Am 27. Mai 1982 waren alle Dekane der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis in die Kurie der Erzdiözese Kaunas eingeladen. Man weiß nicht aus welchem Grund — ob deswegen, weil der Bischof L. Povilonis es so verlangte, oder ob der Bevollmächtigte des RfR Anilionis einen Streik der Dekane befürchtete — diesmal die Prozedur der »Gehirnwäsche« nicht im Exekutivkomitee, sondern in der Kurie durchgeführt wurde. Der Generalvikar Liudvikas Mažonavičius hat heimlich die Dekane gebeten, sie möchten das Gespräch nicht mit unangenehmen Fragen verschärfen, d. h. sie möchten die Tatsachen der Verfolgung der Kirche nicht hervorheben. Wir geben die Grundgedanken des Bevollmächtigten Petras Anilionis wieder. Der Redner freute sich, daß es Dekane gibt, die von den Priestern verlangen, die Gesetze der Regierung einzuhalten. Es gibt viele Priester, die sich an der extremistischen Bewegung nicht beteiligen. (Gute Dekane sind für den Bevollmächtigten jene, die die Interessen der Kirche verraten, die extremistische Bewegung aber ist die Tätigkeit der Priester, die der sowjetischen Regierung nicht gefällt — Bern, der Red.). Nach der Meinung des Bevollmächtigten sind der Bischof L. Povilonis, der Generalvikar L. Mažonavičius und die Kanzler Jonas Kavaliauskas und Antanas Bitvinskas fähig, für gute Ordnung zu sorgen.
Der Bevollmächtigte bedauerte, daß es solche Priester gibt, die nach Abschaffung der sowjetischen Gesetze über die religiösen Kulte streben. Nach der Meinung des Redners möchten solche extremistisch gesinnten Priester gerne in den Pfarreien ohne Wissen des Exekutivorgans »wirtschaften«. Sie reden gerne gegen die Lehrer, verlangen nach einem religiösen Journal und sprechen im Namen aller Priester. Der Bevollmächtigte versicherte, daß ein religiöses Journal in Vorbereitung sei; es wird aber nicht so aussehen wie die »Chronik«, und wird den Auslandsimperialisten nicht dienen.
Die Priester-Extremisten, — sagte Anilionis weiter, — wollen die Konflikte gegen die Regierung aufrechterhalten; sie verlangen, daß nur die von ihnen ausgesuchten Kandidaten ins Priesterseminar aufgenommen werden. Diese Lage dauert schon seit 1968 an, seitdem in der Diözese Vilkaviškis die ersten Schreiben wegen des Priesterseminars erschienen sind. Auf jene Seminaristen, die keine Extremisten (d. h. Kollaborateure des KGB — Red.) sind, wird ein Schatten des Verdachts geworfen.
Die Extremisten, — sagte der Bevollmächtigte, — machten einen Lärm in der ganzen Welt wegen der Entfernung des Seminaristen Aloyzas Valskis, obwohl er von der Leitung des Priesterseminars zweimal verwarnt worden war. (Zur Zeit werden Verwarnungen der Priesteramtskandidaten wegen der Verletzung der »Disziplin« im Priesterseminar praktiziert. Auf diese Weise kann das Amt des Bevollmächtigten des RfR wenigstens besänftigt werden, wenn ein Seminarist gegen die sowjetische Regierung sich vergeht, z. B. wenn er nicht aufsteht, wenn im Priesterseminar die sowjetische Hymne gesungen wird, oder wenn er während der Ferien einen von der sowjetischen Regierung verhaßten Priester besucht und ähnliches. — Bern, der Red.). Der Seminarist Aloyzas Volskis war voriges Jahr zum Bevollmächtigten des RfR gekommen und gab dabei schriftlich zu, daß er während seines Aufenthaltes im Priesterseminar politische Fehler gemacht hat, die er nun bereut. (Man braucht sich nicht zu wundern, wenn in der Sowjetunion jemand seine Fehler bereut; das sowjetische System ist fähig, auch gute Menschen zu nötigen. — Bern, der Red.).
Anilionis erklärte, daß die sowjetische Regierung einverstanden sei, die Einschränkung für die Aufnahme der Kandidaten ins Priesteramt zu lockern, wenn das Priesterseminar im Untergrund geschlossen werde. Der Bevollmächtigte unterstrich, daß die Priester-Extremisten Verbindungen mit den Aktivisten des Auslands aufrechterhalten und ihre Gegnerschaft gegen die Russen unterstreichen. Als sie aber dem Sacharow gratulieren wollten, sind sie auf einmal Internationalisten geworden. Er sprach, daß die Extremisten viele Hoffnungen in die Ereignisse in Polen gelegt hatten: Dort seien sogar Listen angefertigt gewesen, um die Kommunisten zu liquidieren.
Der Bevollmächtigte erinnerte daran, daß die Extremisten die vorgesehenen Bischofs-Kandidaten scharf angegriffen haben. Obwohl viele Kandidaten in Rom vorgelegt waren, wurde wegen der Verleumdung durch die Extremisten keine Einigkeit erreicht. Der Bischof Vincentas Sladkevičius versuchte sogar, durch ein persönliches Schreiben die Bischofs-Kandidaten zu überzeugen, daß sie sich vor der Konsekration zurückhalten sollen. »Wird es denn der sowjetischen Regierung schlechter gehen, wenn in Litauen weniger Bischöfe sein werden«, — legte der Bevollmächtigte eine schlaue Lüge vor, — »oder wird es für die Regierung vielleicht besser sein, wenn jede Diözese einen eigenen Bischof haben wird?« (Es wird sicher für die sowjetische Regierung besser sein, wenn mehrere ihr treue Bischöfe sein werden. — Bern. der. Red.).
Der Bevollmächtigte nahm Anstoß daran, daß die Priester-Extremisten diejenigen Priester angreifen, die den Frieden verteidigen und die Verteidigung des Friedens als eine List betrachten. Die Extremisten organisieren unter dem Vorwand der Religion Jugendversammlungen, die aber nicht religiösen Zwecken dienen. Beispielsweise am 5. Dezember 1981 bei der Magdalena Kuncevičiūtė in Kapsukas, am 14. November 1981 bei Familie Kelmelis in Vilkaviškis. Die Zusammenkünfte an den Seen organisierten die Priester Ričardas Černiauskas und Juozas Zdebskis. Die Priester-Extremisten — trug der Beamte weiter vor — haben am 23. August 1981 eine Prozession, zu Ehren der Verurteilten Vaičiūnas und Jurevičius, aus Tytuvėnai nach Šiluva organisiert, deswegen wurde die Prozession blockiert. Auf diese Weise kann man die Wallfahrtstage in Šiluva sogar ganz abschaffen.
Die Extremisten benützen die Kirchen für nichtreligiöse Zwecke, in den Kirchen von Viduklė, Šilalė, Pajūralis erlauben die Priester z. B. der Nijolė Sadūnaitė ein Predigt zum Thema »Wie gut ist es in Gefängnissen?« zu halten. »Alle wissen, daß es im Gefängnis schlecht ist«, — zensierte der Bevollmächtigte den »häretischen« Gedanken der N. Sadūnaitė. (Sadūnaitė hat nicht eine Predigt gehalten, sondern erzählte der Menschenmenge über ihre Erlebnisse im sowjetischen Lager. — Bern, der Red.). Besonders ärgerte sich Anilionis über den in den USA lebenden Professor Vardys, der in seinem Buch »Die Katholische Kirche und das Dissidententum in Sowjetlitauen« die Menschen auffordert, Petitionen zu schreiben, die ein sehr effektvolles Mittel im Kampf gegen Atheismus sind. Und die Priester schreiben jedenfalls, — setzte der Redner fort, — der Priester Jonas Matulionis aus Kybartai zum Beispiel schreibt eine Erklärung an die Regierungsorgane und übergibt sie sofort auch an die »Chronik«. Die Tätigkeit der Extremisten schadet, dem Bevollmächtigten nach, der Kirche sehr. In die Liste der Extremisten trug er folgende Priester ein: Zenonas Navickas, Antanas Šeškevičius, Kastytis Krikščiukaitis, Leonas Savickas und andere.
Der Bevollmächtigte versuchte die Dekane zu erfreuen, indem er versprach, daß die Regierung dieses und nächstes Jahr erlauben wird, für die Katholiken je 80 000 Gebetbücher herauszugeben, und daß etwas später die Preise für Elektrizität für die Kirchen nicht 25 Kopeken pro Kilowatt, sondern wie für alle Verbraucher sein werden.
Am Schluß seiner Rede erinnerte Anilionis die Dekane daran, daß sie die jungen Priester erziehen sollen.
Nach der Rede bedankte sich der Bischof L. Povilonis beim Redner. Der Dekan von Šekiai, Priester Juozas Žemaitis, fragte nach dem Vortrag, 1. warum die Atheisten in ihren Vorträgen keinerlei Anstand berücksichtigen und taktlos gegen die Gläubigen reden und 2. warum gehindert wird, auf den Friedhöfen Denkmäler mit religiösen Zeichen aufzustellen.
Der Vizedekan von Šiauliai, Priester Lionginas Vaičiulionis erhob einige Vorwürfe, daß die Beamten jene Priester Extremisten nennen, die die Vergehen der Atheisten, die Tatsachen der Kirchenraube hervorheben, daß die Mitarbeiter der Behörde des Bevollmächtigten die Kirchenkomitees gegen die Priester aufwiegeln, daß sie beispielsweise den Priester Nykštus sogar einen Dieb nannten.
Der Dekan von Aleksotas, Mgr. Andriejus Gustaitis, warf die Frage der Kirche von Klaipėda auf, die schon lange Jahre die Gläubigen nicht in Ruhe läßt.
Der Vizedekan von Kaunas, Priester Jonas Fabijanskas, hat gefragt, wo die Priester Lebensmittelkarten bekommen könnten. Der Bevollmächtigte gab zur Antwort, daß er auch keine Lebensmittelkarten bekomme (weil er in Spezialläden einkaufen darf. — Bern, der Red.).
. . . und die Seminaristen
Ende Mai 1982 führte der Bevollmächtigte des RfR eine »Gehirnwäsche« auch bei den Seminaristen des fünften Kursus durch, die gleich danach, vor der Priesterweihe, Exerzitien machen mußten. Der Bevollmächtigte sprach zum selben Thema — über den Extremismus der Priester. Er forderte die zukünftigen Priester auf, ihre Behörde aufzusuchen, wenn es notwendig wird, z. B. wenn man ins Ausland fahren will.