Telšiai

Am 12. April 1982 entließ die Bildungsabteilung des Rayons Telšiai die Lehrerin für deutsche Sprache und gleichzeitig Klassenlehrerin der XI. Klasse an der Mittelschule zu Žarėnai, Stefanija Juozumaitė, wegen ihrer religiösen Überzeugung von der Arbeit. Die Lehrerin Stefanija Juozumaitė geht schon seit zwei Jahren beinahe jeden Tag öffentlich in die Kirche. Seit einem Jahr schon wird die Lehrerin von der Direktorin der Schule, Jankauskienė, der Parteiorganisation und dem Tschekisten Norkūnas verfolgt. Ein Vertreter des Bildungsministeriums, anfangs April angekommen, hat ihr ebenfalls mit der Entlassung gedroht. Der Tschekist Norkūnas ängstigte andauernd die Lehrerin und schlug ihr einen Ausweg vor: wenn sie einverstanden wäre, im Sicherheitsdienst mitzuarbeiten, dann könne sie auch weiterhin als Leh­rerin arbeiten und die Kirche besuchen. Außerdem schlug er vor, sie sollte über die Predigten des Priesters J. Kauneckas Bericht erstatten. Am 12. April (Ostermontag) wurde die Lehrerin, ohne daß sie wie das Ge­setz es verlangt, zwei Wochen vorher verwarnt worden wäre, von der Arbeit entlassen. Die Direktorin Jankauskienė erklärte ihr: »Seit Ostern bist du noch nicht nüchtern geworden und bist ab heute entlassen. Morgen kannst du dein Arbeitsbüchlein und dein Gehalt in der Bildungsabteilung abholen.« Sie erlaubte der Lehrerin nicht einmal, die schriftlichen Schularbeiten den Schülern zurückzugeben. »Es wird auch ohne dich jemand dasein, der sie zurückgibt!« — stellte die Direktorin klar.

In dem Arbeitsbüchlein steht eingetragen: »Wegen der Nichterfüllung aller Aufgaben der kommunistischen Erziehung.« Das ist eine vollständige Un­wahrheit, weil die Lehrerin Juozumaitė die XI. Klasse gut erzogen hat. — Es gab keine Beschwerden. Sie lehrte aber nur nicht den ihrer Uberzeugung entgegengesetzten Atheismus.

Da nach den sowjetischen Gesetzen nicht einmal ein Bürger, der gegen die Arbeitsdienstpflicht verstoßen hat, ohne vorherige schriftliche Ermahnung oder andere Maßnahmen der öffentlichen Einwirkung aus der Arbeit entlas­sen werden darf (eine Kritik in der Presse oder während einer Versammlung und ähnliches werden nicht als Maßnahmen der öffentlichen Einwirkung betrachtet, siehe »Regelung der Arbeitsstreitigkeiten« von Moreinas, Seite 93), deswegen wandte sich S. Juozumaitė an das Volksgericht von Telšiai mit der Bitte, sie als unberechtigt Entlassene in ihre Arbeit wieder einzustellen. Am 12. Mai 1982 fand die Gerichtsverhandlung statt. Die Hauptbedingung für die Entlassung, ob es Ermahnungen gegeben hat, wurde außer acht ge­lassen. Der Klägerin wurde vor Gericht, wie einer Angeklagten, unsinnige und von keinem Zeugen bewiesene Anschuldigungen vorgeworfen: »Es ist bekannt, daß sie die Schüler für religiöse Veranstaltungen organisierte, Nachrichten an die »Chronik« übergab, die sowjetischen Feiertage nicht »mochte« usw. Wegen ihres Verschuldens soll die Schülerin Stasė Molytė sogar die Schule verlassen haben müssen. Darüber habe sie in einem Brief an die Redaktion der » Valstiečių laikraštis« (»Zeitung für Landbewohner«) geschrieben. Der Brief wurde während der Verhandlung als Beweisstück vorgelegt. Molytė sagte aber vor Gericht aus, daß sie keinen Brief an eine Redaktion geschrieben habe. Molytė behauptete außerdem, daß das, was in dem Brief geschrieben steht, eine Verleumdung ist. Die Lehrerinnen Z. Radzevičienė und A. Balsienė sagten aus, daß sich Juozumaitė in der Schule gegen Atheismus geäußert hat. Die Lehrerin Tamašauskienė, darüber befragt, hat geantwortet: »Von solchen Äußerungen habe ich nichts gehört.« »Wie konntest du nichts hören, euere Schule ist doch nicht so groß«, — fiel der Staatsanwalt N. Butnorienė sie an. »Nein, ich habe nichts gehört«, — wie­derholte die Lehrerin Tamašauskienė. Die anderen Zeugen verwickelten sich in ihren Aussagen, was die im Saal versammelten Menschen mit lautem Gelächter begleiteten. Der Richter Augustis verbesserte die Aussagen der Zeugen andauernd und beschuldigte selbst die Juozumaitė: — »Hast du nicht die Schüler nach Telšiai eingeladen, um die Kurzfilme von Priester Kau-neckas anzuschauen?«

Niemand verteidigte die Interessen der Klägerin vor Gericht. Nicht einmal der Staatsanwalt hat verlangt, die Prozeßordnung und die Gesetze einzu­halten. Der Vertreter der Berufsgenossenschaft sollte die Interessen des Arbeitnehmers vertreten, der Vertreter der Bildungsgewerkschaft Andrijaus­kas aber hat wie ein Ankläger gesprochen: »Der Saal ist voll. Ich habe ge­hört, daß Juozumaitė am Kirchhof die Leute eingeladen hat, zur Gerichts­verhandlung zu kommen. Sie hat Zwietracht zwischen gläubigen und un­gläubigen Schülern gestiftet. Ich sehe Blumen . .. Ihr bereitet Euch vor, diese ihr als einer Benachteiligten zu überreichen...« Den Zuschauern war es klar, daß es sich um eine gewöhnliche Gerichtskomödie handelt. — Keiner der Zeugen konnte beweisen, daß die Lehrerin mit den Schülern über den Glauben gesprochen hätte.

Nach der Urteilsverkündung waren im Saal die Worte zu hören: »Verzweifle nicht, Stefanija! Wir nehmen dich auf!«

Das Gerichtsurteil

Im Namen der lit. sowj. sozial. Republik, am 12. Mai 1982 zu Telšiai

Das Volksgericht des Rayons Telšiai, bestehend aus dem Vorsitzenden Volks­richter V. Augustis und den Volksräten J. Badaugienė und A. Balvočius; Sekretär A. Rimkuvienė, dem Staatsanwalt N. Butnorienė, der Klägerin S. Juozumaitė, der Vertreterin des Angeklagten P. Jankauskienė, des Ver­treters des Rayonkomitees der Bildungsgewerkschaft A. Andrijauskas, be­handelte in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung eine Zivilklage der Klä­gerin Juozumaitė Stefanija, in der sie die Volksbildungsabteilung des Rayons Telšiai in der Sache ihrer Wiedereinstellung in ihre Arbeit verklagt. Das Volksgericht hat, nach der Überprüfung der Akte, festgestellt: Die Klägerin hat als Lehrerin an der Mittelschule zu Žarėnai im Rayon Telšiai gearbeitet. Am 13. April 1982 hat sie der Leiter der Volksbildungs­abteilung des Rayons Telšiai, gemäß Artikel 43 Punkt 2 des Arbeitsgesetz­buches des StGB der LSSR wegen Nichterfüllung aller Aufgaben der kom­munistischen Erziehung, aus ihrer Arbeit entlassen. Sie habe aber alle Auf­gaben der Lehrerin für die deutsche Sprache erfüllt, ihre Qualifikation war geeignet; deshalb durfte sie nicht entlassen werden. Sie hat gebeten, sie in ihre Arbeit wiedereinzustellen.

Der Vertreter der Anklage hat diese Klage verworfen, weil die Klägerin unfähig ist, Erziehungsarbeit auszuführen. Der Staatsanwalt hat gebeten, die Klage zu verwerfen. Die Klage ist aus folgenden Gründen abzuweisen: Gemäß dem Volksbil­dungsgesetz der LSSR (Art. 4 und 26) ist der Bildungs- und Erziehungs­prozeß an den Mittelschulen einheitlich. Die Bildung geht auf wissenschaft­lichen Grundlagen vor sich, ohne Einfluß der Religion. Die Aufgabe der Schule ist die marxistisch-leninistische Weltanschauung in der jungen Gene­ration zu formen. Gemäß Punkt 39 des Statuts der Allgemeinbildung an der Mittelschule sind die Pflichten des Lehrers, den Schülern ein festes Wissen der wissenschaftlichen Grundlagen zu übermitteln, die kommunistische Welt­anschauung zu formen, die Schüler im Geiste der kommunistischen Moral zu erziehen. Diese Pflichten der Lehrer sind auch in den von dem Bildungs­minister der UdSSR am 20. Februar 1978 bestätigten Befähigungscharakte­ristiken der pädagogischen Mitarbeiter festgelegt. Diese Aufgaben und Pflich­ten ergeben sich auch aus den Bildungsprogrammen. Durch die Erklärungen beider Seiten, durch die Aussagen der Zeugen Z. Radzevičienė, Lehrerin A. Balsienė und der anderen wurde dagegen festgestellt, daß die Klägerin sich weigert, die Pflicht der kommunistischen Erziehung zu erfüllen, und die Schü­ler sogar gegen das Gesetz in nichtkommunistischem Geiste erzieht. Nach dem Sinn des Artikels 43 Punkt 2 des Arbeitsgesetzbuches bestimmt die Eignung eines Pädagogen nicht das Diplom der abgeschlossenen Lehre allein, sondern auch die tatsächliche Fähigkeit, diese Arbeit zu verrichten, die Schüler in kommunistischem Geiste zu erziehen. Die Klägerin weigerte sich, diese Arbeit zu verrichten. Eine andere Arbeit in der Schule, die keine Ver­bindung mit der Erziehung hat, gibt es aber nicht. Die Klägerin weigerte sich außerdem, bei der Entlassung eine andere Arbeit, außer der pädagogi­schen Arbeit, zu verrichten (ihr wurde eine Arbeit in der Bibliothek in einer anderen Ortschaft angeboten. — Red.). Deswegen ist die Administration zu dem richtigen Beschluß gekommen, daß sie für die jetzigen Aufgaben unge­eignet ist, und hat sie berechtigt aus der Arbeit entlassen, ohne die Arbeits­gesetze verletzt zu haben.

Auf Grund der Artikel 214-222 des ZPK 15 der LSSR hat das Volks­gericht beschlossen: Die Klage der Klägerin Juozumaitė Stefanija, Tochter des Povilas, wegen ihrer Wiedereinstellung in ihre Arbeit ist abzuweisen. Das Urteil kann innerhalb 10 Tagen durch dieses Volksgericht bei dem Obersten Gericht der LSSR eingeklagt werden. Unterzeichnet vom Volksrichter und den Volksräten.