Am 8. Juni 1982 waren die Dekane der Diözese nach Telšiai zu einem Ge­spräch mit dem Bevollmächtigten des RfR P. Anilionis eingeladen. Nicht teilgenommen hat nur der Dekan von Mažeikiai Pfr. Jonas Gedvila. Die Dekane weigerten sich, im Exekutivkomitee des Rayon Telšiai zu verhan­deln, weil die Rayonregierung von Telšiai den Jungfrauenhügel geschändet hat. Das Gespräch fand in der Kurie der Diözese Telšiai statt. Der Bevoll­mächtigte sprach, wie gewohnt, über die Vorschriften der religiösen Vereini­gungen. Zum Jungfrauenhügel äußerte er sich so: »Der religiöse Extremis­mus hat den atheistischen Extremismus herausgefordert«. Nach dem Ge­spräch überreichten die Dekane dem Bevollmächtigten eine Erklärung:

»Seit Menschengedenken beten auf Anweisung der Kirche die Priester mit den Gläubigen jedes Jahr am 1. und 2. November für die Verstorbenen auf den Friedhöfen. Am 1. November 1981 war es den Gläubigen beinahe in allen Pfarreien der Diözese Telšiai verboten, auf den Friedhöfen gemeinsam für die Verstorbenen zu beten. An manchen Orten (z. B. in Telšiai) war es an dem Tag sogar verboten, Kreuze auf dem Friedhof zu weihen. In anderen Rayons (z. B. Mažeikiai) war es zwar nicht ausdrücklich verboten, aber an Friedhöfen wurden Lautsprecherapparate derart laut aufgedreht, daß es den Gläubigen in keiner Weise möglich war, gemeinsam ihre Verstorbenen zu ehren und für sie zu beten. Wir, die Gläubigen, fühlen uns grob verletzt. Alle Menschen äußerten empört ihren Protest, daß sie ihre Verstorbenen nicht so ehren dürfen, wie es der Glaube und die Kirche verlangt. In der Nacht vom 2. zum 3. April 1982 wurde im Rayon Telšiai, Gemeinde Gadūnavas, Dorf Pasruojė das historisch-religiöse Denkmal unseres Volkes Alkskalnis — Jungfrauenhügel grauenvoll verwüstet und der Friedhof ge­schändet: Die dort seit alter Zeit existierende Kapelle niedergerissen; die Balken der Wände, die Decke, das Dach irgendwohin verfrachtet; zwei kleine Kapellchen abgerissen und ebenfalls irgendwohin verfrachtet; der Altar, der in der Kapelle stand, ebenfalls zerschlagen, die Marienstatue zerschlagen und in den anliegenden Tümpel geworfen, die Heiligenbilder vernichtet, die Kreuze zerbrochen, zerschlagen, die hölzernen abgesägt, die Korpuse Christi mit den Resten von Kreuzen weggeworfen und in den Boden hineingetram­pelt. Diese Schändung des Friedhofs, des Heiligtums und der Kreuze ist die gröbste Verletzung des gläubigen Volkes. (...) Die Vernichtung dieses historisch-religiösen Denkmals ist kein gewöhnliches Toben von einfachen Rowdies, sondern ein organisierter Einsatz von Arbeitskräften und Trans­porttechnik. Wir haben Grund zu behaupten, daß dies ein von den Atheisten bösen Willens organisiertes Vergehen ist, das nicht ohne Zustimmung von manchen Regierungsbeamten durchgeführt wurde.

Bei dieser Gelegenheit müssen wir daran erinnern, daß dies eine Fortsetzung der Vernichtungsgeschichte vieler Kreuze und religiösen Volkskunstdenk­mäler in unserem Lande ist.

Die sowjetische Verfassung gibt der katholischen Kirche als solcher mit ihren wesentlichen Gesetzen — Kanones, ihren moralischen Grundsätzen und Dogmen und ihrem eigenen Kult die Freiheit. Deshalb darf man sie nicht wie eine Religion von Sektierern betrachten, wo es eine ganz andere innere Struktur, ganz andere Kult- und Ordnungsgesetze gibt. Bei manchen Sekten werden die Geistlichen gewählt, andere wiederum kennen überhaupt keine Geistlichen. Deshalb haben in diesen Religionsgemeinschaften die Laien die Führung. In der katholischen Kirche gibt es eine hierarchische Ordnung. Hier haben Menschen mit Weihen die Führung: Bischöfe und Priester. Sie müssen aber die Kanones, die Dogmen, die wesentlichen Prinzipien der Moral und des Kultus einhalten. In der katholischen Kirche haben alle Laienkomitees nur eine helfende und beratende Funktion. Sollten sie eine Führungsfunktion in der katholischen Kirche einnehmen oder die Bischöfe und Priester in ihrer Führungsaufgabe behindern, dann zählen sie nicht mehr zu den gläubigen Gliedern der katholischen Kirche (Kan. 2345). Deshalb ist die Aktion mit den Kirchenkomitees gegen die Hierarchie der Kirche nichts anderes als eine Absicht, die katholische Kirche zu vernichten. Es ist klar, daß die katholische Kirche damit nicht einverstanden sein kann und gezwun­gen ist, sich mit allen Kräften dem zu widersetzen. Dieser Kampf ist der katholischen Kirche zwangsweise aufgedrängt. Auch dem Staat bringt er nichts Gutes, er erregt nur Unruhe in den gläubigen Bevölkerungsschichten und untergräbt das Vertrauen zur Regierung.

Angesichts dieser Tatsachen verlangen wir, die hier versammelten Dekane der Diözese Telšiai und der Prälatur Klaipėda, als Vertreter unserer Gläu­bigen und Priester und als vollberechtigte Bürger unseres Landes:

Die Regierung muß alle Maßnahmen ergreifen, damit diese grauenhaften Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die heiligsten Empfindungen — Überzeugungen der Gläubigen (Schändungen von Friedhöfen, Heiligtümern und Kreuzen) sich nicht wiederholen und damit die Gläubigen vor den Ter­rorakten geschützt und in Zukunft nicht mehr auf solche gröbste Weise ver­höhnt und beleidigt werden.

Die Kultgesetze dürfen nicht gegen die Grundgesetze der Kirche, die Ka-nones, und nicht gegen die Verfassung erlassen und gedeutet werden.

Beim Weiterbestehen der genannten und ähnlichen Aktionen und Tatsachen wird ein normaler Dialog zwischen Kirche und Regierung sehr erschwert oder gar unmöglich.

Unterschrieben haben die Dekane: Pfr. Bernardas Talaišis, Pfr. Stanislovas Ilinčius, Pfr. Bronius Burneikis, Pfr. Kazimieras Gasčiūnas, Pfr. Petras Palšis, Pfr. Feliksas Valaitis, Pfr. Juozapas Grubliauskas, Pfr. Dr. Petras Puzaras, Pfr. Tadas Poška; Vizedekane: Pfr. Petras Stukas, Pfr. Alfonsas Lukoševičius.

Am 6. August 1982 bekamen die Gläubigen eine Antwort des Kultusmini­steriums auf ihre Eingabe wegen der Verwüstung des Jungfrauenhügels: »Unbekannte Übeltäter haben auf dem Jungfrauenhügel Kunstdenkmäler von örtlicher Bedeutung vernichtet. Originalfiguren sind nicht erhalten ge­blieben, deshalb ist ein Wiederaufbau von Kapellen nicht sinnvoll.«

Mittlerweile sind einige Details bekannt geworden: Die Verwüstung des Jungfrauenhügels war von der Rayonregierung in Telšiai im voraus geplant. Den Befehl zum Abreißen gab das Rayonkomitee der kommunistischen Partei, das Zerstörungsunternehmen kommandierte der Direktor der Fische­reiwirtschaft und Sekretär der kommunistischen Partei Baltrukas, unter Be­teiligung von Soldaten. (Nach einem Monat lenkte Baltrukas angetrunken ein Personenauto und geriet unter einen Militärlastwagen. Im Krankenhaus wurde ihm ein Bein amputiert.) Die abgerissene Kapelle abzutransportieren wurde dem Lastwagenfahrer Zigmantas Burba befohlen. Er weigerte sich. Ans Steuer wurde ein Soldat gesetzt. Am nächsten Tag weigerte sich Zig­mantas Burba, mit einer Maschine zu arbeiten, die zur Entweihung einge­setzt war. Andere Fahrer meldeten sich nicht. Die mächtige GAZ-66 Ma­schine stand lange Zeit unbenutzt. Am 22. Mai 1982 erschien in der Zeitung

»Komunizmo švyturys« (Leuchtturm des Kommunismus) von Telšiai eine Anzeige, daß die Fischereiwirtschaft von Pasruojė Lkw-Fahrer benötigt.

Andere Organisationen, an welche die Gläubigen sich gewandt haben, gaben keine Antwort. Einige Frauen (Rozalija Dargužienė, Gaudiešienė u. a.) brauchten eine Erklärung von 40 Gläubigen zum Ministerrat, eine Antwort bekamen sie aber nicht.

An der Delegation zum Ministerrat nahm auch die Direktorin des Kultur­hauses von Gedrimai (Fischereiwirtschaft Pasruojė), Jadvyga Jucienė teil, die zugleich für Denkmalschutz in der Gemeinde Gadūnavas verantwortlich ist. Im Juli wurde sie vom Komitee der kommunistischen Partei in Telšiai und von der Sicherheitsabteilung in Telšiai verwarnt, sie solle nicht so viel Radau wegen dem Jungfrauenhügel schlagen, und Anfang August wurde sie von ihrer Arbeit entlassen.

Am 20. Juni 1982 teilte die oberste Militärstaatsanwaltschaft der UdSSR mit, daß die Beschwerde der Gläubigen an den Militärdistrikt Baltikum nach Riga zur Überprüfung überwiesen wurde. Am 28. Juni kam der Staatsan­walt des baltischen Militärdistrikts nach Telšiai. Zur Milizabteilung wurden diejenigen vorgeladen, die die Erklärung unterzeichnet hatten. Rita Bumbli-auskaitė und Jadvyga und Genovaitė Drungėlaitės wurden geängstigt, daß sie wegen der Verleumdung der sowjetischen Armee vors Gericht kommen, denn sie hätten keine sicheren Beweise, daß zur Zerstörung von religiösen Objekten oder zum Kampf gegen den Glauben die Armee herangezogen wurde. Natürlich können die Gläubigen auch offensichtliche Fakten nicht beweisen: Major Berukow hat im Juni 1981 in Rainiai 3 Kreuze gesprengt; am 1. November 1981, während die Gläubigen beteten, patrouillierten Sol­daten auf dem Friedhof von Telšiai; in der Nacht vom 2. zum 3. April 1982 haben sie bei der Zerstörung von Kreuzen und Kapellen teilgenommen; am 15. Mai 1982 jagten Soldaten mit anderen Funktionären nach Menschen, die zum Jungfrauenhügel gegangen sind. Außerdem teilten die Verhörten dem Staatsanwalt mit, daß die abgerissene Kapelle auf dem Militärübungs­platz von Gadunavas gelagert ist. Aber auch dieser Sachbeweis fehlte am nächsten Morgen: Die Kapelle war vom Militärübungsplatz verschwunden.