze oder Verordnungen den Kindern das Ministrieren verbieten.
Bis heute haben wir keine Antwort erhalten.
AM 3. März 1969 schrieben wir an das Kultusministerium....
Am 30. Mai 1971, 9. Dezember 1971 und 20. Juni 1972 an den Bevollmäch-
tigten des Rates für religiöse Angelegenheiten           

Am 30. Juni 1971 und 27. Juli 1972 an den Ministerrat der Litauischen SSR. Etliche Male wandten wir uns an die Rayonsverwaltung. Am 24. Juni 1968 rief der Bevollmächtigte des Rates das Kirchenkomitee zu sich und wies es an, keine Gesuche mehr einzureichen.

Weitere Sorgen und Interventionen

 

Am 30. Juni 1971 schilderten wir dem Ministerrat folgende Nöte:

1.      Seit 1940 hatte in unserer Kirche keine Firmung stattgefunden, deshalb baten wir Bischof Steponavičius wenigstens einmal nach Ceikiniai kommen zu lassen, damit er das Firmsakrament spenden könne.

2.      Lange Zeit weigerte sich die Rayonsverwaltung, Elektrizität in die Kirche legen zu lassen. 1965 sagte der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutiv­komitees: ,.Sechs Weiber werden euch mit Kerzen leuchten, dann braucht ihr keine Elektrizität." Letztes Jahr sperrte die Rayonsverwaltung die 3-phasen Elektrizitätsleitung, sodaß der Orgelmotor nicht mehr betrieben werden konnte. Es hieß, man müsse Strom sparen. Doch wir verbrauchen in der Kirche nur sehr wenig — 1970 waren es lediglich 457 Kw.

3.      In unserem Land werden sehr oft Hilfseinsätze organisiert: die Helfer kommen aus der Stadt, aus anderen Dörfern, sogar aus anderen Republiken. Doch uns verbietet man sogar, Priester aus der Nachbarschaft zu Hilfe zu laden. Als wir uns am 14. März 1965 in dieser Sache an den Bevollmächtigten des Religionsrates wandten, schalt er uns böse: „Ihr seid doch Männer und kümmert euch um Kirchenangelegenheiten! Habt ihr überhaupt kein Schamgefühl?"

Am 8. Juni 1966, vor dem Ablaßfest des Hl. Antonius, widerfuhr uns ähnliches bei der Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Frau Gudukienė; sie verweigerte sogar die Annahme unseres Gesuches.

4.      Am 7. Mai 1967 erschien der Leiter der Kultusabteilung Jadzevičius, holte den Priester aus der Kirche und störte den Gottesdienst indem er ihn ausfragte, wieso der Pfarrer von Švenčioniai ohne Genehmigung aushelfe.

5.      1966 ließ die Lehrerin der Ceikiniai Schule, Frau Šiaudinienė den Schüler der 6. Klasse, Martinkėnas, zur Strafe dafür, daß er sein Fahrrad am Kirchplatz abstellte, einen Monat lang den Klassenfußboden aufwischen.

6.      Am 9. Dezember 1968 wurde in Ceikiniai der tragisch ums Leben gekommene Schüler P. Juršėnas kirchlich beerdigt. Das Begräbnis fand nach dem Unterricht statt, doch die Schüler wurden absichtlich in der Schule festge­halten. Sogar die Klassenkameraden durften den Toten nicht zu Grabe geleiten.

7.      Am 16. April 1964 holte der Leiter der Kultusabteilung in Ignalia u.a. den Mittelschüler B. Laugalis aus dem Unterricht und setzte ihn unter Druck und befragte ihn, warum er beim Pfarrer wohne; er kündigte ihm eine schlechte Charakteristik an: „Du wirst nirgends eintreten können," drohte, ihn aus der Schule zu weisen, befahl ihm ein gegen den Priester gerichtetes Schreiben zu unterzeichnen und meinte: „Wir werden schon mit ihm Fertig."

Kaum hatte der Knabe das 16. Jahr vollendet, nahm ihm die Miliz in Ignalia die Geburtsurkunde ab und unser Pfarrer wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil der Schüler ohne Paß und Anmeldung bei ihm wohne. Doch wie konnte sich dieser Schüler einen Paß besorgen, wenn die Miliz die Papiere nicht herausgab?

Ähnliches widerfährt auch anderen Schülern, die zur Kirche gehen oder nicht in den Komsomol eintreten. 1971 erkläörte ein Schüler der XI. Klasse der Ignalia Mittelschule: „Es steht mir frei dem Komsomol beizutreten oder nicht. Abgesehen davon gebe die Komsomolzen kein gutes Beispiel. Die Komsomolzen Ručenko und Dervinis sitzen wegen ihrer Taten sogar im Gefängnis. Deshalb schreibe ich mich nicht ein." Ein andermal sperrte der Sekretär des Komsomols, Suminąs den Schüler im Zimmer ein, stampfte wütend mit dem Fuß auf und verlangte „Gehorsam gegenüber den Erwachsenen".

8.      Am Abend des 5. April 1971 beförderte ein Taxi in Ignalia den Pfarrer von Daugėliškis und nahm dabei auch einige Schüler der I. Mittelschule mit. Dies sah der Leiter der Kultusabteilung Jadzevičius. Er hielt es für ein „großes Vergehen", daß die Kinder zusammen mit dem Priester im Auto fuhren. Sofort machte er alles mobil. In der Schule mußten die Kinder „Erklärungen" schreiben. Nicht genug damit. Um den Priester beschuldigen zu können, las der Direktor persönlich das Geschriebene durch und wies die Schüler an, es zu „verbessern", indem sie unwahre Tatsachen hineinschreiben sollten; z.B. hieß er sie schreiben, daß sie erst nach 22 Uhr zu Hause angekommen seien, in Wirklichkeit waren sie ungefähr um 21 Uhr zurückgekehrt.

9.      Ende Mai 1971 diktierte die Lehrerin Daukšienė der Schülerin der IV. Klasse, Rakštelytė, eine „Erklärung", daß der Pfarrer von Ceikiniai die Kinder auf die Erstkommunion vorbereite. Danach befahl sie den Erstklässlern (R. Miklaševičius, Z. Maskoliūnas) dies abzuschreiben und zu unterzeichnen. Daraufhin wurden die Eltern in der Schule vorstellig: „Wir verlangen zu erfahren, was unsere Kinder schreiben müssen." Niemand zeigte den Eltern die Zettel.

10.  Am 31. Mai 1971 fuhren wir zum Bevollmächtigten des Rates für religiöse Fragen nach Vilnius und baten, die Angelegenheit des Wirtschaftsgebäudes den Rayonarchitekten zur Entscheidung zu übergeben. Doch es war zwecklos. Wir sind sehr verwundert, daß Laien sich in die Arbeit von hochqualifizierten Spezialisten mischen und Anordnungen erteilen. Es scheint, als ob die Stellvertretenden Vorsitzenden der Exekutivkomitees und die Bevollmächtigten des Rates selbst Elektrotechniker, Architekten, Künstler und schließlich Obermesner wären, die alle mit der Kirche zusammenhängenden Sachen regeln und die Gläubigen schikanieren.

11.    Am 22. Juni 1971, wir hatten bereits begonnen das schadhafte Kirchendach auszubessern, kam der Rayonvertreter und befragte uns, ob wir eine Genehmigung hätten, belästigte die Arbeiter und störte sie bei der Arbeit. Ein Helfer mußte sogar die Arbeit niederlegen, weil... seine Frau den Lehrberuf ausübt.

12.    Das Fest des Hl. Petrus ist einer unserer großen Religionsfeiertage und der Gottesdienst wird stets feierlich begangen. Alle Regierungsorgane sind damit einverstanden. Am Morgen des 29. Juni 1971 jedoch beschimpfte der Kolchosleiter in Ceikiniai, in Hörweite der Arbeiter, auf unflätige Weise den Pfarrer, wütend darüber, daß dieser in der Kirche die Messe las, nannte ihn einen Banditen, der erschossen, dem Staatssicherheitsdienst übergeben werden müsse.

Eine Komsomolzin erzählte, daß die Frau des Kolchosleiters Unterschriften gegen unseren Pfarrer sammele. ,, Dort drin steht lauter Unsinn," bekannte sie offen. „Ich habe nicht unterschrieben. Auch N.K. tat dies nicht." Doch natürlich werden sich immer Leute finden, die aus Schmeichelei gegenüber den Vorgesetzten auch unwahre Dinge unterschreiben werden.

Einige Mittelschüler in Ignalia wurden im Laufe 1971 sogar während des Unterrichts aus der Klasse gerufen und wegen solcher Eingaben vernommen sowie gezwungen, unterschriftlich solche Anschuldigungen gegen den Pfarrer zu bestätigen, über die sie noch nie etwas gehört hatten.

All diese Dinge, dargelegt in unserem Schreiben an den Ministerrat der Litauischen SSR vom 30. Juni, wiederholen sich oft.

Deshalb ersuchen wir um Beseitigung all dieser Mißstände.

Ceikiniai, im August 1972

 

Zusätzliche Information an Breznev

 

Während wir diese Eingabe aufsetzten, erreichte uns am 11. Juli 1972 der schriftliche Beschluß der Rayonverwaltung vom 21. Juli des Jahres, den bereits begonnenen Umbau des Wirtschaftsgebäudes wieder niederzureisen. Unser Kirchenkomiteevorstand setzte neben seine unterschriebene Bestätigung, daß er mit dem Inhalt des Beschlußes bekanntgemacht wurde, folgenden Vermerk:

„Solange aus Vilnius oder sogar aus Moskau kein endgültiger Bescheid eintrifft, bitte die Vollziehung des Beschlußes nicht zu übereilen." Am 14. August 1972 schickten wir an die Rayonverwaltung in dieser Ange­legenheit noch ein gesondertes Schreiben: „Da dies eine strittige Frage ist, wenden wir uns an höhere Instanzen und bitten, ihren Berschluß nicht zu

vollziehen, ehe wir eine Antwort der höheren Instanzen erhalten haben." Am 24. August 1972 (alle schliefen noch) kamen gegen 4.30 Uhr zwei Miliz­beamte mit acht Männern, darunter der Kolchosleiter von Ceikiniai und zerstörten das Gebäude. Die Balken wurden zerbrochen und zersägt, sogar das Fundament wurde mit irgendeiner Maschine aufgerissen. Nun sieht alles wie nach einem Bombardement aus, es ist sogar unmöglich die Stelle zu passieren. Wozu solch eine sinnlose Zerstörung der Arbeit und des Allgemeingutes? Hebt solch ein Benehmen die Autorität der Sowjetregierung in den Augen der Menschheit?

Anscheinend besitzt das Exekutivkomitee des Rayons die höchste Amtsgewalt und es hat keinen Sinn sich nach Oben zu wenden. Als wir z.B. am 14. März 1965 mit unseren Beschwerden zum Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten nach Vilnius fuhren, verwies er uns an die Rayonverwaltung: „Dort wird alles erledigt." Später sagte uns der Stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees, Vaitonis: „Na, habt ihr viel in Vilnius erreicht? Ich ändere meine Meinung nicht."

Unser Schreiben von 1971 an den Ministerrat der Litauischen SSR wurde ebenfalls an das Exekutivkomitee des Rayons weitergeleitet und brachte somit keinen Erfolg.

Am 5. September d.J. benachrichtigte uns der Bevollmächtigte des Religions­rates: „Auf Ihre Eingabe, gerichtet an den Ministerrat der LSSR, an uns weitergeleitet, geben wir bekannt, daß die Frage des Wirtschaftsgebäudebaus im Rahmen der Gesetzordnung entschieden werden muß." Hält sich denn die Rayonverwaltung selbst an die Gesetze, die allen Bürgern gleiches Recht und Gewissensfreiheit garantieren? Deshalb wenden wir uns, Hunderte von Gläubigen, an Moskau. Anlage: Drei Photographien der zu renovierenden und zerstörten Gebäude. Antwort erbeten an: Litauischen SSR, Rayon Ignalia, Post Ceikiniai, Dorf Dižiasalis, Juozas Maldžius. Diese Eingabe unterschrieben 1709 Gläubige.

Verhör anstatt einer Antwort

Vier Monate nach Absendung der Eingabe nach Moskau rief am 29. Dezember 1972 der Stellvertretende Vorsitzende des Exerkutivkomitees, Vaitonis, J. Maldžius zu sich, in dessen Namen die Eingabe der Ceikiniai Gemeinde abgeschickt worden war. Dort wurde der 74-jährige Greis von vier Funktionären der Zivilregierung über zwei Stunden lang ausgefragt, wer., die Eingabe geschrieben hätte, gescholten und sogar mit Gefängnis bedroht. Schließlich sagten sie: " Eure Eingabe nach Moskau hat nichts geholfen.

Die Kirchengebäude sind unser Eigentum. Wir erlauben nur, sie zu benützen. Entfernt die Kinder vom Altar, dann erlauben wir euch das Wirtschafts­gebäude zu renovieren."