Am 25. November 1981 verbreitete sich in Litauen die Nachricht, daß der Priester Bronius Laurinavičius auf tragische Weise ums Leben gekommen ist. Man wollte nicht glauben, daß das der Wahrheit entspricht, denn in Litauen verbreiten sich oft, oder werden sogar bewußt traurige Nachrichten verbreitet, daß jemand verhaftet wurde, daß jemand erschlagen oder zusam­mengeschlagen wurde, und manche von ihnen bewahrheiten sich nicht. Dies­mal aber bewahrheitete sich ...

Am 24. November 1981 um etwa 20.20 Uhr, in der Nähe der Straßenkreu­zung der Dzeržinskio—Zalgirio-Straßen in Vilnius, verletzte ein automati­scher Kipper Maz-503, gesteuert von Lazutkin, den Pfarrer von Adutiškis, Mitglied der Litauischen Helsinkigruppe, Priester Bronius Laurinavičius tödlich.

Als die Gläubigen und Priester Litauens von diesem tragischen Unfall hörten, behaupteten sie alle einstimmig — das ist eine Tat des KGB! Einige Tage vorher war in der Zeitung »Tiesa« (»Die Wahrheit«) ein Artikel der Kor­respondentin Danguolė Repšienė abgedruckt, der gegen den Priester Bronius Laurinavičius gerichtet war, weil dieser angeblich das Leben der Kinder schädige.

Die Umstände seines tödlichen Unfalles sind sehr unklar. Die Unfallakten über den Tod des Priesters übernahm aus der Autoinspektion von Vilnius das Innenministerium der LSSR und sie bearbeitet der Untersuchungsrichter Vaitiekūnas.

Schon gleich nach dem Unfalltod des Priesters erregten einige sonderbare Umstände die Menschen. An der Stelle des Unfalls liefen viele Menschen zusammen. Die Miliz scheuchte sie alle auseinander, erlaubte keine Grup­penbildung, eine betrunkene Frau ausgenommen, die fleißig allen erzählte, daß angeblich »der Alte betrunken war, ging bei Rot über die Straße und geriet unter die Räder«. Als am nächsten Tag die Menschen sich wieder an der Unfallstelle versammelten, erschien wieder eine nach Alkohol stin­kende Frau und erzählte, daß der Priester selber unter die Räder geriet. Am nächsten Tag meldete die Zeitung von Vilnius »Vakarinės naujienos« (»Abendnachrichten«) und der Rundfunk kurz, daß am 24. November um 20.20 Uhr in der Žalgirio-Straße ein Auto Maz-503 (Kraftfahrer G. Lazut­kin) einen Fußgänger überfahren und tödlich verletzt habe.

In der darauf folgenden Nummer lud die »Vakarinės naujienos« alle, die den Unfall gesehen hatten, ein, in das Innenministerium zu kommen. Die Leute, die den Unfall gesehen haben, dabei aber den Verdacht hegten, daß es eine Tat des KGB sei, trauen sich nicht, öffentlich darüber zu reden, weil sie deswegen große Unannehmlichkeiten befürchten. Aus diesem Grund werden wir bei der Veröffentlichung einiger Zeugenaussagen die Namen der Zeugen nicht nennen.

Frau N. ging am 25. November in die Miliz und berichtete, daß sie diesen Vorfall gesehen habe. Auf dem Bürgersteig sei ein Mann gestanden. Einige Männer sollen auf ihn zugekommen sein und, ihn unter die Arme greifend, angefangen haben, mit ihm irgendwas zu reden. Der Mann, so schien es, wollte nicht mit ihnen reden. Als der Lastwagen vorbeigefahren sei, hätten die Männer den Mann mit dem Hut plötzlich unter das Auto gestoßen. Die Zeugin wurde befragt, ob sie jene Männer wiedererkennen würde; doch als sie es bezweifelte, wurde sie von der Miliz hinausgebeten. Ganz ähnlich schilderte dieses tragische Ereignis auch der Schüler N. Er habe nur den Moment gesehen, als vier junge Männer einen älteren Mann unter das Lastauto gestoßen haben.

Der Kraftfahrer des Lastautos Maz-503 Lazutkin, nach dem Unfall in die Garage zurückgekommen, erzählte seinen Arbeitskollegen von dem Unglück, gleichzeitig aber tröstete er sich, daß er nicht bestraft werde, weil irgend­welche Männer den Mann unter das Auto gestoßen haben. Etwas später erzählte der Kraftfahrer Lazutkin den Verwandten des Prie­sters Bronius Laurinavičius, daß er nach der Straßenkreuzung etwa 3 bis 4 Meter vor dem Auto plötzlich einen Menschen sah, der auf das Auto prallte. Kaum daß er das Auto angehalten hatte, rannten auf die Fahrerkabine zwei junge, angetrunkene Männer zu, öffneten die Tür und schrien hinein: »Was hast du getan?!« Die angekommene Autoinspektion notierte den Namen eines der Männer, der andere aber ging ungehindert weg. Die zum Unfallort herbeigeeilten Mediziner der Unfallhilfe behaupteten, daß der Mann allem Anschein nach unter das Auto gestoßen wurde, denn er lag mit dem Gesicht zur Erde, die Handflächen waren sauber, das Gesicht aber grausam verstümmelt.

Während der Beerdigung war es stark spürbar, daß irgendwelche Draht­zieher der Regierung alles unternahmen, daß die Beerdigung eines solchen ehrwürdigen und teuren Priesters so wenig feierlich wie nur möglich aus­falle und daß möglichst wenige Menschen daran teilnehmen. Hätte es nicht eine Nachricht des Radio Vatikan gegeben, dann hätten die meisten Priester und die Gläubigen von dem Tod des Priesters B. Laurinavičius und seiner Beerdigung wirklich nicht rechtzeitig erfahren.

Priester B. Laurinavičius hat in seinem Testament gewünscht, neben der durch sein Bemühen erbauten Kirche von Švenčionėliai beigesetzt zu werden, aber bei der Sitzung des Rayonexekutivkomitees von Švenčionys wurde be­schlossen, nicht zu erlauben, den letzten Willen des Verstorbenen zu erfüllen.

Es schmerzt sehr, daß der Dekan von Švenčionys, der Priester Ulickas, den Priestern Algimantas Keina und Kazimieras Žemėnas nicht rechtzeitig mit­teilte, daß sie zu Testamentsvollstreckern des Priesters Bronius Laurina­vičius eingesetzt seien, und es lange Zeit verheimlichte, wo der Priester B. Laurinavičius beigesetzt sein wollte.

Zur Beerdigung am 27. November versammelten sich nicht nur die Ein­wohner von Adutiškis, sondern auch viele Priester und Gläubige aus den verschiedensten Winkeln Litauens. Um ihm die letzte Ehre zu erweisen und um für die Seele des Verstorbenen zu beten, kamen auch die verbannten Bischöfe — Julijonas Steponavičius und Vincentas Sladkevičius, die mit einer Gruppe von Priestern die Haupttrauermesse konzelebrierten. Die pre­digenden Priester Kazimieras Vasiliauskas, Algimantas Keina, Kazimieras Pukėnas, Jonas Lauriūnas und andere hoben die zahlreichen leuchtenden Eigenschaften der Persönlichkeit des Verstorbenen hervor. Sehr gefühlvoll erinnerte sich der Priester Jonas Lauriūnas an den Verstorbenen, indem er herausstellte, daß der Priester B. Laurinavičius nicht nur groß als Erbauer der Kirche war, sondern besonders groß als Förderer der geistigen Kirche. Eine schwere Kindheit hatte ihn abgehärtet, deswegen konnte er als Priester früh aufstehen, fleißig beten und arbeiten, so daß er über allen Sorgen oft sogar das Essen vergaß. Sich selber am wenigsten Beachtung schenkend, war der Verstorbene äußerst einfühlsam gegenüber anderen in allen ihren Nöten. Er machte sich große Sorgen um das Schicksal der Kirche und um die Zukunft des Volkes. Das Altern kriegte ihn nicht unter — er blieb sein Leben lang ein Enthusiast. »Das ist eine der stärksten Eichen aus den Wäldern Litauens, einer der klarsten Sterne unter dem Himmel Litauens.«

Der Priester Kazimieras Pukėnas erzählte vom bescheidenen Leben des Verstorbenen, von seiner Bildung (er beherrschte 5 Sprachen), seinem prie­sterlichen Fleiß und wie er, ungeachtet aller Gefahren, sich der öffentlichen Helsinkigruppe anschloß und die Rechte seiner Volksgenossen verteidigte. »Wir versprechen, auf den von Dir vorbereiteten Wegen zu gehen, damit alle Gläubigen Litauens, alle Litauer glücklich werden«, — sagte der Prediger abschließend.

Ein sehr weises Wort sprach am Grabe S. Exz., der verbannte Bischof Juli­jonas Steponavičius, indem er eins ums andere die wahrhaftig heroischen Merkmale der Persönlichkeit des verstorbenen Priesters heraushob. »Zu der Zeit, als zahlreiche Priester Litauens durch die Unterdrückung seitens der Atheisten verschreckt waren, ministrierten beim Priester Laurinavičius in Švenčionėliai die Kinder bei der Messe am Altar, und die Mädchen streuten bei den Prozessionen Blumen. Wenn er Landsleute sah, denen Unrecht ge­schah, trat der Verstorbene zur Verteidigung der Rechte der Litauer, der

Gläubigen und der Kirche ein. Deswegen wurden bei ihm Hausdurchsuchun­gen gemacht. Deswegen hatte er große Unannehmlichkeiten. Dennoch blieb er immer auf dem geraden Weg. Zuletzt wurde er in der Zeitung deswegen geschmäht, weil der Verstorbene die Kinder zu Gott zog. »Mag es in den Augen der Atheisten auch ein Vergehen sein«, sagte der Bischof, »in den Augen der Gläubigen aber — ist es eine große Ehre. Jeder Priester muß seine Pflichten recht erfüllen, damit wir die Zukunft unseres Volkes litauisch und katholisch erhalten.«

Am Schluß seiner Rede forderte der verbannte Bischof die Priester auf, fleißig zur Ehre Gottes zu arbeiten, die Gläubigen ermahnte er, sich die Unterweisungen ihres Pfarrers einzuprägen, den Glauben zu erhalten und ihn an die Kinder weiterzugeben.

Priester Bronius Laurinavičius ist 1913 in einer litauischen Oase in Weiß­rußland — in der Pfarrei Gervėčiai, im Dorfe Giliūnai geboren. Im Jahre 1944, nach dem Abschluß des Theologie- und Philosophie-Studiums an der Universität zu Vilnius, bekam er die Priesterweihe.

Seine erste Pfarrei war Švenčionys. Als er in den Jahren 1945—1948 Priester in Ceikiniai war, erneuerte und erweiterte er unter den schweren Bedingungen der Nachkriegsjahre die Kirche von Ceikiniai. Von 1948 bis 1956 arbeitete er in Kalesninkai, wo er die Kirche verschönerte. 1956 wird Priester Bronius Laurinavičius nach Švenčionėlai versetzt. Das alte Kirchlein war klein, auf den Mauern der noch im Bau befindlichen Kirche aber wuchsen schon junge Birken. Die Wände waren erst bis zu den Fenstern hochgemauert, alles andere war dem Schicksal überlassen. Der neue Pfarrer begann ein mutiges Unterfangen — den angefangenen Kirchbau zu vollenden. Nach großen Bemühungen und unzähligen Fahrten mit Delegationen der Gläu­bigen zu den obersten Instanzen der sowjetischen Regierung, um dort ver­schiedenste Erlaubnisse und Materialien zu erbitten, wurde die Kirche vollendet und eingeweiht. Das ist die einzige in der Nachkriegszeit erbaute und arbeitende Kirche in Litauen. In die Kirche von Švenčionėliai kamen immer mehr Jugendliche und Kinder. Das mißfiel den Regierungsgottlosen, und der Priester Laurinavičius wird 1968, auf Befehl der sowjetischen Re­gierung, nach Adutiškis versetzt, wo er nicht nur die eigenen Pfarrkinder versorgen muß, sondern noch zahlreiche Katholiken Weißrußlands dazu.

Neben seiner erfolgreichen Pastoraltätigkeit widmete der Verstorbene viel Kraft der Verteidigung der Menschenrechte. Nach dem Tode des Priesters Karolis Garuckas schloß er sich tätig, die eigene Freiheit riskierend, der litauischen Helsinkigruppe an und blieb in letzter Zeit, nach der Verur­teilung von Mečislovas Jurevičius und Vytautas Vaičiūnas, als einziger un­verhaftet als arbeitsfähiges Mitglied dieser Gruppe übrig. Es ist verständlich, warum das KGB den Verstorbenen so haßte. Der Priester Bronius hatte sich seinen nächsten Freunden gegenüber geäußert, daß man bereits zwei­mal versucht hatte, ihn zu überfahren.

Das KGB verfolgte jeden seiner Schritte. Am 21. November dieses Jahres war in der »Tiesa« (»Die Wahrheit«) ein langer Artikel von Danguolė Repšienė »Ins Leben — doch nicht über den Kirchhof« abgedruckt, in dem der Priester Bronius Laurinavičius deswegen angegriffen wurde, weil er Schüler in die Kirche hineinziehe. Nach einem solchen Artikel warteten alle auf eine Reaktion der Regierung, niemand aber glaubte, daß man eine der­artige Niederträchtigkeit ausführen werde.

Das Blut eines guten Priesters, eines edlen Litauers und furchtlosen Kämp­fers für die Rechte der Kirche und des Volkes, das auf der Straße der Haupt­stadt vergossen wurde, und das Opfer seines Lebens wird alle anständigen und denkenden Litauer zum Kampf für Wahrheit, Freiheit und Licht im Namen einer lichten Zukunft für uns alle anspornen.